Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 1. Dezember 2013
- Hersteller: note 1 music gmbh / Supraphon,
- EAN: 0099925369422
- Artikelnr.: 20035497
CD | |||
1 | Sinfonie Nr. 5 H 310 | ||
2 | 2. Larghetto | 00:08:49 | |
3 | 3. Lento - Allegro | 00:13:16 | |
4 | Sinfonie Nr. 6 H 343 "Sinfonische Fantasien" | ||
5 | 2. Poco allegro | 00:07:37 | |
6 | 3. Lento | 00:10:40 | |
7 | Mahnmal für Lidice (Památnik Lidicim) H 296 | 00:08:38 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2004Böhmens Symphonien sind stärker als Heydrichs Rächer
Volkstümliches tümelt nicht in einem Dirigentenleben auf der Flucht: Karel Ancerls Plattenerfolge mit der tschechischen Philharmonie
Seinen ersten Medienauftritt hatte er unter gespenstischen Umständen. Im Jahre 1944 tauchte der zwei Jahre zuvor nach Theresienstadt deportierte böhmische Musiker Karel Ancerl für einen Augenblick als Dirigent auf in jenem Film, der unter dem zynischen Titel "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" der Welt ein menschenwürdiges Leben in dem längst als Durchgangsstation nach Auschwitz fungierenden Ghetto Terezín vortäuschen sollte. Zur Regie war der Berliner Kabarett- und Filmstar Kurt Gerron gezwungen worden, der 1928 in der "Dreigroschenoper" Mackie Messer kreiert hatte.
Mit Gerron wurden dann im Oktober 1944 die meisten der am Film Beteiligten nach Auschwitz verschleppt und in den Gaskammern umgebracht. Karel Ancerl erlebte, im Gegensatz zu seiner Frau und seinem gleichfalls ermordeten Sohn, die Befreiung durch die Rote Armee 1945 wie durch ein Wunder. Ironie der Geschichte: Als 1968 sowjetische Panzer in die Tschechoslowakei eindrangen, floh Ancerl vor seinen einstigen Befreiern, die nun als Okkupanten jenes Pflänzchen erstickten, das unter dem Namen des wesentlich von ihm geprägten Musikfestivals "Prager Frühling" zu einer politischen Hoffnungschiffre im Kommunismus geworden war. Damit verlor das Land seinen führenden Dirigenten - 1961 war Václav Talich gestorben, Rafael Kubelík hatte schon nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 die Heimat verlassen.
Gleich nach Kriegsende war Ancerl zum Dramaturgen und Kapellmeister der Prager "Oper des 5. Mai" ernannt worden. Dort profilierte er sich im Haus des ehemals Neuen Deutschen Theaters (später Smetana-Theater, heute Staatsoper) mit dem Regisseur und Dirigenten Václav Kaslík unter dem Intendanten Alois Hába, dessen Vierteltonoper "Die Mutter" er 1931 im Münchener Gärtnerplatztheater für Hermann Scherchen einstudiert hatte und nun selbst dirigierte. Im Jahr 1947 wurde Ancerl dann Chefdirigent des Prager Rundfunk-Orchesters, 1950 bei der Tschechischen Philharmonie. In achtzehn Jahren führte er das Orchester zu internationaler Anerkennung, für die auch zahlreiche Schallplatten stehen. Als Emigrant zog es ihn nach Kanada, wo er 1969 Chefdirigent in Toronto wurde und 1973 starb. Zwei Jahrzehnte später fand er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf dem Prager Vysehrad-Friedhof seine letzte Ruhe.
Der ohne autoritäre Allüren auftretende Ancerl gehört zu den Großen seines Fachs, in der Vielzahl seiner Produktionen mit Herbert von Karajan vergleichbar. Auch in der Neigung, mit hoher Kunst der Übergänge die interpretierten Werke als organisch entwickelte Großform darzustellen, ähnelte er dem österreichischen Kollegen desselben Jahrgangs. Dem Klangzauberer Karajan ist er nie nachgestrebt, dafür hat er ihn an rhythmischer Spannkraft übertroffen. Das diskographische Erbe Ancerls ruht auf drei Säulen. Die Qualitäten des Dirigenten wird man den bei Tahra erschienenen Rundfunkmitschnitten aus seiner Emigrationszeit mit Werken des klassisch-romantischen Standardrepertoires nur umrißhaft entnehmen können. Einen perspektivenreichen Einblick in Ancerls Vorlieben bietet dagegen das Doppelalbum der EMI-Reihe "Great Conductors" mit Aufnahmen aus dem slawischen Repertoire aus der Zeit zwischen 1950 und 1971. Tschechische Werke wie Vítezslav Nováks "In der Hohen Tatra" - Ancerls erste Aufnahme mit der Tschechischen Philharmonie 1950 -, Janáceks unter Hochspannung gesetzter "Taras Bulba", Otmar Máchas beklemmende "Variationen über ein Thema und den Tod von Ján Rychlík" oder Isa Krejcís muntere "Serenade für Orchester" vermitteln das Porträt eines Dirigenten, der nationalkulturelle Aspekte nie plakativ ausstellte.
Das belegt auch Smetanas unverwüstliche "Moldau" mit den Wiener Symphonikern. Die zweite Compactdisc der Kassette spiegelt Ancerls Spätphase in Dvoráks Achter und Martinus Fünfter Symphonie, 1970 mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orkest und 1971 mit dem Toronto Symphony Orchestra einfühlsam interpretiert. Zentral für das diskographische Schaffen des Dirigenten ist eine von Supraphon nach sorgsamer Restaurierung edierte "Gold Edition" von Prager Studioaufnahmen mit der Tschechischen Philharmonie, von der bislang zweiundvierzig Platten vorliegen. Darunter seine Sicht auf Dvoráks Requiem, von Supraphon 1959 zusammen mit der Deutschen Grammophon fixiert (SU 3673): ebenso ein Klassiker der Schallplattengeschichte wie Janáceks wenige Jahre später eingespielte "Glagolitische Messe", zusammen mit "Taras Bulba" auf SU 3667.
Zu Ancerls letzten Einspielungen vor der Emigration gehören Strawinskys Oper "Oedipus Rex" (mit Ivo Zídek in der Titelrolle und Vera Soukupová als Jokaste) und die Psalmensymphonie (SU 3674): Interpretationen, die an formaler Strenge und, im Fall der Chorsymphonie, an dunkler Glut keine Konkurrenz zu fürchten haben. Zu den Prunkstücken von Ancerls Diskographie gehört auch seine Auswahl aus den Konzertsuiten nach Prokofjews Ballett "Romeo und Julia" von 1959, gekoppelt mit "Peter und der Wolf" (mit englischem Erzähler auf SU 3676). Die Verbindung von rhythmischer Delikatesse, lyrischem Verströmen und dramatischer Aufgipfelung ist in keiner späteren Aufnahme übertroffen worden. Einer Ehrenrettung gleich kam 1961 die Einspielung des von Tibor Serly umstritten aufführungsreif gemachten Bratschenkonzerts Béla Bartóks mit dem Solisten Jaroslav Karlovský. Sie ist hier gekoppelt mit Bartóks zwei Jahre später produziertem Konzert für Orchester (SU 3686), das mit der rhythmischen Präzision der Sätze II und IV sowie der transparenten Polyphonie im Finale nach wie vor einen diskographischen Spitzenplatz behauptet. Daß Ancerl ein sensibler Begleiter war, zeigen neben dem Bartókschen Bratschenkonzert unter anderem die Violinkonzerte mit Josef Suk: Dvoráks Konzert - die eindringlichste Schallplattenaufnahme überhaupt - und die g-Moll-Phantasie von Suks Vater (SU 3668) sowie die Konzerte von Mendelssohn, Bruch (Nr. I) und Alban Berg (SU 3663) sind dafür imponierende Beispiele.
Engagiert pflegte Ancerl unter den Argusaugen der Kulturbürokratie den nach der kommunistischen Machtübernahme nicht mehr in die CSSR zurückgekehrten Emigranten Bohuslav Martinu. Sein 1959 eingespieltes Lidice-Memorial zum Gedenken des von einer SS-Einheit aus Rache für das Attentat auf Heydrich vernichteten Dorfs beeindruckt unter Ancerls breiter, nie sentimentaler Direktion ebenso wie die aus derselben Produktionszeit stammenden Symphonien Nr. 5 und 6 (SU 3694).
Eine Rarität ist der mit dem dritten Klavierkonzert (Solist: Josef Pálenícek) gekoppelte Zyklus "Blumenstrauß" Martinus (SU 3672): vertonte Volkstexte für Solisten, Kinder- und gemischten Chor sowie kleines Orchester. Ancerls Mono-Aufnahme von 1955 ist, auch in ihrer Transparenz, das bewegende Beispiel einer nie tümelnden Volkstümlichkeit - vielleicht die persönlichste Aufnahme dieses großen und unprätentiösen Dirigenten.
ULRICH SCHREIBER
Great Conductors - Karel Ancerl. Mit Werken von Smetana, Martinu, Janácek und anderen. EMI CZS 5 75091
Karel Ancerl - Gold Edition. Zweiundvierzig einzeln erhältliche CDs mit der Tschechischen Philharmonie auf Supraphon SU 3661/3702 (Vertrieb: Codaex)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Volkstümliches tümelt nicht in einem Dirigentenleben auf der Flucht: Karel Ancerls Plattenerfolge mit der tschechischen Philharmonie
Seinen ersten Medienauftritt hatte er unter gespenstischen Umständen. Im Jahre 1944 tauchte der zwei Jahre zuvor nach Theresienstadt deportierte böhmische Musiker Karel Ancerl für einen Augenblick als Dirigent auf in jenem Film, der unter dem zynischen Titel "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" der Welt ein menschenwürdiges Leben in dem längst als Durchgangsstation nach Auschwitz fungierenden Ghetto Terezín vortäuschen sollte. Zur Regie war der Berliner Kabarett- und Filmstar Kurt Gerron gezwungen worden, der 1928 in der "Dreigroschenoper" Mackie Messer kreiert hatte.
Mit Gerron wurden dann im Oktober 1944 die meisten der am Film Beteiligten nach Auschwitz verschleppt und in den Gaskammern umgebracht. Karel Ancerl erlebte, im Gegensatz zu seiner Frau und seinem gleichfalls ermordeten Sohn, die Befreiung durch die Rote Armee 1945 wie durch ein Wunder. Ironie der Geschichte: Als 1968 sowjetische Panzer in die Tschechoslowakei eindrangen, floh Ancerl vor seinen einstigen Befreiern, die nun als Okkupanten jenes Pflänzchen erstickten, das unter dem Namen des wesentlich von ihm geprägten Musikfestivals "Prager Frühling" zu einer politischen Hoffnungschiffre im Kommunismus geworden war. Damit verlor das Land seinen führenden Dirigenten - 1961 war Václav Talich gestorben, Rafael Kubelík hatte schon nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 die Heimat verlassen.
Gleich nach Kriegsende war Ancerl zum Dramaturgen und Kapellmeister der Prager "Oper des 5. Mai" ernannt worden. Dort profilierte er sich im Haus des ehemals Neuen Deutschen Theaters (später Smetana-Theater, heute Staatsoper) mit dem Regisseur und Dirigenten Václav Kaslík unter dem Intendanten Alois Hába, dessen Vierteltonoper "Die Mutter" er 1931 im Münchener Gärtnerplatztheater für Hermann Scherchen einstudiert hatte und nun selbst dirigierte. Im Jahr 1947 wurde Ancerl dann Chefdirigent des Prager Rundfunk-Orchesters, 1950 bei der Tschechischen Philharmonie. In achtzehn Jahren führte er das Orchester zu internationaler Anerkennung, für die auch zahlreiche Schallplatten stehen. Als Emigrant zog es ihn nach Kanada, wo er 1969 Chefdirigent in Toronto wurde und 1973 starb. Zwei Jahrzehnte später fand er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf dem Prager Vysehrad-Friedhof seine letzte Ruhe.
Der ohne autoritäre Allüren auftretende Ancerl gehört zu den Großen seines Fachs, in der Vielzahl seiner Produktionen mit Herbert von Karajan vergleichbar. Auch in der Neigung, mit hoher Kunst der Übergänge die interpretierten Werke als organisch entwickelte Großform darzustellen, ähnelte er dem österreichischen Kollegen desselben Jahrgangs. Dem Klangzauberer Karajan ist er nie nachgestrebt, dafür hat er ihn an rhythmischer Spannkraft übertroffen. Das diskographische Erbe Ancerls ruht auf drei Säulen. Die Qualitäten des Dirigenten wird man den bei Tahra erschienenen Rundfunkmitschnitten aus seiner Emigrationszeit mit Werken des klassisch-romantischen Standardrepertoires nur umrißhaft entnehmen können. Einen perspektivenreichen Einblick in Ancerls Vorlieben bietet dagegen das Doppelalbum der EMI-Reihe "Great Conductors" mit Aufnahmen aus dem slawischen Repertoire aus der Zeit zwischen 1950 und 1971. Tschechische Werke wie Vítezslav Nováks "In der Hohen Tatra" - Ancerls erste Aufnahme mit der Tschechischen Philharmonie 1950 -, Janáceks unter Hochspannung gesetzter "Taras Bulba", Otmar Máchas beklemmende "Variationen über ein Thema und den Tod von Ján Rychlík" oder Isa Krejcís muntere "Serenade für Orchester" vermitteln das Porträt eines Dirigenten, der nationalkulturelle Aspekte nie plakativ ausstellte.
Das belegt auch Smetanas unverwüstliche "Moldau" mit den Wiener Symphonikern. Die zweite Compactdisc der Kassette spiegelt Ancerls Spätphase in Dvoráks Achter und Martinus Fünfter Symphonie, 1970 mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orkest und 1971 mit dem Toronto Symphony Orchestra einfühlsam interpretiert. Zentral für das diskographische Schaffen des Dirigenten ist eine von Supraphon nach sorgsamer Restaurierung edierte "Gold Edition" von Prager Studioaufnahmen mit der Tschechischen Philharmonie, von der bislang zweiundvierzig Platten vorliegen. Darunter seine Sicht auf Dvoráks Requiem, von Supraphon 1959 zusammen mit der Deutschen Grammophon fixiert (SU 3673): ebenso ein Klassiker der Schallplattengeschichte wie Janáceks wenige Jahre später eingespielte "Glagolitische Messe", zusammen mit "Taras Bulba" auf SU 3667.
Zu Ancerls letzten Einspielungen vor der Emigration gehören Strawinskys Oper "Oedipus Rex" (mit Ivo Zídek in der Titelrolle und Vera Soukupová als Jokaste) und die Psalmensymphonie (SU 3674): Interpretationen, die an formaler Strenge und, im Fall der Chorsymphonie, an dunkler Glut keine Konkurrenz zu fürchten haben. Zu den Prunkstücken von Ancerls Diskographie gehört auch seine Auswahl aus den Konzertsuiten nach Prokofjews Ballett "Romeo und Julia" von 1959, gekoppelt mit "Peter und der Wolf" (mit englischem Erzähler auf SU 3676). Die Verbindung von rhythmischer Delikatesse, lyrischem Verströmen und dramatischer Aufgipfelung ist in keiner späteren Aufnahme übertroffen worden. Einer Ehrenrettung gleich kam 1961 die Einspielung des von Tibor Serly umstritten aufführungsreif gemachten Bratschenkonzerts Béla Bartóks mit dem Solisten Jaroslav Karlovský. Sie ist hier gekoppelt mit Bartóks zwei Jahre später produziertem Konzert für Orchester (SU 3686), das mit der rhythmischen Präzision der Sätze II und IV sowie der transparenten Polyphonie im Finale nach wie vor einen diskographischen Spitzenplatz behauptet. Daß Ancerl ein sensibler Begleiter war, zeigen neben dem Bartókschen Bratschenkonzert unter anderem die Violinkonzerte mit Josef Suk: Dvoráks Konzert - die eindringlichste Schallplattenaufnahme überhaupt - und die g-Moll-Phantasie von Suks Vater (SU 3668) sowie die Konzerte von Mendelssohn, Bruch (Nr. I) und Alban Berg (SU 3663) sind dafür imponierende Beispiele.
Engagiert pflegte Ancerl unter den Argusaugen der Kulturbürokratie den nach der kommunistischen Machtübernahme nicht mehr in die CSSR zurückgekehrten Emigranten Bohuslav Martinu. Sein 1959 eingespieltes Lidice-Memorial zum Gedenken des von einer SS-Einheit aus Rache für das Attentat auf Heydrich vernichteten Dorfs beeindruckt unter Ancerls breiter, nie sentimentaler Direktion ebenso wie die aus derselben Produktionszeit stammenden Symphonien Nr. 5 und 6 (SU 3694).
Eine Rarität ist der mit dem dritten Klavierkonzert (Solist: Josef Pálenícek) gekoppelte Zyklus "Blumenstrauß" Martinus (SU 3672): vertonte Volkstexte für Solisten, Kinder- und gemischten Chor sowie kleines Orchester. Ancerls Mono-Aufnahme von 1955 ist, auch in ihrer Transparenz, das bewegende Beispiel einer nie tümelnden Volkstümlichkeit - vielleicht die persönlichste Aufnahme dieses großen und unprätentiösen Dirigenten.
ULRICH SCHREIBER
Great Conductors - Karel Ancerl. Mit Werken von Smetana, Martinu, Janácek und anderen. EMI CZS 5 75091
Karel Ancerl - Gold Edition. Zweiundvierzig einzeln erhältliche CDs mit der Tschechischen Philharmonie auf Supraphon SU 3661/3702 (Vertrieb: Codaex)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main