Produktdetails
  • Anzahl: 1 Vinyl
  • Erscheinungstermin: 8. Januar 2010
  • Hersteller: GOODTOGO / DOMINO RECORDS,
  • EAN: 5034202022916
  • Artikelnr.: 26312912
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Orca - kein Killerwal
Die Dirty Projectors bitten zum Hip-Hop-Tanz

Dave Longstreth schnallt sich die Gitarre um. Er zieht ein paar Grimassen, bevor er anfängt, unzusammenhängend an den schnarrenden Saiten herumzuzupfen. Der Mann scheint sein Instrument nicht wirklich zu beherrschen. Dann geht der Gesang los. Weinerlich und ziemlich schief nölt Longstreth Unverständliches, um zwischendrin plötzlich so zu kreischen, dass man meint, er wäre auf eine mittelalterliche Foltermaschine gespannt. Diese Aufführung eines Hysterikers lässt sich auf Youtube nacherleben; man gebe "Dirty Projectors" in die Suchmaske ein, unter dem Namen läuft sein Bandprojekt.

Kurz nach dem Jahr 2000 hat Longstreth, der mit seinem langen Hals und der hageren Gestalt auffallend an David Byrne von den Talking Heads erinnert, sein Musikstudium in Yale abgebrochen, um nach Brooklyn zu ziehen. Dort nahm er unter anderem die "Getty Address" auf, eine Art Oper über Azteken, Finken und Don Henley von den Eagles - anstrengend, wie überhaupt bislang beinahe alles, was Longstreth produziert hat. Die Kritik schrieb häufig das vernichtende Wort "prätentiös" hinzu, ein naheliegendes Urteil, zumal Longstreth in Interviews gerne Behauptungen aufstellte wie die, dass ihn Beyonce Knowles, Schostakowitsch und Pygmäengesang gleichermaßen inspirierten.

Fünf Alben lang bescherte er der Menschheit Songs, die wie eine Independent-Version von Zwölftonmusik klingen - für einige wenige Kenner und ein paar Gelangweilte ein zerebraler Reiz, im Grunde aber nur schwer erträglich. Was sollte das Zeug, konnte man sich fragen, und wieso sollte einen das überhaupt interessieren? Die Antwort lag in selteneren Stücken wie "Rise Above", das auf dem gleichnamigen Album erschien. Da klangen die Dirty Projectors, als hätte man die Linse poliert und scharf gestellt. Es war ja dieselbe Band, aber sie wirkte in diesen Momenten kontrollierter, weniger gnadenlos in ihrem Willen zur Extravaganz und offenbarte dann, worauf das alles hinauswollte: Coltrane, Punk, Afrika und Bob Marleys Sängerinnen, die I-Threes, wurden in eine neue, ebenso überraschende wie eingängige Form gegossen. Nicht bloß Kopf-, sondern auch Herzmusik, voll hinreißender Harmonien. Longstreths Gesang ergab plötzlich Sinn, das Gitarrenstottern war auf einmal kein Mangel mehr, sondern ein Reichtum an Virtuosität. "Rise Above" war wie ein Versprechen, das er noch einzulösen hatte.

Das neue, sechste Album der Dirty Projectors, "Bitte Orca", das als Doppel-CD und Doppel-Vinyl erhältlich ist, tut das. Zwar gibt es auch hier kaum musikalische Geradlinigkeit. Aber wenn die ersten Stücke noch zu fordernd wirken, dann sollte man sie einfach überspringen. "No Intention", das neunte Stück, bietet zum Beispiel einen guten Einstieg und offenbart, dass die Dirty Projectors an einer eigenen Musik arbeiten, nicht an einem Image als Regelbrecher.

Da ist eine Mali-Gitarre wie von Ali Farka Touré, dazu ein schlichter Rhythmus und eine fast noch schlichtere Gesangsmelodie, beinahe schon trocken Brot - bis der Refrain einsetzt und mit ihm die präzise und eng gesetzten Begleitstimmen der Sängerinnen Amber Coffmann und Angel Deradoorian. Das ist so hübsch und melodiös, dass man kaum genug davon kriegt und sich, so gestärkt, auch dem Rest der Platte zu nähern bereit ist.

Songs wie "Two Doves", eine Ballade, die auch Nico gut zu Gesicht gestanden hätte, oder das verrückte "Stillness is the Move", eine Art Intellektuellenversion von Hip-Hop-Tanz-Chartmusik, stehen zwischen Nummern, die einem bisweilen zu viel sein können, hinter deren Wahnsinn sich jedoch eine zunehmend zugängliche Methode verbirgt. "Bitte Orca" wächst mit jedem Abspielen, und es versöhnt mit Dave Longstreth und den Anstrengungen, die er einen bisher gekostet hat.

ALARD VON KITTLITZ

Dirty Projectors, Bitte Orca. Domino 9187413 (Indigo)

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