CD | |||
1 | Marry The Night | 00:04:25 | |
2 | Born This Way | 00:04:21 | |
3 | Government Hooker | 00:04:14 | |
4 | Judas | 00:04:10 | |
5 | Americano | 00:04:07 | |
6 | Hair | 00:05:08 | |
7 | Scheiße | 00:03:45 | |
8 | Bloody Mary | 00:04:05 | |
9 | Bad Kids | 00:03:51 | |
10 | Highway Unicorn (Road To Love) | 00:04:16 | |
11 | Heavy Metal Lover | 00:04:13 | |
12 | Electric Chapel | 00:04:13 | |
13 | Yoü And I | 00:05:08 | |
14 | The Edge Of Glory | 00:05:22 | |
15 | Born This Way (Jost & Naaf Remix) | 00:05:59 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2011Überirdische Nächte
Lady Gaga hat endlich eine neue Platte: "Born This Way"
Gott ist eine unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist, heißt es in einer mittelalterlichen Definition. Heute, da der Satz seine verschlungenen Wege durch die Logiken der Philosophie hinter sich hat, ist er endlich mit Lady Gagas neuem Album "Born This Way" in den Welten des Pop angelangt. So klar wie auf diesem Album hat lange niemand mehr - sagen wir: seit Julien Greens Tagebüchern und Alain Badious Paulusbuch - auf katholischem Grund die grundsätzliche Fremdheit von Zeichen und Bezeichnetem inszeniert.
Was dabei herauskam, ist eine chaotische Bildauflösung, die nur deshalb funktioniert, weil sie jedem ihrer Referenzpunkte haargenau eine eigene Umfanglinie zeichnet. Wenn Lady Gaga zum Beispiel in "Government Hooker" singt: "Put your hands on me, John F. Kennedy / I make you scream, Baby / As long as you pay me", dann hört jeder, wer in die Geschichte Amerikas hineinhören kann, auch Frank Sinatra im Hintergrund mit, der einst als der Zuhälter Kennedys galt. Dass man weiß, dass Kennedy und Sinatra katholisch waren, kann Lady Gaga voraussetzen. Genauso wie sie voraussetzt, dass man weiß, dass auch Marilyn Monroe zu den Frauen gehörte, die wegen Kennedy ihre Tränen schreiend tranken, wie es im Lied heißt. Ins Unendliche aufgelöst, wird der Assoziationsstrom dann allein durch die Musik, zu dem man sich, wie zu jedem der 14 Songs des neuen Albums, in Trance wegtanzen kann.
Beliebig ist aber auch das nicht. Denn gleich, ob sie Orgeln einsetzt (in "Marry the Night"), Brian May von Queen seine Hardcore-Gitarre schlagen lässt ("Yoü And I") oder jenen Techno zum Einsatz bringt, der den zurzeit besten Club der Welt, das Berliner "Berghain", erfüllt (in "Scheiße"), die Instrumente bleiben immer parteiisch: auf der Seite der Edelhuren, illegaler Einwanderinnen, schlecht erzogener Kinder oder der Nacht.
Wobei die Nacht überhaupt zum Ort der reinen Unendlichkeit wird, den man nur im Nichtwissen kennen kann. In der Nacht sind die Grenzen des Objektiven aufgehoben, hier endet der Tugendterror der zum Gesetz erstarrten Kirche, in der Nacht bricht die Liebe die Macht des Objektiven. Das ist die ursprüngliche Katholizität der Lady Gaga, anschaulich geworden im letzten Jahr im "Berghain", als sie dort nach ihrem Berliner Konzert, mit nichts als einem String-Tanga bekleidet, hinter den Plattentellern stand.
Und wer den Universalismus der Katholizität von Stefani Germanotta, wie Lady Gaga auch heißt, in seiner Unendlichkeit ermessen will, muss sich nur noch einmal jene Folge der Talkshow "3nach9" ansehen, in der die protestantische Theologin Margot Käßmann neben Giovanni di Lorenzo moderierte. Di Lorenzo und Käßmann hatten da den Künstler Sven Marquardt zu Gast. Marquardt ist der mit Tattoos und Piercings am eigenen Körper arbeitende Türsteher des "Berghain". Im Gespräch nun ließen Käßmann und di Lorenzo nichts unversucht, Marquardt auf ihr Niveau des Christentums herunterzuziehen, das mit jeder Silbe die Nähe der Moderatoren zu den irdischen Mächten dieses Landes artikulierte. Das war zwar schrecklich anzusehen, macht aber jetzt nichts mehr, denn Lady Gaga hat Marquardt gerächt - und es macht wirklich Spaß, ihren Song "Scheiße" als Soundtrack über die Sendung laufen zu lassen.
Der Song beginnt mit dem Bekenntnis der Lady, dass sie kein Deutsch spreche. Und wie sie dann in einer Sprache singt, die sie nicht spricht, ist hinreißend. Auch deshalb natürlich, weil im Lied ihr eigenes Erlebnis des "Berghain" spürbar bleibt. Eine Tatsache, die all jene Interpreten ihrer Musik übersehen, die nur die Eleganz, mit der sie von einer ihrer Referenzen zur anderen hinübergleitet, wahrnehmen, ohne nach dem Gehalt zu fragen. Was kein Vorwurf sein soll. Dass Lady Gaga zum beliebtesten Gegenstand einer abgeflacht in den Mainstream abgewanderten postmodernen Popkritik geworden ist, gehört ja strukturell zur Arbeit der Lady Gaga. Wenn etwa der "Spiegel" Gaga mit Andy Warhol vergleicht und die "Emma" daraufhin sofort feststellt, dass das falsch sei, weil es von Warhol keine Nacktbilder gebe, ist das besser als alles, was Warhol und Madonna je an Debatten ausgelöst haben.
Denn - und dafür steht "Born This Way" im kunstgeschichtlichen Kontext: mit Warhol und Madonna kann man Lady Gaga nicht mehr beikommen. Deren Zeichensystem hat sie sich auf eine Weise einverleibt, die die Oberflächenmimikry aushöhlt. Während der späte Warhol wirklich bei Franz Beckenbauer und Imelda Marcos angekommen war, während Madonna im gottverlassensten Land des Kapitalismus, in Großbritannien, versuchte, heimisch zu werden, lässt Lady Gaga die unendliche Kugel eine unendliche Kugel sein. Wohl wissend, dass die Kugel keine Grenze hat.
CORD RIECHELMANN
"Born This Way" von Lady Gaga erscheint am Montag bei Universal.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lady Gaga hat endlich eine neue Platte: "Born This Way"
Gott ist eine unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist, heißt es in einer mittelalterlichen Definition. Heute, da der Satz seine verschlungenen Wege durch die Logiken der Philosophie hinter sich hat, ist er endlich mit Lady Gagas neuem Album "Born This Way" in den Welten des Pop angelangt. So klar wie auf diesem Album hat lange niemand mehr - sagen wir: seit Julien Greens Tagebüchern und Alain Badious Paulusbuch - auf katholischem Grund die grundsätzliche Fremdheit von Zeichen und Bezeichnetem inszeniert.
Was dabei herauskam, ist eine chaotische Bildauflösung, die nur deshalb funktioniert, weil sie jedem ihrer Referenzpunkte haargenau eine eigene Umfanglinie zeichnet. Wenn Lady Gaga zum Beispiel in "Government Hooker" singt: "Put your hands on me, John F. Kennedy / I make you scream, Baby / As long as you pay me", dann hört jeder, wer in die Geschichte Amerikas hineinhören kann, auch Frank Sinatra im Hintergrund mit, der einst als der Zuhälter Kennedys galt. Dass man weiß, dass Kennedy und Sinatra katholisch waren, kann Lady Gaga voraussetzen. Genauso wie sie voraussetzt, dass man weiß, dass auch Marilyn Monroe zu den Frauen gehörte, die wegen Kennedy ihre Tränen schreiend tranken, wie es im Lied heißt. Ins Unendliche aufgelöst, wird der Assoziationsstrom dann allein durch die Musik, zu dem man sich, wie zu jedem der 14 Songs des neuen Albums, in Trance wegtanzen kann.
Beliebig ist aber auch das nicht. Denn gleich, ob sie Orgeln einsetzt (in "Marry the Night"), Brian May von Queen seine Hardcore-Gitarre schlagen lässt ("Yoü And I") oder jenen Techno zum Einsatz bringt, der den zurzeit besten Club der Welt, das Berliner "Berghain", erfüllt (in "Scheiße"), die Instrumente bleiben immer parteiisch: auf der Seite der Edelhuren, illegaler Einwanderinnen, schlecht erzogener Kinder oder der Nacht.
Wobei die Nacht überhaupt zum Ort der reinen Unendlichkeit wird, den man nur im Nichtwissen kennen kann. In der Nacht sind die Grenzen des Objektiven aufgehoben, hier endet der Tugendterror der zum Gesetz erstarrten Kirche, in der Nacht bricht die Liebe die Macht des Objektiven. Das ist die ursprüngliche Katholizität der Lady Gaga, anschaulich geworden im letzten Jahr im "Berghain", als sie dort nach ihrem Berliner Konzert, mit nichts als einem String-Tanga bekleidet, hinter den Plattentellern stand.
Und wer den Universalismus der Katholizität von Stefani Germanotta, wie Lady Gaga auch heißt, in seiner Unendlichkeit ermessen will, muss sich nur noch einmal jene Folge der Talkshow "3nach9" ansehen, in der die protestantische Theologin Margot Käßmann neben Giovanni di Lorenzo moderierte. Di Lorenzo und Käßmann hatten da den Künstler Sven Marquardt zu Gast. Marquardt ist der mit Tattoos und Piercings am eigenen Körper arbeitende Türsteher des "Berghain". Im Gespräch nun ließen Käßmann und di Lorenzo nichts unversucht, Marquardt auf ihr Niveau des Christentums herunterzuziehen, das mit jeder Silbe die Nähe der Moderatoren zu den irdischen Mächten dieses Landes artikulierte. Das war zwar schrecklich anzusehen, macht aber jetzt nichts mehr, denn Lady Gaga hat Marquardt gerächt - und es macht wirklich Spaß, ihren Song "Scheiße" als Soundtrack über die Sendung laufen zu lassen.
Der Song beginnt mit dem Bekenntnis der Lady, dass sie kein Deutsch spreche. Und wie sie dann in einer Sprache singt, die sie nicht spricht, ist hinreißend. Auch deshalb natürlich, weil im Lied ihr eigenes Erlebnis des "Berghain" spürbar bleibt. Eine Tatsache, die all jene Interpreten ihrer Musik übersehen, die nur die Eleganz, mit der sie von einer ihrer Referenzen zur anderen hinübergleitet, wahrnehmen, ohne nach dem Gehalt zu fragen. Was kein Vorwurf sein soll. Dass Lady Gaga zum beliebtesten Gegenstand einer abgeflacht in den Mainstream abgewanderten postmodernen Popkritik geworden ist, gehört ja strukturell zur Arbeit der Lady Gaga. Wenn etwa der "Spiegel" Gaga mit Andy Warhol vergleicht und die "Emma" daraufhin sofort feststellt, dass das falsch sei, weil es von Warhol keine Nacktbilder gebe, ist das besser als alles, was Warhol und Madonna je an Debatten ausgelöst haben.
Denn - und dafür steht "Born This Way" im kunstgeschichtlichen Kontext: mit Warhol und Madonna kann man Lady Gaga nicht mehr beikommen. Deren Zeichensystem hat sie sich auf eine Weise einverleibt, die die Oberflächenmimikry aushöhlt. Während der späte Warhol wirklich bei Franz Beckenbauer und Imelda Marcos angekommen war, während Madonna im gottverlassensten Land des Kapitalismus, in Großbritannien, versuchte, heimisch zu werden, lässt Lady Gaga die unendliche Kugel eine unendliche Kugel sein. Wohl wissend, dass die Kugel keine Grenze hat.
CORD RIECHELMANN
"Born This Way" von Lady Gaga erscheint am Montag bei Universal.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main