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"Der Führer wünscht, daß Schillers Schauspiel 'Wilhelm Tell' nicht mehr aufgeführt wird und in der Schule nicht mehr behandelt wird." So schrieb Martin Bohrmann am 3. Juni 1941 an Reichsminister Karl Lammers. Kein Wunder, dass Hitler den "Tell" verbieten wollte: Gleich mehrere Attentäter hatten sich von ihm inspirieren lassen, und, wie im "Don Carlos", spendete das Theaterpublikum auch in Schillers letztem abgeschlossenen Stück ausgerechnet in den widerständigsten Szenen immer wieder Sonderapplaus. Eine überraschende Kehrtwende dann in den 50er Jahren: Das Publikum war plötzlich übersättigt…mehr

Produktbeschreibung
"Der Führer wünscht, daß Schillers Schauspiel 'Wilhelm Tell' nicht mehr aufgeführt wird und in der Schule nicht mehr behandelt wird." So schrieb Martin Bohrmann am 3. Juni 1941 an Reichsminister Karl Lammers.
Kein Wunder, dass Hitler den "Tell" verbieten wollte: Gleich mehrere Attentäter hatten sich von ihm inspirieren lassen, und, wie im "Don Carlos", spendete das Theaterpublikum auch in Schillers letztem abgeschlossenen Stück ausgerechnet in den widerständigsten Szenen immer wieder Sonderapplaus. Eine überraschende Kehrtwende dann in den 50er Jahren: Das Publikum war plötzlich übersättigt von den Schweizer Kitteln und den unzähligen geflügelten Worten; der "Tell" wurde zum meistparodierten Stück Schillers. Erst das Wendejahr 1989 brachte eine Renaissance. Die Mauern der Zwingburg Uri wurden auf der Bühne nach Berlin verlegt und, "die Axt im Haus erspart den Zimmermann", alles war an seinem Platz: korrupte Politiker, Passkontrollen und "Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern".
Autorenporträt
Friedrich von Schiller wurde 1759 in Marbach geboren. Auf Befehl des Herzogs Karl Eugen musste der junge Schiller 1773 in die 'Militär-Pflanzschule' eintreten, wo er ab 1775 Medizin studierte; später wurde er Regimentsmedicus in Stuttgart, das er 1782 nach Arrest und Schreibverbot wegen seines Stückes 'Die Räuber' jedoch fluchtartig verließ. 1789 wurde er zum Professor der Geschichte und Philosophie in Jena ernannt, 1799 ließ er sich endgültig in Weimar nieder. Schiller starb am 9.5.1805 in Weimar.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2005

Der Gemeine geht stumm
Lauter große Worte, wie aus einem Literaturfilm. Alte Aufnahmen der Dramen Schillers schwanken zwischen Pathos, Prätension und Extremismus.
Auf diese Frau war Don Carlos nicht gefasst. Er hört die Laute spielen, der Vorsaal ist offen, unversehens steht er vor ihr: „Gott, wo bin ich. Sie? Prinzessin Eboli?” - „Prinz Carlos”. In einer Aufnahme des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahre 1953 sprechen Hans Quest und Hilde Krahl diesen Dialog (nicht ganz von Schiller) sehr gediegen, in der Manier der alten Schule. Der Hörer wäre nicht überrascht, käme im nächsten Augenblick Hans Moser herein, um Tee zu servieren. Schiller klingt in diesem Fall keineswegs verstaubt, vielmehr auf unglückliche Weise zeitlos. Der hohe Ton, die „Heute-geben-wir-Klassiker”-Art des Sprechens wirken so überzeugend wie Stilmöbel mit eigens angebrachter Patina. Es gibt auf den sechs Hörbüchern mit Aufnahmen aus den fünfziger und sechziger immer wieder Augenblicke, in denen die Figuren wie aus einem Literaturfilm zu uns zu sprechen scheinen. Und dass ist nur zum Teil damit erklärt, dass man die großen Schauspieler, die hier versammelt sind, auch vom Abspann kennt. Das ungewollt Prätentiöse scheint eine Schwundstufe des Pathetischen, das nun einmal zu diesem Dichter gehört; man mag sich noch so bemühen, ihn gegen seine früheren Verwalter und Verehrer zu verteidigen und ihn dem 19. Jahrhundert zu entreißen.
Die Begegnung zwischen Don Carlos und der Prinzessin Eboli ist für die Rundfunkaufzeichnung aufs Nötigste zusammengestrichen worden. Schon die Textkürzungen zeigen, dass man der komplizierten, zwischen Extremen schwankenden Gefühlsmechanik dieser Szene nicht recht traute. Aber verdrängtes, verkleinertes Pathos rächt sich unverzüglich. Werden die großen Worte naiv oder verschämt gesprochen, klingen sie, das Hörbuch ist hier grausamer als die Bühne, immer nach Stilmöbel und Samtvorhang.
Dabei ist Schillers Pathos, auch das kann man an diesen Aufnahmen studieren, alles andere als Ausdruck eines schlichten, zum idealischen Schwung geneigten Gemüts. Es ist vielmehr das Handwerkszeug eines kühl kalkulierenden Extremisten. Der Schlachtruf „Freiheit!”, auf den Schiller in diesem Jahr verkürzt wird, kann ja nicht verdecken, dass zumindest seine Dramen von inniger Vertrautheit mit dem Fundamentalismus zeugen. Gewiss, es gibt Momente der Befreiung, aber keine selbstgewisse Freiheit. Im Gegenteil, gerade die Helden, die wie Carlos, Karl Moor oder Ferdinand am lautesten von Freiheit und Ungebundenheit schwärmen, stolpern über ihre eigenen Füße, erliegen weniger den bösen Umständen als sich selbst. Der Dramatiker Schiller scheint eine Lust daran zu haben, nicht nur immer neue Hindernisse auf seine Helden zu türmen, sondern zu zeigen, wie gebunden, abhängig, letztlich Zufällen anheim gegeben sie sind, wie unsicher der Ausgang ihrer souveränen Handlungen.
Das Pathos ist das Instrument, mit dem dieser Extremist seine Figuren zum Äußersten treibt. Sie reihen Wort an Wort - und schon hängt ihr Kopf in der Schlinge. Schiller tut, was sein Schüler Kleist später beschrieb: Er führt vor, wie Gefühle und Gedanken beim Reden allmählich entstehen.
Man hört es in der berühmten Szene III,4 aus „Maria Stuart” - dem Treffen der Rivalinnen, die beide daran scheitern, Königin und Frau zugleich zu sein. In der Aufnahme aus dem Jahr 1954 spricht Paul Wessely die Maria. Trotz des „Ich-bin-Schauspielerin”-R wirkt ihr Pathos vollendet natürlich. Wenn Maria versucht, ihre Gegnerin davon zu überreden, dass ein ungreifbarer Dritter, „ein böser Geist”, Schuld an der Entzweiung trage, dann gewinnt Paula Wesselys Stimme Wärme und Biegsamkeit. Sie scheint die kalte Elisabeth gleichsam umarmen zu wollen oder einzulullen, als brächte sie ein Kind ins Bett. Trotz der Nachgiebigkeit, zu der Maria sich zwingt, bleibt ihre Stimme hart und fest, bestimmt wie die eines Hypnotiseurs. Dass Edith Heerdegen darauf wie eine frustrierte Räubertochter antwortet, mag den Konventionen der Regie geschuldet sein, die nicht wahrhaben will, dass Maria und Elisabeth spiegelbildliche Charaktere sind.
Paula Wessely folgt bedacht und ihrer Mittel sehr bewusst dem Gang der Worte - und steht, weil sie ganz die Figur verkörpert, neben ihrer Rolle, als hätte sie den Schiller-Schüler Brecht gelesen. Die Leidenschaft zur Selbstbeobachtung teilen ja viele Schiller-Helden.
Im zweiten Glücksfall unter diesen Aufnahmen ist zu erleben, wie einer die Distanz zum eigenen Tun und Reden aufgibt. Karl Moor hat den Brief aus der Hand seines Bruders Franz erhalten und zerreißt, Worte von sich stoßend, Metaphern häufend, das Band zwischen sich und seiner Vergangenheit. In der Aufführung des Bayerischen Staatsschauspiels aus dem Jahr 1969 gibt Helmut Griem den Karl. Dessen Fluch auf die Welt zu sprechen, ohne das Publikum zum Lachen zu bringen, dürfte zum schwersten gehören. Hier gelingt es. Griem besitzt eine jugendliche Stimme, der man vieles glaubt und vollendet das Meisterstück dadurch, dass er rast, ohne zu brüllen, atemlos immer rascher wird, stolpert fast, bis er erschöpft pausiert - und für die Sache der Räuber gewonnen ist. Er hat sich den Boden unter den Füßen fortgeredet.
Heute werden Schillers pathetische Wort gern ungläubig, ironisierend oder beiläufig verschämt gesprochen. Das gibt dann Stilmöbel anderen Zuschnitts. Man sollte Paula Wessely, Helmut Griem und vielleicht noch Fritz Benscher als Gessler hören und wird merken, dass die großen Worte nicht peinigen müssen, sondern zwingend klingen können, wenn sie nicht als Botschaft, sondern als Lebensluft der Figuren erscheinen dürfen. Wer dagegen Schillers Pathos umgehen will, so oder so, hat allen Grund, sich vor ihm zu fürchten.
Friedrich Schiller
Die Räuber. Kabale und Liebe. Don Karlos. Wallensteins Tod. Maria Stuart. Wilhelm Tell
Deutsche Grammophon. Berlin 2005. je 8 Euro.
Fritz Kortner in „Don Carlos” am Berliner Hebbel-Theater, 1950.
Foto: SV
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