Eine verrückte Wohngemeinschaft am Fuß de Eiffelturms. Vier Personen suchen ein Zuhause. Vier grundverschiedene Menschen - Camille (26), Philibert (36), Franck (34) und Paulette (83) - wagen einen Neubeginn. Mit Charme und Witz erzählt Anna Gavalda eine Liebesgeschichte, die an "Die fabelhafte Welt der Amélie" erinnert. Ihr Roman beschreibt, sagt sie, den umgekehrten Domino-Effekt: wie einer den anderen aufrichtet und aus dem Schlamassel zieht.
Philibert, von verarmtem Adel, ist zwar ein historisches Genie, doch wenn er mit Menschen spricht, gerät er ins Stottern. Camille, magersüchtig und künstlerisch begabt, verdient sich ihren Lebensunterhalt in einer Putzkolonne, und Franck schuftet als Koch in einem Feinschmeckerlokal. Er liebt Frauen, Motorräder und seine Großmutter Paulette, die keine Lust aufs Altersheim hat. Vier grundverschiedene Menschen einer verrückten Wohngemeinschaft in Paris, die sich lieben, streiten, bis die Fetzen fliegen, und versuchen, irgendwie zurecht zu kommen. Anna Gavalda erzählt vom wirklichen Leben: witzig, charmant und liebevoll.
Philibert, von verarmtem Adel, ist zwar ein historisches Genie, doch wenn er mit Menschen spricht, gerät er ins Stottern. Camille, magersüchtig und künstlerisch begabt, verdient sich ihren Lebensunterhalt in einer Putzkolonne, und Franck schuftet als Koch in einem Feinschmeckerlokal. Er liebt Frauen, Motorräder und seine Großmutter Paulette, die keine Lust aufs Altersheim hat. Vier grundverschiedene Menschen einer verrückten Wohngemeinschaft in Paris, die sich lieben, streiten, bis die Fetzen fliegen, und versuchen, irgendwie zurecht zu kommen. Anna Gavalda erzählt vom wirklichen Leben: witzig, charmant und liebevoll.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2005Bürgertum mit Tunnelblick
Das Glück im Sucher: Anna Gavalda mißt den Daseinspuls
Anna Gavalda glaubt an die Abhärtung ihrer Leser. Sie beginnt mit der rauhen Wirklichkeit, um die durch sie Gestählten peu à peu ins Reich der Wunder zu entführen. Auf den ersten Blick hat ihr Roman nur allzu vertraute Verlierertypen zu bieten, eine hinfällige alte Frau, einen gestressten Koch, eine jugendliche Putzfrau und einen trotteligen Postkartenverkäufer.
Paulette wird nach ihrem jüngsten Sturz erst ins Krankenhaus und dann in ein desolates Altersheim befördert. Wie sie vegetieren auch die drei anderen dahin, ihr sich als Souchef in einem Gourmet-Restaurant verheizender Enkel Franck, die vor einer sadistischen Mutter in den Billiglohnbereich geflüchtete Camille und Philibert Marquet de La Durbellière, ein vom modernen Leben überforderter Adelssproß, der nie ohne Petschaft und Riechsalz ausgeht und bis zur Beilegung von Testamentsstreitigkeiten in der Pariser Wohnung seiner Großmutter die Festung hält. Als überzeugter Monarchist hat er staatliche Schulen nur zwangsweise besucht und würde nicht mal seinen ärgsten Feind in ein öffentliches Krankenhaus einliefern. Und doch hat es seine Richtigkeit, daß ausgerechnet er dem Motorradfreak Franck kostenlos Logis anbietet, denn hinter dessen groben Flüchen verbirgt sich ein ebenso ritterlicher Charakter wie hinter Philiberts Windmühlengefechten.
Vollends wachgeküßt werden die beiden Junggesellen, als Camille einzieht und jenen feenhaften, durch ihre Kaltschnäuzigkeit nur noch gesteigerten Zauber verbreitet, der alles in ihrem Radius zum Guten kehrt. Unter den afrikanischen Kolleginnen ihrer Putzkolonne bewegt sie sich wie ein Ethnologe, Drogensüchtigen und Tellerwäschern gegenüber entfaltet sie einen Mutter-Teresa-Instinkt, Philibert gewöhnt sie das Stottern ab, und Francks Großmutter holt sie in die Pariser Wohngemeinschaft, um sich wie eine approbierte Altenpflegerin um sie zu kümmern.
Anna Gavaldas Erzähler wacht mit liebevoller Ironie über seinen Geschöpfen, vertraut auf ihr gutes Herz, den weichen Kern unter der harten Schale, und ergötzt sich an ihren Vorspiegelungen modischer coolness. Häppchenweise erfahren wir, daß Camille das Putzen dem Antritt eines Erbes vorzieht, daß ihre zeichnerischen Talente ihr schon zu einer Karriere als Kunstfälscherin verholfen haben und ein berühmter Galerist es kaum erwarten kann, daß sie zu ihrem asiatischen Tuschfederkasten zurückkehrt. Das Ausmaß der Güte, mit der die jungen Leute das Leben angehen, schimmert als ungehobener Schatz durch den groben Ton ihrer Unterhaltungen, aus denen der voluminöse Roman zu großen Teilen besteht.
Anna Gavalda versteht sich auf einen Balanceakt der mündlichen Rede, der uns alle relevanten Informationen liefert, ohne die Frische der Umgangssprache einzubüßen. Erst nach und nach enthüllt die Handlung einen Wust biographischer Verletzungen, denen die Figuren durch stolze Einsilbigkeit zu trotzen versuchen. Die Sympathie des Lesers ist ihnen sicher, denn der leicht zu rührende Erzähler lädt zur wohlwollenden Lektüre ein. "Unser Bierkutscher war bereits in der Diele am Fluchen", heißt es mit zärtlicher Ironie von Franck, Camille ist "das kleine Persönchen da oben" und Philibert "ein komischer Kauz, aber ein vollkommenes Geschöpf".
Ihren Reiz bezieht die Erzählung aus der Spannung, in der ein an Hindernissen reicher Parcours zur märchenhaften Gesamtanlage steht. Dabei schließt die seifenblasenhafte Leichtigkeit, mit der sich die Szenen aneinanderreihen, das Weltanschauliche nicht aus. Das Anliegen des Buches kommt zur Sprache, als Camille sich die nackte Paulette als Modell wählt: "Und du schämst dich nicht, mich jetzt zu malen?" wird sie gefragt und gibt zur Antwort: "Die Scham führt uns nirgendwo hin." Wie ihre Heldin geht auch Gavalda die peinlichen Details des Alltags an und führt vor, wie scheinbar erbarmungslose Direktheit Vertrauen schafft und von der Einsamkeit befreit.
Die Verachtung ihres Erzählers gilt dem Tunnelblick des Erfolgsbürgertums, der Nichteinmischungspolitik einer saturierten Schicht, die ihre Kinder zu gesellschaftlichen Blindgängern macht. Dabei scheut Gavalda das Floskelhafte nicht, wenn es darum geht, die Wiederbelebung sozialer Kompetenzen zu feiern: "Klick. Keiner bewegt sich. Den Moment festgehalten. Glück pur", heißt es, als sich ihre ungleichen Helden einen Abend mit Austern und Champagner gönnen. Häufig wird die Erzählung durch genuin filmisch aufgefaßte Momente formatiert.
Das ist kein Zufall, denn die Autorin vertraut den Zwischentönen der Sprache letztlich nicht allzu sehr, ihr Reich ist das der wortlosen Idylle, der kreatürlichen Evidenzen und naiven Träume, der Schmunzelwelt von Musical und Comic strip, in der die Menschen durchschaubar, gut oder böse sind. So sehnt sich Camille nach einem "Marsupilamis-Nest", sie und eine dicke Putzkollegin werden schmollend "Asterix und Obelix" gleich, und auf Philiberts Kopfkissen streiten Engel und Teufel "wie bei Tim und Struppi" miteinander. Kein Wunder, daß Franck "vieles an Werbespots" erinnert.
Ihrem situativen Witz und neckischen Absurditäten ist die Autorin oft erfolgreich, zuweilen aber auch angestrengt auf der Spur. "Es war milder geworden", beginnt ein Kapitel, das sich in die Anfangstotale von "Über den Dächern von Nizza" verirrt zu haben scheint: "Es lag etwas von Freude, von Leichtigkeit in der Luft, samsing in si air." Ein ländliches Schlachtefest bleibt klischeehaft, weil Gavalda die Schilderung durch griffige Phrasen entmachtet: "von der TV-Familie bis zum Pauschalreise-Katalog" sei alles zugegen gewesen: "Soviel zur Stimmung: Club Mediterranée auf dem Bauernhof ..." Ganz ohne Augenzwinkern in Richtung Fun-, Pop- und Medienkultur entfaltet sich hingegen Francks Arbeitsplatz vor unseren Augen: Die knappen Wortwechsel an der Durchreiche, die Bewunderung des Küchenjungen für den Gesellen, das schlagzeugerhafte Hantieren an heißen Töpfen, kurz, das ganze schweißtreibende Ballett der Profiküche ist wie gemacht für Gavaldas behende Feder. Camilles Verehrung des japanischen Naturmalers Hokusai darf man daher auf sie beziehen.
Daß "jeder Punkt, jede Linie ihr eigenes Leben haben", ist das Ziel dieser Prosa, die auf Abstraktionen weitgehend verzichtet, um dem Pulsschlag des Daseins in all seiner Banalität die Treue zu halten. Dabei kommt ein Kunstprodukt heraus, das die Akteure ganz gegen die menschliche Gewohnheit in den Augenblick bannt und so die verführerische Illusion erzeugt, der flüchtige Moment könnte zum Leben genug sein. Das ist fast schon eine Glücksformel, trügerisch und unkopierbar, aber als Lesesog zu genießen: "Klick. Keiner bewegt sich. Glück pur."
INGEBORG HARMS
Anna Gavalda: "Zusammen ist man weniger allein". Roman. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Hanser Verlag, München 2005. 551 S., geb., 24,90 [Euro].
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Das Glück im Sucher: Anna Gavalda mißt den Daseinspuls
Anna Gavalda glaubt an die Abhärtung ihrer Leser. Sie beginnt mit der rauhen Wirklichkeit, um die durch sie Gestählten peu à peu ins Reich der Wunder zu entführen. Auf den ersten Blick hat ihr Roman nur allzu vertraute Verlierertypen zu bieten, eine hinfällige alte Frau, einen gestressten Koch, eine jugendliche Putzfrau und einen trotteligen Postkartenverkäufer.
Paulette wird nach ihrem jüngsten Sturz erst ins Krankenhaus und dann in ein desolates Altersheim befördert. Wie sie vegetieren auch die drei anderen dahin, ihr sich als Souchef in einem Gourmet-Restaurant verheizender Enkel Franck, die vor einer sadistischen Mutter in den Billiglohnbereich geflüchtete Camille und Philibert Marquet de La Durbellière, ein vom modernen Leben überforderter Adelssproß, der nie ohne Petschaft und Riechsalz ausgeht und bis zur Beilegung von Testamentsstreitigkeiten in der Pariser Wohnung seiner Großmutter die Festung hält. Als überzeugter Monarchist hat er staatliche Schulen nur zwangsweise besucht und würde nicht mal seinen ärgsten Feind in ein öffentliches Krankenhaus einliefern. Und doch hat es seine Richtigkeit, daß ausgerechnet er dem Motorradfreak Franck kostenlos Logis anbietet, denn hinter dessen groben Flüchen verbirgt sich ein ebenso ritterlicher Charakter wie hinter Philiberts Windmühlengefechten.
Vollends wachgeküßt werden die beiden Junggesellen, als Camille einzieht und jenen feenhaften, durch ihre Kaltschnäuzigkeit nur noch gesteigerten Zauber verbreitet, der alles in ihrem Radius zum Guten kehrt. Unter den afrikanischen Kolleginnen ihrer Putzkolonne bewegt sie sich wie ein Ethnologe, Drogensüchtigen und Tellerwäschern gegenüber entfaltet sie einen Mutter-Teresa-Instinkt, Philibert gewöhnt sie das Stottern ab, und Francks Großmutter holt sie in die Pariser Wohngemeinschaft, um sich wie eine approbierte Altenpflegerin um sie zu kümmern.
Anna Gavaldas Erzähler wacht mit liebevoller Ironie über seinen Geschöpfen, vertraut auf ihr gutes Herz, den weichen Kern unter der harten Schale, und ergötzt sich an ihren Vorspiegelungen modischer coolness. Häppchenweise erfahren wir, daß Camille das Putzen dem Antritt eines Erbes vorzieht, daß ihre zeichnerischen Talente ihr schon zu einer Karriere als Kunstfälscherin verholfen haben und ein berühmter Galerist es kaum erwarten kann, daß sie zu ihrem asiatischen Tuschfederkasten zurückkehrt. Das Ausmaß der Güte, mit der die jungen Leute das Leben angehen, schimmert als ungehobener Schatz durch den groben Ton ihrer Unterhaltungen, aus denen der voluminöse Roman zu großen Teilen besteht.
Anna Gavalda versteht sich auf einen Balanceakt der mündlichen Rede, der uns alle relevanten Informationen liefert, ohne die Frische der Umgangssprache einzubüßen. Erst nach und nach enthüllt die Handlung einen Wust biographischer Verletzungen, denen die Figuren durch stolze Einsilbigkeit zu trotzen versuchen. Die Sympathie des Lesers ist ihnen sicher, denn der leicht zu rührende Erzähler lädt zur wohlwollenden Lektüre ein. "Unser Bierkutscher war bereits in der Diele am Fluchen", heißt es mit zärtlicher Ironie von Franck, Camille ist "das kleine Persönchen da oben" und Philibert "ein komischer Kauz, aber ein vollkommenes Geschöpf".
Ihren Reiz bezieht die Erzählung aus der Spannung, in der ein an Hindernissen reicher Parcours zur märchenhaften Gesamtanlage steht. Dabei schließt die seifenblasenhafte Leichtigkeit, mit der sich die Szenen aneinanderreihen, das Weltanschauliche nicht aus. Das Anliegen des Buches kommt zur Sprache, als Camille sich die nackte Paulette als Modell wählt: "Und du schämst dich nicht, mich jetzt zu malen?" wird sie gefragt und gibt zur Antwort: "Die Scham führt uns nirgendwo hin." Wie ihre Heldin geht auch Gavalda die peinlichen Details des Alltags an und führt vor, wie scheinbar erbarmungslose Direktheit Vertrauen schafft und von der Einsamkeit befreit.
Die Verachtung ihres Erzählers gilt dem Tunnelblick des Erfolgsbürgertums, der Nichteinmischungspolitik einer saturierten Schicht, die ihre Kinder zu gesellschaftlichen Blindgängern macht. Dabei scheut Gavalda das Floskelhafte nicht, wenn es darum geht, die Wiederbelebung sozialer Kompetenzen zu feiern: "Klick. Keiner bewegt sich. Den Moment festgehalten. Glück pur", heißt es, als sich ihre ungleichen Helden einen Abend mit Austern und Champagner gönnen. Häufig wird die Erzählung durch genuin filmisch aufgefaßte Momente formatiert.
Das ist kein Zufall, denn die Autorin vertraut den Zwischentönen der Sprache letztlich nicht allzu sehr, ihr Reich ist das der wortlosen Idylle, der kreatürlichen Evidenzen und naiven Träume, der Schmunzelwelt von Musical und Comic strip, in der die Menschen durchschaubar, gut oder böse sind. So sehnt sich Camille nach einem "Marsupilamis-Nest", sie und eine dicke Putzkollegin werden schmollend "Asterix und Obelix" gleich, und auf Philiberts Kopfkissen streiten Engel und Teufel "wie bei Tim und Struppi" miteinander. Kein Wunder, daß Franck "vieles an Werbespots" erinnert.
Ihrem situativen Witz und neckischen Absurditäten ist die Autorin oft erfolgreich, zuweilen aber auch angestrengt auf der Spur. "Es war milder geworden", beginnt ein Kapitel, das sich in die Anfangstotale von "Über den Dächern von Nizza" verirrt zu haben scheint: "Es lag etwas von Freude, von Leichtigkeit in der Luft, samsing in si air." Ein ländliches Schlachtefest bleibt klischeehaft, weil Gavalda die Schilderung durch griffige Phrasen entmachtet: "von der TV-Familie bis zum Pauschalreise-Katalog" sei alles zugegen gewesen: "Soviel zur Stimmung: Club Mediterranée auf dem Bauernhof ..." Ganz ohne Augenzwinkern in Richtung Fun-, Pop- und Medienkultur entfaltet sich hingegen Francks Arbeitsplatz vor unseren Augen: Die knappen Wortwechsel an der Durchreiche, die Bewunderung des Küchenjungen für den Gesellen, das schlagzeugerhafte Hantieren an heißen Töpfen, kurz, das ganze schweißtreibende Ballett der Profiküche ist wie gemacht für Gavaldas behende Feder. Camilles Verehrung des japanischen Naturmalers Hokusai darf man daher auf sie beziehen.
Daß "jeder Punkt, jede Linie ihr eigenes Leben haben", ist das Ziel dieser Prosa, die auf Abstraktionen weitgehend verzichtet, um dem Pulsschlag des Daseins in all seiner Banalität die Treue zu halten. Dabei kommt ein Kunstprodukt heraus, das die Akteure ganz gegen die menschliche Gewohnheit in den Augenblick bannt und so die verführerische Illusion erzeugt, der flüchtige Moment könnte zum Leben genug sein. Das ist fast schon eine Glücksformel, trügerisch und unkopierbar, aber als Lesesog zu genießen: "Klick. Keiner bewegt sich. Glück pur."
INGEBORG HARMS
Anna Gavalda: "Zusammen ist man weniger allein". Roman. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Hanser Verlag, München 2005. 551 S., geb., 24,90 [Euro].
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