Produktdetails
- Hersteller: Wilhelm We,
- EAN: 5019148602927
- Artikelnr.: 70850812
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2024Bussi dada, Fidelio!
Karl Lagerfeld im Knast? Andriy Zholdak macht mit Beethoven kompletten Blödsinn.
Von Robin Passon, Amsterdam
Ein ukrainischer Regisseur inszeniert Ludwig van Beethovens große Befreiungsoper "Fidelio" - na, was wird da wohl herauskommen? Wer an das Weltall, Karl Lagerfeld und Todesengel denkt, liegt goldrichtig! Noch richtiger liegt, wer denkt, dass das danebengeht. Nicht weil die Idee vielleicht interessant ist, aber den Abend nicht trägt. Andriy Zholdak, der Regisseur in Amsterdam, versteht die Oper auch nicht falsch, er verweigert sich nur diesem Werk vollständig. Das beginnt schon mit dem Prolog, bei dem Leonore als Forscherin auf einem Weltallkongress vor dunkler Materie warnt. Hier wie im Folgenden hört man keineswegs die Singspieltexte Joseph Sonnleithners, sondern neue englisch- oder zahlensprachliche Texteinlagen aus Zholdaks Feder, die wesentliches Werkzeug beim Umbau des Stücks sind.
Die konzeptuellen wie szenischen Absurditäten dieser Inszenierung vollumfänglich darzulegen wäre sinnlos, darum seien nur die grundlegenden benannt, die Beethovens Werk aus den Angeln heben. Die Dekonstruktion beruht auf der Idee, Don Pizarro sei eine Art Mephisto in Gestalt von Karl Lagerfeld, der Florestan aus dem Bett und der Umarmung seiner Frau entlockt und ihn auf der anschließenden Odyssee gefügig machen will. Ignoriert wird dabei erstens die Tatsache, dass Florestans Freiheit keine Frage des selbstbestimmten Widerstehens oder Hingebens ist, sondern Pizarro ihn gewaltsam für das Vertreten seiner politischen Haltung verhaften lässt. Zweitens macht diese Verfolgungsjagd durch Raum und Zeit das ganze übrige Personal und dessen Beweggründe obsolet.
Beinahe wäre Zholdaks Umoperation des "Fidelio" zu Goethes "Faust" aufgegangen, wären da nicht noch der gesungene Text und Beethovens Musik, die dabei, und das ist das Bedauerlichste an diesem Abend, jegliche Wucht verlieren. Wieso hat der metaphysische Pizarro-Mephisto eine so urmenschliche, pervers-physische Lust am Morden? Welcher Don Fernando, also welche innerweltliche Macht soll ihm Einhalt gebieten? Wieso nimmt Leonore überhaupt die Mühe des Kampfes auf sich, wenn das Schicksal ihres Mannes doch ohnehin metaphysisch verhängt und durch Handeln unbeeinflussbar ist?
Wenig überraschend, dass Zholdak auch für den Gefangenenchor - vielleicht aus Angst, sich zum bedeutungsgeladenen beethovenschen Humanismus verhalten zu müssen - nichts Besseres einfällt, als ihn in den Orchestergraben zu verbannen und ihn zur Untermalung für einen Blick auf Florestans kindliche Gewalterfahrung zu degradieren.
Den Vogel des Irrwitzes schießt Zholdak ab, als Leonore am Ende des ersten Aktes zu ihrem ekstatischen Ausbruch "Noch heute?", in Hoffnung auf die baldige Vereinigung mit ihrem eingekerkerten Gatten, diesen schon längst wieder in den Armen hält. Dabei geht es nicht um das Stilmittel der Diskrepanz von Wort und Bild, derer sich das Regietheater gern bedient, sondern hier wird Leonores existenzielles Streben - und mit ihm das klimaxgewordene Duett "O namenlose Freude" - billigend pulverisiert. Wieso sie ihn übrigens zwischenzeitlich aus Pizarros Fängen befreien konnte, erklärt sich freilich nicht. Ist aber auch egal. So wie alles, was an diesem Abend auf der Bühne geschieht.
Für die Themen der unerschütterlichen ehelichen Liebe, des idealistischen Auflehnens gegen ruchlose Machthaber und die Befreiung interessiert sich Zholdak nicht. Stattdessen für eine beispiellose Materialschlacht ständig wechselnder Bühnenräume, die von inflationär eingesetzten Video- und Pyroeffekten illustriert und von Darstellern aus einem Kostümverleih-Fiebertraum voller Engelsflügel, Gummischlangen und Bockshufe bespielt werden. Die Szenenbilder, die dabei entstehen, sind selten schön, umso öfter peinlich.
Teilweise Linderung von diesem inszenatorischen Überfall auf Werk und Publikum verschafft immerhin das, was von Beethoven noch übrig war: die Musik. Ausnahmsweise begleitet diese Produktion das Concertgebouworkest, geleitet von Andrés Orozco-Estrada, der von der Ouvertüre weg ein sehr straffes Tempo durchhält. In den Momenten aufbrausender Emotionalität steht das dem Werk zwar gut zu Gesicht, doch kommt darüber häufig das Aufatmen der Musik zu kurz. Dabei lebt deren Dramaturgie vom ständigen Anschwellen und Aufblühen, das vor allem von den hier vorzüglichen Bläsern gezeichnet wird.
Wie rabiat Orozco-Estrada die schwelgerischen Ambitionen der Sänger unterbindet, spürt man am Ende der Florestan-Arie, als dieser das Tor zum "himmlischen Reich" aufstoßen will, aber aus dem Graben zum hastigen Zuschlagen desselben gedrängt wird. Dabei ist Eric Cutler als Lagerfeld-Geisel das stimmliche Ereignis des Abends. Mühelos schraubt er sich über dem Orchester in die fordernden Höhen der Partie hinauf, demonstriert Agilität und Schmelz seines jugendlichen Heldentenors.
Ihm zur Seite steht mit Jacquelyn Wagner eine Leonore, die sich zwar im Laufe des Abends steigert, aber nie ganz die nötige Schlagkraft für diese dramatische Rolle entfalten kann, sodass etwa die changierenden Affekte ihrer Arie recht blass geraten. Der von der Regie reichlich geforderte Nicholas Brownlee als Pizarro begeistert indes mit seinem mal donnernden, dann wieder perfide-charmanten Bassbariton. Ebenso überzeugen kann der ihm unterstellte Rocco des souveränen James Creswell, während dessen Tochter Marzelline in Gestalt von Anna El-Khashem mit ihrem fein kultivierten Mozart-Sopran stellenweise Mühe hat, sich über das Orchester hinwegzusetzen.
So gelingt es immerhin der Musik, dem Abend noch ein versöhnliches Ende zu bereiten. Bloß die Harmonie, die Andriy Zholdak so geistreich zum Konnex des Werks erkor, vermag auch sie nicht mehr herzustellen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karl Lagerfeld im Knast? Andriy Zholdak macht mit Beethoven kompletten Blödsinn.
Von Robin Passon, Amsterdam
Ein ukrainischer Regisseur inszeniert Ludwig van Beethovens große Befreiungsoper "Fidelio" - na, was wird da wohl herauskommen? Wer an das Weltall, Karl Lagerfeld und Todesengel denkt, liegt goldrichtig! Noch richtiger liegt, wer denkt, dass das danebengeht. Nicht weil die Idee vielleicht interessant ist, aber den Abend nicht trägt. Andriy Zholdak, der Regisseur in Amsterdam, versteht die Oper auch nicht falsch, er verweigert sich nur diesem Werk vollständig. Das beginnt schon mit dem Prolog, bei dem Leonore als Forscherin auf einem Weltallkongress vor dunkler Materie warnt. Hier wie im Folgenden hört man keineswegs die Singspieltexte Joseph Sonnleithners, sondern neue englisch- oder zahlensprachliche Texteinlagen aus Zholdaks Feder, die wesentliches Werkzeug beim Umbau des Stücks sind.
Die konzeptuellen wie szenischen Absurditäten dieser Inszenierung vollumfänglich darzulegen wäre sinnlos, darum seien nur die grundlegenden benannt, die Beethovens Werk aus den Angeln heben. Die Dekonstruktion beruht auf der Idee, Don Pizarro sei eine Art Mephisto in Gestalt von Karl Lagerfeld, der Florestan aus dem Bett und der Umarmung seiner Frau entlockt und ihn auf der anschließenden Odyssee gefügig machen will. Ignoriert wird dabei erstens die Tatsache, dass Florestans Freiheit keine Frage des selbstbestimmten Widerstehens oder Hingebens ist, sondern Pizarro ihn gewaltsam für das Vertreten seiner politischen Haltung verhaften lässt. Zweitens macht diese Verfolgungsjagd durch Raum und Zeit das ganze übrige Personal und dessen Beweggründe obsolet.
Beinahe wäre Zholdaks Umoperation des "Fidelio" zu Goethes "Faust" aufgegangen, wären da nicht noch der gesungene Text und Beethovens Musik, die dabei, und das ist das Bedauerlichste an diesem Abend, jegliche Wucht verlieren. Wieso hat der metaphysische Pizarro-Mephisto eine so urmenschliche, pervers-physische Lust am Morden? Welcher Don Fernando, also welche innerweltliche Macht soll ihm Einhalt gebieten? Wieso nimmt Leonore überhaupt die Mühe des Kampfes auf sich, wenn das Schicksal ihres Mannes doch ohnehin metaphysisch verhängt und durch Handeln unbeeinflussbar ist?
Wenig überraschend, dass Zholdak auch für den Gefangenenchor - vielleicht aus Angst, sich zum bedeutungsgeladenen beethovenschen Humanismus verhalten zu müssen - nichts Besseres einfällt, als ihn in den Orchestergraben zu verbannen und ihn zur Untermalung für einen Blick auf Florestans kindliche Gewalterfahrung zu degradieren.
Den Vogel des Irrwitzes schießt Zholdak ab, als Leonore am Ende des ersten Aktes zu ihrem ekstatischen Ausbruch "Noch heute?", in Hoffnung auf die baldige Vereinigung mit ihrem eingekerkerten Gatten, diesen schon längst wieder in den Armen hält. Dabei geht es nicht um das Stilmittel der Diskrepanz von Wort und Bild, derer sich das Regietheater gern bedient, sondern hier wird Leonores existenzielles Streben - und mit ihm das klimaxgewordene Duett "O namenlose Freude" - billigend pulverisiert. Wieso sie ihn übrigens zwischenzeitlich aus Pizarros Fängen befreien konnte, erklärt sich freilich nicht. Ist aber auch egal. So wie alles, was an diesem Abend auf der Bühne geschieht.
Für die Themen der unerschütterlichen ehelichen Liebe, des idealistischen Auflehnens gegen ruchlose Machthaber und die Befreiung interessiert sich Zholdak nicht. Stattdessen für eine beispiellose Materialschlacht ständig wechselnder Bühnenräume, die von inflationär eingesetzten Video- und Pyroeffekten illustriert und von Darstellern aus einem Kostümverleih-Fiebertraum voller Engelsflügel, Gummischlangen und Bockshufe bespielt werden. Die Szenenbilder, die dabei entstehen, sind selten schön, umso öfter peinlich.
Teilweise Linderung von diesem inszenatorischen Überfall auf Werk und Publikum verschafft immerhin das, was von Beethoven noch übrig war: die Musik. Ausnahmsweise begleitet diese Produktion das Concertgebouworkest, geleitet von Andrés Orozco-Estrada, der von der Ouvertüre weg ein sehr straffes Tempo durchhält. In den Momenten aufbrausender Emotionalität steht das dem Werk zwar gut zu Gesicht, doch kommt darüber häufig das Aufatmen der Musik zu kurz. Dabei lebt deren Dramaturgie vom ständigen Anschwellen und Aufblühen, das vor allem von den hier vorzüglichen Bläsern gezeichnet wird.
Wie rabiat Orozco-Estrada die schwelgerischen Ambitionen der Sänger unterbindet, spürt man am Ende der Florestan-Arie, als dieser das Tor zum "himmlischen Reich" aufstoßen will, aber aus dem Graben zum hastigen Zuschlagen desselben gedrängt wird. Dabei ist Eric Cutler als Lagerfeld-Geisel das stimmliche Ereignis des Abends. Mühelos schraubt er sich über dem Orchester in die fordernden Höhen der Partie hinauf, demonstriert Agilität und Schmelz seines jugendlichen Heldentenors.
Ihm zur Seite steht mit Jacquelyn Wagner eine Leonore, die sich zwar im Laufe des Abends steigert, aber nie ganz die nötige Schlagkraft für diese dramatische Rolle entfalten kann, sodass etwa die changierenden Affekte ihrer Arie recht blass geraten. Der von der Regie reichlich geforderte Nicholas Brownlee als Pizarro begeistert indes mit seinem mal donnernden, dann wieder perfide-charmanten Bassbariton. Ebenso überzeugen kann der ihm unterstellte Rocco des souveränen James Creswell, während dessen Tochter Marzelline in Gestalt von Anna El-Khashem mit ihrem fein kultivierten Mozart-Sopran stellenweise Mühe hat, sich über das Orchester hinwegzusetzen.
So gelingt es immerhin der Musik, dem Abend noch ein versöhnliches Ende zu bereiten. Bloß die Harmonie, die Andriy Zholdak so geistreich zum Konnex des Werks erkor, vermag auch sie nicht mehr herzustellen.
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