Produktbeschreibung
Nach dem Nr. 1 Hit "Video Games" kommt nun das Debüt Album Born To Die.
Trackliste
CD
1Born To Die00:04:46
2Off To The Races00:04:59
3Blue jeans00:03:29
4Video Games00:04:41
5Diet Mountain Dew00:03:42
6National Anthem00:03:50
7Dark Paradise00:04:03
8Radio00:03:34
9Carmen00:04:08
10Million Dollar Man00:03:51
11Summertime Sadness00:04:25
12This Is What Makes Us Girls00:04:00
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2012

Im Glauben

Am Freitag erscheint "Born to Die", das erste richtige Album von Lana del Rey. Es kommt schon fast zu spät

Interessiert sich noch irgendjemand für Lana del Rey? Für ihre erste Platte, die am Freitag erscheint und von der die meisten Lieder in der einen oder anderen Version schon auf Youtube zu hören sind? Oder für den Apparat, der hinter ihr steckt, ein smarter, amerikanischer Apparat, der offenbar ziemlich genau verstanden hat, dass es da ein Bedürfnis gibt nach einer jungen Sängerin dunkelster Obsessionen, die sich aber diesmal bitte nicht mit Fleisch behängt, sondern mit den Abendkleidern aus Hollywoods Schwarzer Serie? Oder, was noch smarter wäre, der verstanden hat, wie man dieses Bedürfnis überhaupt erst erzeugt? Interessiert sich jemand noch für solche Fragen?

Schon bei der letzten Platte von Lady Gaga gab es ja diesen Augenblick der Ermüdung, diesen Augenblick, an dem man sich einfach nicht mehr beschäftigen wollte mit all dem, was über Lady Gaga gesagt wurde - was aber weniger mit Lady Gaga selbst zu tun hatte als mit den Theorien, Gender Studies, Semiotik, mit denen sie da in all den Rezensionen beworfen wurde - nur um mal zu hören, was der Aufprall für ein Geräusch macht. (Meistens eher dumpf.) Den Liedern machte es jedenfalls nichts aus, und überhaupt ist es ja eigentlich egal, was in den Zeitungen steht, solange sich Fünfzehnjährige auf der ganzen Welt von Lady Gaga verstanden fühlen.

Oder eben jetzt von Lana del Rey. Es ist nur so, dass diese zwei Frauen (und es sind eigentlich meistens Frauen, welcher Mann hätte in letzter Zeit derartig die Phantasien von Millionen erobert?) mal wieder ziemlich eindrucksvoll vorführen, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen Pop und Musik. Dass beides zwar unabhängig voneinander funktionieren kann, die Inszenierung und die Lieder sich aber im besten Fall gegenseitig verstärken. Lana del Rey kann noch so toll aussehen - wenn das, was sie singt, nichts auslöst, interessiert sich wirklich kein Mensch für sie. Es gibt tausend schöne Sängerinnen, deren Videos nicht Millionen Mal auf Youtube angeschaut werden.

Da stand sie zum Beispiel, 25 Jahre alt, geboren als Lizzy Grant, unter dem Namen hat sie auch schon eine erfolglose Karriere gestartet, da stand also Lana del Rey im November nachts im Norddeutschen Rundfunk: vor ihr Ina Müller, Michael Mittermeier und Hubertus Meyer-Burckhardt, rechts von ihr hinter dem Fenster ein Shantychor, nur ein Pianist begleitete sie, aber gerade diese karge Begleitung von "Video Games" und vor allem diese klare Haltung zu dem, was sie da tat, die fast schon gespenstische Gefasstheit, mit der sie sich am Mikro festhielt, all das wirkte so unfassbar geheimnisvoll und souverän, dass die ganze Kneipe ein bisschen vom Boden abhob. Und das soll etwas heißen bei einem Laden namens "Schellfischposten".

Vor der Tür stand nicht nur ein Shantychor, sondern lag der Hafen, also ungefähr die Welt, in der Lana del Reys Lieder zu Hause sind, oder besser: in der sehnsüchtigen Vorstellung davon, was Häfen mal gewesen sind oder vielleicht nie waren: Halbwelt, tätowierte Messerhelden, Übergangsräume. Unter das Video zum Song "Born to Die" hat ein Fan auf Youtube geschrieben, Lana del Rey hätte auch gut auf den Soundtrack zu David Lynchs "Twin Peaks"-Serie gepasst, der vor allem aus schleichendem Suspense in Bluesnoten besteht, und es stimmt schon, da ist in ihrer Stimme und in den Videos etwas von den Nachtseiten der Americana, in denen sich Lynch so oft in seinen Filmen bewegt hat - aber dann schaut man Lana del Rey ins Gesicht und denkt: Nastassja Kinski. (Sie kenne den Schmerz, hat Nastassja Kinskis Mutter mal über ihre Tochter gesagt, so wie eine Rose den Schmerz kennt - ein Satz, den Lana del Rey sicher gern für einen ihrer Songs geschrieben hätte.)

Mit geschlossenen Augen dagegen wird einem bald etwas langweilig von den Songs in immer gleichem Tempo und immer gleicher Tonlage, selten, wie bei "Off the Races", rührt sich der Puls mal etwas stärker, im Grunde ist es aber jedes Mal das gleiche düster hingehauchte Drama der Frau mit dem bösen Mann, von dem sie aber nicht lassen kann (so wie bei "Diet Mountain Dew"). Irgendwie erforscht Lana del Rey in ihren Kostümen und den Texten an dem Augenblick kurz vor dem Augenblick herum, an dem sich die Geschlechterverhältnisse änderten, wie das "Mad Men" im Fernsehen tun, und so, wie man sich dort nicht sicher ist, ob diese Nostalgie nicht doch ein bisschen reaktionär ist, so wenig ist man sich dessen auch bei Lana del Rey sicher.

Letztlich ist es aber natürlich genau das, was die Spannung erzeugt: dass sich da etwas einfach nicht aufklärt, aber die Vorstellungskraft erobert und die Sinne benebelt. Ganz egal, wie clever kalkuliert und produziert sie ist: diese Figur funktioniert, wenn auch mit bewegten Bildern besser als ohne. Und das unterscheidet Lana del Rey von einer Sängerin wie Amy Winehouse, der man die Sache mit den bösen Männern vor allem deswegen glauben konnte, weil es in ihrer Stimme steckte. Egal ob sie es erlebt hatte, es war da drin.

Aber etwas trotzdem zu glauben, obwohl man weiß, dass es nicht stimmt: auch das gehörte schon immer zur Popmusik. Gerade wird das Internet geflutet mit der Vorgeschichte von Lana del Rey, mit Filmen und Songs von einer Lizzy Grant mit schmalen Lippen, und irgendwie ist das schade, nein, schlimmer, es ist langweilig. Interessiert sich irgendjemand dafür? Lady Gaga ist interessant, aber Stefani Germanotta? Ein Vorhang wird gelüftet auf den Apparat von innen. Ein paar Monate lang hat der Trick funktioniert, jetzt werden die Regeln erklärt. Fast ist es so, als käme "Born to Die", die erste Platte von Lana del Rey, zu spät.

TOBIAS RÜTHER

"Born to Die" von Lana del Rey erscheint am Freitag bei Vertigo Berlin (Universal).

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