Produktdetails
Trackliste
CD
1Missing Pieces00:03:25
2Sixteen Salteens00:02:36
3Freedom At 2100:02:52
4Love Interruption00:02:39
5Blunderbuss00:03:06
6Hypocritical Kiss00:02:50
7Weep Themselves To Sleep00:04:19
8I'm Shakin'00:03:00
9Trash Tongue Talker00:03:20
10Hip(Eponymous)Poor Boy00:03:04
11I Guess I Should Go To Sleep00:02:37
12On And On And On00:03:56
13Take Me With You When You Go00:04:08
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Seine hyperkritischen Küsse

Der letzte Rockstar unserer Zeit: Jack White hat ein Album gemacht, das vor Kraft kaum spielen kann.

Von Edo Reents

Lebt denn der alte Rock'n'Roll eigentlich noch? Allzu stark scheint der Glaube an ihn nicht mehr zu sein. Bei jeder großen Platte, die ihn zurückbringt, mischt sich in die Würdigung der Musik etwas Abgesangshaftes, das sich auch dem Bewusstsein verdanken mag, Rockmusik in seiner herkömmlichen Form könne und dürfe es heute eigentlich gar nicht mehr geben.

Trägt Jack White deswegen auf dem Coverfoto einen Geier auf seiner rechten Schulter? "Blunderbuss" ist nur bedingt eine große Platte. Allzu deutlich ist ihr der Wille abzulauschen, dem Rock'n'Roll noch einmal Leben einzuhauchen und ihn dabei in seine Bestandteile zu zerlegen. Dies tut Jack White allerdings mit einer solchen Entschlossenheit, dass man zunächst nicht weiß, was man sagen und mehr bewundern soll: die Virtuosität, mit der er jedes Untergenre - ob Country, Blues oder eben auch Heavy Metal - bedient und die mehr ist als bloße Fingerfertigkeit; oder die Tatsache, dass er so etwas gewissermaßen zum Zeitvertreib tut? Wie man hört, lagen, als eine gemeinsame Aufnahmesession mit dem Hip-Hop-Musiker RZA platzte, gerade diese paar Songs herum, so dass . . .

Die Nonchalance, mit der Jack White so etwas erzählt, und die scheinbare Mühelosigkeit, mit der er seine beängstigend vielen Ideen verwirklicht, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Musikmachen für ihn in erster Linie harte Arbeit bedeutet. Wer vor Jahren die Gitarristenstudie "It Might Get Loud" mit ihm, Jimmy Page und The Edge gesehen hat, wird einen jungen Mann in Erinnerung haben, für den Wörter wie "Ehrgeiz" und "Konkurrenz" viel zu schwach sind und der in aller Angriffslust ganz offen behauptete, Musizieren bedeute für ihn so etwas wie Krieg.

Das hört man jetzt wieder. Auch dieses gute Dutzend Songs zerbirst manchmal unter einem Hochdruck, wie man ihn sonst nur von diesen Supergruppen kennt, früher von West, Bruce & Laing zum Beispiel, in heutiger Zeit von den Raconteurs oder Dead Weather, wobei letztere beiden ja ebenfalls Jack-White-Projekte sind. Deswegen stimmt es im Grunde auch nicht, dass "Blunderbuss" nun seine erste reguläre Soloplatte ist - auf welcher Aufnahme, bei der er seine blutigen Finger im Spiel hatte, wäre sein Einfluss in Form von Songwriting, Instrumentenbedienung und Produktion nicht dominierend gewesen?

Schon bevor er die White Stripes aufgelöst hat, ist Jack White mit eigenem Studio und eigenem Label zum wohl wichtigsten, tief in den Mainstream hineinwirkenden Rockmusiker geworden, dessen Wirkungsmacht größer ist als der seiner gleichfalls nicht gerade unproduktiven Altersgenossen Ryan Adams und Conor Oberst zusammen. Ob es darum geht, harten, extrem ruppigen, fast schon unhörbaren Rock zu machen oder schönen, älteren und jüngeren Damen wie Loretta Lynn und Norah Jones kavaliersmäßig unter die Arme zu greifen - in der Regel kommt etwas dabei heraus, das irgendwie stimmig, ja, fast zwingend wirkt, wie etwas, das gar nicht anders klingen kann als eben so. Das ist auf der neuen Platte auch der Fall, obwohl sie ungefähr so durchgearbeitet wirkt wie die White-Stripes-Sachen. Das kann indes nicht über die ungeheure Energie der Songs hinwegtäuschen, die sich nicht nur in harten Liedern wie "Sixteen Saltines" oder "Freedom at 21" sofort mitteilt, sondern auch in ruhigeren Stücken wie "Love Interruption", "Blunderbuss" oder "Hypocritical Kiss", makellosem Countryrock, bei dem White zeigt, welch wunderbare Akustikgitarre er spielen kann und überdies Brooke Waggoner am Wurlitzer-Piano und am Saloon-Klavier zaubern lässt.

Nie aber klang er überzeugender als auf "Trash Tongue Talker", einem raffinierten Amalgam, in dem die Aufsässigkeit des Boogie genauso zum Ausdruck kommt wie die fatalistische Leidensbereitschaft des Hillbillys. Auf den wie bei einer Zirkusattraktion einsetzenden Trommelwirbel folgen fast klischeehaft mächtige, leicht verzögerte Klavierakkorde, die einem tatsächlich den Glauben an die Unverwüstlichkeit des Rock'n'Roll, sein Einpeitscher- und Trostpotential zurückgeben.

Gesanglich ist zu sagen, dass Jack White sein Langzeitprojekt namens Robert-Plant-Imitation nunmehr vollendet hat - näher war vor ihm wohl niemand am Nasalstil des Heavy-Meisters. White trifft jeden Ton, jede Phrase und überführt, wie einst der Led-Zeppelin-Sänger, den klassischen Bluesgesang in eine wiederum zeitgemäße Form. Wie sehr ihm auch die Countryintonation liegt, hat er schon vergangenen Herbst mit seinem Glanzstück "You Know That I Know" bewiesen, das er für die Kompilation "The Lost Notebooks Of Hank Williams" beisteuerte: Mit beengter Brust gab er hier knödelnd den Gehörnten, dem die untreue Liebste nichts vormachen kann. Mit fast lächerlicher Perfektion hat er sich dieses uralte Idiom aus Leiden und Lust anverwandelt.

Von diesem resignierenden Ton ist "Blunderbuss" frei, dafür hat die Platte einfach zu viel Kraft. Aber diese Kraft ist am Ende auch das Problem, freilich nur ein geringes, denn sie führt schließlich dazu, dass die Platte einen persönlich indifferenten, bisweilen kalten Eindruck hinterlässt. Offenbar immer auf der Suche nach einer neuen Ausdrucksform für einen Musizierwillen, der ihn wie kaum einen Zweiten in die Lage versetzt, Töne, Momente hervorzubringen, in denen sich die Wahrheit des ganzen Rockgenres offenbart, macht White eben doch den Eindruck eines rastlos Gehetzten. So haftet seinen Produktionen, die vor Kraft oft nicht laufen können, notwendig auch etwas Skizzenhaftes an, das es viel weniger als bei klassischen Singer-Songwritern, zu denen er sowieso nur bedingt gehört, erlaubt, ihn mit seinem Material zu identifizieren; dazu ist er zu virtuos und kann sich jederzeit in ein neues Genre verbeißen, aus dem der rohe Blues freilich immer hervorlugt.

"Jack White ist der coolste, sonderbarste, klügste Rockstar unserer Zeit": Es stimmt, was die "New York Times" neulich anlässlich einer Geländeerkundung auf Whites Anwesen in der alten Countrymetropole Nashville über ihn behauptete. Vielleicht ist Jack White sogar eine Art Bob Dylan der nachanalogen Zeit: Gaukler, durchaus mit Hang zu Lügengeschichten, und Gigant.

Jack White, Blunderbuss.

Third Man Records/XL/Beggars Group 2280422 (Indigo)

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