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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2015Genauigkeit und Zeit
Martin Suter schreibt den Schluss seines Romans um
Martin Suter ist ein Autor, dem es um Genauigkeit zu tun ist, in jedem seiner Bücher aufs Neue. Sein jüngster Thriller "Montecristo", in dem er es mit dem Gebaren der Großbanken und der Politik aufnimmt, ist dafür ein weiterer Beweis (F.A.Z. vom 7. März). Suters Präzision funktioniert auch in "Montecristo" nicht leichthändig realistisch, sondern er treibt den Möglichkeitssinn auf die Spitze maximaler Annäherung an die Wahrscheinlichkeit. Die Fiktion ist absolut plausibel; sie kann nur von der Wirklichkeit selbst überboten werden. Seine bisher weitestgehende Probe aufs Exempel des Wahrscheinlichen hat er aber 2012 im Roman "Die Zeit, die Zeit" statuiert.
Dort spielt Suter ein Szenario durch, das es mit dem Enigma des Raum-Zeit-Kontinuums aufnimmt: Was geschieht, wenn bis ins kleinste Detail ein Jahrzehnte vergangener Raum wiederhergestellt wird? Lässt sich dann auch die Zeit zurückstellen? Und lassen sich mit ihr auch Geschehnisse in der Zeit ungeschehen machen, allen voran der Tod? "Die Zeit, die Zeit" handelt von heute Lebenden, die ihre betrauerten Toten zurücksehnen. Sie stellen deshalb mit unvorstellbarem Aufwand eine zwei Jahrzehnte zurückliegende Umgebung wieder her, wie sie zu einem sekundengenauen Moment in der Zeit existierte, mit äußerster Perfektion wird ein ganzes Haus samt Interieur und umliegendem Gelände rekonstruiert. Am Ende entließ Suter seine Leser aus "Die Zeit, die Zeit" ins Ungewisse, ob nämlich nicht, was im Buch geschieht, einem schweren Traum entsprungen sein könnte - bisher.
Den Autor selbst mit solcherart Sinnfragen zu behelligen, entspricht nicht ganz den Spielregeln. Doch das Rätsel von "Die Zeit, die Zeit" insistierte, auch in mir. Also habe ich Martin Suter bei Gelegenheit darauf angesprochen. Er nahm das zum Anlass einer Erklärung: "Ich habe den Schluss von ,Die Zeit, die Zeit' umgeschrieben." Denn es hatte ihm keine Ruhe gelassen, dass eine kurze Passage fast am Ende des Romans die Absicht, die er mit seinem Erzählen verfolgte, unklar werden ließ: "Ausgerechnet mir, der ich Geschichten, die sich am Schluss als bloße Träume herausstellen, stets aus tiefstem Herzen gehasst habe, musste dieses Missverständnis passieren. Und ich wusste auch genau, welcher kleine handwerkliche Fehler dazu geführt hat." Also hat er diesen - aus seiner Sicht - Fauxpas korrigiert, für die aktuelle Auflage von "Die Zeit, die Zeit". Es brauchte dafür nur ein paar Sätze, doch die waren ihm wichtig. "Es funktioniert", sagte er noch mit einem Lächeln, als wir darüber redeten.
Martin Suter ist ein Schriftsteller, und er hasst das Ungefähre; ihm ist es um die Wahrheit im Innern seiner Geschichte zu tun. Und die beinah unmerkliche Variante hat mit seiner Genauigkeit zu tun. Vor allem aber ist sie eine Geste der Sorgfalt und Achtung gegenüber seinen Lesern; er hat sie nicht in einer Ungewissheit belassen wollen, die er selbst verschuldet hat.
ROSE-MARIA GROPP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Martin Suter schreibt den Schluss seines Romans um
Martin Suter ist ein Autor, dem es um Genauigkeit zu tun ist, in jedem seiner Bücher aufs Neue. Sein jüngster Thriller "Montecristo", in dem er es mit dem Gebaren der Großbanken und der Politik aufnimmt, ist dafür ein weiterer Beweis (F.A.Z. vom 7. März). Suters Präzision funktioniert auch in "Montecristo" nicht leichthändig realistisch, sondern er treibt den Möglichkeitssinn auf die Spitze maximaler Annäherung an die Wahrscheinlichkeit. Die Fiktion ist absolut plausibel; sie kann nur von der Wirklichkeit selbst überboten werden. Seine bisher weitestgehende Probe aufs Exempel des Wahrscheinlichen hat er aber 2012 im Roman "Die Zeit, die Zeit" statuiert.
Dort spielt Suter ein Szenario durch, das es mit dem Enigma des Raum-Zeit-Kontinuums aufnimmt: Was geschieht, wenn bis ins kleinste Detail ein Jahrzehnte vergangener Raum wiederhergestellt wird? Lässt sich dann auch die Zeit zurückstellen? Und lassen sich mit ihr auch Geschehnisse in der Zeit ungeschehen machen, allen voran der Tod? "Die Zeit, die Zeit" handelt von heute Lebenden, die ihre betrauerten Toten zurücksehnen. Sie stellen deshalb mit unvorstellbarem Aufwand eine zwei Jahrzehnte zurückliegende Umgebung wieder her, wie sie zu einem sekundengenauen Moment in der Zeit existierte, mit äußerster Perfektion wird ein ganzes Haus samt Interieur und umliegendem Gelände rekonstruiert. Am Ende entließ Suter seine Leser aus "Die Zeit, die Zeit" ins Ungewisse, ob nämlich nicht, was im Buch geschieht, einem schweren Traum entsprungen sein könnte - bisher.
Den Autor selbst mit solcherart Sinnfragen zu behelligen, entspricht nicht ganz den Spielregeln. Doch das Rätsel von "Die Zeit, die Zeit" insistierte, auch in mir. Also habe ich Martin Suter bei Gelegenheit darauf angesprochen. Er nahm das zum Anlass einer Erklärung: "Ich habe den Schluss von ,Die Zeit, die Zeit' umgeschrieben." Denn es hatte ihm keine Ruhe gelassen, dass eine kurze Passage fast am Ende des Romans die Absicht, die er mit seinem Erzählen verfolgte, unklar werden ließ: "Ausgerechnet mir, der ich Geschichten, die sich am Schluss als bloße Träume herausstellen, stets aus tiefstem Herzen gehasst habe, musste dieses Missverständnis passieren. Und ich wusste auch genau, welcher kleine handwerkliche Fehler dazu geführt hat." Also hat er diesen - aus seiner Sicht - Fauxpas korrigiert, für die aktuelle Auflage von "Die Zeit, die Zeit". Es brauchte dafür nur ein paar Sätze, doch die waren ihm wichtig. "Es funktioniert", sagte er noch mit einem Lächeln, als wir darüber redeten.
Martin Suter ist ein Schriftsteller, und er hasst das Ungefähre; ihm ist es um die Wahrheit im Innern seiner Geschichte zu tun. Und die beinah unmerkliche Variante hat mit seiner Genauigkeit zu tun. Vor allem aber ist sie eine Geste der Sorgfalt und Achtung gegenüber seinen Lesern; er hat sie nicht in einer Ungewissheit belassen wollen, die er selbst verschuldet hat.
ROSE-MARIA GROPP
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