Nacht für Nacht kommt der König zu ihr, der Prinzessin. Und Nacht für Nacht bezahlt er sie - auch für ihre Geschichten. Sie erzählt ihm zum Beispiel von einem Dschinn, dessen Flasche, bevor er die versprochenen Wünsche erfüllen kann, vom Zoll konfisziert wird. Die Geschichten der Prinzessin sind oft absurd, manchmal komisch und kreisen immer um das Thema "Identität". Eva Mattes verzaubert uns, indem sie in die Rolle der modernen Scheherazade schlüpft.
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1 | Zehnundeine Nacht | 00:09:22 | |
2 | Zehnundeine Nacht | 00:13:16 | |
3 | Zehnundeine Nacht | 00:10:02 | |
4 | Zehnundeine Nacht | 00:08:20 | |
5 | Zehnundeine Nacht | 00:11:25 | |
6 | Zehnundeine Nacht | 00:04:41 | |
7 | Zehnundeine Nacht | 00:13:43 | |
CD 2 | |||
1 | Zehnundeine Nacht | 00:10:13 | |
2 | Zehnundeine Nacht | 00:06:47 | |
3 | Zehnundeine Nacht | 00:12:13 | |
4 | Zehnundeine Nacht | 00:06:02 | |
5 | Zehnundeine Nacht | 00:10:37 | |
6 | Zehnundeine Nacht | 00:13:55 | |
7 | Zehnundeine Nacht | 00:08:58 | |
CD 3 | |||
1 | Zehnundeine Nacht | 00:12:00 | |
2 | Zehnundeine Nacht | 00:04:42 | |
3 | Zehnundeine Nacht | 00:06:25 | |
4 | Zehnundeine Nacht | 00:08:56 | |
5 | Zehnundeine Nacht | 00:04:08 | |
6 | Zehnundeine Nacht | 00:07:33 | |
7 | Zehnundeine Nacht | 00:06:56 | |
8 | Zehnundeine Nacht | 00:08:40 | |
9 | Zehnundeine Nacht | 00:05:13 | |
10 | Zehnundeine Nacht | 00:05:14 | |
CD 4 | |||
1 | Zehnundeine Nacht | 00:08:58 | |
2 | Zehnundeine Nacht | 00:10:02 | |
3 | Zehnundeine Nacht | 00:07:27 | |
4 | Zehnundeine Nacht | 00:09:26 | |
5 | Zehnundeine Nacht | 00:08:00 | |
6 | Zehnundeine Nacht | 00:08:40 | |
7 | Zehnundeine Nacht | 00:09:14 | |
8 | Zehnundeine Nacht | 00:07:17 | |
9 | Zehnundeine Nacht | 00:04:42 | |
10 | Zehnundeine Nacht | 00:05:39 |
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008Der König und seine Toten
Charles Lewinsky variiert in „Zehnundeine Nacht” das Scheherazade-Muster
Scheherban, der König, der die schöne Märchenerzählerin Scheherazade köpfen lassen wollte, wie so viele Mädchen vor ihr, ist, das wird selten erwähnt, ein enttäuschter Liebender. Sein Bruder, der seine eigene Frau mit einem Sklaven überrascht hat, gibt den ersten Hinweis. Scheherban täuscht vor, er gehe auf die Jagd, beobachtet aber, kaum hat der Tross den Palast verlassen, im Innenhof eine Orgie zwischen Sklavinnen und Sklaven, deren oberste Akteurin in der ungeschönten Version der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht seine Gattin ist. Jede Frau ist treulos, weiß Scheherban verzweifelt. Er beschließt, alle Mädchen des Landes für eine Nacht zu heiraten und Untreue anschließend zu verhindern.
Schon vom Ausgangspunkt her ist „Zehnundeine Nacht”, Charles Lewinskys verkürzte Variation des Märchen-Musters, damit auch eine erhebliche Umdeutung: Lewinskys „König” ist ein alter Geschäftsmann, der sich im Rahmen undurchsichtiger Tätigkeiten als Verbrecher betätigt, seine Zwielichtigkeit steht nie in Zweifel. Auch Lewinskys „Prinzessin” ist eine von vornherein Markierte - eine älter werdende Prostituierte, die müde geworden ist und gerne Geschichten erzählt.
Warum er zuhöre, will der raue König einmal von der Prinzessin, die in einem abgehalfterten Edelhotel residiert, wissen. Weil sie gute Lügen erzähle, allen. Die Wirklichkeit erlebe man ja selber, sagt sie, und stöhnt – das sei ihre beliebteste Geschichte. Immer wieder gibt es bei Lewinsky auch solche etwas flauen Scherze, doch von simplen Anfängen ausgehend, gelangt der 1946 geborene Schweizer, Autor der großen jüdischen Familiensaga „Melnitz”, schnell woanders hin. Viele seiner einfachen, tiefgründigen Geschichten sind durchaus würdige Nachfolger der klassischen Vorlage.
Wobei Inhalt und Ton variieren. Mehrere Geschichten neigen zur Groteske, wie die, in der ein U-Bahn-Selbstmörder von einem Mann gerade noch gerettet wird. Woraus der Selbstmörder schließt, dass der Mann jetzt für ihn verantwortlich sei. Der Gerettete geht zum Retter nach Hause, lässt sich zum Essen einladen, zieht bei ihm ein, übernimmt schließlich seine Frau, denn der Ehemann und junge Vater hat viel zu tun. Bis er seinerseits entlassen wird, auszieht und sich umbringen will. . .
Doppelgänger-Motiv und radikale Metamorphosen gehören zu den häufigsten Stilfiguren des Buchs. Souverän unangestrengt setzt Lewinsky konventionelle Erzählweisen ein. Eine der schönsten Geschichten ist die von einem russischen Immigranten in New York, der sich anfangs auf dem Hudson als Fremdenführer und Geschichtenerzähler betätigt, dabei ganze Schicksale erfindet. Weil er ein guter Erzähler ist, wird er reich und kauft sich die Schiffslinie. Als er alt ist, wird er nicht blind, aber er möchte die Welt nicht mehr sehen, nur noch nach Russland zurück. Was Lewinsky einfallsreich inszeniert: Der Sohn des Alten lässt ihn alleine auf dem Hudson hin- und herfahren, auf dem eigenen Schiff, auf dem ihm alle Bediensteten erzählen, dass er nach Russland unterwegs sei. Als er hört, dass er angekommen ist, lächelt er – und stirbt.
So wird das Märchen zum Gehäuse für das skizzenhafte Zitat einer anderen traditionellen Erzählweise, der des Entwicklungs- und Einwanderungsromans in seiner osteuropäisch-amerikanischen Variante. Bringt diese Geschichte damit einen historisierenden Akzent ins Spiel, ist die nächste genau gegenläufig angelegt – als Science-Fiction-Zitat: Ein Mann wacht eines Morgens auf, seine Frau fängt beim Anblick des Fremden in ihrem Bett zu schreien an. Er fühlt sich wie immer, aber die Anderen erkennen ihn nicht. An seinem Schreibtisch im Büro sitzt eine Frau, die er nie gesehen hat, und die Chipkarte, die alle Daten über ihn enthält, kann ihn auch nicht identifizieren. Wie der Verbrecher-König tappt man als Leser lange im Dunkeln, bis die Prinzessin klärt, was es mit dem grauen Wagen auf sich hat, der dem Held den ganzen Tag lang gefolgt ist.
Immer klarer wird, was den Geschichten gemeinsam ist. Makaber regelmäßig handeln sie vom Tod, der die Protagonisten gegen Ende der einzelnen Geschichte erreicht. So hat Lewinsky die Todeserwartung, die sich in der traditionellen Rahmengeschichte auf Scheherazade bezieht, auf die Figuren der Binnenhandlung verlegt. Am deutlichsten ist da die letzte Geschichte, die beste und unheimlichste, schickt Lewinsky seine Hauptfigur doch in ein Totenreich, in dem die Toten weiter existieren müssen, und zwar als eine Art Stillleben, so, wie sie im Augenblick ihres Todes waren.
Eine Schwäche des Buchs sind die zwei wichtigsten, aber kaum differenziert charakterisierten Figuren der Rahmenhandlung. Zu blass bleibt die Prinzessin, zu schematisch macho-schlecht der König. Erst auf den letzten Seiten ändert sich das. Da findet der Tod wieder in die Rahmenhandlung, und der König hat, sehr wahrscheinlich, Krebs.
HANS-PETER KUNISCH
Charles Lewinsky
Zehnundeine Nacht
Roman. Verlag Nagel & Kimche, Zürich und München 2008. 190 Seiten, 17,90 Euro.
Warum er zuhöre? Weil sie gute Lügen erzähle, allen
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Charles Lewinsky variiert in „Zehnundeine Nacht” das Scheherazade-Muster
Scheherban, der König, der die schöne Märchenerzählerin Scheherazade köpfen lassen wollte, wie so viele Mädchen vor ihr, ist, das wird selten erwähnt, ein enttäuschter Liebender. Sein Bruder, der seine eigene Frau mit einem Sklaven überrascht hat, gibt den ersten Hinweis. Scheherban täuscht vor, er gehe auf die Jagd, beobachtet aber, kaum hat der Tross den Palast verlassen, im Innenhof eine Orgie zwischen Sklavinnen und Sklaven, deren oberste Akteurin in der ungeschönten Version der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht seine Gattin ist. Jede Frau ist treulos, weiß Scheherban verzweifelt. Er beschließt, alle Mädchen des Landes für eine Nacht zu heiraten und Untreue anschließend zu verhindern.
Schon vom Ausgangspunkt her ist „Zehnundeine Nacht”, Charles Lewinskys verkürzte Variation des Märchen-Musters, damit auch eine erhebliche Umdeutung: Lewinskys „König” ist ein alter Geschäftsmann, der sich im Rahmen undurchsichtiger Tätigkeiten als Verbrecher betätigt, seine Zwielichtigkeit steht nie in Zweifel. Auch Lewinskys „Prinzessin” ist eine von vornherein Markierte - eine älter werdende Prostituierte, die müde geworden ist und gerne Geschichten erzählt.
Warum er zuhöre, will der raue König einmal von der Prinzessin, die in einem abgehalfterten Edelhotel residiert, wissen. Weil sie gute Lügen erzähle, allen. Die Wirklichkeit erlebe man ja selber, sagt sie, und stöhnt – das sei ihre beliebteste Geschichte. Immer wieder gibt es bei Lewinsky auch solche etwas flauen Scherze, doch von simplen Anfängen ausgehend, gelangt der 1946 geborene Schweizer, Autor der großen jüdischen Familiensaga „Melnitz”, schnell woanders hin. Viele seiner einfachen, tiefgründigen Geschichten sind durchaus würdige Nachfolger der klassischen Vorlage.
Wobei Inhalt und Ton variieren. Mehrere Geschichten neigen zur Groteske, wie die, in der ein U-Bahn-Selbstmörder von einem Mann gerade noch gerettet wird. Woraus der Selbstmörder schließt, dass der Mann jetzt für ihn verantwortlich sei. Der Gerettete geht zum Retter nach Hause, lässt sich zum Essen einladen, zieht bei ihm ein, übernimmt schließlich seine Frau, denn der Ehemann und junge Vater hat viel zu tun. Bis er seinerseits entlassen wird, auszieht und sich umbringen will. . .
Doppelgänger-Motiv und radikale Metamorphosen gehören zu den häufigsten Stilfiguren des Buchs. Souverän unangestrengt setzt Lewinsky konventionelle Erzählweisen ein. Eine der schönsten Geschichten ist die von einem russischen Immigranten in New York, der sich anfangs auf dem Hudson als Fremdenführer und Geschichtenerzähler betätigt, dabei ganze Schicksale erfindet. Weil er ein guter Erzähler ist, wird er reich und kauft sich die Schiffslinie. Als er alt ist, wird er nicht blind, aber er möchte die Welt nicht mehr sehen, nur noch nach Russland zurück. Was Lewinsky einfallsreich inszeniert: Der Sohn des Alten lässt ihn alleine auf dem Hudson hin- und herfahren, auf dem eigenen Schiff, auf dem ihm alle Bediensteten erzählen, dass er nach Russland unterwegs sei. Als er hört, dass er angekommen ist, lächelt er – und stirbt.
So wird das Märchen zum Gehäuse für das skizzenhafte Zitat einer anderen traditionellen Erzählweise, der des Entwicklungs- und Einwanderungsromans in seiner osteuropäisch-amerikanischen Variante. Bringt diese Geschichte damit einen historisierenden Akzent ins Spiel, ist die nächste genau gegenläufig angelegt – als Science-Fiction-Zitat: Ein Mann wacht eines Morgens auf, seine Frau fängt beim Anblick des Fremden in ihrem Bett zu schreien an. Er fühlt sich wie immer, aber die Anderen erkennen ihn nicht. An seinem Schreibtisch im Büro sitzt eine Frau, die er nie gesehen hat, und die Chipkarte, die alle Daten über ihn enthält, kann ihn auch nicht identifizieren. Wie der Verbrecher-König tappt man als Leser lange im Dunkeln, bis die Prinzessin klärt, was es mit dem grauen Wagen auf sich hat, der dem Held den ganzen Tag lang gefolgt ist.
Immer klarer wird, was den Geschichten gemeinsam ist. Makaber regelmäßig handeln sie vom Tod, der die Protagonisten gegen Ende der einzelnen Geschichte erreicht. So hat Lewinsky die Todeserwartung, die sich in der traditionellen Rahmengeschichte auf Scheherazade bezieht, auf die Figuren der Binnenhandlung verlegt. Am deutlichsten ist da die letzte Geschichte, die beste und unheimlichste, schickt Lewinsky seine Hauptfigur doch in ein Totenreich, in dem die Toten weiter existieren müssen, und zwar als eine Art Stillleben, so, wie sie im Augenblick ihres Todes waren.
Eine Schwäche des Buchs sind die zwei wichtigsten, aber kaum differenziert charakterisierten Figuren der Rahmenhandlung. Zu blass bleibt die Prinzessin, zu schematisch macho-schlecht der König. Erst auf den letzten Seiten ändert sich das. Da findet der Tod wieder in die Rahmenhandlung, und der König hat, sehr wahrscheinlich, Krebs.
HANS-PETER KUNISCH
Charles Lewinsky
Zehnundeine Nacht
Roman. Verlag Nagel & Kimche, Zürich und München 2008. 190 Seiten, 17,90 Euro.
Warum er zuhöre? Weil sie gute Lügen erzähle, allen
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