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Produktdetails
  • Anzahl: 1 Audio CD
  • Erscheinungstermin: 16. Mai 2007
  • Hersteller: Jaro Medien,
  • EAN: 4006180428326
  • Artikelnr.: 22551930
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Trackliste
CD
1Yesterday morning00:05:08
2It calls me00:03:10
3Bahamut00:06:03
4Fred of Ballaroy00:01:28
5Broke my baby's heart00:07:20
6Almost gone00:03:25
7Steady roll00:05:34
8Everybody loves you00:06:16
9Lost fox train (for Joe)00:03:39
10Dry spell00:04:44
11Ugly rug00:01:24
12Who walks in when I walk out?00:04:47
13Grade - A gray day00:03:36
14Man trouble00:11:11
15Keine Titelinformation00:00:15
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2007

Blues ohne Bart
Drei Neuerscheinungen gegen das Zwölftakt-Einerlei

Ist der Blues eine sterbende Musikrichtung, die nur mit künstlicher Beatmung am Leben erhalten wird? Wer ihm eine Zukunft geben will, muss die ausgetretenen Pfade verlassen. Drei Neuerscheinungen von Otis Taylor, den "Holmes Brothers" und von "Hazmat Modine" beweisen, dass aktueller Blues möglich ist.

Wann kommt endlich ein Gesetz, das das Einspielen neuer Bluesalben verbietet? Das der Leichenfledderei an dieser einst von Improvisationslust, kaltem Schweiß und heißen Tränen beseelten Musik ein Ende setzt? Genug ist genug!

Wer kann sie denn noch hören: all die Gitarrenhacker und Zwölftakt-Handwerker, die den Blues für die Akustik-Variante von "ZZ Top" halten und das neunhundertachtundsiebzigste Johnny-Winter-Solo einspielen? Die mit geschwenkten Äxten die Partytapete für schmerbäuchige Feierabend-Revoluzzer abgeben? Deren "My Baby Left Me"-Geschnodder keine Betriebsfeier stört, sondern gestressten Bankern nach Feierabend hilft, ihre Krawatten zu lockern? Oder die - noch schlimmer - das Erbe von Robert Johnson und Charlie Patton zu Lounge-Musik für Caffè-Latte-Bars verhunzen?

Wer den Blues liebt, der muss leiden. Zumindest wenn er den Begriff nicht mechanistisch auffasst und mehr als eine erstarrte Tradition von Tonleitern und Riffs, Zwölftakt-Schemen und Zitaten erwartet. Im entsprechenden Plattenfach mangelt es nie an Nachschub: Aber welche Neueinspielung konnte zuletzt von sich behaupten, dem Klangforschertum eines Taj Mahal, der Funkyness eines John Lee Hooker oder dem Soul eines Bobby Blue Bland auch nur nahezukommen?

Muss man also zum elenden Epigonentum der "Auch wir haben den Blues"-Bands überhaupt noch ein Wort verlieren? Muss man nicht. Es sei denn, um vor deren Allgegenwart die Ausnahmeleistungen dreier Alben zu feiern, die in den letzten Monaten wie eine konzertierte Aktion zur Rettung des Blues erschienen: Offensichtlich hat das Genre doch noch mehr zu bieten als wiedergekäute Geschichte. Sind die Grenzen noch lange nicht dicht. Das zumindest suggerieren die neuen Werke der "Holmes Brothers", von Otis Taylor und "Hazmat Modine".

"State Of Grace" nennt sich das neue Album von Gitarrist Wendell Holmes, Bassist Sherman Holmes und Schlagzeuger Popsy Dixon - Leadsänger sind sie alle drei. Und wer mit einem Zustand der Gnade einen Gottesdienst assoziiert, liegt nicht ganz falsch. Ursprünglich aus Virginia stammend und Ende der fünfziger Jahre nach New York gezogen, haben die Holmes Brothers sich das Feuer des Gospels bewahrt, schwingt in ihrem Rhythm 'n' Blues stets ein erdiges Südstaaten-Priestertum mit.

Dazu brauchen die alten Herren keine Kirchenlieder: Vielmehr macht Wendell Holmes selbst aus einem elektrischen Bluesrocker wie "Standing In The Need Of Love" eine Andacht. Seinen dunklen Klagegesang begleitet er mit rohem, fast primitiv anmutendem Gitarrenspiel, Schicht für Schicht nähert er sich immer neuen Tiefen des Schmerzes, während ihm seine Bandkollegen Popsy und Sherman mit honigsüßen Vokalharmonien Trost zufächern. Und auch das selbstgeschriebene "Gasoline Drawers" glüht geradezu vor Funkyness: Ein Mann liebt da seine Frau so sehr, dass er lieber mit benzingetränkten Unterhosen durch die Hölle laufen würde, als sie zu verletzen. Keine Frage: Die "Holmes Brothers" sind die großen Roots-Alchemisten Amerikas: Mal versöhnen sie den räudigen Herzschmerz des Blues mit dem Soul-Schmelz der frühen Impressions, mal schwärzesten Hinterhof-Funk mit der Country-Tradition.

Tatsächlich haben die "Holmes Brothers" ihre Affinität zur Musik von Hank Williams & Co schon wiederholt unter Beweis gestellt. Diesmal liefern ihnen unter anderen George Jones, John Fogerty und Lyle Lovett die Vorlagen: Ob es allein an den Stimmbändern der drei alten Herren liegt oder doch auch am Heiligen Geist, dass die Coverversionen das Originalmaterial allzu oft abhängen? "Bad Moon Rising" jedenfalls köchelt hier mit auftriebiger Fidel, als ob er schon immer als Cajun Two Step komponiert worden wäre, während "What's So Funny 'bout Peace, Love and Understanding" wunderbar träge in einem Bett von Country-Gitarren und Pedal-Steel-Gitarre dahinfließt. Und selbst "I Want You To Want Me", diese alte "Cheap Trick"-Ode an die teenage lust, mutiert in der Version der "Holmes Brothers" zur getragenen, würdevollen Gebets-Hymne.

Muss man noch erwähnen, welche Fans diesmal den "Holmes Brothers" als Gäste beistehen? Wendells Duett mit Roseanne Cash jedenfalls entführt Hank Williams' "I Can't Help It If I'm Still In Love With You" in tiefste Bluesgefilde. Joan Osbornes Soulstimme treibt "Those Memories Of You" in Janis-Joplinsche Leidenschaftsregionen. Noch bemerkenswerter ist Levon Helms erster Auftritt nach seiner Genese vom Kehlkopfkrebs: Helm spielt nicht nur auf einigen Songs Schlagzeug und Mandoline, sondern singt auch mit einer hohen, verletzlichen, fast zitternden Stimme und bringt in seinen Song "I've Just Seen The Rock Of Ages" all die geisterhafte Emotion eines alten Spirituals.

Wo die "Holmes Brothers" ihre wunden Seelen offenlegen, besinnt sich Otis Taylor auf eine beinahe vergessene Qualität des Blues: seinen tranceinduzierenden Effekt. "Definition Of A Circle" spinnt dabei den experimentellen Faden weiter, den der Bluessänger und Gitarrist aus Denver bereits mit dem Vorgänger "Below The Fold" aufgenommen hatte: Taylor öffnet mit Hilfe von Loops und kargen, rhythmisch insistierenden Riffs weite Räume, seine instrumentalen und gesungenen Mantras entwickeln eine hypnotische, beinahe gewalttätige Kraft.

Selten kommt der Blues seinen afrikanischen Wurzeln so nahe. Als Ausgangspunkt dient ihm dabei der Talking Blues eines John Lee Hooker: Doch Otis Taylors musikalisches Universum ist offensichtlich größer, bietet Platz für die jazzigen Klangexperimente eines Sun Ra, lässt sich gelegentlich von psychedelischem Rock hinwegtragen, der letztlich aber nur die Dringlichkeit seiner sehr persönlichen, politisch gefärbten Texte unterstreicht.

Dabei nimmt er im Dienste der Grenzerweiterung in Kauf, traditionellere Bluesfans zu verprellen: Die Gastauftritte von Gitarrist Gary Moore und Harmonika-Spieler Charlie Musselwhite bleiben die einzigen Zugeständnisse an diese Klientel. Ansonsten dominieren freie Formen und mäandernde Instrumentalstränge: Neben Taylors Gitarren- und Mandolinenspiel treten auch ein Flügelhorn, mollige Cellos und die manischen Improvisationen des Jazzpianisten Hiromi Uchara.

Vor allem aber betört die Kombination von Otis Taylors tiefem, raspelnden Bariton mit den ätherischen Gesängen seiner bassspielenden Tochter Cassie: Auf "They Wore Blue", einer Hymne an die Hurrikan-Opfer in New Orleans, wiederholt sie den Trauerchor "Oh Katrina", während ihr Vater seine Erschütterung in beinahe stammelnde Ausrufe packt: "What would you do? - Would you feed them? - Oh the water!" Es beginnt wie eine sphärische Downbeat-Elegie. Doch nach vier Minuten ändert das Stück seinen Charakter, mündet es in eine längere Jamsession zwischen Orgel und Gitarre, übertönen Energie und Hoffnung die anfängliche Depression.

Hört man Taylor, tönt der Blues heute politisch relevanter als je zuvor: Auf "Mexican Cowboy" singt er mit brüchiger Stimme von einem Cowboy, den eine konfiszierte Green Card zurück in seine mexikanische Heimat zwingt. Und "Few Feet Away" glänzt nicht nur durch sein delikates Banjo- und Mandolinenspiel, sondern entpuppt sich bei näherem Zuhören als die (möglicherweise autobiographische) Ode eines Vaters an sein gemischtrassiges Kind: "Selbst wenn der Himmel fallen sollte . . . / bliebe ich immer noch ein paar Schritte neben dir".

Auch die New Yorker Combo "Hazmat Modine" singt das Hohelied eines universalen Humanismus, wenn sich dieses Anliegen auch weniger in den Texten als der unwahrscheinlichen Klang-Melange ihrer Songs äußert. Was kommt heraus, könnte man fragen, wenn man einer Gruppe manischer Bluesund Klezmer-Musiker Mundharmonika, Tuba, Trommeln, Lap-Steel-Gitarre und Trompete in die Hand drückt und ihnen eine Gruppe Kehlkopfsänger aus der Mongolei zur Seite stellt? Eben so etwas wie "Bahamut", das Debütalbum dieser vom Sänger und Komponisten Wade Schuman angeführten Globalisierungs-Truppe. Der Blues bleibt dabei vor allem als Klangfarbe präsent - als Grund-Modalität für eine Umarmung dionysischer Klänge aus aller Welt.

Schließlich weben "Hazmat Modine" die disparatesten Fundstücke in ihren alten, rostig und knarzig wirkenden Sound: pikante Rumbas, Sägemehlboden-Reggae, hawaiianische Gitarren, Klezmer, osteuropäische Zigeunerbläser - und für drei Songs eben auch die sphärischen Obertongesänge von "Huun-Huur-Tu". Typisch etwa der von je zwei Tuben und Harmonikas befeuerte Trauermarsch "Who Walks In When I Walk Out?": Schumans Reibeisen-Stimme intoniert dabei in der Manier eines Tom Waits ein ums andere Mal die Malaise des verlassenen und abgebrannten Liebhabers.

Man könnte fürchten, dieses Zusammentreffen von Sidney Bechet, der Calypso-Legende Wilmouth Houdini und Django Reinhardt auf einer Zigeunerhochzeit könnte sich als intellektuelles Konstrukt abnutzen. Doch davor ist "Hazmat Modines" großartiger Humor. Nichts wirkt hier bemüht, alles swingt, und wer jetzt zu sehr mit Tanzen beschäftigt ist, sollte Schumans Umdichtung alter Blueszeilen - "You say that you're thirsty / you'd even drink my tears" - im Textheft nachlesen. Haben wir noch was vergessen? Ach so, drei Schaufeln Erde auf den alten, gitarrendreschenden Zwölftakt-Blues. Amen.

JONATHAN FISCHER

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