Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 18. Oktober 2013
- Hersteller: Warner Music Group Germany Hol / Silver Lining,
- EAN: 0825646410088
- Artikelnr.: 39412631
- Herstellerkennzeichnung
- Warner Music
- Warner Music Group Germany Holding GmbH
- Alter Wandrahm 14
- 20457 Hamburg
- anfrage@warnermusic.com
CD | |||
1 | Heartbreaker | 00:03:05 | |
2 | Coup de grace | 00:03:45 | |
3 | Lost Woman Blues | 00:04:09 | |
4 | End Of Time | 00:03:17 | |
5 | Do You Believe | 00:02:59 | |
6 | Death Machine | 00:02:37 | |
7 | Dust And Glass | 00:02:51 | |
8 | Going To Mexico | 00:02:51 | |
9 | Silence When You Speak To Me | 00:04:30 | |
10 | Crying Shame | 00:04:28 | |
11 | Queen Of The Damned | 00:02:40 | |
12 | Knife | 00:02:57 | |
13 | Keep Your Powder Dry | 00:03:54 | |
14 | Paralyzed | 00:02:50 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2013Pudel des Pops
Männer mit wirren Haaren (II): Das neue Album von Motörhead will keine Experimente
Der Philosoph Arthur Schopenhauer pflegte sich einen Pudel zu halten, da ihm Menschen zu anstrengend waren. Starb der Pudel, so ersetzte er ihn durch ein möglichst identisches Exemplar. Abwechslung hielt Schopenhauer für überbewertet. Täglich spazierte er zur selben Uhrzeit mit seinem Hund am Ufer des Mains in Frankfurt entlang.
Was das mit dem neuen Album "Aftershock" der Rock-'n'-Roll-Band Motörhead zu tun hat? Nun, hätte Schopenhauer im 20. oder 21. Jahrhundert gelebt und hätte er sich infolge der Finanzkrise keine Pudel mehr leisten können, so wäre er wohl Motörhead-Fan geworden. "Aftershock" hätte er nicht etwa heruntergeladen, um sich von buntscheckigen Crossover-Experimenten überraschen zu lassen, sondern weil es sich nur in Nuancen von den mittlerweile zwanzig Vorgängeralben unterscheidet. Beim Durchhören der immer gleichen Riffs und Schüttelreime zwischen Pessimismus und schnoddrigem Trotz hätte er sich auf angenehmste Weise in seiner Erkenntnis bestätigt gefühlt: Das Leben ist genauso redundant und armselig, wie es bei illusionsfreier Betrachtung nun einmal ist. Nur die Musik macht es halbwegs erträglich.
Motörhead sind der Pudel im Popzwinger der Moderne. Die 1975 in London gegründete Band verkörpert die ewige Wiederkehr des Gleichen, den rasenden Stillstand, die dröhnende Leere. Die Grundstimmung ihrer Musik ist düster, doch der Umgang mit der Düsternis gelassen, ja heiter. Nicht von ungefähr hat Ian "Lemmy" Kilmister, Bassist, Sänger und charismatische Galionsfigur der Band, sich einmal mit Buddha verglichen. Ähnlich wie Schopenhauer, der der abendländischen Metaphysik Lebewohl sagte, sich Brahmanismus und Buddhismus zuwandte und politische Agitation für zwecklos hielt, lässt Lemmy aus kühler Distanz den ganzen Schwachsinn der Existenz an sich vorbeiziehen. Lehnt er auch Politik und Religion kategorisch ab, so ist ihm doch die Rockmusik heilig, wie er in vielen Songs ohne Ironie betont. Aber natürlich muss auch ein Pop-Heiliger seinen Glauben beglaubigen. Die persönliche Askese des "Godfather of Rock 'n' Roll" besteht darin, als Millionär weiterhin in einem mit obskuren Fan-Votivgaben und Nazi-Devotionalien vollgestopften Zwei-Zimmer-Apartment in Los Angeles zu wohnen und trotz Diabetes und Herzproblemen jährlich auf Tour zu gehen.
Aber genug der Sophisterei, die allzu sehr dem jüngeren Trend nacheifert, noch den rotzigsten Underground mit keimfreier Theoriefolie vakuumzuversiegeln. Lemmy hätte diesen krampfhaft um Originalität ringenden Text längst beiseite gelegt und sich einem unterhaltsameren Buch über den Zweiten Weltkrieg, einem inspirierenderen Glas Jack & Coke oder einem Glücksspiel zugewandt. Und sich darüber mokiert, dass alle Medien immer nur über das Phänomen Motörhead schrieben und nicht über deren Musik. In der Tat wimmelt es mittlerweile von Publizisten, die sich im Authentizitäts-Licht des oft als "letzten echten Rockers" bezeichneten 67-Jährigen sonnen, aber wenig mehr als seinen Gassenhauer "Ace of Spades" (1980) kennen.
Welche Stellung nimmt "Aftershock" also im Motörhead-Kosmos ein? Nach einer für Motörhead-Verhältnisse ansatzweise experimentellen Phase in den neunziger Jahren mit Alben wie "1916" (1991) und "Bastards" (1993) sind die jüngeren Alben wieder stärker an der Aufbruchphase der siebziger und achtziger Jahre orientiert. Damals erfanden Motörhead mit Doublebass-Attacken den Speed Metal und verquickten ihn mit Punk, Rock 'n' Roll und Blues. Kurze Songs, Pentatonik-Skalen, derbe Verzerrung, Kneipenlyrik, Outlaw-Image. Das ergab und ergibt auch jetzt eine Musik, die nicht Kunst sein möchte, sondern primär Haltung, Lebensgefühl, Lebenshilfe: "The answer to life's mystery is simple and direct: sex and death", heißt es in "Sex & Death" auf "Sacrifice" (1995), einem der meistunterschätzten Motörhead-Alben. Konfrontiere dich mit der Leere der Existenz - und überwinde sie in der Musik! So schlägt denn auch "Sex & Death" mit heiteren Punkriffs in Bejahung um: "We know what we do / We do what we must / And we admire our attitude." Genau diesen kunstreligiös gefärbten Aufruf zur erbaulichen Ernüchterung und zu einem Pessimismus der Stärke vertraten auch Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Sie drückten sich nur etwas komplizierter aus. Unter den Veröffentlichungen der nuller Jahre sticht "Aftershock" nicht sonderlich hervor, gegen die frische Härte von "Inferno" (2004) fällt es sogar etwas ab. Einzig der Refrain von "Going to Mexico" verbreitet ein wenig Let's-go!-Euphorie. Andererseits tritt diesmal des Pudels Kern umso deutlicher in Erscheinung. Bei Motörhead erhalten die Hörer auch 2013 nur solche Einsichten und Ratschläge, die wirklich nützlich sind. Ideologiefrei, kompakt, zeitlos, universell einsetzbar. Hieß es einst "stay out of jail" oder "the chase is better than the catch", so folgen nun Losungen wie "so it goes", "everything is strange", "stand your ground", "don't believe a word", "make your way", "seize the time", "too many rules" oder "keep your powder dry". Dies sind die Texte, die Schopenhauer und Nietzsche nicht zu schreiben wagten, obwohl sie sie ihrer nihilistischen Philosophie gemäß eigentlich hätten schreiben müssen. Wagt man sich zu weit vor, wenn man behauptet, erst Lemmy habe Form und Inhalt im heiteren Nihilismus zu einer Synthese gebracht? Huch, da ist sie wieder, die Sophisterei!
Aber wo wir schon dabei sind und ohnehin nichts anderes gelernt haben: Betrachtet man Motörhead im Kontext der Gegenwart, so ist frappant, wie zeitgemäß die Haltung der Band ist. In der Ära der Post-Originalität und der Re-Kreativität, des Recyclings und des Appropriierens, ja überhaupt des "Lobs der Kopie" (Dirk von Gehlen) erscheinen Lemmy & Co. als unfreiwillige Wegbereiter der neuen Skepsis gegenüber dem Neuen. Wenig verwunderlich, dass selbst die Tour-Tagebücher der Intellekt-Popper Tocotronic von einem Motörhead-Zitat eingeleitet werden, verkündet deren Sänger Dirk von Lowtzow doch im Song "Monchichi" (2013): "Befreit mich von der Barbarei der kreativen Energie, es leben Fälschung und Kopie!" Netter Versuch. Doch Motörhead sind längst dort, wo Tocotronic eigentlich hinwollen.
JÖRG SCHELLER
"Aftershock" (Rykodisc/Warner)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Männer mit wirren Haaren (II): Das neue Album von Motörhead will keine Experimente
Der Philosoph Arthur Schopenhauer pflegte sich einen Pudel zu halten, da ihm Menschen zu anstrengend waren. Starb der Pudel, so ersetzte er ihn durch ein möglichst identisches Exemplar. Abwechslung hielt Schopenhauer für überbewertet. Täglich spazierte er zur selben Uhrzeit mit seinem Hund am Ufer des Mains in Frankfurt entlang.
Was das mit dem neuen Album "Aftershock" der Rock-'n'-Roll-Band Motörhead zu tun hat? Nun, hätte Schopenhauer im 20. oder 21. Jahrhundert gelebt und hätte er sich infolge der Finanzkrise keine Pudel mehr leisten können, so wäre er wohl Motörhead-Fan geworden. "Aftershock" hätte er nicht etwa heruntergeladen, um sich von buntscheckigen Crossover-Experimenten überraschen zu lassen, sondern weil es sich nur in Nuancen von den mittlerweile zwanzig Vorgängeralben unterscheidet. Beim Durchhören der immer gleichen Riffs und Schüttelreime zwischen Pessimismus und schnoddrigem Trotz hätte er sich auf angenehmste Weise in seiner Erkenntnis bestätigt gefühlt: Das Leben ist genauso redundant und armselig, wie es bei illusionsfreier Betrachtung nun einmal ist. Nur die Musik macht es halbwegs erträglich.
Motörhead sind der Pudel im Popzwinger der Moderne. Die 1975 in London gegründete Band verkörpert die ewige Wiederkehr des Gleichen, den rasenden Stillstand, die dröhnende Leere. Die Grundstimmung ihrer Musik ist düster, doch der Umgang mit der Düsternis gelassen, ja heiter. Nicht von ungefähr hat Ian "Lemmy" Kilmister, Bassist, Sänger und charismatische Galionsfigur der Band, sich einmal mit Buddha verglichen. Ähnlich wie Schopenhauer, der der abendländischen Metaphysik Lebewohl sagte, sich Brahmanismus und Buddhismus zuwandte und politische Agitation für zwecklos hielt, lässt Lemmy aus kühler Distanz den ganzen Schwachsinn der Existenz an sich vorbeiziehen. Lehnt er auch Politik und Religion kategorisch ab, so ist ihm doch die Rockmusik heilig, wie er in vielen Songs ohne Ironie betont. Aber natürlich muss auch ein Pop-Heiliger seinen Glauben beglaubigen. Die persönliche Askese des "Godfather of Rock 'n' Roll" besteht darin, als Millionär weiterhin in einem mit obskuren Fan-Votivgaben und Nazi-Devotionalien vollgestopften Zwei-Zimmer-Apartment in Los Angeles zu wohnen und trotz Diabetes und Herzproblemen jährlich auf Tour zu gehen.
Aber genug der Sophisterei, die allzu sehr dem jüngeren Trend nacheifert, noch den rotzigsten Underground mit keimfreier Theoriefolie vakuumzuversiegeln. Lemmy hätte diesen krampfhaft um Originalität ringenden Text längst beiseite gelegt und sich einem unterhaltsameren Buch über den Zweiten Weltkrieg, einem inspirierenderen Glas Jack & Coke oder einem Glücksspiel zugewandt. Und sich darüber mokiert, dass alle Medien immer nur über das Phänomen Motörhead schrieben und nicht über deren Musik. In der Tat wimmelt es mittlerweile von Publizisten, die sich im Authentizitäts-Licht des oft als "letzten echten Rockers" bezeichneten 67-Jährigen sonnen, aber wenig mehr als seinen Gassenhauer "Ace of Spades" (1980) kennen.
Welche Stellung nimmt "Aftershock" also im Motörhead-Kosmos ein? Nach einer für Motörhead-Verhältnisse ansatzweise experimentellen Phase in den neunziger Jahren mit Alben wie "1916" (1991) und "Bastards" (1993) sind die jüngeren Alben wieder stärker an der Aufbruchphase der siebziger und achtziger Jahre orientiert. Damals erfanden Motörhead mit Doublebass-Attacken den Speed Metal und verquickten ihn mit Punk, Rock 'n' Roll und Blues. Kurze Songs, Pentatonik-Skalen, derbe Verzerrung, Kneipenlyrik, Outlaw-Image. Das ergab und ergibt auch jetzt eine Musik, die nicht Kunst sein möchte, sondern primär Haltung, Lebensgefühl, Lebenshilfe: "The answer to life's mystery is simple and direct: sex and death", heißt es in "Sex & Death" auf "Sacrifice" (1995), einem der meistunterschätzten Motörhead-Alben. Konfrontiere dich mit der Leere der Existenz - und überwinde sie in der Musik! So schlägt denn auch "Sex & Death" mit heiteren Punkriffs in Bejahung um: "We know what we do / We do what we must / And we admire our attitude." Genau diesen kunstreligiös gefärbten Aufruf zur erbaulichen Ernüchterung und zu einem Pessimismus der Stärke vertraten auch Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Sie drückten sich nur etwas komplizierter aus. Unter den Veröffentlichungen der nuller Jahre sticht "Aftershock" nicht sonderlich hervor, gegen die frische Härte von "Inferno" (2004) fällt es sogar etwas ab. Einzig der Refrain von "Going to Mexico" verbreitet ein wenig Let's-go!-Euphorie. Andererseits tritt diesmal des Pudels Kern umso deutlicher in Erscheinung. Bei Motörhead erhalten die Hörer auch 2013 nur solche Einsichten und Ratschläge, die wirklich nützlich sind. Ideologiefrei, kompakt, zeitlos, universell einsetzbar. Hieß es einst "stay out of jail" oder "the chase is better than the catch", so folgen nun Losungen wie "so it goes", "everything is strange", "stand your ground", "don't believe a word", "make your way", "seize the time", "too many rules" oder "keep your powder dry". Dies sind die Texte, die Schopenhauer und Nietzsche nicht zu schreiben wagten, obwohl sie sie ihrer nihilistischen Philosophie gemäß eigentlich hätten schreiben müssen. Wagt man sich zu weit vor, wenn man behauptet, erst Lemmy habe Form und Inhalt im heiteren Nihilismus zu einer Synthese gebracht? Huch, da ist sie wieder, die Sophisterei!
Aber wo wir schon dabei sind und ohnehin nichts anderes gelernt haben: Betrachtet man Motörhead im Kontext der Gegenwart, so ist frappant, wie zeitgemäß die Haltung der Band ist. In der Ära der Post-Originalität und der Re-Kreativität, des Recyclings und des Appropriierens, ja überhaupt des "Lobs der Kopie" (Dirk von Gehlen) erscheinen Lemmy & Co. als unfreiwillige Wegbereiter der neuen Skepsis gegenüber dem Neuen. Wenig verwunderlich, dass selbst die Tour-Tagebücher der Intellekt-Popper Tocotronic von einem Motörhead-Zitat eingeleitet werden, verkündet deren Sänger Dirk von Lowtzow doch im Song "Monchichi" (2013): "Befreit mich von der Barbarei der kreativen Energie, es leben Fälschung und Kopie!" Netter Versuch. Doch Motörhead sind längst dort, wo Tocotronic eigentlich hinwollen.
JÖRG SCHELLER
"Aftershock" (Rykodisc/Warner)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main