Jack Dana war als US-Marine an den einschlägigen Kriegsschauplätzen der Welt im Einsatz. Nach einer Verletzung beginnt er zu schreiben, und gleich sein erster Roman wird ein großer Erfolg. Als er von einer längeren Reise zurückkehrt, muss er erfahren, dass sich sein Onkel Harry, der wie ein Vater für ihn war, in seinem Wochenendhaus auf Long Island das Leben genommen hat. Doch Jack, der seinen Onkel besser kennt als jeder andere, glaubt nicht an Selbstmord. Wollte jemand Harry aus dem Weg räumen? Doch weshalb? Und welche Rolle spielt Kerry Black dabei, die schöne Kollegin Harrys, der Jack zusehends verfällt? Jack verstrickt sich immer tiefer in die Machenschaften der einflussreichen Kanzlei, bei der Harry gearbeitet hat - und gerät bald selbst in Lebensgefahr ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2015Das Böse, das
aus Texas kommt
Louis Begley, Spezialist für die distinguierte
Ostküste, macht einen Ausflug ins Krimigenre
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Wer um die Innigkeit weiß, in der Mensch und Haustier miteinander verbunden sein können, der wird nicht glauben, dass ein Mann, der seinem Leben angeblich selbst ein Ende gesetzt hat, zuvor noch seinen geliebten Kater getötet haben soll. Aber exakt das ist der Anblick, den die Haushälterin vorgefunden hat: „Er hing an seinem Seil, das an einem der hohen Scheunenbalken befestigt war, sein Gesicht grün verfärbt, die Zunge hing heraus, die Augen quollen hervor – und auf dem Fußboden neben dem Schreibtisch lag Plato. Mit gebrochenem Genick.“ Zuvor, so stellt sich heraus, hatte jemand Plato, dem Kater, noch die Schnurrhaare abgeschnitten.
Der Mann, der in seinem luxuriösen Wochenendhaus auf Long Island tot aufgefunden wird, heißt Harry Dana, Mitte 60, Rechtsanwalt und Seniorpartner in einer angesehenen New Yorker Kanzlei. Eine klassische Louis-Begley-Figur also, zu Hause in jenem reichen und distinguierten Ostküstenmilieu, das Begley in seinen Romanen immer wieder auf das Glänzendste geschildert und als Bühne benutzt hat. Wer die Bücher um den sinistren, einsamen Albert Schmidt kennt, der weiß, welche Funken ein Autor in Höchstform aus der intimen Kenntnis der Verhältnisse schlagen kann. In „Zeig dich, Mörder“ wollte Begley, so scheint es, noch einmal eine neue Volte schlagen: Der Auslöser für den Entschluss, einen Kriminalroman zu schreiben, sei, so erzählt Begley, die permanente Angst davor, dass ein Fremder in seine Privatsphäre eindringe und er, Begley, ihm hilflos ausgeliefert sei. Und in der Tat gehört jene indirekt vermittelte Szene, in der Harry den Tod findet, zu den beklemmendsten des Romans.
Doch der Reihe nach: Der Ich-Erzähler von „Zeig dich, Mörder“, ist Harrys Neffe Jack, und schon in der Anlage dieser Figur demonstriert Begley, dass er offenbar bereit war, dem Krimigenre eines seiner Markenzeichen zu opfern: seine Subtilität. Denn Jack ist eine Art Mensch gewordenes Universalwerkzeug – er kann einfach alles. Nach dem 11. September 2001 hat er sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. In Afghanistan hat er das Töten gelernt; verwundet und desillusioniert kehrte er zurück, begann, Romane zu schreiben, und wurde zu einem der wichtigsten amerikanischen Autoren seiner Generation. 18-Kilometer-Läufe absolviert er mühelos; ein phantastischer Liebhaber ist er noch dazu, wie sich später herausstellen wird, und über detektivischen Spürsinn verfügt er ohnehin.
Man mag Begley die Ansammlung von Stereotypen gerade noch verzeihen. Vollends abstrus wird es, wenn es um die eigentliche Krimihandlung geht. Dass sein Onkel Harry, der nach dem frühen Tod von Jacks Eltern zu einem Vaterersatz geworden war, sich nicht selbst umgebracht hat, sondern ermordet wurde, vermutet Jack umgehend, als er die Nachricht von Harrys Tod in seinem Mailpostfach findet.
Doch da Jack gerade von einer ausgedehnten Südamerika-Reise zurückgekehrt ist, ist Harrys Leichnam bereits verbrannt; sämtliche Spuren sind gesichert, besser gesagt: verwischt. Dass Jack dennoch den Anfang einer Beweiskette in die Hände bekommt, an deren Ende eine Verschwörung von nationalem Ausmaß steckt, der sein Onkel zum Opfer gefallen ist, verdankt er einer Reihe haarsträubender Unwahrscheinlichkeiten.
Um nur eine zu nennen: Die Hinrichtung des Onkels durch einen Profikiller vom Balkan wurde quasi aus Versehen und ganz zufällig auf Harrys Smartphone mitgeschnitten, das während der Tat ebenso zufällig in eine Sofaritze rutschte, wo es zufällig die Aufnahme fortsetzte und Wochen später zufällig von Jack gefunden wird, weil die Polizei, die das ganze Haus abgesucht hatte, zufällig eben dort nicht nachgeschaut hatte. Jeder seriöse Krimiautor würde eine derartige Ansammlung von Unplausibilitäten von sich weisen.
So setzt sich das fort, bruchlos und vor allem ohne jede Überraschung. Dass Jack den Mörder seines Onkels aufspüren und richten wird, erfahren wir gleich auf der ersten Seite, „was ich getan habe, würde ich ohne Zögern wieder tun“, denn „ich verachte Feiglinge und scheinheilige Weicheier und ihre selbstgefällige Naivität.“ So spricht ein angeblich kriegstraumatisierter Veteran, der sich dessen ungeachtet auch als Zivilist weiterhin zur Kampfmaschine ausbilden lässt. Das Ende steht also am Anfang, und auch der Plan, mit dem Jack gegen den Auftragsmörder und dessen Hintermann, einen schwerreichen und erzkonservativen texanischen Industriellen (ist nicht auch das bereits wieder ein Klischee?), hinter dessen verzweigte Machenschaften Harry gekommen war, vorgeht, funktioniert von vorne bis hinten wie am Schnürchen. Kein Joker in Sicht, der noch einmal eine Wendung hineinbringen könnte, nur eine schöne und kluge Frau, Harrys engste Mitarbeiterin, als Staffage. Ansonsten geht „Zeig dich, Mörder“ exakt so aus, wie man es als Leser vermutet hätte. Das ist nicht verboten, aber langweilig.
Stellt sich die Frage, warum ein so renommierter und eleganter Autor wie Louis Begley im Alter von mehr als 80 Jahren nun einen offensichtlich verunglückten Roman vorlegt. Es habe ihm, so zitiert ihn die Verlagshomepage, großen Spaß gemacht, das Genre zu wechseln. Der Spaß bleibt jedoch recht einseitig, denn von einer ironischen schriftstellerischen Distanzierung von den trivialen Auswüchsen des Actionthrillers ist nichts zu spüren, während hingegen die Darstellung seines ureigenen Ostküsten-Terrains von eben jener Trivialität angefressen und von Jacks Hardboiled-Gehabe verkleistert wird. Begley meint das alles ernst, weil er nun mal eigentlich ein im besten Sinne ernsthafter Schriftsteller ist. Von den Anforderungen eines Kriminalromans ist er paradoxer- oder auch beruhigenderweise überfordert.
Louis Begley: Zeig dich, Mörder. Roman. Aus dem Englischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 302 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 16,99 Euro.
Rollenwechsel mit Hindernissen: Louis Begley. Foto: Richard Koek
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
aus Texas kommt
Louis Begley, Spezialist für die distinguierte
Ostküste, macht einen Ausflug ins Krimigenre
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Wer um die Innigkeit weiß, in der Mensch und Haustier miteinander verbunden sein können, der wird nicht glauben, dass ein Mann, der seinem Leben angeblich selbst ein Ende gesetzt hat, zuvor noch seinen geliebten Kater getötet haben soll. Aber exakt das ist der Anblick, den die Haushälterin vorgefunden hat: „Er hing an seinem Seil, das an einem der hohen Scheunenbalken befestigt war, sein Gesicht grün verfärbt, die Zunge hing heraus, die Augen quollen hervor – und auf dem Fußboden neben dem Schreibtisch lag Plato. Mit gebrochenem Genick.“ Zuvor, so stellt sich heraus, hatte jemand Plato, dem Kater, noch die Schnurrhaare abgeschnitten.
Der Mann, der in seinem luxuriösen Wochenendhaus auf Long Island tot aufgefunden wird, heißt Harry Dana, Mitte 60, Rechtsanwalt und Seniorpartner in einer angesehenen New Yorker Kanzlei. Eine klassische Louis-Begley-Figur also, zu Hause in jenem reichen und distinguierten Ostküstenmilieu, das Begley in seinen Romanen immer wieder auf das Glänzendste geschildert und als Bühne benutzt hat. Wer die Bücher um den sinistren, einsamen Albert Schmidt kennt, der weiß, welche Funken ein Autor in Höchstform aus der intimen Kenntnis der Verhältnisse schlagen kann. In „Zeig dich, Mörder“ wollte Begley, so scheint es, noch einmal eine neue Volte schlagen: Der Auslöser für den Entschluss, einen Kriminalroman zu schreiben, sei, so erzählt Begley, die permanente Angst davor, dass ein Fremder in seine Privatsphäre eindringe und er, Begley, ihm hilflos ausgeliefert sei. Und in der Tat gehört jene indirekt vermittelte Szene, in der Harry den Tod findet, zu den beklemmendsten des Romans.
Doch der Reihe nach: Der Ich-Erzähler von „Zeig dich, Mörder“, ist Harrys Neffe Jack, und schon in der Anlage dieser Figur demonstriert Begley, dass er offenbar bereit war, dem Krimigenre eines seiner Markenzeichen zu opfern: seine Subtilität. Denn Jack ist eine Art Mensch gewordenes Universalwerkzeug – er kann einfach alles. Nach dem 11. September 2001 hat er sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. In Afghanistan hat er das Töten gelernt; verwundet und desillusioniert kehrte er zurück, begann, Romane zu schreiben, und wurde zu einem der wichtigsten amerikanischen Autoren seiner Generation. 18-Kilometer-Läufe absolviert er mühelos; ein phantastischer Liebhaber ist er noch dazu, wie sich später herausstellen wird, und über detektivischen Spürsinn verfügt er ohnehin.
Man mag Begley die Ansammlung von Stereotypen gerade noch verzeihen. Vollends abstrus wird es, wenn es um die eigentliche Krimihandlung geht. Dass sein Onkel Harry, der nach dem frühen Tod von Jacks Eltern zu einem Vaterersatz geworden war, sich nicht selbst umgebracht hat, sondern ermordet wurde, vermutet Jack umgehend, als er die Nachricht von Harrys Tod in seinem Mailpostfach findet.
Doch da Jack gerade von einer ausgedehnten Südamerika-Reise zurückgekehrt ist, ist Harrys Leichnam bereits verbrannt; sämtliche Spuren sind gesichert, besser gesagt: verwischt. Dass Jack dennoch den Anfang einer Beweiskette in die Hände bekommt, an deren Ende eine Verschwörung von nationalem Ausmaß steckt, der sein Onkel zum Opfer gefallen ist, verdankt er einer Reihe haarsträubender Unwahrscheinlichkeiten.
Um nur eine zu nennen: Die Hinrichtung des Onkels durch einen Profikiller vom Balkan wurde quasi aus Versehen und ganz zufällig auf Harrys Smartphone mitgeschnitten, das während der Tat ebenso zufällig in eine Sofaritze rutschte, wo es zufällig die Aufnahme fortsetzte und Wochen später zufällig von Jack gefunden wird, weil die Polizei, die das ganze Haus abgesucht hatte, zufällig eben dort nicht nachgeschaut hatte. Jeder seriöse Krimiautor würde eine derartige Ansammlung von Unplausibilitäten von sich weisen.
So setzt sich das fort, bruchlos und vor allem ohne jede Überraschung. Dass Jack den Mörder seines Onkels aufspüren und richten wird, erfahren wir gleich auf der ersten Seite, „was ich getan habe, würde ich ohne Zögern wieder tun“, denn „ich verachte Feiglinge und scheinheilige Weicheier und ihre selbstgefällige Naivität.“ So spricht ein angeblich kriegstraumatisierter Veteran, der sich dessen ungeachtet auch als Zivilist weiterhin zur Kampfmaschine ausbilden lässt. Das Ende steht also am Anfang, und auch der Plan, mit dem Jack gegen den Auftragsmörder und dessen Hintermann, einen schwerreichen und erzkonservativen texanischen Industriellen (ist nicht auch das bereits wieder ein Klischee?), hinter dessen verzweigte Machenschaften Harry gekommen war, vorgeht, funktioniert von vorne bis hinten wie am Schnürchen. Kein Joker in Sicht, der noch einmal eine Wendung hineinbringen könnte, nur eine schöne und kluge Frau, Harrys engste Mitarbeiterin, als Staffage. Ansonsten geht „Zeig dich, Mörder“ exakt so aus, wie man es als Leser vermutet hätte. Das ist nicht verboten, aber langweilig.
Stellt sich die Frage, warum ein so renommierter und eleganter Autor wie Louis Begley im Alter von mehr als 80 Jahren nun einen offensichtlich verunglückten Roman vorlegt. Es habe ihm, so zitiert ihn die Verlagshomepage, großen Spaß gemacht, das Genre zu wechseln. Der Spaß bleibt jedoch recht einseitig, denn von einer ironischen schriftstellerischen Distanzierung von den trivialen Auswüchsen des Actionthrillers ist nichts zu spüren, während hingegen die Darstellung seines ureigenen Ostküsten-Terrains von eben jener Trivialität angefressen und von Jacks Hardboiled-Gehabe verkleistert wird. Begley meint das alles ernst, weil er nun mal eigentlich ein im besten Sinne ernsthafter Schriftsteller ist. Von den Anforderungen eines Kriminalromans ist er paradoxer- oder auch beruhigenderweise überfordert.
Louis Begley: Zeig dich, Mörder. Roman. Aus dem Englischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 302 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 16,99 Euro.
Rollenwechsel mit Hindernissen: Louis Begley. Foto: Richard Koek
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2015Die bestochene Welt
Und der Anwalt als Rächer: Louis Begleys neuer Roman über einen globalen Korruptionsfall
Vor drei Monaten erschien im Suhrkamp-Verlag ein Band mit Erzählungen aus dem Irakkrieg. "Wir erschossen auch Hunde" heißt das Buch. Geschrieben hat es Phil Klay, 31 Jahre alt, von 2007 bis 2008 als Marine in der irakischen Provinz Al Anbar stationiert, nach seinem Einsatz Assistent des Schriftstellers Richard Ford, jetzt selber Schriftsteller. Klay erzählt, wie es ist, aus dem Krieg zurückzukommen, in ein fremd gewordenes Land. Er erzählt es, ohne dabei klischeehaft oder sentimental zu werden, mischt Härte mit Humor, wenn er die eigentümliche Abkürzungssprache der Soldaten auf die Spitze treibt, die man auch in den Büchern von Karl Marlantes oder Sebastian Junger findet: "EOD entschärfte die Bomben. SSTP versorgte die Verletzten. PRP fertigte die Leichen ab. Die o8er schossen DPICM ab. Ich und der PFC verteilten das Geld."
Es sind Geschichten, an die man jetzt wieder denken muss, wenn, im selben Verlag, der neue Roman von Louis Begley erscheint, "Zeig dich, Mörder": "Mein Name ist Jack Dana. Ich bin ehemaliger Offizier der Marineinfanterie und war Zugführer der Force Recon. Ich bin auch Autor von drei erfolgreichen Büchern", heißen die Sätze, mit denen sich auf den ersten Seiten Begleys Erzähler vorstellt und sich beinahe zu entschuldigen scheint: "Es klingt vielleicht seltsam, dass jemand wie ich - der die härtesten Kampfschulen des Marinekorps mit Auszeichnung absolviert hat, Schulen, in denen man lernt, Feinde abzuknallen, die das Pech haben, in Schussweite zu sein -, dass so einer anfängt, Romane zu schreiben. Jedes Ding hat seine Zeit; so ist es eben."
Da versteht man gleich mehrere Dinge auf einmal nicht: Warum sollte ein Marine keine Bücher schreiben? Klay tut es, Marlantes tut es, in gewisser Weise ist das schon ein eigenes Genre. Was heißt "so ist es eben"? Und wie redet dieser Jack Dana bei Begley überhaupt? "Angst zu haben, macht nichts, man darf sie nur nicht zeigen und sich nicht von ihr lähmen lassen; das ist eine der tiefen Wahrheiten, die man lernt, wenn man die ersten Feuergefechte überstanden hat." Ist da nicht sogar ein "Navy SEAL Survival Guide" aufschlussreicher?
Wer zu den Begley-Bewunderern gehört, kriegt hier sofort Angst vor der großen Enttäuschung. Louis Begley, der 1933 als Ludwig Beglejter in Polen geboren wurde, dank falscher Papiere mit seiner Mutter den Holocaust überlebte und nach Amerika emigrierte, ist der Autor von "Lügen in Zeiten des Krieges", dem ergreifenden autobiographischen Roman über seine Kindheit. Und er ist der Schöpfer des berühmten Albert Schmidt, des frühpensionierten New Yorker Anwalts, eines Don Juan mit Prinzipien, dem Jack Nicholson in der Verfilmung ein so unvergessliches Gesicht gegeben hat. Begley war 57 Jahre alt, als er 1991 seinen ersten Roman veröffentlichte. Um "Lügen in Zeiten des Krieges" zu schreiben, ließ er sich vier Monate von der New Yorker Kanzlei beurlauben, in der er als Wirtschaftsanwalt arbeitete. Jahrelang hat er die Schmidt-Figur in immer neuen Romanen am Leben gehalten.
Mit dem Veteran aus Amerikas neuen Kriegen hat er sich auf ein ihm neues Terrain begeben: "Großen Dank schuldet der Autor dem Freund Matthew Blumenthal, der als Infanterieoffizier im United States Marine Corps diente", schreibt er am Ende seines neuen Romans. Selbstverständlich muss man als Autor nicht erlebt haben, wovon die Fiktion handelt. Aber was, wenn Blumenthal als Inspirationsquelle einfach nicht gereicht hat, um dem eigenen Erzähler Glaubwürdigkeit zu verleihen? Wenn das angelesene Recherchematerial einer literarischen Figur nicht genug Leben einhauchen kann? Muss "Zeig dich, Mörder" als Roman dann notwendigerweise scheitern?
Muss er nicht, stellt man schon bald erleichtert fest. Denn nur ein paar Seiten weiter ist man wieder drin im Sog der geliebten Begley-Welt, die der Autor mit ironischem Gespür und feinsinniger Boshaftigkeit zu beschreiben weiß wie kaum ein anderer: Es ist die Welt der New Yorker Großkanzleien, der teuren Restaurants und Book Launch Partys in Manhattan, der Upper Class mit ihren Sommerhäusern in Sag Harbor, East Hampton, Bridgehampton oder Southampton. Jack Dana hat einen Onkel, Harry, der Partner bei Jones & Whetstone ist, einer großen Wirtschaftkanzlei in New York. Von diesem Onkel heißt es in der Kanzlei plötzlich, er zeige Anzeichen von Demenz, weshalb man ihm rät, frühzeitig in den Ruhestand zu gehen. Als Jack aus einem langen Schreiburlaub zurückkommt, erfährt er mit großer Verspätung, dass sein Onkel sich in seinem Haus in Sag Harbor das Leben genommen hat, und kann es nicht glauben. Er beginnt zu recherchieren, findet Indizien für einen Mord, den er nicht aufzuklären, sondern den er als Krieger zu rächen versucht.
Das klingt nach einem Krimi und lässt sich sicher auch als einer lesen. In der vergangenen Woche jedenfalls hat eine Reihe von Kritikern Begley Vorhaltungen gemacht, er sei als Krimiautor einfach nicht professionell genug. Zu vieles sei einfach zu unwahrscheinlich: "Kein professioneller Verfasser von Thrillern, sei es Michael Connelly, Lee Child oder John Grisham", konnte man lesen, "hätte sich je solche eklatanten Verstöße wider Wahrscheinlichkeit und Logik durchgehen lassen." Nur ist der unbedingte Wille, den Roman ausschließlich als Krimi zu verstehen, am Ende ein Problem der Kritiker und nicht das von Louis Begley.
Was "Zeig dich, Mörder" so interessant macht, ist nicht die Leiche, nicht der Mörder und auch nicht der Versuch, den Mord zu rächen. Begley hat vor allem einen Wirtschaftskanzleiroman geschrieben, wenn er Harry vor dessen Tod als Anwalt für den Börsengang einer Holding-Gesellschaft die Struktur eines Unternehmens unter die Lupe nehmen lässt, dessen Eigentümer sein Mandant ist. Was er entdeckt, entsetzt ihn. Es geht nicht um Steuerhinterziehung, auch nicht um Absprachen über Festpreise. Vielmehr entdeckt der Anwalt ein durchgehendes Muster von Rechtsbrüchen im großen Stil, Verstößen gegen das Bundesrecht der Vereinigten Staaten, der Einzelstaaten und der ausländischen Staaten, in denen das Unternehmen angesiedelt ist. Was soll er tun? Wie kann dieses Wissen ihm nicht zum Verhängnis werden?
In der Praxis mag es oft vorkommen, dass Anwälte im Laufe einer Beratung von Rechtsverstößen ihrer Mandanten erfahren. Begley macht einen globalen Korruptionsfall daraus, um die Verstrickungen auch von Seiten der Kanzlei so fragwürdig wie möglich werden zu lassen. Und er kennt sich aus: Debevoise & Plimpton heißt die ehrwürdige Kanzlei, für die er selbst viele Jahre als Anwalt gearbeitet hat, eine Kanzlei, die bezeichnenderweise für sogenannte International Investigations bekannt ist: Ein Unternehmen beauftragt eine unabhängige Anwaltskanzlei damit, eventuelle Verstöße gegen Recht und Gesetz im eigenen Unternehmen zu untersuchen, um Vorstand und Aufsichtsrat ein paar Wochen Vorsprung zu geben, bevor etwa die Staatsanwaltschaft einschreitet. Bekannt ist, dass Debevoise & Plimpton Siemens dabei beraten haben, das System interner schwarzer Kassen aufzudecken, und dafür in die Kritik geriet. Siemens-Mitarbeiter sollen von der Kanzlei bedrängt worden sein. Die Untersuchung wurde öffentlich, was dem Ansehen von Siemens geschadet hat.
"Zeig dich, Mörder" wird auf diese Weise zu einem Wirtschaftsroman, der mit seinem oft bösen Humor Fragen nach Verantwortung und Moral stellt. Dass am Ende ein Marine glaubt, im zivilen Leben weiter Krieg spielen zu müssen, ist wenig interessant und bleibt unglaubwürdig. Jack Dana wirkt als Schriftsteller und Veteran der Marines bis zum Schluss ausgedacht. Er hat im echten Leben aber auch harte Konkurrenz. Phil Klay und Karl Marlantes sind so schnell nicht zu toppen.
JULIA ENCKE
Louis Begley: "Zeig dich, Mörder". Roman. Aus dem Englischen von Christa Krüger. Suhrkamp-Verlag, 302 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und der Anwalt als Rächer: Louis Begleys neuer Roman über einen globalen Korruptionsfall
Vor drei Monaten erschien im Suhrkamp-Verlag ein Band mit Erzählungen aus dem Irakkrieg. "Wir erschossen auch Hunde" heißt das Buch. Geschrieben hat es Phil Klay, 31 Jahre alt, von 2007 bis 2008 als Marine in der irakischen Provinz Al Anbar stationiert, nach seinem Einsatz Assistent des Schriftstellers Richard Ford, jetzt selber Schriftsteller. Klay erzählt, wie es ist, aus dem Krieg zurückzukommen, in ein fremd gewordenes Land. Er erzählt es, ohne dabei klischeehaft oder sentimental zu werden, mischt Härte mit Humor, wenn er die eigentümliche Abkürzungssprache der Soldaten auf die Spitze treibt, die man auch in den Büchern von Karl Marlantes oder Sebastian Junger findet: "EOD entschärfte die Bomben. SSTP versorgte die Verletzten. PRP fertigte die Leichen ab. Die o8er schossen DPICM ab. Ich und der PFC verteilten das Geld."
Es sind Geschichten, an die man jetzt wieder denken muss, wenn, im selben Verlag, der neue Roman von Louis Begley erscheint, "Zeig dich, Mörder": "Mein Name ist Jack Dana. Ich bin ehemaliger Offizier der Marineinfanterie und war Zugführer der Force Recon. Ich bin auch Autor von drei erfolgreichen Büchern", heißen die Sätze, mit denen sich auf den ersten Seiten Begleys Erzähler vorstellt und sich beinahe zu entschuldigen scheint: "Es klingt vielleicht seltsam, dass jemand wie ich - der die härtesten Kampfschulen des Marinekorps mit Auszeichnung absolviert hat, Schulen, in denen man lernt, Feinde abzuknallen, die das Pech haben, in Schussweite zu sein -, dass so einer anfängt, Romane zu schreiben. Jedes Ding hat seine Zeit; so ist es eben."
Da versteht man gleich mehrere Dinge auf einmal nicht: Warum sollte ein Marine keine Bücher schreiben? Klay tut es, Marlantes tut es, in gewisser Weise ist das schon ein eigenes Genre. Was heißt "so ist es eben"? Und wie redet dieser Jack Dana bei Begley überhaupt? "Angst zu haben, macht nichts, man darf sie nur nicht zeigen und sich nicht von ihr lähmen lassen; das ist eine der tiefen Wahrheiten, die man lernt, wenn man die ersten Feuergefechte überstanden hat." Ist da nicht sogar ein "Navy SEAL Survival Guide" aufschlussreicher?
Wer zu den Begley-Bewunderern gehört, kriegt hier sofort Angst vor der großen Enttäuschung. Louis Begley, der 1933 als Ludwig Beglejter in Polen geboren wurde, dank falscher Papiere mit seiner Mutter den Holocaust überlebte und nach Amerika emigrierte, ist der Autor von "Lügen in Zeiten des Krieges", dem ergreifenden autobiographischen Roman über seine Kindheit. Und er ist der Schöpfer des berühmten Albert Schmidt, des frühpensionierten New Yorker Anwalts, eines Don Juan mit Prinzipien, dem Jack Nicholson in der Verfilmung ein so unvergessliches Gesicht gegeben hat. Begley war 57 Jahre alt, als er 1991 seinen ersten Roman veröffentlichte. Um "Lügen in Zeiten des Krieges" zu schreiben, ließ er sich vier Monate von der New Yorker Kanzlei beurlauben, in der er als Wirtschaftsanwalt arbeitete. Jahrelang hat er die Schmidt-Figur in immer neuen Romanen am Leben gehalten.
Mit dem Veteran aus Amerikas neuen Kriegen hat er sich auf ein ihm neues Terrain begeben: "Großen Dank schuldet der Autor dem Freund Matthew Blumenthal, der als Infanterieoffizier im United States Marine Corps diente", schreibt er am Ende seines neuen Romans. Selbstverständlich muss man als Autor nicht erlebt haben, wovon die Fiktion handelt. Aber was, wenn Blumenthal als Inspirationsquelle einfach nicht gereicht hat, um dem eigenen Erzähler Glaubwürdigkeit zu verleihen? Wenn das angelesene Recherchematerial einer literarischen Figur nicht genug Leben einhauchen kann? Muss "Zeig dich, Mörder" als Roman dann notwendigerweise scheitern?
Muss er nicht, stellt man schon bald erleichtert fest. Denn nur ein paar Seiten weiter ist man wieder drin im Sog der geliebten Begley-Welt, die der Autor mit ironischem Gespür und feinsinniger Boshaftigkeit zu beschreiben weiß wie kaum ein anderer: Es ist die Welt der New Yorker Großkanzleien, der teuren Restaurants und Book Launch Partys in Manhattan, der Upper Class mit ihren Sommerhäusern in Sag Harbor, East Hampton, Bridgehampton oder Southampton. Jack Dana hat einen Onkel, Harry, der Partner bei Jones & Whetstone ist, einer großen Wirtschaftkanzlei in New York. Von diesem Onkel heißt es in der Kanzlei plötzlich, er zeige Anzeichen von Demenz, weshalb man ihm rät, frühzeitig in den Ruhestand zu gehen. Als Jack aus einem langen Schreiburlaub zurückkommt, erfährt er mit großer Verspätung, dass sein Onkel sich in seinem Haus in Sag Harbor das Leben genommen hat, und kann es nicht glauben. Er beginnt zu recherchieren, findet Indizien für einen Mord, den er nicht aufzuklären, sondern den er als Krieger zu rächen versucht.
Das klingt nach einem Krimi und lässt sich sicher auch als einer lesen. In der vergangenen Woche jedenfalls hat eine Reihe von Kritikern Begley Vorhaltungen gemacht, er sei als Krimiautor einfach nicht professionell genug. Zu vieles sei einfach zu unwahrscheinlich: "Kein professioneller Verfasser von Thrillern, sei es Michael Connelly, Lee Child oder John Grisham", konnte man lesen, "hätte sich je solche eklatanten Verstöße wider Wahrscheinlichkeit und Logik durchgehen lassen." Nur ist der unbedingte Wille, den Roman ausschließlich als Krimi zu verstehen, am Ende ein Problem der Kritiker und nicht das von Louis Begley.
Was "Zeig dich, Mörder" so interessant macht, ist nicht die Leiche, nicht der Mörder und auch nicht der Versuch, den Mord zu rächen. Begley hat vor allem einen Wirtschaftskanzleiroman geschrieben, wenn er Harry vor dessen Tod als Anwalt für den Börsengang einer Holding-Gesellschaft die Struktur eines Unternehmens unter die Lupe nehmen lässt, dessen Eigentümer sein Mandant ist. Was er entdeckt, entsetzt ihn. Es geht nicht um Steuerhinterziehung, auch nicht um Absprachen über Festpreise. Vielmehr entdeckt der Anwalt ein durchgehendes Muster von Rechtsbrüchen im großen Stil, Verstößen gegen das Bundesrecht der Vereinigten Staaten, der Einzelstaaten und der ausländischen Staaten, in denen das Unternehmen angesiedelt ist. Was soll er tun? Wie kann dieses Wissen ihm nicht zum Verhängnis werden?
In der Praxis mag es oft vorkommen, dass Anwälte im Laufe einer Beratung von Rechtsverstößen ihrer Mandanten erfahren. Begley macht einen globalen Korruptionsfall daraus, um die Verstrickungen auch von Seiten der Kanzlei so fragwürdig wie möglich werden zu lassen. Und er kennt sich aus: Debevoise & Plimpton heißt die ehrwürdige Kanzlei, für die er selbst viele Jahre als Anwalt gearbeitet hat, eine Kanzlei, die bezeichnenderweise für sogenannte International Investigations bekannt ist: Ein Unternehmen beauftragt eine unabhängige Anwaltskanzlei damit, eventuelle Verstöße gegen Recht und Gesetz im eigenen Unternehmen zu untersuchen, um Vorstand und Aufsichtsrat ein paar Wochen Vorsprung zu geben, bevor etwa die Staatsanwaltschaft einschreitet. Bekannt ist, dass Debevoise & Plimpton Siemens dabei beraten haben, das System interner schwarzer Kassen aufzudecken, und dafür in die Kritik geriet. Siemens-Mitarbeiter sollen von der Kanzlei bedrängt worden sein. Die Untersuchung wurde öffentlich, was dem Ansehen von Siemens geschadet hat.
"Zeig dich, Mörder" wird auf diese Weise zu einem Wirtschaftsroman, der mit seinem oft bösen Humor Fragen nach Verantwortung und Moral stellt. Dass am Ende ein Marine glaubt, im zivilen Leben weiter Krieg spielen zu müssen, ist wenig interessant und bleibt unglaubwürdig. Jack Dana wirkt als Schriftsteller und Veteran der Marines bis zum Schluss ausgedacht. Er hat im echten Leben aber auch harte Konkurrenz. Phil Klay und Karl Marlantes sind so schnell nicht zu toppen.
JULIA ENCKE
Louis Begley: "Zeig dich, Mörder". Roman. Aus dem Englischen von Christa Krüger. Suhrkamp-Verlag, 302 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Der Autor erstaunt durch eine enorme Variationsbreite an Stilmitteln. Mal hämmert er einen Absatz lang geschliffene Hauptsätze, dann wieder verblüfft er mit Schachtelgrammatik à la Thomas Mann. Diese Wandlungsfähigkeit imponiert.« Ulf Heise MDR Figaro 20150428