Frühjahr 1958: Ingeborg Bachmann ist gefeierte Lyrikerin, Preisträgerin der Gruppe 47 und 'Coverstar' des Spiegel. Nun wird ihr Hörspiel »Der gute Gott von Manhattan« gesendet. Max Frisch, in dieser Zeit mit Inszenierungen von »Biedermann und die Brandstifter« beschäftigt, schreibt der jungen Dichterin, wie begeistert er von dem Hörspiel und wie wichtig der Blickwinkel der Frau, die Beleuchtung der »anderen Seite« sei. Mit Bachmanns Antwort im Juni 1958 beginnt ein Briefwechsel, der - vom Kennenlernen bis lange nach der Trennung - in fast 300 überlieferten Schriftstücken Zeugnis ablegt vom Leben, Lieben und Leiden eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur: Nähe und Distanz, Bewunderung und Rivalität, Eifersucht, Fluchtimpulse und Verlustangst, aber auch die Schwierigkeiten des Arbeitens in einer gemeinsamen Wohnung und die Spannung zwischen Schriftstellerexistenz und Zweisamkeit - die Themen der autobiografischen Zeugnisse sind zeitlos. Die Briefe zeigen einmalmehr, dass Leben und Werk nicht zu trennen sind, sie sind intime Mitteilungen und zugleich Weltliteratur.Kommentiert von den Herausgeberinnen Barbara Wiedemann und Renate Langer, eröffnet dieser Briefwechsel eine neue und überraschende Perspektive auf die Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2022Für immer sollte geschwiegen sein
Keine Schriftsteller-Liebe ist derart berühmt-berüchtigt wie die zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Nun erscheint ihre Korrespondenz.
Als alles schon in Scherben liegt, aber zumindest bevor auch die noch zertreten werden sollten, schreibt Ingeborg Bachmann an Max Frisch: "Sonst hoffe ich . . ., dass nie etwas an einen anderen Menschen kommen wird, auch nicht an den Dir vertrautesten -, ich meine, dass dieser ganze Komplex, den ich nicht näher zu bezeichnen brauche, für immer in Deinem und meinem Schweigen aufgehoben ist." Der Brief mit der als Hoffnung kaschierten Forderung an den verflossenen Liebhaber stammt vom 3. Mai 1963; vier Jahre und acht Monate zuvor, am 3. Juli 1958 - so viel Genauigkeit muss sein, weil das Datum eine wichtige Rolle in Bachmanns Werk spielen wird -, war aus den beiden ein Paar geworden, in Paris, auf für sie und ihn gleichermaßen fremdem Terrain. Sie selbst waren einander damals auch noch fremd - es war nach Jahren wechselseitiger literarischer Bewunderung ihre erste persönliche Begegnung. Trotzdem scheint Bachmann von Frisch sofort eine Entscheidung zur Liebe verlangt zu haben, denn drei Tage später schreibt er ihr: "Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein langerwarteter Engel, der da fragt Ja oder Nein."
Frischs Antwort auf die himmlische Intervention (seine Formulierung spielt auf die Bergpredigt an) lautete ja, und fertig war die berühmteste Liebesbeziehung der deutschsprachigen Nachkriegsliteraturgeschichte. Eine, über die Frisch vier Jahre und zehn Monate später resigniert urteilen wird: "Wir sind halt ein berühmtes Paar geworden, leider, ohne unser Zutun."
In diesem Stoßseufzer gegenüber Bachman artikuliert sich ein seltsames Missverständnis ihrer jeweiligen schriftstellerischen Wirkung, denn als die zweiunddreißigjährige Österreicherin und der fünfzehn Jahre ältere Schweizer zusammenfanden, waren sie ja bereits Stars des Literaturbetriebs: Bachmann hatte 1956 mit ihrem zweiten Lyrikband, "Anrufung des großen Bären", den (auch Verkaufs-)Erfolg ihres drei Jahre zuvor erschienenen Debüts "Die gestundete Zeit" noch übertroffen, Frisch war mit "Stiller" (1954) und "Homo faber" (1957) einer der meistgelesenen deutschsprachigen Romanciers und hatte im März 1958 sein epochemachendes Drama "Biedermann und die Brandstifter" zur Premiere gebracht; im Herbst wird er den Büchnerpreis zugesprochen bekommen, den auch Bachmann erhalten sollte: 1964, in dem Jahr, als dann auch die Scherben der früheren Beziehung noch zertreten werden.
Anfang und Ende dieser Liebe waren bekannt, die genauen Umstände des einen wie des anderen, geschweige denn die tatsächlichen Ereignisse der Jahre dazwischen, nicht. Sie wurden bislang rekonstruiert durch das, was literarisch davon inspiriert war: unter anderem Bachmanns Roman "Malina" oder das aus ihrem Nachlass edierte "Buch Goldmann", von Frisch wiederum der Roman "Mein Name sei Gantenbein" und die erst nach Bachmanns Tod erschienene Erzählung "Montauk" - um jeweils nur das Wichtigste zu nennen. Frisch blieb in seinen Texten näher an dem, was passiert war, aber Bachmann mystifizierte viel geschickter, unter anderem durch die Einarbeitung von Beziehungsschlüsseldaten wie dem 3. Juli in "Malina". Und so rankten sich denn immer mehr Legenden um die Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, und wenn es ein Buch gibt, auf das Publikum und Literaturwissenschaft deshalb gleichermaßen gespannt gewartet haben, dann ist es der nun endlich erscheinende Briefwechsel zwischen beiden. Hat er ihr Leben verpfuscht und sie dadurch in den frühen Tod getrieben, wie Frisch immer wieder vorgeworfen wurde? War sie die Jeanne d'Arc der Literatur, die gar nicht anders konnte, als schrecklich zu enden?
Der Band trägt als Titel ein kurzes Zitat aus einem der Briefe von Frisch: "Wir haben es nicht gut gemacht." Er versammelt auf mehr als tausend Seiten, davon annähernd sechshundert der reinen Korrespondenz gewidmet, was von dieser Liebe übrig blieb - materiell. Ideell bleibt sie auch nach dieser Publikation ein Rätsel, aber nunmehr rankt sich kein Geheimnis mehr darum. Und nun weiß man auch, was einem Großteil von Frischs Schreiben an Bachmann widerfahren ist: Die Empfängerin wird sie vernichtet haben, weil sie Frischs Schweigen doch nicht so sicher war; jedenfalls gibt es keine Spur mehr von ihnen. Hätte Frisch nicht bei maschinengeschriebenen Briefen Durchschläge angefertigt und von einigen mutmaßlich handgeschriebenen Teilabschriften, die bei ihm verblieben sind (obwohl ihm Bachmann wohl einige frühe entwendet hat, die aus unbekannten Gründen in ihrem Nachlass aber erhalten geblieben sind), würde uns eine Seite dieser atemraubend leidenschaftlichen und leidenden Korrespondenz ganz fehlen. Trotzdem ist Bachmanns Anteil daran nun doppelt so groß. Und auch der würde gewiss fehlen, wenn Frisch ihrem Wunsch nachgekommen wäre, alle Briefe an sie zurückzugeben.
Wäre es nach Frisch gegangen, hätten zumindest Bachmanns Briefe schon 2011 erscheinen können, zwanzig Jahre nach dem Tod des Schriftstellers. Diese Fristenregelung löste die Bestimmung aus einem Testament zugunsten Bachmanns vom März 1960 - auf dem Höhepunkt des gemeinsamen Glücks - ab, die knapp gelautet hatte: "Von einer Veröffentlichung privater Briefwechsel ist abzusehen." Auf diese Verfügung verwies Frisch nach dem Zerwürfnis auch noch einmal: "Du wirst Dich damit begnügen müssen, das ich jede Veröffentlichung von Briefen testamentarisch verboten habe, nicht jetzt, schon vor Jahren", schrieb er an Bachmann im August 1964. Er wollte ersichtlich keinen Zweifel daran lassen, dass er dem wiederholten Verlangen der früheren Geliebten nach Rückgabe ihrer Briefe nicht entsprechen würde, wohl aber ihrer Forderung nach Schweigen - nach Bachmanns Tod im Jahr 1973 sah er sich daran dann nicht mehr gebunden. Dass Frisch dessen ungeachtet eine lange postume Sperrfrist für die Briefe verfügte, heizte die Gerüchteküche über deren Inhalt aber nur an, zumal angesichts der Tatsache, dass die Erben Ingeborg Bachmanns die Edition zu behindern schienen.
Das erwies sich als gegenstandslos. Denn 2017 startete die Gesamtausgabe von Ingeborg Bachmanns Werken bei den Verlagen Suhrkamp und Piper, die sich auch schon zu Lebzeiten die Publikation ihrer Bücher geteilt hatten. Und im Rahmen dieser "Salzburger Ausgabe" war von Beginn an der Briefwechsel mit Frisch angekündigt; ihm voraus aber gingen zunächst einmal Bachmanns Korrespondenzen mit Hans Magnus Enzensberger und dem Ehepaar Ilse Aichinger und Günter Eich. Und bereits 2008 war unter Berücksichtigung jener editorischen Prinzipien, die jetzt auch für die "Salzburger Ausgabe" gelten, der Briefwechsel mit Paul Celan erschienen - er war vor Bachmanns Beziehung zu Frisch mehrfach mit seiner Dichterkollegin liiert. In all diesen Korrespondenzen spielten natürlich auch die Umstände der Partnerschaft mit Frisch eine wichtige Rolle, so dass deren Dramatik übers Hörensagen hinaus mittlerweile ausgiebig dokumentiert war. Aber etliches war denn doch noch offen, und sei es nur die Überprüfung von Bachmanns wiederholter Suggestion, sie hätte Ende 1962, Anfang 1963 einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen - kurz nachdem Frisch im September die Liebesbeziehung mit seiner späteren Ehefrau Marianne Oellers eingegangen war. Doch nun gibt es das handschriftliche Entwurfsfragment eines Briefs von Bachmann an Frisch vom 6. November, in dem sie selbst angeblich kursierende Gerüchte über ihre Schwangerschaft für gegenstandslos erklärt. Während ihres diesbezüglich viel diskutierten achttägigen Zürcher Klinikaufenthalts im Winter 1963 wurde Bachmann aufgrund einer schon vor dem Zerwürfnis getätigten ärztlichen Diagnose der Uterus entfernt.
Also sind die wildesten Geschichten um Bachmann/Frisch nun endgültig entkräftet. Dennoch gibt es Neues, und das sicher Überraschendste darunter ist der Nachweis einer Liebesbeziehung von Bachmann zu Hans Magnus Enzensberger, die im Juni 1959 bei einer gemeinsamen Autofahrt nach Rom begann und sich offenbar bis ins Jahr 1960 hinzog - davon war im Kommentar des erst vor vier Jahren erschienenen Bandes mit beider Korrespondenz noch keine Rede, dazu brauchte es erst die Kenntnis von Frischs Briefen. Die Liaison fiel in eine Phase, als Bachmann und Frisch noch allgemein als fest verliebt galten, obwohl er zum ersten Jahrestag ihres Paarlebens (nur wenige Tage nach dem Beginn von Bachmanns Affäre mit Enzensberger) feststellte, dass es sich bei ihnen nicht mehr um "Liebe im Hauptberuf" handele. Frisch laborierte damals an einer hartnäckigen Gelbsucht, und tatsächlich waren es aus gesundheitlichen Gründen resultierende Entfremdungen, die beider Freundschaft auf die härtesten Proben stellte. Deshalb auch haben Bachmanns Uterus-Operation und ihre davor und danach klinisch behandelten Nervenkollapse größte Bedeutung, selbst wenn sie nie von Frisch schwanger gewesen ist.
Den Höhepunkt wechselseitigen Vertrauens stellte der von ihnen so genannte "Venedig-Vertrag" vom März 1960 dar. Frisch hatte da vom Verhältnis Bachmanns mit Enzensberger erfahren, und beide gewährten sich gegenseitig amouröse Freiheit, sofern die jeweilige Liebschaft nichts Grundsätzliches an ihrer beider Beziehung ändere. Bei Enzensberger fürchtete Frisch das nicht, wohl aber zwei Jahre später im Fall des italienischen Germanisten Paolo Chiarini, einem für die Bachmann-Forschung ganz neuen Namen. "Du sagtest: Venedig-Vertrag", schreibt Frisch konsterniert im Mai 1962 an Bachmann, "aber dann ist es halt doch nicht so. Nicht ein Flirt, nicht eine Nacht, sondern Du hast einen Menschen sehr lieb." Genau die gleiche Desillusionierung erfuhr Bachmann dann vier Monate später im Fall von Oellers.
Und so fragt man sich doch immer: Was war Ranküne, was Revanche in dieser Liebe? Und was Fassungslosigkeit, deren sich beide von Anfang 1963 an immer aufs Neue versichern? Frisch fällt aus allen Wolken, als Bachmann, die das komplette "Gantenbein"-Manuskript gelesen, kommentiert und abgesegnet hat, ihn später wegen dieses Buchs als Verräter an ihrer Person schmäht. Und Bachmann, seit Ende 1962 in einer Dauerkrise, die man wohl nur als schwere Depression bezeichnen kann, verzweifelt angesichts von Frischs gleichzeitigem neuen Liebesglück. Ihr fehlt der Dialogpartner, dessen Wichtigkeit fürs ganze Schaffen gerade erst im Werkausgabenband zu "Anrufung des großen Bären" herausgearbeitet worden ist.
Diese Geschichte zweier getrieben Liebender ist in der Tat ein Stoff wie für einen Roman, und beide haben ihn dann doch nicht geschrieben - trotz "Malina", trotz "Gantenbein" -, denn sie waren zuvor bereits am füreinander Schreiben gescheitert. "Um mich selbst zu verstehen", schreibt Frisch 1965 an den verzweifelten Vater Ingeborg Bachmanns, "brauche ich nur ein paar Briefe aus dem Sommer 1962 zu lesen." Doch Ingeborg Bachmann verstand sie eben anders - und damit Frisch nicht mehr. Beider Liebe, das zeigen diese dreihundert Korrespondenzstücke, war nicht lebbar. Nun aber ist sie lesbar. ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine Schriftsteller-Liebe ist derart berühmt-berüchtigt wie die zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Nun erscheint ihre Korrespondenz.
Als alles schon in Scherben liegt, aber zumindest bevor auch die noch zertreten werden sollten, schreibt Ingeborg Bachmann an Max Frisch: "Sonst hoffe ich . . ., dass nie etwas an einen anderen Menschen kommen wird, auch nicht an den Dir vertrautesten -, ich meine, dass dieser ganze Komplex, den ich nicht näher zu bezeichnen brauche, für immer in Deinem und meinem Schweigen aufgehoben ist." Der Brief mit der als Hoffnung kaschierten Forderung an den verflossenen Liebhaber stammt vom 3. Mai 1963; vier Jahre und acht Monate zuvor, am 3. Juli 1958 - so viel Genauigkeit muss sein, weil das Datum eine wichtige Rolle in Bachmanns Werk spielen wird -, war aus den beiden ein Paar geworden, in Paris, auf für sie und ihn gleichermaßen fremdem Terrain. Sie selbst waren einander damals auch noch fremd - es war nach Jahren wechselseitiger literarischer Bewunderung ihre erste persönliche Begegnung. Trotzdem scheint Bachmann von Frisch sofort eine Entscheidung zur Liebe verlangt zu haben, denn drei Tage später schreibt er ihr: "Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein langerwarteter Engel, der da fragt Ja oder Nein."
Frischs Antwort auf die himmlische Intervention (seine Formulierung spielt auf die Bergpredigt an) lautete ja, und fertig war die berühmteste Liebesbeziehung der deutschsprachigen Nachkriegsliteraturgeschichte. Eine, über die Frisch vier Jahre und zehn Monate später resigniert urteilen wird: "Wir sind halt ein berühmtes Paar geworden, leider, ohne unser Zutun."
In diesem Stoßseufzer gegenüber Bachman artikuliert sich ein seltsames Missverständnis ihrer jeweiligen schriftstellerischen Wirkung, denn als die zweiunddreißigjährige Österreicherin und der fünfzehn Jahre ältere Schweizer zusammenfanden, waren sie ja bereits Stars des Literaturbetriebs: Bachmann hatte 1956 mit ihrem zweiten Lyrikband, "Anrufung des großen Bären", den (auch Verkaufs-)Erfolg ihres drei Jahre zuvor erschienenen Debüts "Die gestundete Zeit" noch übertroffen, Frisch war mit "Stiller" (1954) und "Homo faber" (1957) einer der meistgelesenen deutschsprachigen Romanciers und hatte im März 1958 sein epochemachendes Drama "Biedermann und die Brandstifter" zur Premiere gebracht; im Herbst wird er den Büchnerpreis zugesprochen bekommen, den auch Bachmann erhalten sollte: 1964, in dem Jahr, als dann auch die Scherben der früheren Beziehung noch zertreten werden.
Anfang und Ende dieser Liebe waren bekannt, die genauen Umstände des einen wie des anderen, geschweige denn die tatsächlichen Ereignisse der Jahre dazwischen, nicht. Sie wurden bislang rekonstruiert durch das, was literarisch davon inspiriert war: unter anderem Bachmanns Roman "Malina" oder das aus ihrem Nachlass edierte "Buch Goldmann", von Frisch wiederum der Roman "Mein Name sei Gantenbein" und die erst nach Bachmanns Tod erschienene Erzählung "Montauk" - um jeweils nur das Wichtigste zu nennen. Frisch blieb in seinen Texten näher an dem, was passiert war, aber Bachmann mystifizierte viel geschickter, unter anderem durch die Einarbeitung von Beziehungsschlüsseldaten wie dem 3. Juli in "Malina". Und so rankten sich denn immer mehr Legenden um die Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, und wenn es ein Buch gibt, auf das Publikum und Literaturwissenschaft deshalb gleichermaßen gespannt gewartet haben, dann ist es der nun endlich erscheinende Briefwechsel zwischen beiden. Hat er ihr Leben verpfuscht und sie dadurch in den frühen Tod getrieben, wie Frisch immer wieder vorgeworfen wurde? War sie die Jeanne d'Arc der Literatur, die gar nicht anders konnte, als schrecklich zu enden?
Der Band trägt als Titel ein kurzes Zitat aus einem der Briefe von Frisch: "Wir haben es nicht gut gemacht." Er versammelt auf mehr als tausend Seiten, davon annähernd sechshundert der reinen Korrespondenz gewidmet, was von dieser Liebe übrig blieb - materiell. Ideell bleibt sie auch nach dieser Publikation ein Rätsel, aber nunmehr rankt sich kein Geheimnis mehr darum. Und nun weiß man auch, was einem Großteil von Frischs Schreiben an Bachmann widerfahren ist: Die Empfängerin wird sie vernichtet haben, weil sie Frischs Schweigen doch nicht so sicher war; jedenfalls gibt es keine Spur mehr von ihnen. Hätte Frisch nicht bei maschinengeschriebenen Briefen Durchschläge angefertigt und von einigen mutmaßlich handgeschriebenen Teilabschriften, die bei ihm verblieben sind (obwohl ihm Bachmann wohl einige frühe entwendet hat, die aus unbekannten Gründen in ihrem Nachlass aber erhalten geblieben sind), würde uns eine Seite dieser atemraubend leidenschaftlichen und leidenden Korrespondenz ganz fehlen. Trotzdem ist Bachmanns Anteil daran nun doppelt so groß. Und auch der würde gewiss fehlen, wenn Frisch ihrem Wunsch nachgekommen wäre, alle Briefe an sie zurückzugeben.
Wäre es nach Frisch gegangen, hätten zumindest Bachmanns Briefe schon 2011 erscheinen können, zwanzig Jahre nach dem Tod des Schriftstellers. Diese Fristenregelung löste die Bestimmung aus einem Testament zugunsten Bachmanns vom März 1960 - auf dem Höhepunkt des gemeinsamen Glücks - ab, die knapp gelautet hatte: "Von einer Veröffentlichung privater Briefwechsel ist abzusehen." Auf diese Verfügung verwies Frisch nach dem Zerwürfnis auch noch einmal: "Du wirst Dich damit begnügen müssen, das ich jede Veröffentlichung von Briefen testamentarisch verboten habe, nicht jetzt, schon vor Jahren", schrieb er an Bachmann im August 1964. Er wollte ersichtlich keinen Zweifel daran lassen, dass er dem wiederholten Verlangen der früheren Geliebten nach Rückgabe ihrer Briefe nicht entsprechen würde, wohl aber ihrer Forderung nach Schweigen - nach Bachmanns Tod im Jahr 1973 sah er sich daran dann nicht mehr gebunden. Dass Frisch dessen ungeachtet eine lange postume Sperrfrist für die Briefe verfügte, heizte die Gerüchteküche über deren Inhalt aber nur an, zumal angesichts der Tatsache, dass die Erben Ingeborg Bachmanns die Edition zu behindern schienen.
Das erwies sich als gegenstandslos. Denn 2017 startete die Gesamtausgabe von Ingeborg Bachmanns Werken bei den Verlagen Suhrkamp und Piper, die sich auch schon zu Lebzeiten die Publikation ihrer Bücher geteilt hatten. Und im Rahmen dieser "Salzburger Ausgabe" war von Beginn an der Briefwechsel mit Frisch angekündigt; ihm voraus aber gingen zunächst einmal Bachmanns Korrespondenzen mit Hans Magnus Enzensberger und dem Ehepaar Ilse Aichinger und Günter Eich. Und bereits 2008 war unter Berücksichtigung jener editorischen Prinzipien, die jetzt auch für die "Salzburger Ausgabe" gelten, der Briefwechsel mit Paul Celan erschienen - er war vor Bachmanns Beziehung zu Frisch mehrfach mit seiner Dichterkollegin liiert. In all diesen Korrespondenzen spielten natürlich auch die Umstände der Partnerschaft mit Frisch eine wichtige Rolle, so dass deren Dramatik übers Hörensagen hinaus mittlerweile ausgiebig dokumentiert war. Aber etliches war denn doch noch offen, und sei es nur die Überprüfung von Bachmanns wiederholter Suggestion, sie hätte Ende 1962, Anfang 1963 einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen - kurz nachdem Frisch im September die Liebesbeziehung mit seiner späteren Ehefrau Marianne Oellers eingegangen war. Doch nun gibt es das handschriftliche Entwurfsfragment eines Briefs von Bachmann an Frisch vom 6. November, in dem sie selbst angeblich kursierende Gerüchte über ihre Schwangerschaft für gegenstandslos erklärt. Während ihres diesbezüglich viel diskutierten achttägigen Zürcher Klinikaufenthalts im Winter 1963 wurde Bachmann aufgrund einer schon vor dem Zerwürfnis getätigten ärztlichen Diagnose der Uterus entfernt.
Also sind die wildesten Geschichten um Bachmann/Frisch nun endgültig entkräftet. Dennoch gibt es Neues, und das sicher Überraschendste darunter ist der Nachweis einer Liebesbeziehung von Bachmann zu Hans Magnus Enzensberger, die im Juni 1959 bei einer gemeinsamen Autofahrt nach Rom begann und sich offenbar bis ins Jahr 1960 hinzog - davon war im Kommentar des erst vor vier Jahren erschienenen Bandes mit beider Korrespondenz noch keine Rede, dazu brauchte es erst die Kenntnis von Frischs Briefen. Die Liaison fiel in eine Phase, als Bachmann und Frisch noch allgemein als fest verliebt galten, obwohl er zum ersten Jahrestag ihres Paarlebens (nur wenige Tage nach dem Beginn von Bachmanns Affäre mit Enzensberger) feststellte, dass es sich bei ihnen nicht mehr um "Liebe im Hauptberuf" handele. Frisch laborierte damals an einer hartnäckigen Gelbsucht, und tatsächlich waren es aus gesundheitlichen Gründen resultierende Entfremdungen, die beider Freundschaft auf die härtesten Proben stellte. Deshalb auch haben Bachmanns Uterus-Operation und ihre davor und danach klinisch behandelten Nervenkollapse größte Bedeutung, selbst wenn sie nie von Frisch schwanger gewesen ist.
Den Höhepunkt wechselseitigen Vertrauens stellte der von ihnen so genannte "Venedig-Vertrag" vom März 1960 dar. Frisch hatte da vom Verhältnis Bachmanns mit Enzensberger erfahren, und beide gewährten sich gegenseitig amouröse Freiheit, sofern die jeweilige Liebschaft nichts Grundsätzliches an ihrer beider Beziehung ändere. Bei Enzensberger fürchtete Frisch das nicht, wohl aber zwei Jahre später im Fall des italienischen Germanisten Paolo Chiarini, einem für die Bachmann-Forschung ganz neuen Namen. "Du sagtest: Venedig-Vertrag", schreibt Frisch konsterniert im Mai 1962 an Bachmann, "aber dann ist es halt doch nicht so. Nicht ein Flirt, nicht eine Nacht, sondern Du hast einen Menschen sehr lieb." Genau die gleiche Desillusionierung erfuhr Bachmann dann vier Monate später im Fall von Oellers.
Und so fragt man sich doch immer: Was war Ranküne, was Revanche in dieser Liebe? Und was Fassungslosigkeit, deren sich beide von Anfang 1963 an immer aufs Neue versichern? Frisch fällt aus allen Wolken, als Bachmann, die das komplette "Gantenbein"-Manuskript gelesen, kommentiert und abgesegnet hat, ihn später wegen dieses Buchs als Verräter an ihrer Person schmäht. Und Bachmann, seit Ende 1962 in einer Dauerkrise, die man wohl nur als schwere Depression bezeichnen kann, verzweifelt angesichts von Frischs gleichzeitigem neuen Liebesglück. Ihr fehlt der Dialogpartner, dessen Wichtigkeit fürs ganze Schaffen gerade erst im Werkausgabenband zu "Anrufung des großen Bären" herausgearbeitet worden ist.
Diese Geschichte zweier getrieben Liebender ist in der Tat ein Stoff wie für einen Roman, und beide haben ihn dann doch nicht geschrieben - trotz "Malina", trotz "Gantenbein" -, denn sie waren zuvor bereits am füreinander Schreiben gescheitert. "Um mich selbst zu verstehen", schreibt Frisch 1965 an den verzweifelten Vater Ingeborg Bachmanns, "brauche ich nur ein paar Briefe aus dem Sommer 1962 zu lesen." Doch Ingeborg Bachmann verstand sie eben anders - und damit Frisch nicht mehr. Beider Liebe, das zeigen diese dreihundert Korrespondenzstücke, war nicht lebbar. Nun aber ist sie lesbar. ANDREAS PLATTHAUS
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.12.2022Isabelle Graw
Kunsthistorikerin
Eine Warnung vorweg: Zum Einschlafen ist der Briefwechsel zwischen Max Frisch und Ingeborg Bachmann „Wir haben es nicht gut gemacht“ (Piper/Suhrkamp, München/Berlin 2022, 1039 Seiten, 40 Euro), den zwei zuerst verliebten und dann getrennten „Star“-Schriftsteller*innen, nicht die richtige Lektüre. Denn die Tragik dieser verunglückten Liebesbeziehung kann einen lange wachhalten. Was diese Briefe zwischen Frisch und Bachmann jedoch so einzigartig macht, ist, wie sich die für dieses Paar charakteristischen Beziehungsprobleme in ihnen als gesellschaftlich bedingt erweisen. Frisch wollte zwar im Prinzip eine ihm ebenbürtige Partnerin haben, er fühlte sich Bachmann aber, wie er immer wieder festhielt, in literarischer und sozialer Hinsicht (ihr illustrer Freundeskreis!) unterlegen. Zwar unterstützte er sie in ihren literarischen Vorhaben, er litt aber zugleich darunter, dass sie nicht wie eine liebende Gattin immer bei ihm war, sondern unterwegs auf Lesereise. Männer der Generation Frisch hatten es schlicht nicht gelernt, eine gleichberechtigte Beziehung zu führen. An die Stelle von Bewunderung traten bei ihm denn auch Kastrationsgefühle und Ressentiment. Bachmann ihrerseits berichtet in ihren fulminant geschriebenen Briefen vom Dilemma einer in unserer Gesellschaft als Frau Identifizierten: Sie möchte sich einerseits um Frisch kümmern und gibt ihm auch nach der Trennung noch rührende Tipps, wie er seine Erkältung auskurieren könne. Sie ist aber auch fest entschlossen, als Schriftstellerin Karriere zu machen und ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Auch das Beziehungsende hat einen gegenderten Plot: Während es Frisch gelingt, schnell Ersatz zu finden – und zwar in Form einer Frau ohne eigene literarische Ambitionen –, zerbricht Bachmann daran, dass sie von Frisch aus dessen Leben verbannt wird. Besonders erschütternd ist, in welchem Ausmaß sich Bachmann am Ende selbst erniedrigt: Sie möchte an seiner neuen Beziehung teilhaben und versucht, sich unentbehrlich zu machen, indem sie Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ Korrektur liest. Irgendwann geht es nur noch um die Aufteilung des Hausrats und um Geld, so als könne man sich damit einen Teil der zerbrochenen Beziehung sichern. Man hat nichts mehr miteinander zu tun, streitet sich aber um zwei Tassen, weil in ihnen das gemeinsame Leben verewigt zu sein scheint. Für alle an Beziehungsdynamiken Interessierten ist dieser dramatische Briefwechsel ein Muss!
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kunsthistorikerin
Eine Warnung vorweg: Zum Einschlafen ist der Briefwechsel zwischen Max Frisch und Ingeborg Bachmann „Wir haben es nicht gut gemacht“ (Piper/Suhrkamp, München/Berlin 2022, 1039 Seiten, 40 Euro), den zwei zuerst verliebten und dann getrennten „Star“-Schriftsteller*innen, nicht die richtige Lektüre. Denn die Tragik dieser verunglückten Liebesbeziehung kann einen lange wachhalten. Was diese Briefe zwischen Frisch und Bachmann jedoch so einzigartig macht, ist, wie sich die für dieses Paar charakteristischen Beziehungsprobleme in ihnen als gesellschaftlich bedingt erweisen. Frisch wollte zwar im Prinzip eine ihm ebenbürtige Partnerin haben, er fühlte sich Bachmann aber, wie er immer wieder festhielt, in literarischer und sozialer Hinsicht (ihr illustrer Freundeskreis!) unterlegen. Zwar unterstützte er sie in ihren literarischen Vorhaben, er litt aber zugleich darunter, dass sie nicht wie eine liebende Gattin immer bei ihm war, sondern unterwegs auf Lesereise. Männer der Generation Frisch hatten es schlicht nicht gelernt, eine gleichberechtigte Beziehung zu führen. An die Stelle von Bewunderung traten bei ihm denn auch Kastrationsgefühle und Ressentiment. Bachmann ihrerseits berichtet in ihren fulminant geschriebenen Briefen vom Dilemma einer in unserer Gesellschaft als Frau Identifizierten: Sie möchte sich einerseits um Frisch kümmern und gibt ihm auch nach der Trennung noch rührende Tipps, wie er seine Erkältung auskurieren könne. Sie ist aber auch fest entschlossen, als Schriftstellerin Karriere zu machen und ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Auch das Beziehungsende hat einen gegenderten Plot: Während es Frisch gelingt, schnell Ersatz zu finden – und zwar in Form einer Frau ohne eigene literarische Ambitionen –, zerbricht Bachmann daran, dass sie von Frisch aus dessen Leben verbannt wird. Besonders erschütternd ist, in welchem Ausmaß sich Bachmann am Ende selbst erniedrigt: Sie möchte an seiner neuen Beziehung teilhaben und versucht, sich unentbehrlich zu machen, indem sie Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ Korrektur liest. Irgendwann geht es nur noch um die Aufteilung des Hausrats und um Geld, so als könne man sich damit einen Teil der zerbrochenen Beziehung sichern. Man hat nichts mehr miteinander zu tun, streitet sich aber um zwei Tassen, weil in ihnen das gemeinsame Leben verewigt zu sein scheint. Für alle an Beziehungsdynamiken Interessierten ist dieser dramatische Briefwechsel ein Muss!
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