Produktdetails
- Hersteller: UK, 2004,
- EAN: 8012719230120
- Artikelnr.: 35816259
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2023Festbankett der Totenvögel
Problematisch, drastisch, klug: Lydia Steier dringt an der Oper Frankfurt in Giuseppe Verdis "Aida" durch beklemmende äußere Grausamkeiten vor in die Innenräume beschädigter Seelen. Das Publikum gerät außer sich vor Erregung.
Die Oper des 19. Jahrhunderts ist ein Schlachthof - und eine der blutigsten Kammern darin Giuseppe Verdis "Aida". Die große Politik, Hintergrund der meisten Werke Verdis, rückt den Handelnden hier an die Haut: bei der Frage, ob man Kriegsgefangene einfach töten soll, ob eine Liebende ihren Geliebten für ihr Vaterland verraten darf und was noch bleibt, wenn Heldentum und Liebe nicht gelebt werden können - die Antwort: der Tod. Was eigentlich der Anlass ist für den zerstörerischen Krieg zwischen Ägypten und Äthiopien, erfährt man übrigens von Antonio Ghislanzonis Libretto nicht.
Während Lydia Steiers Inszenierung in der Frankfurter Oper (anknüpfend an ihre Heidelberger Produktion von 2011) von Akt zu Akt auf die Grausamkeiten des Librettos neue und drastischere Grausamkeiten häufte, war in der Pause da und dort die Meinung zu hören, "jetzt" müsse man eben den Krieg in all seiner Brutalität zeigen. Jetzt also kann man "Aida" nicht mehr lukullisch genießen, so Arena-di-Verona-mäßig mit echten Elefanten und falschen Pyramiden? Waren denn Krieg, Verschleppung, Völkermord vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren besser bekömmlich, leichter zu verdrängen? 42 Jahre ist es her, seit der Regisseur Hans Neuenfels in Frankfurt zuletzt "Aida" als Putzfrau zum großen Opernskandal gemacht hat. Steier hat ihrerseits in Berlin als Regieassistentin bei Calixto Bieitos ähnlich skandalerregender Interpretation von Mozarts "Entführung aus dem Serail" mitgewirkt. Das merkt man.
Zugleich lässt sich die Produktion als Hommage an Neuenfels verstehen: Auch hier putzt Aida in der Eröffnungsszene in einem von Katharina Schlipf verrottet angelegten Feldherrnbetonbunker zunächst die Spuren eines Massakers weg. Dabei trägt sie wie alle anderen Sklavinnen der Amneris ein rosa Kleid mit weißer Schürze, das sicher nur ganz zufällig an die Kellnerinnen der österreichischen Konditoreikette "Aida" erinnert. Radamès ist der Swimmingpool-Wart. Die geistlich-weltlichen Würdenträger schleppen sich mit Rollator, Krücken, Katheter, Rollstuhl herein wie einst das Politbüro, und auch der hinfällige Pharao, der während des Triumphzugs von seinen beiden Leibgardistinnen wiederbelebt werden muss, erinnert an die Vergreisung von KPdSU-Generalsekretären (jenes Stadium, auf das sich Putin langsam, aber sicher zubewegt).
Im zweiten Akt wird Steiers Verpflichtung auf Bieitos Theater des Grand-Guignol überdeutlich, wenn im Gemach der bösartig-dekadenten Pharaonentochter Amneris, Aidas Rivalin, und dann beim Einzug von Radamès nach dem Sieg über die Äthiopier ausgesprochen Drastisches geschieht. Würde die Oper Frankfurt - wie etwa das Deutsche Nationaltheater Weimar - schon Triggerwarnungen für ihre Inszenierungen ausgeben, sie müssten allein für diesen Akt mindestens lauten: Bombenkriegsgeräusche während der Umbauverdunkelung, seelische und körperliche Gewalt, Verstümmelung, Mord, Opfer eines Kindes, Gebrauch von Drogen, ein Horrorclown, falsche Elefanten.
Das liest sich und war auch beklemmend und beängstigend. Weitaus wirkungsvoller sind jedoch die ruhigeren Momente, in denen plötzlich - auch dank der ausgeklügelten Lichtregie von Joachim Klein - die hysterische Dynamik aus den Massenszenen schwindet, der desolate Bunker als Innenraum beschädigter Seelen begreiflich wird. So etwa beim "Ritorna vincitor" von Aida, als ihr klar wird, dass Radamès, dessen siegreiche Rückkehr sie wünscht, gegen ihr eigenes Volk ins Feld zieht. Guanqun Yu, als Einzige vom herabsinkenden grünen Dämmer und den erstarrenden Bewegungen der eben noch kriegsgeilen Meute um sie herum verschont, wiegt sich Rücken an Rücken mit dem geliebten Radamès und könnte ihm doch in diesem Moment ferner nicht sein. Der Oberpriester Ramfis (Andreas Bauer Kanabas) ist ein traumatisiertes Wrack, abhängig von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln, zynisch die Macht des senilen Pharaos verwaltend und nur Amneris gegenüber einen Anflug von Zärtlichkeit zeigend. Ihm werden die Priesterchöre zu infernalisch quälenden Stimmen im Kopf; ihm erscheinen zwei menschengroße Totenvögel, denen er seine Feldherren schon als Kinder zum Fraß vorwirft. Auch der allseits beliebte Triumphmarsch wird nur von diesen Totenvögeln bestritten, der eine tritt von rechts in As-Dur auf, der zweite von links in H-Dur, nachdenklich, fast genüsslich sehen sie sich um und ziehen sich wieder zurück.
In den beiden letzten Akten wird die Inszenierung, wie einst bei Peter Konwitschny, zum radikalen Kammerspiel. Hier vor allem zeigt Steier, dass sie nicht nur virtuos Massenszenen voll böser kleiner Details inszenieren kann (wie das geheuchelte Mitleid der aufgetakelten Siegesparty-Gesellschaftsdamen mit den Kriegsgefangenen), sondern auch die verstörende Flucht der Liebenden in den Tod als abgrundtiefe Verzweiflung bei Siegern wie Besiegten. Die harfenumrauschte Ges-Dur-Verklärung, die Verdi komponiert hat, erscheint nicht mehr glaubhaft.
Viel war hier von der Inszenierung, wenig bisher von der Musik die Rede. Tatsächlich ist sie ständig in Gefahr, in den Hintergrund gedrängt zu werden, aber die interpretatorische Leistung ist auch ein paar Pegel niedriger als in Frankfurt üblich. Guanqun Yu singt schön und in den leisen Abschnitten (das "Numi, pietà!", das Schlussduett) sehr schön, wirkt aber szenisch wie sängerisch emotional oft allzu zurückhaltend; dass die Sängerin sich während des dritten Akts am Fuß verletzt hatte, mag hinzugekommen sein. Stefano La Colla (Radamès) hatte mit Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen, die Töne selbst aber gelangen strahlend und ausdrucksvoll. Claudia Mahnke gelang die absurde Kreuzung aus sadistischer Hyäne und liebender Frau, die die Regie der Amneris zumutete, glaubhafter, bewegender als der Kampf gegen ihr raues Vibrato und gegen das von Dirigent Erik Nielsen oft zu übergroßer Lautstärke angehaltene Orchester. Besser meisterte Nicholas Brownlee die kurze, aber brutal fordernde Partie des Amonasro, am überzeugendsten sang und spielte Andreas Bauer Kanabas, und natürlich war der Chor unter der Leitung von Tilman Michael ebenfalls kraftvoll bis an den Rand zur Barbarei.
Ungewohnt deutliche Buhrufe für das Regieteam beschlossen den Abend. Von der Randale, die bei Neuenfels damals losgebrochen sein muss, war das sicher weit entfernt, aber es spricht auf seine Art auch für diese problematische, wenn auch kluge, drastische, doch auch mitfühlende Produktion. WOLFGANG FUHRMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Problematisch, drastisch, klug: Lydia Steier dringt an der Oper Frankfurt in Giuseppe Verdis "Aida" durch beklemmende äußere Grausamkeiten vor in die Innenräume beschädigter Seelen. Das Publikum gerät außer sich vor Erregung.
Die Oper des 19. Jahrhunderts ist ein Schlachthof - und eine der blutigsten Kammern darin Giuseppe Verdis "Aida". Die große Politik, Hintergrund der meisten Werke Verdis, rückt den Handelnden hier an die Haut: bei der Frage, ob man Kriegsgefangene einfach töten soll, ob eine Liebende ihren Geliebten für ihr Vaterland verraten darf und was noch bleibt, wenn Heldentum und Liebe nicht gelebt werden können - die Antwort: der Tod. Was eigentlich der Anlass ist für den zerstörerischen Krieg zwischen Ägypten und Äthiopien, erfährt man übrigens von Antonio Ghislanzonis Libretto nicht.
Während Lydia Steiers Inszenierung in der Frankfurter Oper (anknüpfend an ihre Heidelberger Produktion von 2011) von Akt zu Akt auf die Grausamkeiten des Librettos neue und drastischere Grausamkeiten häufte, war in der Pause da und dort die Meinung zu hören, "jetzt" müsse man eben den Krieg in all seiner Brutalität zeigen. Jetzt also kann man "Aida" nicht mehr lukullisch genießen, so Arena-di-Verona-mäßig mit echten Elefanten und falschen Pyramiden? Waren denn Krieg, Verschleppung, Völkermord vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren besser bekömmlich, leichter zu verdrängen? 42 Jahre ist es her, seit der Regisseur Hans Neuenfels in Frankfurt zuletzt "Aida" als Putzfrau zum großen Opernskandal gemacht hat. Steier hat ihrerseits in Berlin als Regieassistentin bei Calixto Bieitos ähnlich skandalerregender Interpretation von Mozarts "Entführung aus dem Serail" mitgewirkt. Das merkt man.
Zugleich lässt sich die Produktion als Hommage an Neuenfels verstehen: Auch hier putzt Aida in der Eröffnungsszene in einem von Katharina Schlipf verrottet angelegten Feldherrnbetonbunker zunächst die Spuren eines Massakers weg. Dabei trägt sie wie alle anderen Sklavinnen der Amneris ein rosa Kleid mit weißer Schürze, das sicher nur ganz zufällig an die Kellnerinnen der österreichischen Konditoreikette "Aida" erinnert. Radamès ist der Swimmingpool-Wart. Die geistlich-weltlichen Würdenträger schleppen sich mit Rollator, Krücken, Katheter, Rollstuhl herein wie einst das Politbüro, und auch der hinfällige Pharao, der während des Triumphzugs von seinen beiden Leibgardistinnen wiederbelebt werden muss, erinnert an die Vergreisung von KPdSU-Generalsekretären (jenes Stadium, auf das sich Putin langsam, aber sicher zubewegt).
Im zweiten Akt wird Steiers Verpflichtung auf Bieitos Theater des Grand-Guignol überdeutlich, wenn im Gemach der bösartig-dekadenten Pharaonentochter Amneris, Aidas Rivalin, und dann beim Einzug von Radamès nach dem Sieg über die Äthiopier ausgesprochen Drastisches geschieht. Würde die Oper Frankfurt - wie etwa das Deutsche Nationaltheater Weimar - schon Triggerwarnungen für ihre Inszenierungen ausgeben, sie müssten allein für diesen Akt mindestens lauten: Bombenkriegsgeräusche während der Umbauverdunkelung, seelische und körperliche Gewalt, Verstümmelung, Mord, Opfer eines Kindes, Gebrauch von Drogen, ein Horrorclown, falsche Elefanten.
Das liest sich und war auch beklemmend und beängstigend. Weitaus wirkungsvoller sind jedoch die ruhigeren Momente, in denen plötzlich - auch dank der ausgeklügelten Lichtregie von Joachim Klein - die hysterische Dynamik aus den Massenszenen schwindet, der desolate Bunker als Innenraum beschädigter Seelen begreiflich wird. So etwa beim "Ritorna vincitor" von Aida, als ihr klar wird, dass Radamès, dessen siegreiche Rückkehr sie wünscht, gegen ihr eigenes Volk ins Feld zieht. Guanqun Yu, als Einzige vom herabsinkenden grünen Dämmer und den erstarrenden Bewegungen der eben noch kriegsgeilen Meute um sie herum verschont, wiegt sich Rücken an Rücken mit dem geliebten Radamès und könnte ihm doch in diesem Moment ferner nicht sein. Der Oberpriester Ramfis (Andreas Bauer Kanabas) ist ein traumatisiertes Wrack, abhängig von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln, zynisch die Macht des senilen Pharaos verwaltend und nur Amneris gegenüber einen Anflug von Zärtlichkeit zeigend. Ihm werden die Priesterchöre zu infernalisch quälenden Stimmen im Kopf; ihm erscheinen zwei menschengroße Totenvögel, denen er seine Feldherren schon als Kinder zum Fraß vorwirft. Auch der allseits beliebte Triumphmarsch wird nur von diesen Totenvögeln bestritten, der eine tritt von rechts in As-Dur auf, der zweite von links in H-Dur, nachdenklich, fast genüsslich sehen sie sich um und ziehen sich wieder zurück.
In den beiden letzten Akten wird die Inszenierung, wie einst bei Peter Konwitschny, zum radikalen Kammerspiel. Hier vor allem zeigt Steier, dass sie nicht nur virtuos Massenszenen voll böser kleiner Details inszenieren kann (wie das geheuchelte Mitleid der aufgetakelten Siegesparty-Gesellschaftsdamen mit den Kriegsgefangenen), sondern auch die verstörende Flucht der Liebenden in den Tod als abgrundtiefe Verzweiflung bei Siegern wie Besiegten. Die harfenumrauschte Ges-Dur-Verklärung, die Verdi komponiert hat, erscheint nicht mehr glaubhaft.
Viel war hier von der Inszenierung, wenig bisher von der Musik die Rede. Tatsächlich ist sie ständig in Gefahr, in den Hintergrund gedrängt zu werden, aber die interpretatorische Leistung ist auch ein paar Pegel niedriger als in Frankfurt üblich. Guanqun Yu singt schön und in den leisen Abschnitten (das "Numi, pietà!", das Schlussduett) sehr schön, wirkt aber szenisch wie sängerisch emotional oft allzu zurückhaltend; dass die Sängerin sich während des dritten Akts am Fuß verletzt hatte, mag hinzugekommen sein. Stefano La Colla (Radamès) hatte mit Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen, die Töne selbst aber gelangen strahlend und ausdrucksvoll. Claudia Mahnke gelang die absurde Kreuzung aus sadistischer Hyäne und liebender Frau, die die Regie der Amneris zumutete, glaubhafter, bewegender als der Kampf gegen ihr raues Vibrato und gegen das von Dirigent Erik Nielsen oft zu übergroßer Lautstärke angehaltene Orchester. Besser meisterte Nicholas Brownlee die kurze, aber brutal fordernde Partie des Amonasro, am überzeugendsten sang und spielte Andreas Bauer Kanabas, und natürlich war der Chor unter der Leitung von Tilman Michael ebenfalls kraftvoll bis an den Rand zur Barbarei.
Ungewohnt deutliche Buhrufe für das Regieteam beschlossen den Abend. Von der Randale, die bei Neuenfels damals losgebrochen sein muss, war das sicher weit entfernt, aber es spricht auf seine Art auch für diese problematische, wenn auch kluge, drastische, doch auch mitfühlende Produktion. WOLFGANG FUHRMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main