Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 3. Februar 2012
- Hersteller: 375 Media GmbH / 4AD/BEGGARS GROUP / INDIGO,
- EAN: 0652637320213
- Artikelnr.: 34552029
LP 1 | |||
1 | The Gravedigger's Song | 00:03:43 | |
2 | Bleeding Muddy Water | 00:06:17 | |
3 | Gray Goes Black | 00:04:11 | |
4 | St Louis Elegy | 00:04:34 | |
5 | Riot In My House | 00:03:53 | |
6 | Ode To Sad Disco | 00:06:24 | |
LP 2 | |||
1 | Phantasmagoria Blues | 00:03:16 | |
2 | Quiver Syndrome | 00:04:03 | |
3 | Harborview Hospital | 00:04:31 | |
4 | Leviathan | 00:04:22 | |
5 | Deep Black Vanishing Train | 00:03:06 | |
6 | Tiny Grain Of Truth | 00:07:07 |
Frankfurter Allgemeine ZeitungWenn Tränen Likör wären
Retter kaputter Seelen: Mark Lanegan hätte längst berühmt sein müssen. Vielleicht gelingt es ihm jetzt mit diesem rostigen Bluesalbum voller Bittermandelaroma.
Wer Mark Lanegan noch nicht kennt, sollte sich einmal anhören, wie er "No Expectations", den traurigsten Blues, den die Rolling Stones geschrieben haben, durch seinen bloß mit Kirchenorgel und Klaviertupfern begleiteten Gesang so zur Grabeslitanei weiter verdüstert, dass die Stones-Version zwar durchaus nicht schlechter, aber vergleichsweise heiter wirkt. Zu finden ist sie auf einem der beiden grandiosen, gospeldüsteren Alben, die Lanegan mit den Soulsavers aufgenommen hat: "It's Not How Far You Fall, It's The Way You Land", letztes Stück natürlich, denn danach kann nichts mehr kommen.
Programmatisch unfroh waren auch die frühen Tage des Seattle-Grunge. Der 1964 geborene Lanegan kommt aus dieser energetischen Szene; auf seinem ersten Solo-Album lud er 1990 Kurt Cobain ein, um gemeinsam "Where Did You Sleep Last Night?" zu krähen. Mit den Screaming Trees galt er schon in den Neunzigern als jemand, der von Rechts wegen eigentlich viel berühmter sein müsste. Berühmt wurde er dann mit den Queens Of The Stone Age und deren Alben "Songs For The Deaf" und "Lullabies to Paralyze" - das Beste, was der härtere Rock in den nuller Jahren zu bieten hatte.
Ganz andere, viel sanftere Töne hat er auf seinen drei Alben mit der Folk-Sirene Isobel Campbell angeschlagen. Sein rauchiger, noch in der Zurückhaltung kraftvoller Gesang eignet sich gut zum gegenseitigen Umgarnen mit einer Frauenstimme, auch wenn es hier manchmal sehr in Richtung Candlelight-Pop ging.
"Blues Funeral" ist Lanegans erstes Soloalbum seit "Bubblegum" von 2004. Von seinen vielfältigen Kollaborationen wirkt hier am deutlichsten die Arbeit mit den Soulsavers nach: alles zumeist sehr downtempo; Expression vor überwiegend elektronischen Klängen. Statt wie gewohnt mit der Gitarre zu komponieren, hat Lanegan sich alte Synthesizer und Drumcomputer beschafft. Aber ob er sich nun vor Gitarrenwänden oder im Ambient-Klangbett gefällt - kennzeichnend bleiben die satten Mollharmonien und melancholisch-melodiösen Gesangslinien.
Nur vier von den zwölf neuen Stücken bieten schnelleren Rock. Der "Gravedigger's Song", mit dem das Album beginnt, galoppiert geradezu stampedehaft drauflos; wabernde, bedrohliche Töne von Synthesizer und E-Gitarre ziehen vorüber. Aber auch hier ist der Uptempo-Rhythmus nur das Power-Fahrgestell unter einer verkappten Ballade mit gedehnten Gesangsnoten. Beim zweiten Stück, für das man Lanegan schon jetzt die goldene Baumwoll-Buschel für den besten Blues des Jahres verleihen möchte, kommt der König des schleppenden Rhythmus dann ganz zu sich selbst: "Bleeding Muddy Water". Mit schwerem Tritt watet die Musik im schlammigen Wasser, und darüber erhebt sich der mächtig-majestätische Beschwörungsgesang zum dunklen Himmel: "Lord now the rain done come ..." Einfach beglückend. Dieser Song steht sechs Minuten lang beinahe auf der Stelle, und er steht gut so. Ganz Atmosphäre.
Je öfter man das Album hört, desto mehr fällt auf, wie gut die Elektrosounds und Ambient-Texturen - Lanegan will viel Can und Neu! während des Songwritings gehört haben - zu seiner ledrigen Stimme passen: Es ergibt sich eine produktive Spannung von Synthetischem und Authentischem. Am plakativsten wird dieser Effekt in "Ode to Sad Disco" ausgereizt. Bei dem von Keli Hlodversson inspirierten Dancefloor-Stampfer patscht unbarmherzig die Computerdrum, der Bass pumpt billig immer zwei Takte C, zwei Takte G, flächige Mellotrontöne werden darübergelegt - Achtziger-Afficionados mögen es mögen.
Das Erstaunliche aber ist, dass Lanegans gegerbte Stimme auch diese musikalische Spanplatte wie Edelholzfurnier aufwertet: Disco noir. Was man seit je von den Liedern Bob Dylans sagen kann, gilt auch für die Lanegans: Es passiert musikalisch selten noch Unerwartetes, wenn der Refrain zum ersten Mal durch ist. Aber während bei den schnelleren Stücken manchmal die Gefahr des Monotonen droht, entfaltet sich bei den langsamen die Wirkung des Hypnotischen, etwa beim dunkel-psychedelischen Folk von "Deep Black Vanishing Train" (mit akustischer Gitarre und Flöte) oder dem kathedralenhaften Schlussstück "Tiny Grain of Truth". Geradezu strahlend vor melancholischer Schönheit ist "St. Louis Elegy", gesungen mit Greg Dulli und das beste Stück des Albums. "If tears were licquor I'd have drunk myself sick", klagt der Sänger im Gramesgenuss. Wer Sorgen hat, hat auch Likör - und in diesem Fall einen Refrain, der ohne Worte auskommt und süßlich berauschend wirkt: viermal "A-ha-ha" in absteigender Folge, man kriegt nicht genug von diesem Bittermandelaroma.
Danach wird der Hörer aus der Trance geholt mit "Riot in My House", einem riffrockenden Stück, das an die Zeiten mit den Queens Of The Stone Age erinnert. Joshua Homme selbst liefert dazu ein loderndes Oktaven-Lick. Weitere prominente Unterstützung wirkt am Schlagzeug mit Jack Irons (ehemals Pearl Jam, Red Hot Chili Peppers). Produzent Alain Johannes bringt sich ein als Multiinstrumentalist.
Wie im Blues üblich, geht es textlich um allerlei Pleiten, Sünden und schlechtes Wetter. Lanegan hat eine Vorliebe für dunkel-preziöses Vokabular: "electric chair", "charlemagne", "subterranean eyes", "arcadian twist", "ultra violent hesitation", "when death's metal broom / comes sweeping through the evening" - ja, wenn am Abend der metallene Todesbesen kehrt. Oder gleich die allererste Zeile: "With piranha teeth I've been dreaming of you." Hört sich gesungen alles prima an und soll im Übrigen ja auch eher Likör als Lyrik sein. Schwere Träume, violettes Zaudern, arkadische Melodiebögen und ab und zu ein Piranhazahn - so klingt "Blues Funeral". Oft war Lanegan gut, nie war er besser.
WOLFGANG SCHNEIDER
Mark Lanegan, Blues Funeral.
4AD/Beggar's Group 1716899 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Retter kaputter Seelen: Mark Lanegan hätte längst berühmt sein müssen. Vielleicht gelingt es ihm jetzt mit diesem rostigen Bluesalbum voller Bittermandelaroma.
Wer Mark Lanegan noch nicht kennt, sollte sich einmal anhören, wie er "No Expectations", den traurigsten Blues, den die Rolling Stones geschrieben haben, durch seinen bloß mit Kirchenorgel und Klaviertupfern begleiteten Gesang so zur Grabeslitanei weiter verdüstert, dass die Stones-Version zwar durchaus nicht schlechter, aber vergleichsweise heiter wirkt. Zu finden ist sie auf einem der beiden grandiosen, gospeldüsteren Alben, die Lanegan mit den Soulsavers aufgenommen hat: "It's Not How Far You Fall, It's The Way You Land", letztes Stück natürlich, denn danach kann nichts mehr kommen.
Programmatisch unfroh waren auch die frühen Tage des Seattle-Grunge. Der 1964 geborene Lanegan kommt aus dieser energetischen Szene; auf seinem ersten Solo-Album lud er 1990 Kurt Cobain ein, um gemeinsam "Where Did You Sleep Last Night?" zu krähen. Mit den Screaming Trees galt er schon in den Neunzigern als jemand, der von Rechts wegen eigentlich viel berühmter sein müsste. Berühmt wurde er dann mit den Queens Of The Stone Age und deren Alben "Songs For The Deaf" und "Lullabies to Paralyze" - das Beste, was der härtere Rock in den nuller Jahren zu bieten hatte.
Ganz andere, viel sanftere Töne hat er auf seinen drei Alben mit der Folk-Sirene Isobel Campbell angeschlagen. Sein rauchiger, noch in der Zurückhaltung kraftvoller Gesang eignet sich gut zum gegenseitigen Umgarnen mit einer Frauenstimme, auch wenn es hier manchmal sehr in Richtung Candlelight-Pop ging.
"Blues Funeral" ist Lanegans erstes Soloalbum seit "Bubblegum" von 2004. Von seinen vielfältigen Kollaborationen wirkt hier am deutlichsten die Arbeit mit den Soulsavers nach: alles zumeist sehr downtempo; Expression vor überwiegend elektronischen Klängen. Statt wie gewohnt mit der Gitarre zu komponieren, hat Lanegan sich alte Synthesizer und Drumcomputer beschafft. Aber ob er sich nun vor Gitarrenwänden oder im Ambient-Klangbett gefällt - kennzeichnend bleiben die satten Mollharmonien und melancholisch-melodiösen Gesangslinien.
Nur vier von den zwölf neuen Stücken bieten schnelleren Rock. Der "Gravedigger's Song", mit dem das Album beginnt, galoppiert geradezu stampedehaft drauflos; wabernde, bedrohliche Töne von Synthesizer und E-Gitarre ziehen vorüber. Aber auch hier ist der Uptempo-Rhythmus nur das Power-Fahrgestell unter einer verkappten Ballade mit gedehnten Gesangsnoten. Beim zweiten Stück, für das man Lanegan schon jetzt die goldene Baumwoll-Buschel für den besten Blues des Jahres verleihen möchte, kommt der König des schleppenden Rhythmus dann ganz zu sich selbst: "Bleeding Muddy Water". Mit schwerem Tritt watet die Musik im schlammigen Wasser, und darüber erhebt sich der mächtig-majestätische Beschwörungsgesang zum dunklen Himmel: "Lord now the rain done come ..." Einfach beglückend. Dieser Song steht sechs Minuten lang beinahe auf der Stelle, und er steht gut so. Ganz Atmosphäre.
Je öfter man das Album hört, desto mehr fällt auf, wie gut die Elektrosounds und Ambient-Texturen - Lanegan will viel Can und Neu! während des Songwritings gehört haben - zu seiner ledrigen Stimme passen: Es ergibt sich eine produktive Spannung von Synthetischem und Authentischem. Am plakativsten wird dieser Effekt in "Ode to Sad Disco" ausgereizt. Bei dem von Keli Hlodversson inspirierten Dancefloor-Stampfer patscht unbarmherzig die Computerdrum, der Bass pumpt billig immer zwei Takte C, zwei Takte G, flächige Mellotrontöne werden darübergelegt - Achtziger-Afficionados mögen es mögen.
Das Erstaunliche aber ist, dass Lanegans gegerbte Stimme auch diese musikalische Spanplatte wie Edelholzfurnier aufwertet: Disco noir. Was man seit je von den Liedern Bob Dylans sagen kann, gilt auch für die Lanegans: Es passiert musikalisch selten noch Unerwartetes, wenn der Refrain zum ersten Mal durch ist. Aber während bei den schnelleren Stücken manchmal die Gefahr des Monotonen droht, entfaltet sich bei den langsamen die Wirkung des Hypnotischen, etwa beim dunkel-psychedelischen Folk von "Deep Black Vanishing Train" (mit akustischer Gitarre und Flöte) oder dem kathedralenhaften Schlussstück "Tiny Grain of Truth". Geradezu strahlend vor melancholischer Schönheit ist "St. Louis Elegy", gesungen mit Greg Dulli und das beste Stück des Albums. "If tears were licquor I'd have drunk myself sick", klagt der Sänger im Gramesgenuss. Wer Sorgen hat, hat auch Likör - und in diesem Fall einen Refrain, der ohne Worte auskommt und süßlich berauschend wirkt: viermal "A-ha-ha" in absteigender Folge, man kriegt nicht genug von diesem Bittermandelaroma.
Danach wird der Hörer aus der Trance geholt mit "Riot in My House", einem riffrockenden Stück, das an die Zeiten mit den Queens Of The Stone Age erinnert. Joshua Homme selbst liefert dazu ein loderndes Oktaven-Lick. Weitere prominente Unterstützung wirkt am Schlagzeug mit Jack Irons (ehemals Pearl Jam, Red Hot Chili Peppers). Produzent Alain Johannes bringt sich ein als Multiinstrumentalist.
Wie im Blues üblich, geht es textlich um allerlei Pleiten, Sünden und schlechtes Wetter. Lanegan hat eine Vorliebe für dunkel-preziöses Vokabular: "electric chair", "charlemagne", "subterranean eyes", "arcadian twist", "ultra violent hesitation", "when death's metal broom / comes sweeping through the evening" - ja, wenn am Abend der metallene Todesbesen kehrt. Oder gleich die allererste Zeile: "With piranha teeth I've been dreaming of you." Hört sich gesungen alles prima an und soll im Übrigen ja auch eher Likör als Lyrik sein. Schwere Träume, violettes Zaudern, arkadische Melodiebögen und ab und zu ein Piranhazahn - so klingt "Blues Funeral". Oft war Lanegan gut, nie war er besser.
WOLFGANG SCHNEIDER
Mark Lanegan, Blues Funeral.
4AD/Beggar's Group 1716899 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main