Der Krieg ist vorbei. Doch der Friede ist trügerisch. In Deutschland verspricht der Führer dem Volk eine große Zukunft. In den USA kämpft der Präsident gegen die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Und in Russland zerbricht die Hoffnung der Revolution unter dem Terror der Bolschewisten.
Der zweite Teil von Folletts großer Jahrhundert-Saga erzählt eine Geschichte von Heldentum und Tragödie, Anpassung und Widerstand, Liebe und Hass. Während sich die einen in Verblendung und Schuld verstricken, werden den anderen die Augen geöffnet für das Unmenschliche, das im Namen der Ideologie geschieht.
Der zweite Teil von Folletts großer Jahrhundert-Saga erzählt eine Geschichte von Heldentum und Tragödie, Anpassung und Widerstand, Liebe und Hass. Während sich die einen in Verblendung und Schuld verstricken, werden den anderen die Augen geöffnet für das Unmenschliche, das im Namen der Ideologie geschieht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2012Krieg, Sex und andere Katastrophen
Heute erscheint Ken Folletts "Winter der Welt", der Mittelteil seiner Trilogie des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Roman hält stand, spart aber eine wichtige Erzählfarbe aus. Wir lesen Globalliteratur.
Ken Follett ist ein Generalstabschef des Erzählens. Seine Organisation, das "Follett Office", besteht inzwischen aus gut zwanzig Mitarbeitern, die von der Recherche bis zum Rechnungswesen jeweils für klar strukturierte Aufgaben zuständig sind (F.A.Z. vom 10. September). Weltweit sind inzwischen mehrere Kohorten von Verlagslektoren, Übersetzern, Herstellern und Marketingleuten hinzugekommen, die ihm indirekt zu Diensten sind - angesichts ihrer je eigenen Gewinnaussichten keineswegs ungern. Aber natürlich hat auch der jetzt dreiundsechzig Jahre alte Waliser einmal ganz bescheiden begonnen. Noch sein erster Welterfolg, der bis heute unverstaubte Spionagethriller "Die Nadel" von 1978, war das Werk eines solistisch vor sich hin werkelnden Schreibmenschen, der nach Jahren der Erfolglosigkeit endlich den rettenden Einfall hatte.
Mehr als ein weiteres Jahrzehnt sollte vergehen, ehe er mit "Die Säulen der Erde" (1990) nicht nur ein zwischendurch ziemlich auf den Hund gekommenes Genre, den historischen Roman, spektakulär revitalisierte, sondern sich erstmals auch gezielt bei Spezialisten, im speziellen Fall bei Historikern des Mittelalters und Kennern der Kathedralen-Architektur, professionellen Rat suchte und sie temporär in sein Kernteam integrierte. So entstand zunächst die Firma Follett, die bei stetig wachsendem kommerziellem Ertrag - auch die historischen Folgeromane, "Die Pfeiler der Macht" (1994) oder "Die Tore zur Welt" (2007), reüssierten, Verfilmungshonorare sprudelten munter - logischerweise expandierte.
Zum Generalstab mutierte das Unternehmen erst, als sich Follett entschloss, seinen punktuellen Erzählzugriff auf geschichtliche Stoffe - "Die Säulen der Erde" spielen im zwölften, "Die Tore der Welt" im vierzehnten Jahrhundert und beide in England -, auf das welthistorische Ganze und auf eine noch ganz nahe Vergangenheit, das letzte Säkulum, auszudehnen. Vor zwei Jahren erschien "Sturz der Titanen", umfasste als erzählte Zeit die Jahre 1911 bis 1924, spielte zwar nicht auf allen, aber mit Amerika, Europa und Asien eben auf den zentralen Kontinenten und benutzte dafür naturgemäß den Ersten Weltkrieg als Erzählkern eines globalen Geschichts- und Geschichtenpanoramas (F.A.Z. vom 17. Dezember 2010).
Am vergangenen Donnerstag erschien der Folgeband "Winter der Welt" in Großbritannien, heute sind die deutschsprachigen Länder und ganz Nordamerika an der Reihe, übermorgen wird er in Spanien und Lateinamerika ausgeliefert, am 27. September ist das Buch dann auf dem japanischen Markt erhältlich, selbstredend auch dort bereits in die Landessprache übersetzt. Die weltweit produzierten Stückzahlen für den jeweiligen Erstverkaufstag orientieren sich an der Startauflage der Vorgängers, geschätzte zwei bis drei Millionen gebundene Exemplare also, gleichzeitig kommen die entsprechenden E-Books und die (wie stets gekürzten) Hörbuchfassungen hinzu. Ken Follett kennt keine Krise.
Und er bietet rein handwerklich aufs Neue genau das, was man von ihm erwartet: kenntnisreiche Solidität und substantielle Sachlichkeit, jeweils in leicht verständlicher Sprache dargeboten, also mit einem Minimum an Fachvokabular. Auf der wiederum gut tausend Seiten umfassenden Erzählstrecke wird man also, ohne sich zu langweilen, etwa erfahren, was es mit dem britischen "Beveridge Report" des Jahres 1942 auf sich hatte, wie die Empfängnisverhütung zwischen 1933 und 1948 (eventuell) funktionierte, wie sich Technik und Produktion von Flugzeugträgern entwickelten, nicht zuletzt auch, wie "die selbsterhaltende Kernreaktion", das "Manhattan-Projekt" und die Atombombe in die Welt kamen.
Über das meist furchtbare politische und militärische Geschehen von Hitlers Machtergreifung über den Spanischen Bürgerkrieg und den Überfall auf Polen bis zum deutschen, aber auch zum englischen Bombenkrieg, zu Pearl Harbor, zum D-Day, zur Berlin-Blockade und zum Hoffnungszeichen des Marshallplans: Es kommt alles vor, was der Fall war - integriert entweder in die Unterhaltungen des ungemein zahlreichen, dabei immer einigermaßen übersichtlich bleibenden Figurenensembles, oder illustriert an Szenen, in denen die Machthaber der Epoche selbst als Romanfiguren auftreten. Die beste von ihnen spielt 1941 und zeigt, so realistisch wie absurd, Stalin im Ohrensessel seiner Datscha.
Und natürlich sind Folletts durchweg junge Hauptfiguren - der russische Agent Wolodja, der englische Aufsteiger Lloyd, die deutsche Widerständlerin Carla, die amerikanischen Heißsporne Chuck, Woody und Greg sowie die Buffalo-Millionärin Daisy - ihrerseits Akteure auf Schlachtfeldern, in Krankenhäusern, Gefängnissen, in kargen Küchen, opulenten Appartements, bei Demonstrationen oder im Parlament. Als Kinder der Helden aus dem Vorgänger-Band "Sturz der Titanen" stehen sie auch für die schiere Progression der Zeit und die Abfolge der Generationen.
Sehr viele Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands stellt Follett in sehr konkreten, oft schonungslosen Szenen dar: die Jagd auf Homosexuelle, das Entrechten der Juden, die Euthanasie, die Massenerschießungen russischer Zivilisten, die Gestapo-Folter. Einzig die Vernichtungslager bleiben ein Erzähltabu: Noch nicht einmal die Namen von Auschwitz und Treblinka werden genannt. Von den kommunistischen Untaten und jenen der Roten Armee hingegen erzählt "Winter der Welt" ebenso wie vom Abwurf der Atombombe am Ende des pazifischen Kriegs. Dessen Wende zugunsten der Amerikaner leitet im Juli 1942 die See- und Luftschlacht bei den Midwayinseln ein: Ihre Schilderung aus der Sicht des Senatorensohnes Chuck Dewar ist ein Höhepunkt des Buchs.
Der Epochenhorror ist für alle, für das Romanpersonal wie die Romanleser, nur erträglich, wenn er von privaten, persönlichen Augenblicken einigermaßen ausbalanciert wird. Also treibt und lockt der Generalstäbler Ken Follett seine Figuren mindestens alle dreißig, vierzig Seiten zu Paaren, ins Bett und zum Sex. Eine "umwerfend schöne Frau" nach der anderen tritt "atemberaubend" auf, zunehmend allerdings auch an Tisch wie Bett auf eigene Rechte pochend.
Als Frauenrechtlerin und Labour-Abgeordnete im Londoner Parlament bleibt die nun etwa fünfzigjährige Ethel Leckwith-Williams, strahlende Heroine im "Sturz der Titanen" und Mutter des so klugen wie tapferen Lloyd, auch im neuen Band die Edelfigur. Ethel stammt aus Wales. Follett auch. Sehr oft erzählte er im ersten Band von der Bergbau-Vergangenheit seiner Heimat - und war dabei stets bestens in Form. Im "Winter der Welt" sind Cardiff und Aberowen, den Umständen geschuldet, ganz an den Rand gerückt. Man vermisst diese Erzählfarbe sehr.
JOCHEN HIEBER
Ken Follett: "Winter der Welt". Roman.
Aus dem Englischen von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher. Mit Illustrationen von Tina Dreher. Verlag Bastei Lübbe, Köln 2012. 1022 S., geb., 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heute erscheint Ken Folletts "Winter der Welt", der Mittelteil seiner Trilogie des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Roman hält stand, spart aber eine wichtige Erzählfarbe aus. Wir lesen Globalliteratur.
Ken Follett ist ein Generalstabschef des Erzählens. Seine Organisation, das "Follett Office", besteht inzwischen aus gut zwanzig Mitarbeitern, die von der Recherche bis zum Rechnungswesen jeweils für klar strukturierte Aufgaben zuständig sind (F.A.Z. vom 10. September). Weltweit sind inzwischen mehrere Kohorten von Verlagslektoren, Übersetzern, Herstellern und Marketingleuten hinzugekommen, die ihm indirekt zu Diensten sind - angesichts ihrer je eigenen Gewinnaussichten keineswegs ungern. Aber natürlich hat auch der jetzt dreiundsechzig Jahre alte Waliser einmal ganz bescheiden begonnen. Noch sein erster Welterfolg, der bis heute unverstaubte Spionagethriller "Die Nadel" von 1978, war das Werk eines solistisch vor sich hin werkelnden Schreibmenschen, der nach Jahren der Erfolglosigkeit endlich den rettenden Einfall hatte.
Mehr als ein weiteres Jahrzehnt sollte vergehen, ehe er mit "Die Säulen der Erde" (1990) nicht nur ein zwischendurch ziemlich auf den Hund gekommenes Genre, den historischen Roman, spektakulär revitalisierte, sondern sich erstmals auch gezielt bei Spezialisten, im speziellen Fall bei Historikern des Mittelalters und Kennern der Kathedralen-Architektur, professionellen Rat suchte und sie temporär in sein Kernteam integrierte. So entstand zunächst die Firma Follett, die bei stetig wachsendem kommerziellem Ertrag - auch die historischen Folgeromane, "Die Pfeiler der Macht" (1994) oder "Die Tore zur Welt" (2007), reüssierten, Verfilmungshonorare sprudelten munter - logischerweise expandierte.
Zum Generalstab mutierte das Unternehmen erst, als sich Follett entschloss, seinen punktuellen Erzählzugriff auf geschichtliche Stoffe - "Die Säulen der Erde" spielen im zwölften, "Die Tore der Welt" im vierzehnten Jahrhundert und beide in England -, auf das welthistorische Ganze und auf eine noch ganz nahe Vergangenheit, das letzte Säkulum, auszudehnen. Vor zwei Jahren erschien "Sturz der Titanen", umfasste als erzählte Zeit die Jahre 1911 bis 1924, spielte zwar nicht auf allen, aber mit Amerika, Europa und Asien eben auf den zentralen Kontinenten und benutzte dafür naturgemäß den Ersten Weltkrieg als Erzählkern eines globalen Geschichts- und Geschichtenpanoramas (F.A.Z. vom 17. Dezember 2010).
Am vergangenen Donnerstag erschien der Folgeband "Winter der Welt" in Großbritannien, heute sind die deutschsprachigen Länder und ganz Nordamerika an der Reihe, übermorgen wird er in Spanien und Lateinamerika ausgeliefert, am 27. September ist das Buch dann auf dem japanischen Markt erhältlich, selbstredend auch dort bereits in die Landessprache übersetzt. Die weltweit produzierten Stückzahlen für den jeweiligen Erstverkaufstag orientieren sich an der Startauflage der Vorgängers, geschätzte zwei bis drei Millionen gebundene Exemplare also, gleichzeitig kommen die entsprechenden E-Books und die (wie stets gekürzten) Hörbuchfassungen hinzu. Ken Follett kennt keine Krise.
Und er bietet rein handwerklich aufs Neue genau das, was man von ihm erwartet: kenntnisreiche Solidität und substantielle Sachlichkeit, jeweils in leicht verständlicher Sprache dargeboten, also mit einem Minimum an Fachvokabular. Auf der wiederum gut tausend Seiten umfassenden Erzählstrecke wird man also, ohne sich zu langweilen, etwa erfahren, was es mit dem britischen "Beveridge Report" des Jahres 1942 auf sich hatte, wie die Empfängnisverhütung zwischen 1933 und 1948 (eventuell) funktionierte, wie sich Technik und Produktion von Flugzeugträgern entwickelten, nicht zuletzt auch, wie "die selbsterhaltende Kernreaktion", das "Manhattan-Projekt" und die Atombombe in die Welt kamen.
Über das meist furchtbare politische und militärische Geschehen von Hitlers Machtergreifung über den Spanischen Bürgerkrieg und den Überfall auf Polen bis zum deutschen, aber auch zum englischen Bombenkrieg, zu Pearl Harbor, zum D-Day, zur Berlin-Blockade und zum Hoffnungszeichen des Marshallplans: Es kommt alles vor, was der Fall war - integriert entweder in die Unterhaltungen des ungemein zahlreichen, dabei immer einigermaßen übersichtlich bleibenden Figurenensembles, oder illustriert an Szenen, in denen die Machthaber der Epoche selbst als Romanfiguren auftreten. Die beste von ihnen spielt 1941 und zeigt, so realistisch wie absurd, Stalin im Ohrensessel seiner Datscha.
Und natürlich sind Folletts durchweg junge Hauptfiguren - der russische Agent Wolodja, der englische Aufsteiger Lloyd, die deutsche Widerständlerin Carla, die amerikanischen Heißsporne Chuck, Woody und Greg sowie die Buffalo-Millionärin Daisy - ihrerseits Akteure auf Schlachtfeldern, in Krankenhäusern, Gefängnissen, in kargen Küchen, opulenten Appartements, bei Demonstrationen oder im Parlament. Als Kinder der Helden aus dem Vorgänger-Band "Sturz der Titanen" stehen sie auch für die schiere Progression der Zeit und die Abfolge der Generationen.
Sehr viele Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands stellt Follett in sehr konkreten, oft schonungslosen Szenen dar: die Jagd auf Homosexuelle, das Entrechten der Juden, die Euthanasie, die Massenerschießungen russischer Zivilisten, die Gestapo-Folter. Einzig die Vernichtungslager bleiben ein Erzähltabu: Noch nicht einmal die Namen von Auschwitz und Treblinka werden genannt. Von den kommunistischen Untaten und jenen der Roten Armee hingegen erzählt "Winter der Welt" ebenso wie vom Abwurf der Atombombe am Ende des pazifischen Kriegs. Dessen Wende zugunsten der Amerikaner leitet im Juli 1942 die See- und Luftschlacht bei den Midwayinseln ein: Ihre Schilderung aus der Sicht des Senatorensohnes Chuck Dewar ist ein Höhepunkt des Buchs.
Der Epochenhorror ist für alle, für das Romanpersonal wie die Romanleser, nur erträglich, wenn er von privaten, persönlichen Augenblicken einigermaßen ausbalanciert wird. Also treibt und lockt der Generalstäbler Ken Follett seine Figuren mindestens alle dreißig, vierzig Seiten zu Paaren, ins Bett und zum Sex. Eine "umwerfend schöne Frau" nach der anderen tritt "atemberaubend" auf, zunehmend allerdings auch an Tisch wie Bett auf eigene Rechte pochend.
Als Frauenrechtlerin und Labour-Abgeordnete im Londoner Parlament bleibt die nun etwa fünfzigjährige Ethel Leckwith-Williams, strahlende Heroine im "Sturz der Titanen" und Mutter des so klugen wie tapferen Lloyd, auch im neuen Band die Edelfigur. Ethel stammt aus Wales. Follett auch. Sehr oft erzählte er im ersten Band von der Bergbau-Vergangenheit seiner Heimat - und war dabei stets bestens in Form. Im "Winter der Welt" sind Cardiff und Aberowen, den Umständen geschuldet, ganz an den Rand gerückt. Man vermisst diese Erzählfarbe sehr.
JOCHEN HIEBER
Ken Follett: "Winter der Welt". Roman.
Aus dem Englischen von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher. Mit Illustrationen von Tina Dreher. Verlag Bastei Lübbe, Köln 2012. 1022 S., geb., 29,99 [Euro].
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