Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 18. Mai 2007
- Hersteller: 375 Media GmbH / BEGGARS BANQUET/BEGGARS G / INDIGO,
- EAN: 0607618025229
- Artikelnr.: 22618989
CD | |||
1 | Fake Empire | 00:03:25 | |
2 | Mistaken For Strangers | 00:03:30 | |
3 | Brainy | 00:03:18 | |
4 | Squalor Victoria | 00:02:59 | |
5 | Green Gloves | 00:03:39 | |
6 | Slow Show | 00:04:08 | |
7 | Apartment Story | 00:03:32 | |
8 | Start A War | 00:03:16 | |
9 | Guest Room | 00:03:18 | |
10 | Racing Like A Pro | 00:03:24 | |
11 | Ada | 00:04:03 | |
12 | Gospel | 00:04:29 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2007Zum Nachtleben gehört Apfelkuchen
Keine Angst vor bestimmten Artikeln: "The National" aus Ohio im Grenzgebiet zwischen Folkpop und Independent-Rock
Man hat es nicht leicht mit diesen Bands, die es offenbar immer noch nicht unoriginell finden, als Auftakt ihres Namens ein "The" zu führen. Allein dieses "The" - schon verdächtig. Als die neue Rock-Hausse um das Jahr 2000 gerade losging, wirkte es als nostalgische Reverenz an stilprägende Vorgänger noch halbwegs erfrischend. Schon wenig später wurde auf fortfolgende "The"-Bands häufiger lustlos reagiert: "Nachmacher!". Inzwischen gibt es der "The"-Offerten so viele, auch verspielte und versponnene, dass man schon genau hinsehen und -hören muss, möchte man wenig berauschende Konfektions-Coolness von interessanten Bands unterscheiden. Hinter manchen "The"-Konstrukten verbirgt sich etwa ein Solokünstler; manche Band hat das "The" gerade wegen seiner Abgegriffenheit gewählt und trägt es augenzwinkernd. Außerdem soll es vorkommen, dass eine Band aus profanen Modegründen zum "The" gegriffen hat und gleichwohl musikalisch überzeugend ist. Und so dekliniert man weiter.
Weitere Schwierigkeiten entstehen durch den charttauglichen Durchbruch eines Indiewesens, das sich vom Mainstream kaum mehr abhebt. Diese Auflösung der Kategorien ist nur zu begrüßen, zumal das traditionelle Selbstverständnis von Independent Rock - nämlich im Rahmen merkantiler Realitäten das bessere, antikommerzielle Gewissen von Pop sein zu können - vor allem zu falschen Sicherheiten und Standesdünkel führte. Gleichwohl geht einiges an Begriffsschärfe verloren, wenn unter "Indie" nicht länger ein Produktionsethos verstanden wird, sondern alles, was unabhängig vom tatsächlichen Studioaufwand noch handgemacht wirkt; was sich trotz mangelnder ästhetischer Brisanz als widerspenstig verkaufen lässt; was, Hauptsache, rockt. Gut. Wenigstens gibt es in diesen Wirren auch Bands, die über diese Problemchen hinweg eine Brücke bauen.
Die aus London kommenden "Art Brut" etwa vermögen es, auf schulterzuckende Weise möglichst "Indie" zu sein, und das ganze Indiegebaren gleichzeitig wegzudiskreditieren (F.A.Z. vom 26. Juni). Ihr letztes Album hieß bezeichnenderweise "It's a Little Bit Complicated". Das ist es. Kompliziert. Umso größer die Linderung, wenn sich "The National" aus Cincinnati/Ohio von derlei Spitzfindigkeiten nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen und mit ihrem Album "Boxer" entlang von Gitarrenschrägen und Soundwinkeln einen abgedunkelten Raum ausloten, in dem nicht bereits alle Dinge benannt sind und ihren angestammten Platz einnehmen.
"The National" haben mit der aktuellen Sixties-Welle nichts zu tun, sie formierten sich bereits 1999 und bestehen seitdem als sehr klassisch besetzte Band zu fünft. Aaron Dessner (Gitarre, Bass), Bryce Dessner (Gitarre), Scott Devendorf (Gitarre, Bass) und Bryan Devendorf (Schlagzeug) sind zwei Geschwisterpaare. Matt Berninger besetzt seit drei Alben den Posten, ein bisschen losgelöst von den anderen zu singen und die Texte zu schreiben. Seine Stimmlage ist ein stoisch erzählender Bariton, der gelegentlich ins Rostige kippt. Wenn er weniger zu sagen hat als die Arrangements aus Percussion- und Bläsereinsätzen im Hintergrund, kann er ausdauernd schweigen. Wenn er mehr zu sagen hat, spickt er seine Stücke mit filmisch wirkenden Schnappschüssen, die so lyrisch wie trocken formuliert sind. Wiederzugeben, wie er im Eröffnungsstück "Fake Empire" von nächtlichen Aktionen wie Apfelernte, Kuchenbacken und dem anschließenden Rückzug ins allzu Private singt, erklärt nichts vom Reiz seiner Worte. Er liegt vor aber allem darin, dass man genau zuhören muss, will man sie und ihn verstehen.
Ebenfalls zu erschließen: Was bei "The National" rund werden soll, braucht hier und da blitzende Kanten, zugespitzt von den ansonsten angenehm zurückgenommenen Gitarren. Weiter vorn steht das Schlagzeugspiel von Bryan Devendorf, das den Grundrhythmus von "Boxer" gemäßigt hält und die Wendungen der Melodieführung je nach Bedarf einfädelt oder hämmernd vorgibt. Der Singer/Songwriter Sufjan Stevens gastiert auf einem Stück am Klavier, als wäre es eine Harfe. Die Streicher- und Bläsermomente hat Tourbandmitglied Padma Newsome beigesteuert. Bis all die Farben und Formen der Platte schließlich so restlos aufeinander abgestimmt klingen, braucht es einige Zeit. "The National" haben sie hinter sich; dass sich die Aufnahmen letztlich über dreizehn konzentrierte Monate zogen, will man dem Ergebnis gern glauben.
In einer Rezension war zu lesen, dass Matt Berninger durch seine Texte den Anschein erwirkt, als würde ihn das Erfassen einer gestörten Welt heilen und zusammenhalten. Die Ausstrahlung von "Boxer" ist in etwa dieselbe: Die beunruhigenden Seiten des Lebens wurden weder ausgelassen noch geschönt, sondern in einen Rahmen eingepasst, der das Ganze stimmig und zugänglich macht.
Produziert wurde "Boxer" von Peter Katis, der sich auch schon der Band "Interpol" angenommen hat. Im direkten Vergleich mit den hierzulande erfolgreicheren Kollegen klingen "The National" zwar ähnlich düster, aber aller Voraussicht nach nicht treibend oder akut genug, um deren Popularität zu erreichen. Im Plattenladen dürften "The National" unter "Indie" stehen, was ihren Strukturen entspricht, aber nicht unbedingt der Ort ist, wo sie am besten zur Geltung kommen. Doch für Selbstreferentielles über ihren Status im Popgewerbe ist in ihren Stücken kein Jota Platz. Wunderbar. Stattdessen haben sie ein Album aufgenommen, das mit Genreverweisen und rockenden Superlativen nur verfehlt werden kann. Eher wurde es für Begriffe gemacht, die erst noch zu finden sind.
DORIS ACHELWILM
The National, Boxer. Beggars Banquet 252 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine Angst vor bestimmten Artikeln: "The National" aus Ohio im Grenzgebiet zwischen Folkpop und Independent-Rock
Man hat es nicht leicht mit diesen Bands, die es offenbar immer noch nicht unoriginell finden, als Auftakt ihres Namens ein "The" zu führen. Allein dieses "The" - schon verdächtig. Als die neue Rock-Hausse um das Jahr 2000 gerade losging, wirkte es als nostalgische Reverenz an stilprägende Vorgänger noch halbwegs erfrischend. Schon wenig später wurde auf fortfolgende "The"-Bands häufiger lustlos reagiert: "Nachmacher!". Inzwischen gibt es der "The"-Offerten so viele, auch verspielte und versponnene, dass man schon genau hinsehen und -hören muss, möchte man wenig berauschende Konfektions-Coolness von interessanten Bands unterscheiden. Hinter manchen "The"-Konstrukten verbirgt sich etwa ein Solokünstler; manche Band hat das "The" gerade wegen seiner Abgegriffenheit gewählt und trägt es augenzwinkernd. Außerdem soll es vorkommen, dass eine Band aus profanen Modegründen zum "The" gegriffen hat und gleichwohl musikalisch überzeugend ist. Und so dekliniert man weiter.
Weitere Schwierigkeiten entstehen durch den charttauglichen Durchbruch eines Indiewesens, das sich vom Mainstream kaum mehr abhebt. Diese Auflösung der Kategorien ist nur zu begrüßen, zumal das traditionelle Selbstverständnis von Independent Rock - nämlich im Rahmen merkantiler Realitäten das bessere, antikommerzielle Gewissen von Pop sein zu können - vor allem zu falschen Sicherheiten und Standesdünkel führte. Gleichwohl geht einiges an Begriffsschärfe verloren, wenn unter "Indie" nicht länger ein Produktionsethos verstanden wird, sondern alles, was unabhängig vom tatsächlichen Studioaufwand noch handgemacht wirkt; was sich trotz mangelnder ästhetischer Brisanz als widerspenstig verkaufen lässt; was, Hauptsache, rockt. Gut. Wenigstens gibt es in diesen Wirren auch Bands, die über diese Problemchen hinweg eine Brücke bauen.
Die aus London kommenden "Art Brut" etwa vermögen es, auf schulterzuckende Weise möglichst "Indie" zu sein, und das ganze Indiegebaren gleichzeitig wegzudiskreditieren (F.A.Z. vom 26. Juni). Ihr letztes Album hieß bezeichnenderweise "It's a Little Bit Complicated". Das ist es. Kompliziert. Umso größer die Linderung, wenn sich "The National" aus Cincinnati/Ohio von derlei Spitzfindigkeiten nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen und mit ihrem Album "Boxer" entlang von Gitarrenschrägen und Soundwinkeln einen abgedunkelten Raum ausloten, in dem nicht bereits alle Dinge benannt sind und ihren angestammten Platz einnehmen.
"The National" haben mit der aktuellen Sixties-Welle nichts zu tun, sie formierten sich bereits 1999 und bestehen seitdem als sehr klassisch besetzte Band zu fünft. Aaron Dessner (Gitarre, Bass), Bryce Dessner (Gitarre), Scott Devendorf (Gitarre, Bass) und Bryan Devendorf (Schlagzeug) sind zwei Geschwisterpaare. Matt Berninger besetzt seit drei Alben den Posten, ein bisschen losgelöst von den anderen zu singen und die Texte zu schreiben. Seine Stimmlage ist ein stoisch erzählender Bariton, der gelegentlich ins Rostige kippt. Wenn er weniger zu sagen hat als die Arrangements aus Percussion- und Bläsereinsätzen im Hintergrund, kann er ausdauernd schweigen. Wenn er mehr zu sagen hat, spickt er seine Stücke mit filmisch wirkenden Schnappschüssen, die so lyrisch wie trocken formuliert sind. Wiederzugeben, wie er im Eröffnungsstück "Fake Empire" von nächtlichen Aktionen wie Apfelernte, Kuchenbacken und dem anschließenden Rückzug ins allzu Private singt, erklärt nichts vom Reiz seiner Worte. Er liegt vor aber allem darin, dass man genau zuhören muss, will man sie und ihn verstehen.
Ebenfalls zu erschließen: Was bei "The National" rund werden soll, braucht hier und da blitzende Kanten, zugespitzt von den ansonsten angenehm zurückgenommenen Gitarren. Weiter vorn steht das Schlagzeugspiel von Bryan Devendorf, das den Grundrhythmus von "Boxer" gemäßigt hält und die Wendungen der Melodieführung je nach Bedarf einfädelt oder hämmernd vorgibt. Der Singer/Songwriter Sufjan Stevens gastiert auf einem Stück am Klavier, als wäre es eine Harfe. Die Streicher- und Bläsermomente hat Tourbandmitglied Padma Newsome beigesteuert. Bis all die Farben und Formen der Platte schließlich so restlos aufeinander abgestimmt klingen, braucht es einige Zeit. "The National" haben sie hinter sich; dass sich die Aufnahmen letztlich über dreizehn konzentrierte Monate zogen, will man dem Ergebnis gern glauben.
In einer Rezension war zu lesen, dass Matt Berninger durch seine Texte den Anschein erwirkt, als würde ihn das Erfassen einer gestörten Welt heilen und zusammenhalten. Die Ausstrahlung von "Boxer" ist in etwa dieselbe: Die beunruhigenden Seiten des Lebens wurden weder ausgelassen noch geschönt, sondern in einen Rahmen eingepasst, der das Ganze stimmig und zugänglich macht.
Produziert wurde "Boxer" von Peter Katis, der sich auch schon der Band "Interpol" angenommen hat. Im direkten Vergleich mit den hierzulande erfolgreicheren Kollegen klingen "The National" zwar ähnlich düster, aber aller Voraussicht nach nicht treibend oder akut genug, um deren Popularität zu erreichen. Im Plattenladen dürften "The National" unter "Indie" stehen, was ihren Strukturen entspricht, aber nicht unbedingt der Ort ist, wo sie am besten zur Geltung kommen. Doch für Selbstreferentielles über ihren Status im Popgewerbe ist in ihren Stücken kein Jota Platz. Wunderbar. Stattdessen haben sie ein Album aufgenommen, das mit Genreverweisen und rockenden Superlativen nur verfehlt werden kann. Eher wurde es für Begriffe gemacht, die erst noch zu finden sind.
DORIS ACHELWILM
The National, Boxer. Beggars Banquet 252 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main