Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 8. März 2024
- Hersteller: Mascot Label Group / Tonpool Medien,
- EAN: 8712725747413
- Artikelnr.: 69837046
LP 1 | |||
1 | This Train | ||
2 | Mountain Climbing | ||
3 | Drive | ||
4 | No Good Place For The Lonely | ||
5 | Blues Of Desperation | ||
LP 2 | |||
1 | The Valley Runs Low | ||
2 | You Left Me Nothin' But The Bill And The Blues | ||
3 | Distant Lonesome Train | ||
4 | How Deep This River Runs | ||
5 | Livin' Easy | ||
6 | What I've Known For A Very Long Time |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2016Noch so ein Bürgermeister des Blues
Gepflegte Verzweiflung: Joe Bonamassa ist Eric Claptons Nachfolger im Amt
Blues ist eine sichere Bank, nicht hypeverdächtig, aber eine langfristige Wertanlage. Eric Clapton hat 1966 den Blues gespielt, er tut es 2016 immer noch. Als ihn jüngere Gitarristen an Virtuosität überholten, hat er sich aufs "Geschmackvolle" verlegt: gute Anzüge, sparsamere Töne, klassische Licks. So wurde er zum Hüter der Tradition, zum Bürgermeister des Blues.
Joe Bonamassa, der wohl erfolgreichste Bluesmusiker seiner Generation, ist Claptons Nachfolger im Amt. Auch dieser fabelhafte, technisch perfekte Gitarrist spielt in Anzügen, die eher knapp sitzen, damit der rechte Ärmel nicht über die Saiten wischt. Blues für die Royal Albert Hall. So richtig dreckig und elend klingt das nicht; vielmehr hatte der achtunddreißigjährige Bonamassa in früheren Jahren ein kleines Vermittlungsproblem. Wie lässt sich "authentischer", vom Lebensleid imprägnierter Blues mit dem Wunderkind-Hintergrund vereinbaren? Der Vater hatte ein Gitarrengeschäft in New York, der kleine Joe begann mit vier Jahren zu spielen und stand bereits als Zwölfjähriger auf der Bühne mit B. B. King.
Die Referenzen zur Tradition sind für Bonamassa deshalb essentiell: Beseelung durch das Zeigen der Wurzeln, wenn nicht der eigenen, so doch der des Genres. Ein Beispiel dafür ist sein im vergangenen Jahr erschienener Musikfilm "Muddy Wolf at Red Rocks". Von den Felsskulpturen der Landschaft bis hin zu den gepflegt verwitterten alten Herren der Big Band, vor der Bonamassa mit seinen Les-Paul-Gitarren der teuersten Jahrgänge agiert und Bluesklassiker in Szene setzt, ist alles geleckte und gelackte Tradition, sehr hörens- und sehenswert.
Jetzt ist Bonamassas zwölftes Studioalbum erschienen. Er halte sich dabei nicht an das Bluesrock-Regelwerk, tönt die Marketingprosa. Aber was wäre von einem Bluesmusiker zu halten, der sich nicht um Konventionen schert? Etwa so viel wie von einem Metzger, der auf Fleisch und Wurst pfeift. Blues ist Konvention in Variation. Und natürlich ist auch Bonamassas neues Album von vorn bis hinten voller Regelwerk. Dass er diesmal nicht die gewohnten Marshall-Verstärker, sondern alte Fender-Tweed-Amps genutzt hat, wird Nichtmusiker als Novität kaum vom Hocker reißen.
Wirklich Überraschendes, Unerhörtes wird man auf dem in Nashville aufgenommenen Album kaum finden. Dafür brillantes Handwerk, gefällige Komposition und den Klang edler Gibson-Gitarren: mal rauchig-hölzern, mal schmatzig und bratzig. Für Freunde des guten Tons ist allein das zackig-quäkige Rockabilly-Riff von "You Left Me Nothin' But the Bill and the Blues" ein Genuss. Nicht ganz überzeugen konnte bisher Bonamassas Stimme: bisweilen eine Spur zu knödelig. An der Gitarre muss er niemandem mehr etwas beweisen, die Entknödelung des Gesangs dagegen ist eine Aufgabe, die auf dem neuen Album gelingt. Selten hat er besser geklungen, da mag auch das Älterwerden eine Rolle spielen.
Das Album präsentiert eine Vielfalt von Spielarten: vom mächtigem, zeppelinesken Bluesrock des Titelstücks "Blues of Desperation" über countrynahe Ohrenschmeichler mit Akustikgitarren, weichen Harmonien und säuselnden Background-Sängerinnen bis hin zu Stücken, die mit ihren satten, knautschigen Bläsersätzen weniger wie Eigenkompositionen, sondern bereits wie swingende Bluesklassiker klingen. Am schwächsten sind die beiden ersten Songs mit ihren stampfenden Rockklischees.
Die Besetzung der Band mit zwei Schlagzeugern sorgt für dichte und fesselnde Rhythmustexturen. Besonders gut hört sich das bei zwei Liedern an, die nicht nur vom Unterwegssein handeln, sondern auch einen schönen treibenden Flow entwickeln: dunkel-sinnlich und melancholisch die Single "Drive", die von einer Autofahrt in die amerikanische Nacht handelt und durch die in die Weite hallenden Melodielinien beeindruckt, gespielt auf einer Jazzgitarre, die auf dem magischen Kippmoment zwischen warmem Clean-Sound und Crunch balanciert. Wuchtig rockend dagegen beim Höllenritt auf dem "Distant Lonesome Train", der natürlich nicht an einen leise dahinschießenden Hochgeschwindigkeitszug mit Unterflurantrieb denken lässt, sondern an ein böseschwarzes Dampfross mit zu viel Kohle unterm Kessel. Niemand erwartet, dass Bluesmusiker sich bei der Wahl ihrer Metaphern auf die Höhe des digitalen Zeitalters begeben. Die schrundig-geschundenen Farmarbeiterhände auf dem Cover sind allerdings ein wenig plakativ in ihrer Great-Depression-Symbolik. Als wären Wohlstand und Handpflege ein Ausschlussgrund beim Blues. "The more money you make, the more blues you can sing", wusste schon Jimi Hendrix.
WOLFGANG SCHNEIDER
Joe Bonamassa:
"Blues of Desperation".
Provogue/Mascot Label Group (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gepflegte Verzweiflung: Joe Bonamassa ist Eric Claptons Nachfolger im Amt
Blues ist eine sichere Bank, nicht hypeverdächtig, aber eine langfristige Wertanlage. Eric Clapton hat 1966 den Blues gespielt, er tut es 2016 immer noch. Als ihn jüngere Gitarristen an Virtuosität überholten, hat er sich aufs "Geschmackvolle" verlegt: gute Anzüge, sparsamere Töne, klassische Licks. So wurde er zum Hüter der Tradition, zum Bürgermeister des Blues.
Joe Bonamassa, der wohl erfolgreichste Bluesmusiker seiner Generation, ist Claptons Nachfolger im Amt. Auch dieser fabelhafte, technisch perfekte Gitarrist spielt in Anzügen, die eher knapp sitzen, damit der rechte Ärmel nicht über die Saiten wischt. Blues für die Royal Albert Hall. So richtig dreckig und elend klingt das nicht; vielmehr hatte der achtunddreißigjährige Bonamassa in früheren Jahren ein kleines Vermittlungsproblem. Wie lässt sich "authentischer", vom Lebensleid imprägnierter Blues mit dem Wunderkind-Hintergrund vereinbaren? Der Vater hatte ein Gitarrengeschäft in New York, der kleine Joe begann mit vier Jahren zu spielen und stand bereits als Zwölfjähriger auf der Bühne mit B. B. King.
Die Referenzen zur Tradition sind für Bonamassa deshalb essentiell: Beseelung durch das Zeigen der Wurzeln, wenn nicht der eigenen, so doch der des Genres. Ein Beispiel dafür ist sein im vergangenen Jahr erschienener Musikfilm "Muddy Wolf at Red Rocks". Von den Felsskulpturen der Landschaft bis hin zu den gepflegt verwitterten alten Herren der Big Band, vor der Bonamassa mit seinen Les-Paul-Gitarren der teuersten Jahrgänge agiert und Bluesklassiker in Szene setzt, ist alles geleckte und gelackte Tradition, sehr hörens- und sehenswert.
Jetzt ist Bonamassas zwölftes Studioalbum erschienen. Er halte sich dabei nicht an das Bluesrock-Regelwerk, tönt die Marketingprosa. Aber was wäre von einem Bluesmusiker zu halten, der sich nicht um Konventionen schert? Etwa so viel wie von einem Metzger, der auf Fleisch und Wurst pfeift. Blues ist Konvention in Variation. Und natürlich ist auch Bonamassas neues Album von vorn bis hinten voller Regelwerk. Dass er diesmal nicht die gewohnten Marshall-Verstärker, sondern alte Fender-Tweed-Amps genutzt hat, wird Nichtmusiker als Novität kaum vom Hocker reißen.
Wirklich Überraschendes, Unerhörtes wird man auf dem in Nashville aufgenommenen Album kaum finden. Dafür brillantes Handwerk, gefällige Komposition und den Klang edler Gibson-Gitarren: mal rauchig-hölzern, mal schmatzig und bratzig. Für Freunde des guten Tons ist allein das zackig-quäkige Rockabilly-Riff von "You Left Me Nothin' But the Bill and the Blues" ein Genuss. Nicht ganz überzeugen konnte bisher Bonamassas Stimme: bisweilen eine Spur zu knödelig. An der Gitarre muss er niemandem mehr etwas beweisen, die Entknödelung des Gesangs dagegen ist eine Aufgabe, die auf dem neuen Album gelingt. Selten hat er besser geklungen, da mag auch das Älterwerden eine Rolle spielen.
Das Album präsentiert eine Vielfalt von Spielarten: vom mächtigem, zeppelinesken Bluesrock des Titelstücks "Blues of Desperation" über countrynahe Ohrenschmeichler mit Akustikgitarren, weichen Harmonien und säuselnden Background-Sängerinnen bis hin zu Stücken, die mit ihren satten, knautschigen Bläsersätzen weniger wie Eigenkompositionen, sondern bereits wie swingende Bluesklassiker klingen. Am schwächsten sind die beiden ersten Songs mit ihren stampfenden Rockklischees.
Die Besetzung der Band mit zwei Schlagzeugern sorgt für dichte und fesselnde Rhythmustexturen. Besonders gut hört sich das bei zwei Liedern an, die nicht nur vom Unterwegssein handeln, sondern auch einen schönen treibenden Flow entwickeln: dunkel-sinnlich und melancholisch die Single "Drive", die von einer Autofahrt in die amerikanische Nacht handelt und durch die in die Weite hallenden Melodielinien beeindruckt, gespielt auf einer Jazzgitarre, die auf dem magischen Kippmoment zwischen warmem Clean-Sound und Crunch balanciert. Wuchtig rockend dagegen beim Höllenritt auf dem "Distant Lonesome Train", der natürlich nicht an einen leise dahinschießenden Hochgeschwindigkeitszug mit Unterflurantrieb denken lässt, sondern an ein böseschwarzes Dampfross mit zu viel Kohle unterm Kessel. Niemand erwartet, dass Bluesmusiker sich bei der Wahl ihrer Metaphern auf die Höhe des digitalen Zeitalters begeben. Die schrundig-geschundenen Farmarbeiterhände auf dem Cover sind allerdings ein wenig plakativ in ihrer Great-Depression-Symbolik. Als wären Wohlstand und Handpflege ein Ausschlussgrund beim Blues. "The more money you make, the more blues you can sing", wusste schon Jimi Hendrix.
WOLFGANG SCHNEIDER
Joe Bonamassa:
"Blues of Desperation".
Provogue/Mascot Label Group (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main