Produktdetails
Trackliste
LP 1
1Assume Form00:04:57
2Mile High00:03:18
3Tell Them00:03:30
4Barefoot In The Park00:03:31
5Into The Red00:04:17
6Can't Believe The Way We Flow00:04:27
LP 2
1Are You In Love?00:03:21
2Where's The Catch?00:04:36
3I'll Come Too00:03:42
4Power On00:04:06
5Don't Miss It00:04:59
6Mulholland00:03:11
7Lullaby For My Insomniac00:03:46
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Endlich darf die Sonne scheinen
Barfuß im Park: Auf seinem neuen Album "Assume Form" öffnet sich der britische Popmusiker James Blake vorsichtig der Euphorie

Don't miss it, verpass das bloß nicht - ein Song als klare Handlungsanweisung, und das, ganz neu, kaum zu glauben, von dem doch sonst so zaudernd, hadernd singenden, mitunter so tief in dunklen Stimmungen verweilenden Musiker James Blake. Aber Moment, war denn nicht das genau das Großartige an seiner Musik, nämlich dass er in ihr unausweichlich Trauriges, sachlich feststellbar Deprimierendes beschrieb - "Put that away and talk to me"?

Dass diese brüchig und heiser, wie stimmlich zu hoch geschraubt gesungenen Lyrics aber auf einer musikalischen Unbeirrbarkeit ruhen, die souverän und reduziert mit allen elektronischen und instrumentellen Mitteln des Popuniversums spielt, macht sie so gut. Darum lieben Jay-Z, Kanye West und Frank Ocean diesen Blake, so wie Beyoncé oder Kendrick Lamar: Er war DJ und ist musikalisch einer von ihnen, ganz bei denen auf der Tanzfläche auch, und ist es doch nicht, indem er sich schwieriger als Jay-Z gebärdet, schüchterner als Beyoncé, verschlossener als alle zusammen.

So viel kollaboratives Vertrauen und enthusiastische Zustimmung aber, und zwar von den erfolgreichsten Superstars, musste irgendwann die Sonne einlassen in Blakes Kompositionsalltag. "Don't Miss it" - so schlicht und selbstbewusst, so simpel und zugewandt heißt der vorletzte und schönste der zwölf Songs auf dem eben erschienenen vierten Studio-Album "Assume Form" (Polydor/Universal). Endlich haben neue musikalische Ideen Blakes Formen angenommen, nach dem fabelhaft unheimlichen "The Color in Anything" von 2016.

"Don't miss it" ist außerdem der triftigste Song, wenn man wissen möchte, was für ein Künstler und Singer/Songwriter sich hier von euem erklärt. Noch scheint er zwar mehr sich selbst Mut zur Form, zur Haltung zuzusprechen, als andere einzuladen. Dennoch rennt "Assume Form" in einem ironischen Spiel mit dem imaginativen, aufmerksam lauschenden Publikum offene Türen ein. Natürlich will man keine neue Note der Sensibilität verpassen, keine Nuance überhören, sonst wäre man kein Blake-Jünger und Empfindsamkeitsexperte, man will das Blake-Update. Her damit! Man wurde Fan, wenn man mitfühlte, man ist es noch, wenn man immer wieder Songs will, die so Celine-Dion-strahlend ins Innerste des Pops treffen wie "My Willing Heart", so cool, so dancy sind, so nach Synthie-Plastik riechen wie "I Hope My Life". Aus welcher fernen Raumkapsel singt Blake das neue Erdenjahr ein, wie sehr umhüllt ihn auf "Assume Form" noch die menschenferne, im kalten Sternenall erworbene Unerreichbarkeit?, fragt man sich. Dabei hat James Blake schon entschieden, auf die Party mitzugehen "I'll come too".

Er ist sicher gelandet, aus der Kapsel herausgeklettert und mit der Sängerin Rosalia barfuß in den Park gegangen. "Barefoot in the Park" ist ein Duett der Schönen und des Nerds, eines dankbaren, noch leicht ungläubigen Nerds. Und diese Beats! Seiner wundervollen metaphysischen, unirdischen, technisch perfektionistischen Kompositionsweise ist er treu geblieben, seinem zögernd tropfenden Wortgesang, seiner elektronischen Verzerrung, die manchmal auch wie eine Vakuumierung gegen jedes auftauchende Klangklischee wirkt. Bloß schnürt einem das nicht mehr die Kehle zu wie 2016 "The Color in Anything".

"Don't miss it" beginnt wie eine durch elektronische Aufladung ins einundzwanzigste Jahrhundert geschossene romantische Ballade, mit einfachen, elegischen Klaviertönen, mit leicht enigmatischen Sätzen über ein Ich, das von der Welt ausgeschlossen ist. Doch zu denken, da ist er zurück, der melancholische, weltabgewandte, in der eigenen Subjektivität verfangene James Blake, der Sänger einsamer Jahre, düsterer Isolation, wäre ein falscher Reflex. Denn trotz des wolfsgeheulhaft wortlosen, dramatischen Gesangsrefrains lautet die Schlüsselzeile des Liedes: "Everything is about me / I am the most important thing" - "Alles dreht sich um mich / Ich bin das Wichtigste".

James Blake inszeniert hier die Distanz zur eigenen, innigst ausgemalten Verfasstheit, brillant mit der Stimme ins Nölige kippend, erfüllt er den alten Traum der Pop-Avantgarde. Du kannst, das verspricht das großartige Album "Assume Form", zugleich ein Hipster und ein Hip-Intellektueller sein, du kannst aus allem Musik machen, deinen kompliziertesten Gedanken und deinen klischeehaftesten Gefühlen. Das, und deshalb wird dieses Album das meistgeliebte James-Blake-Album werden, ist der vollkommene Ausdruck eines Weltgefühls, das seine Generation beherrscht. Es hat etwas Romantisches und Artifizielles zugleich. "Are you in Love?", fragt ein anderer Song, statt ein Liebeslied schon im Titel sein zu können.

Aber dieses gebrochene Licht in der Musik, diese Fragmente dessen, was mitreißender Mainstream war, Zitate, Nachklänge, strömen auf "Assume Form" eine vorsichtige Zuversicht aus, fügen sich wie von selbst glücklich und bedeutsam zusammen. Blakes Musik fließt plötzlich ganz entspannt. Nehmen wir an, sagt diese Musik, wir könnten neue, für uns gültige Lebensformen schaffen, in denen wir uns nicht untreu werden, die nicht alte Muster wiederholen, die nicht in Stress und Drama enden, die uns aber gestatten, menschenälteste Bedürfnisse wie das nach Zuneigung, Nähe, ironischem Gelächter, Wiegenliedern und Gras unter den Füßen zu stillen.

WIEBKE HÜSTER

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