Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 8. Oktober 2010
- Hersteller: 375 Media GmbH / Zick Zack/Indigo,
- EAN: 4047179518024
- Artikelnr.: 31787201
- Herstellerkennzeichnung
- What's So Funny About GmbH
- Falkenried 10 D
- 20251 Hamburg
- http://www.whatssofunnyabout.de
CD | |||
1 | Theater | 00:02:22 | |
2 | Königin Im Dreck | 00:02:59 | |
3 | Vögel | 00:03:46 | |
4 | Charles de Gaulle | 00:04:07 | |
5 | Up & Down | 00:03:46 | |
6 | Sei Mein Plus Eins | 00:04:29 | |
7 | Reste | 00:03:32 | |
8 | Alles Über Die Welt | 00:03:10 | |
9 | Sag Ja | 00:02:57 | |
10 | Verbotene Liebe | 00:03:24 | |
11 | Irre | 00:04:52 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2010Seine Königin im Dreck
Jens Friebe, Berlins bester Metaphern-Dealer, benutzt das Klavier als Leadgitarre und nimmt uns mit in den Gästelisten-Kosmos.
Popmusik kommt nicht mit dem Panzer. Deshalb verdächtigt man sie so leicht der Kollaboration. Und tatsächlich firmiert ja vieles als Pop, was nur als Soundtrack einer entmündigten Glitzerkultur taugt. Sounddreck eben. Aber das zählt nicht. Was zählt, sind die wenigen wirklichen Aufgipfelungen, die wie ein trickreicher Virus in uns eindringen und die Konfiguration ändern.
Einer der besten Partisanen des Pop ist Jens Friebe. Er hat uns vor fünf Jahren mit seinem Kennedy-Song eine Art frenetischen Algorithmus eingespeist, der seither abläuft, wo immer man zu verzweifeln droht über das Straucheln des Schönen, Guten, Wahren: "Ihr müsst sie feiern, wie sie fallen / Ich müsst mich feiern, wie ich fall / Wie die Schönste von allen / Auf dem Abschlussball."
Jetzt ist Friebes viertes und vielleicht bestes, auf jeden Fall musikalisch komplexestes Album erschienen. "Abändern" heißt es, und eben das vermag es zu tun: nicht bestätigen, nicht auflösen, sondern abändern. Dazu schmuggelt es ungekannte Bilder ins Unterbewusstsein, dezentrierte Metaphern, die so mächtig sind, dass sie sich durchsetzen gegen all die vorgefertigten Muster. Auch hat Friebe inzwischen eine durchaus autonome Gesangsrhythmik entwickelt, die ihn von der Normalmetrik zu befreien scheint. Für kaum singbar würde man schließlich eine Passage wie diese halten: "Und die Jahre, die wir brauchen, bis wir uns davon erholen / Ziehen vorbei wie fremde Koffer auf dem Band im Charles de Gaulle / Und die Lotsen winken den Piloten / Lebewohl."
Auch diese Zeilen im selben Stück schreien nicht gerade danach, Liedzeilen zu sein: "Denn ich bin wie der alte Mann aus ,Der kleine Lord' / Nur eben ohne kleinen Lord." Doch dann klingt das alles natürlich so perfekt, dass man es nicht mehr los wird. Im schlimmsten Fall wird einen fortan nach jedem Flug am Gepäckband die Melancholie von Trennungen einholen, ohne dass man wüsste, weshalb.
Vieldeutigkeit ist eine Kunst, weil sie nichts von Beliebigkeit haben darf. Die zehn Stücke des Albums - hier nicht mitgezählt die arg verspielte und beinahe textlose Venga-Boys-Coverversion, in welcher der Chor statt "up and down" etwas albern "abändern" singt - setzen auch in dieser Hinsicht Maßstäbe. Alles ist von großer Offenheit und Dringlichkeit zugleich. Die Texte kreisen um Verbindung, Verlust und Sehnsucht: "Und ihr Schatten war sein Schatten / Der die Lebenden beweint." Bei den drei am weitesten reichenden Fragen, die auf der Platte gestellt werden und das gesamte Unbehagen an der turbokapitalistischen Gesellschaft auf den Punkt bringen, hat sich Friebe allerdings an einen anderen Meister der Privatautokratie angelehnt, an den jeder politischen, sozialen oder sexuellen Fremdbestimmung entwischten (und im Subkulturkosmos seit einigen Jahren schwer angesagten) Ronald M. Schernikau: "Was machen Götter, wenn sie niemand entdeckt? / Wie tötet man einen Tyrannen im Affekt? / Und was macht eine Königin im Dreck?" Friebe dürfte allerdings der erste und einzige Mensch überhaupt sein, der Dreck dreisilbig singt, "Dre-e-eck".
Die freundliche Ironie der Texte - "Baby, sei mein ,+1' / ich nehm' dich mit rein" als verquaste Liebeserklärung im Gästelisten-Kosmos - spiegelt sich in der Instrumentierung. Gern knattern und piepsen synthetische Billigbeats im Hintergrund, aber nie kippt das Album in elitären Berliner Zynismus ab, dafür sind all die Texte über die Reinheit der Liebe, wie das schöne "Alles über die Welt", zu ungeschützt und direkt. Man muss es Friebe unterstellen und merkt beim Unterstellen, wie wohltuend das eigentlich ist: Er meint alles ernst. Die Königin im Dreck - das verkümmerte Bewusstsein, die degradierte Menschlichkeit -, sie muss da wieder heraus, der Damm (des Covers) muss brechen, die Liebe soll gewinnen.
Zu den Hits der Platte gehören sicher auch das eröffnende Stück "Theater" - die ziemlich witzige und doch auch ziemlich realistische Bitte an das Gegenüber, doch "nicht in die Stadt" zu entschwinden, um Kunst und Kultur zu frönen: "was haben die, was ich nicht hab'" - sowie die nervös zappelige Rocknummer "Verbotene Liebe", wiederum eine Feier des Fallens, das zwischen Sturz und Aufprall schließlich kaum vom Fliegen zu unterscheiden ist: "Wir sind Herzen / Zwischen Runen / Delphinballett / Zwischen den Harpunen." Die eindringlichsten, poetischsten Bilder verbergen sich allerdings in den eher ruhigen Stücken wie "Vögel" oder "Sag ja": "Und es klingelte, und sie ging hin / Und durch die Gegensprechanlage hörte sie Vögel."
Trotzdem ist dies keine Platte für den Kopfhörer, sondern ganz entschieden für die Tanzfläche, dafür sorgen besonders Chris Imlers Schlagzeug sowie - Stichwort "abändern" - das immer wieder die hymnischen Harmonien chaotisch aufbrechende, wilde Klavierspiel Friebes im Stile von Jerry Lee Lewis, das hier die Gitarre als Leadinstrument gänzlich abgelöst hat. Popmusik als panzerbrechende Waffe.
OLIVER JUNGEN
Jens Friebe,
Abändern
ZickZack/ZickZack/What's So Funny About 1529925 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jens Friebe, Berlins bester Metaphern-Dealer, benutzt das Klavier als Leadgitarre und nimmt uns mit in den Gästelisten-Kosmos.
Popmusik kommt nicht mit dem Panzer. Deshalb verdächtigt man sie so leicht der Kollaboration. Und tatsächlich firmiert ja vieles als Pop, was nur als Soundtrack einer entmündigten Glitzerkultur taugt. Sounddreck eben. Aber das zählt nicht. Was zählt, sind die wenigen wirklichen Aufgipfelungen, die wie ein trickreicher Virus in uns eindringen und die Konfiguration ändern.
Einer der besten Partisanen des Pop ist Jens Friebe. Er hat uns vor fünf Jahren mit seinem Kennedy-Song eine Art frenetischen Algorithmus eingespeist, der seither abläuft, wo immer man zu verzweifeln droht über das Straucheln des Schönen, Guten, Wahren: "Ihr müsst sie feiern, wie sie fallen / Ich müsst mich feiern, wie ich fall / Wie die Schönste von allen / Auf dem Abschlussball."
Jetzt ist Friebes viertes und vielleicht bestes, auf jeden Fall musikalisch komplexestes Album erschienen. "Abändern" heißt es, und eben das vermag es zu tun: nicht bestätigen, nicht auflösen, sondern abändern. Dazu schmuggelt es ungekannte Bilder ins Unterbewusstsein, dezentrierte Metaphern, die so mächtig sind, dass sie sich durchsetzen gegen all die vorgefertigten Muster. Auch hat Friebe inzwischen eine durchaus autonome Gesangsrhythmik entwickelt, die ihn von der Normalmetrik zu befreien scheint. Für kaum singbar würde man schließlich eine Passage wie diese halten: "Und die Jahre, die wir brauchen, bis wir uns davon erholen / Ziehen vorbei wie fremde Koffer auf dem Band im Charles de Gaulle / Und die Lotsen winken den Piloten / Lebewohl."
Auch diese Zeilen im selben Stück schreien nicht gerade danach, Liedzeilen zu sein: "Denn ich bin wie der alte Mann aus ,Der kleine Lord' / Nur eben ohne kleinen Lord." Doch dann klingt das alles natürlich so perfekt, dass man es nicht mehr los wird. Im schlimmsten Fall wird einen fortan nach jedem Flug am Gepäckband die Melancholie von Trennungen einholen, ohne dass man wüsste, weshalb.
Vieldeutigkeit ist eine Kunst, weil sie nichts von Beliebigkeit haben darf. Die zehn Stücke des Albums - hier nicht mitgezählt die arg verspielte und beinahe textlose Venga-Boys-Coverversion, in welcher der Chor statt "up and down" etwas albern "abändern" singt - setzen auch in dieser Hinsicht Maßstäbe. Alles ist von großer Offenheit und Dringlichkeit zugleich. Die Texte kreisen um Verbindung, Verlust und Sehnsucht: "Und ihr Schatten war sein Schatten / Der die Lebenden beweint." Bei den drei am weitesten reichenden Fragen, die auf der Platte gestellt werden und das gesamte Unbehagen an der turbokapitalistischen Gesellschaft auf den Punkt bringen, hat sich Friebe allerdings an einen anderen Meister der Privatautokratie angelehnt, an den jeder politischen, sozialen oder sexuellen Fremdbestimmung entwischten (und im Subkulturkosmos seit einigen Jahren schwer angesagten) Ronald M. Schernikau: "Was machen Götter, wenn sie niemand entdeckt? / Wie tötet man einen Tyrannen im Affekt? / Und was macht eine Königin im Dreck?" Friebe dürfte allerdings der erste und einzige Mensch überhaupt sein, der Dreck dreisilbig singt, "Dre-e-eck".
Die freundliche Ironie der Texte - "Baby, sei mein ,+1' / ich nehm' dich mit rein" als verquaste Liebeserklärung im Gästelisten-Kosmos - spiegelt sich in der Instrumentierung. Gern knattern und piepsen synthetische Billigbeats im Hintergrund, aber nie kippt das Album in elitären Berliner Zynismus ab, dafür sind all die Texte über die Reinheit der Liebe, wie das schöne "Alles über die Welt", zu ungeschützt und direkt. Man muss es Friebe unterstellen und merkt beim Unterstellen, wie wohltuend das eigentlich ist: Er meint alles ernst. Die Königin im Dreck - das verkümmerte Bewusstsein, die degradierte Menschlichkeit -, sie muss da wieder heraus, der Damm (des Covers) muss brechen, die Liebe soll gewinnen.
Zu den Hits der Platte gehören sicher auch das eröffnende Stück "Theater" - die ziemlich witzige und doch auch ziemlich realistische Bitte an das Gegenüber, doch "nicht in die Stadt" zu entschwinden, um Kunst und Kultur zu frönen: "was haben die, was ich nicht hab'" - sowie die nervös zappelige Rocknummer "Verbotene Liebe", wiederum eine Feier des Fallens, das zwischen Sturz und Aufprall schließlich kaum vom Fliegen zu unterscheiden ist: "Wir sind Herzen / Zwischen Runen / Delphinballett / Zwischen den Harpunen." Die eindringlichsten, poetischsten Bilder verbergen sich allerdings in den eher ruhigen Stücken wie "Vögel" oder "Sag ja": "Und es klingelte, und sie ging hin / Und durch die Gegensprechanlage hörte sie Vögel."
Trotzdem ist dies keine Platte für den Kopfhörer, sondern ganz entschieden für die Tanzfläche, dafür sorgen besonders Chris Imlers Schlagzeug sowie - Stichwort "abändern" - das immer wieder die hymnischen Harmonien chaotisch aufbrechende, wilde Klavierspiel Friebes im Stile von Jerry Lee Lewis, das hier die Gitarre als Leadinstrument gänzlich abgelöst hat. Popmusik als panzerbrechende Waffe.
OLIVER JUNGEN
Jens Friebe,
Abändern
ZickZack/ZickZack/What's So Funny About 1529925 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main