“Wo drei Flüsse sich kreuzen” wird mir mit Sicherheit noch lange in Erinnerung bleiben.
Hannah Kent beschwört mit kristallklarer, ausdrucksstarker Sprache ein Bild des ländlichen Irlands von 1825 herauf. Das Leben der Menschen wird nicht nur von Hunger und tiefster Armut bestimmt, sondern auch
von Religion und Aberglaube. Beides gibt ihnen Hoffnung und fördert ihren Zusammenhalt, kann aber…mehr“Wo drei Flüsse sich kreuzen” wird mir mit Sicherheit noch lange in Erinnerung bleiben.
Hannah Kent beschwört mit kristallklarer, ausdrucksstarker Sprache ein Bild des ländlichen Irlands von 1825 herauf. Das Leben der Menschen wird nicht nur von Hunger und tiefster Armut bestimmt, sondern auch von Religion und Aberglaube. Beides gibt ihnen Hoffnung und fördert ihren Zusammenhalt, kann aber jederzeit umschlagen in gegenseitiges Misstrauen und Vorurteile.
Die schwierige Allianz zwischen christlichen Glaubensregeln und uralten, tief verwurzelten Volksbräuchen zieht sich als Leitmotiv durch das Buch.
Die Bewohner des Dorfes, in dem die Handlung angesiedelt ist, gehen sonntags zur Messe, befolgen aber im täglichen Leben eine fast schon absurde Vielzahl von Regeln, um sich vor dem ‘bösen Blick’ zu schützen oder sich das Wohlwollen des ‘Guten Volkes’, wie sie die Feen nennen, zu sichern. Denn diese leben, so glauben die Dörfler, ganz in der Nähe und haben viel Einfluss auf das Leben der Menschen: sie können dafür sorgen, dass Kühe keine Milch und Hühner keine Eier mehr geben, sogar Missbildungen und plötzliche Todesfälle verursachen.
Im Dorf geht die Angst um, man habe irgendwie das Unglück heraufbeschworen.
Es gibt Missernten, Unwetter und Totgeburten, und dann verliert die angesehene Bäuerin Nora innerhalb kurzer Zeit erst ihre Tochter und dann ihren Mann. Kerngesund war der, munkeln die Dörfler, und nicht nur das: ist er nicht just zum Schlag des Hammers auf der Kreuzung vor der Schmiede tot umgefallen? Sicherlich ein böses Omen.
Ein Aberglaube, der sich besonders hartnäckig hält, ist der Mythos vom Wechselbalg. Die Feen, so heißt es, entführen die schönsten, klügsten Menschenkinder und lassen im Austausch einen Doppelgänger des entführten Kindes zurück.
Und so ist es Micheál, der kleine Enkel von Nora, der die Menschen am meisten verunsichert.
Vor zwei Jahren war er noch ein gesundes, glückliches Kind, das herumlief und plapperte wie jedes andere. Jetzt ist er stumm, seine Arme und Beine sind mager und verdreht, und er windet sich in Krämpfen und Zuckungen.
Micheál muss ein Wechselbalg sein, ganz klar.
Als moderner Leser zerreißt es einem schier das Herz, wie viel Angst, Widerwille und sogar Hass diesem offensichtlich behinderten Kind fortan entgegen schlägt.
Im Mittelpunkt des sich entfaltenden Dramas stehen drei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: die überforderte, verzweifelte Nora, ihre 14-jährige Magd Mary und das alte Kräuterweib Nance, der nicht nur ein umfassendes Wissen um allerlei Heilmittel zugeschrieben wird, sondern auch eine Verbindung zum Guten Volk.
Unter Nances Anleitung versucht Nora, den ‘Wechselbalg’ zu bannen, um die Feen dazu zu bewegen, den echten Micheál zurückzugeben – während Mary zunehmend verunsichert zusieht…
Die Autorin zeichnet ihre Charaktere grandios: komplex, glaubhaft und bewegend.
Auch wenn die Protagonistinnen aus heutiger Sicht auf tragische Art und Weise fehlgeleitet erscheinen, sind sie doch in keinster Weise böse. Was sie tun, tun sie mit den besten Absichten, und Nance, die vielleicht zwiespältigste Figur in dieser Geschichte, ist felsenfest überzeugt von ihren eigenen übernatürlichen Fähigkeiten.
Das Buch zeigt die enorme Spannweite der menschlichen Natur und verzichtet dabei auf Stereotypen oder einfache Urteile. Hannah Kent erzählt eine spannende Geschichte, die dennoch einen ungeheuren Tiefgang entwickelt.
Aber es ist mehr als nur eine Geschichte: das Buch beruht auf historisch belegbaren Tatsachen.
Möglicherweise hieß Micheál nicht Michaél, aber es gab einmal einen Jungen wie ihn. Und es gab drei Frauen wie Nora, Mary und Nance. Natürlich möchte ich hier noch nicht verraten, wie die Geschichte ausging, im Buch oder in der Wirklichkeit, aber ich würde Lesern empfehlen, es selber herauszufinden.