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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Freiheit, die er meint

Bill Callahan war nie für Stadionrock bekannt. Aber was er jetzt präsentiert, geht auf keine Rinderhaut: ein düsteres Album, das den amerikanischen Traum zunichte macht.

Wie groß das lyrische Geschütz ist, das hier aufgefahren wird, erschließt sich erst so richtig bei einem Blick ins Beiheft des neuen Albums von Bill Callahan. Gleich viermal hintereinander springt einem da ein exklamatorisches "America!" ins Auge, und beinahe hinter jeder anderen Zeile des auch so betitelten Liedes findet sich ein Ausrufezeichen. "America! You are so grand and golden / I wish I was on the next flight / To America!"

Es braucht nicht viel Phantasie, um diesen Worten einen zutiefst sarkastischen Unterton zu entnehmen. Hier rechnet einer mit Amerika ab, will die Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit auf das schärfste zum Ausdruck bringen. Oder meint Callahan es etwa ernst mit seiner Vaterlandsliebe? Kaum zu glauben, zumindest wenn man auf den Albumtitel schaut: "Apocalypse".

Und doch ist es nicht so einfach mit der Auslegung dieser Lyrik. Hier liegt ohne Zweifel ein regelrechtes Konzeptalbum vor, das sich in nur sieben Stücken mit den Grundthemen des amerikanischen Traums auseinandersetzt und dabei ganz vorne anfängt: "Good plans are made by hand / I'd cut a clearing in the land", heißt es da, wenn Callahan sich in die Rolle der frühen Siedler versetzt. In einem anderen Stück sieht er sich als Viehtreiber ("Drover"). Und wer würde nicht ein bisschen Urtümlichkeits- und Westernwehmut verspüren, wenn es heißt: "I found a bee's nest / In a buffalo's chest"?

Worauf der persönliche amerikanische Traum des Sängers hier allerdings hinausläuft, wird dann deutlich in seinem Verständnis des "Land of the Free", von dem ja in der amerikanischen Nationalhymne die Rede ist. Wenn Freiheit bedeute, für Dinge gelobt zu werden, die man selbst nicht getan hat, und verachtet für Dinge, an die man gar nicht glaubt, dann gehöre er wohl zu den Freien, singt Callahan.

Seine Freiheit des Andersdenkenden äußert sich insbesondere in der Haltung zum Militärdienst, in der er sich mit einigen berühmten Countrysängern seines Landes vergleicht, nämlich mit Kris Kristofferson, Mickey Newbury, George Jones und Johnny Cash, die allesamt gedient haben: "Captain Kristofferson! Buck Sergeant Newbury! Leatherneck Jones! Sergeant Cash! / What a Navy! What an Army! What an Air Force! What Marines!" Hier sind Ironie und innere Abgrenzung unüberhörbar, und Callahan fügt zum Beweis denn auch nur lapidar an: "I never served my country."

Wenn man sich daran erinnert, wie wichtig dieser Aspekt immer wieder bei der Präsidentenwahl wird, dann kann man sich vorstellen: Aus der Sicht vieler Amerikaner ist Callahans Aussteigertraum, seine Freiheit zum Nichtmitmachen, die Apokalypse.

Bill Callahan selbst als Countrysänger zu bezeichnen würde einem wohl angesichts seines bisherigen Werks nicht einfallen. Er, der bis 2007 unter dem Künstlernamen "Smog" auftrat, kann am ehesten zwischen Folk und Alternative Rock klassifiziert werden. Das Album "Apocalypse" musikalisch einzuordnen fällt allerdings schwer - und diese Verlegenheitsfloskel kann hier nicht schmeicheln. Das Lob, das vielerorts über die Platte geäußert wurde, kann man, zumal wenn man das wirklich fabelhafte Vorgängerwerk "Sometimes I Wish We Were An Eagle" noch im Ohr hat, nicht recht teilen. Jetzt wird eher monoton gesprochen als gesungen, es fehlt den meisten Stücken an Struktur. Wenn mit Walzertakt und Wurlitzerklängen bei "Riding for the Feeling" endlich etwas Wärme erzeugt wird, ist die kurze Platte auch schon fast ausgespielt, und auch die angedeuteten Gospelklänge der Schlussnummer "One Fine Morning" können den insgesamt tiefschwarzen Charakter des Werks kaum aufhellen.

Womöglich soll aber das Lamento einfach nur die angemessene Form für den kritischen Inhalt sein. In gewisser Weise erinnert das an die wenig bekannte, erste Aufnahme von Bruce Springsteens "Born In The U.S.A." aus den Sessions für dessen verschroben-introvertiertes Album "Nebraska" von 1982, die noch nichts mit der später bekannt gewordenen, bombastischen Version zu tun hatte: Die Klage über wirtschaftliche Rezession und eine verlorene Generation von Vietnamveteranen erklang hier noch nur zur Akustikgitarre, über gänzlich anderen Akkorden, und vermittelte so den eigentlichen Charakter des Stücks, der später von der triumphalen Musik überdeckt wurde.

So fern der Vergleich mit Springsteen sonst auch liegen mag - Bill Callahans "Apocalypse" ist gewissermaßen wie die Demo-Version von "Born In The U.S.A.": rauh, ganz auf den Text fokussiert und musikalisch nur schwer zugänglich. Dass Callahan demnächst eine Wende zum groß auftrumpfenden Stadionrock vollzieht, ist jedoch kaum denkbar und auch kaum wünschenswert. Aber die Freiheit zu ein bisschen mehr Melodie sollte er sich beim nächsten Mal wieder nehmen.

JAN WIELE

Bill Callahan, Apocalypse

Drag City 4947989 (Rough Trade)

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