Die neuen Superstars des deutschen Indierock mit ihrem vierten Album. Ihr letztes Album "Hinter all diesen Fenstern" markierte 2003 den Überraschungserfolg in Sachen deutschsprachiger Rockmusik. Die Hamburger Band Tomte, die einst aus dem niedersächsischen Hemmoor auszog, um mal vor Oasis aufzutreten, spielt in Deutschland mittlerweile längst in einer ähnlichen Liga wie die Briten. Nach Festivalauftritten und Support-Gigs für Coldplay sowie einem Kinogastspiel in "Keine Lieder über Liebe" erscheint jetzt mit "Buchstaben über der Stadt" das vierte Album des Quartetts um Sänger Thees Uhlmann. Mit einer Mischung aus Euphorie und unglaublicher Berührtheit schleudern Tomte einen gegen die nächste Wand. Man selbst denkt dann "Hach, ist das schön" und lauscht Uhlmanns Stimme, die ein bisschen wie Schweizer Alpen-Quellwasser klingt, das viele kleine Kieselsteine mit sich trägt. Und vielleicht hat er deswegen - nach Bono und Richard Ashcroft - einen Song namens "New York" geschrieben, den er - unvergleichlich - als Liebeslied singt. " ... es ist schön, wenn mal die Guten gewinnen." (Sven Regner). Die limitierte Erstauflage erscheint mit einer Bonus-DVD:. Video "Ich sang die ganze Zeit von dir". Making Of. (Video). Konzertausschnitte/Interviews. Banddoku. Kommentierte Dia-Show
CD | |||
1 | Ich Sang Die Ganze Zeit Von Dir | 00:04:22 | |
2 | So Soll Es Sein | 00:03:32 | |
3 | Was Den Himmel Erhellt | 00:04:31 | |
4 | New York | 00:04:47 | |
5 | Walter & Gail | 00:04:57 | |
6 | Norden Der Welt | 00:04:18 | |
7 | Warum Ich Hier Stehe | 00:04:20 | |
8 | Auf Meinen Schultern | 00:03:24 | |
9 | Sie Lachen Zu Recht Und Wir Lachen Auch | 00:04:13 | |
10 | Geigen Bei Wonderful World | 00:04:15 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2006Anders als unglücklich
Mit ihrer neuen Platte zeigen Tomte, daß im deutschen Pop kein Weg an ihnen vorbeiführt
Manche Dinge ändern sich nie. Bis zum heutigen Tag wird das Marktsegment Rockmusik vor allem von zornigen jungen Männern bevölkert. Wogegen nicht viel zu sagen ist. Allerdings sind Wut und Melancholie ziemlich leicht in Musik zu übersetzende Gefühle - es gibt einen reichhaltigen Fundus an Klischees, die sich ohne große Anstrengung durch Variation in immer wieder neue Songs überführen lassen. Gefühle des Glücks sind dagegen - zumindest im authentizitätslüsternen Rock - weitaus schwerer zu vermitteln. Der Hörer teilt lieber die Frustriertheiten eines Musikers, die sich im Idealfall mit den eigenen decken, als an dessen individuellen Hochmomenten teilhaben zu wollen. Der Band Tomte ist deswegen mit ihrem vierten Album etwas ganz und gar Außergewöhnliches gelungen: eine glückliche Platte.
Dabei schätzte man Tomte spätestens seit ihrem letzten Album "Hinter all diesen Fenstern" gerade für ihre sublimierte Melancholie. Als die Platte 2003 (noch vor dem großen Deutschpop-Boom) erschien, schloß sie eine Lücke: Blumfeld und Tocotronic waren von der ihnen zugeschriebenen Rolle als Identifikationsstifterbands freiwillig zurückgetreten, und mitten in die Stille nölte Tomte-Sänger Thees Uhlmann trotzig: "Schreit den Namen meiner Mutter!" (so der Titel der erfolgreichsten Single). Man war geneigt, es tun zu wollen. Es gibt wohl keine zweite deutsche Platte, die dermaßen vor aufgeworfenen Gemütszuständen zu platzen scheint. Zustände, die in einer Sprache bezwungen wurden, die ureigen klang, gleichzeitig aber auch keine Angst vor Pathos kannte. So verletzbar und größenwahnsinnig wie Uhlmann hatte sich hierzulande noch kein Songschreiber präsentiert. Thees Uhlmann war ganz bei sich und seinen Nöten - und gerade deshalb war man bei ihm.
Jetzt also das - hier stimmt es mal - mit Spannung erwartete neue Tomte-Album "Buchstaben über der Stadt". Ein verheißungsvoller Titel. Und auch die Vorabsingle "Ich sang die ganze Zeit von dir" (derzeit auf MTV zu sehen) kitzelt den Melancholiemuskel, wie es nur ein Tomte-Song kann. Um mit dem Album warm zu werden, braucht es diesmal jedoch einige Zeit. Es klingt deutlich monochromer als der Vorgänger, die zehn Songs scheinen zunächst ohne allzu große Dramaturgie daherzufließen. Erst nach und nach fallen kleine Details in den dichten Arrangements auf, die dafür um so nachhaltiger begeistern. Alleine Dennis Beckers Leadgitarre durch dieses Album zu folgen ist eine wahre Freude. Aber wie gesagt: die Platte braucht einige Zeit.
Auch nach den liebgewonnenen Uhlmannschen Pop-Aphorismen ("Das war eine Mischung aus Angst und Bier / die dich trieb, weiter zu gehen / an Plätze, die Menschen in unserem Alter vermeiden") muß man diesmal suchen. Das liegt vor allem daran, daß der glühende Oasis-Fan mittlerweile einen Gesangsstil perfektioniert hat, der dem zerdehnten Tonfall des Sängers Liam Gallagher in nichts nachsteht. Konsonantenfeindliche Gallagherismen, die kantige Stellen singbarer machen - auf deutsch ein tollkühnes Unterfangen. Mittlerweile hören sich Sätze bei Uhlmann auch schon mal so an: "Stuehle näächts vuon Looiten määt Kuetten uam Portemonneeee" ("Stehle nichts von Leuten mit Ketten am Portemonnaie"). Irgendwann aber - etwa beim fünften Durchlauf - wird deutlich: Tomte haben sich auf diesem Album tatsächlich selbst übertroffen.
Uhlmann, der so schön von sich selbst singen konnte, daß andere dachten, er sänge über sie, macht auf der neuen Platte häufig genau das: er singt über andere. Diesmal hat er keine Songs geschrieben, die persönliche Zustände ausstellen - er hat eine Platte gemacht, die Anteil nimmt. Eine empathische Platte.
Daß unser Held verliebt ist, wird schnell offensichtlich: "Weißt du, was du mir bedeutest / auf einem Platz in meinem Herz / steht dein Name an der Wand / und ich will, daß du es erfährst", heißt es im Eröffnungssong. Daß "Buchstaben" aber keine reine Sammlung von Lovesongs im klassischen Sinn geworden ist, verdankt sich wohl Uhlmanns Verantwortungsgefühl als Songwriter. Er weiß um die Tücken zufriedenheitsduseliger Platten, und so sind die Liebeslieder des neuen Tomte-Albums mehr Oden an als Lieder über die Liebe. Einen Song lang wird er ausnahmsweise konkret und protokolliert einen verliebten New-York-Ausflug, bei dem das Glück den Blick jedoch nicht verstellt, sondern freimacht für andere: "In der Stadt mit Loch / in einem verwirrten Land mit gekränktem Herz / über das jeder lacht, oder haßt". Holpert am Schluß etwas, ist aber trotzdem Poesie. Und jedes Mal, wenn in diesem Song nach drei Minuten und vierzig Sekunden endgültig der Himmel aufreißt, wünscht man sich nur noch, Tomte als Showact bei der eigenen Hochzeit dabeizuhaben.
Der teilnahmsvolle, milde Blick auf andere steht Uhlmann sehr gut. Am schönsten gelingt er im Song "Walter & Gail": "Walter wurde am Herzen operiert / Walter sagt, was danach passiert / war, daß er Gail sah und dachte: so schwach / so schwach ich bin, ich werde nicht gehn / denn mit dieser Frau, so wie sie ist / will ich noch Zeit, noch Zeit verbringen / Ihre Katze heißt Links, die andere Rex / erzähle mir etwas, das lustiger wär". Auch hier mag es auf dem Papier etwas holpern - trotzdem: noch nie gehört so was. Uhlmann gelingt hier etwas, an dem sich andere Texter gar nicht erst versuchen, nämlich Berührtheit, Ergriffenheit abzubilden. Im selben Song formuliert Uhlmann ganz explizit seinen neuen Seelenzustand und die daraus abgeleitete Verantwortung: "Bei mir ist Haut, wo eine Wunde war / es gibt Aufgaben, die zu erfüllen wären / den Traurigen die Welt erklären".
Ein weiterer zentraler Song ist "Was den Himmel erhellt". Ein Stück, in dem der Neu-Berliner Uhlmann nicht nur Abschied von Hamburg, sondern auch von seinem zurückbleibenden Freund und musikalischen Weggefährten, dem Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch, nimmt. Von allen Stücken der neuen Platte ist es wohl der Song, der am meisten an das Pathos von "Hinter all diesen Fenstern" erinnert, vor allem weil er ähnliche dramaturgische Effekte nutzt. Im Text hält Uhlmann Rückschau auf sein altes verzweifeltes Ich ("ich habe mich mit Gott geprügelt") und verweigert sich der Furcht vor dem neuen. Trotzdem gilt auch in diesem Brückensong zwischen Hamburg und Berlin, zwischen altem und neuem Thees Uhlmann letztlich alle Aufmerksamkeit dem anderen: "Es leuchten Buchstaben über der Stadt / die mich zum Mann gemacht hat / und was den Himmel erhellt: / eine der letzten großen Freundschaften der Welt". Natürlich war Freundschaft auch schon auf "Hinter all diesen Fenstern" eins der dominierenden Themen - aber eher im Sinne einer Hoffnung auf etwas, das die letzte Nacht überdauern könnte, im Sinne einer Beschwörung. Wenn auf dem neuen Album von Freundschaften die Rede ist, so scheinen diese auf solidem Fundament zu stehen: auf Vertrauen, Loyalität, Einsatz, Verzicht, Dankbarkeit. Große altmodische Worte, aber darunter geht es bei dieser Platte schlichtweg nicht.
Vermutlich wären viele dieser Texte mit anderer Musik, mit einer anderen Band gar nicht möglich. Die Größe dieser Platte ist also keinesfalls allein Thees Uhlmanns Verdienst. Vieles funktioniert nur, weil die Band mit ihrem geradlinigen unhysterischen Spiel den Überschwang ihres Sängers subtil konterkariert. Wieder muß diese immer etwas traurig dahertröpfelnde Leadgitarre erwähnt werden. Tomte haben sich einen ureigenen molligen, nieselregennassen Klang erspielt, der mittlerweile auch ohne ihren Sänger sofort mühelos zu identifizieren wäre. Kommt hierzulande auch nicht so oft vor.
Am Ende der Platte steht ein Lied über Glück und - Musik: "Die Geigen von Wonderful World". Uhlmann feiert sein Leben und den Soundtrack dazu. Und er zeigt sich dankbar: "Die Trombone bei ,Moon River', wie sie die Hoffnung erhält / die Geigen bei ,Wonderful World' / Ich lebe mich durch eines der schönsten Leben / mit den schönsten Songs der Welt". Dieser letzte Satz, gesungen mit dieser neu verbreiterten Stimme, ist ein absolutes Erlebnis. Da fällt vermutlich selbst ewigen "Korn und Sprite"-Trinkern vor lauter Ergriffenheit nicht mehr auf, daß hier, von Akustikgitarre, Besen-Schlagzeug, Harmonium, Stopftrompete, Keyboard-Geigen und Dire-Straits-Licks begleitet, von purem Glück gesungen wird. Und auch hier der bewegte Blick auf andere: "Ich wollte dir nicht viel sagen, nur daß ich / heute ein altes Paar sah / (. . .) etwas ließ mich erschaudern / etwas machte mich stolz, sie zu sehen / (. . .) glücklich am Ende eines langen Lebens / und alles ist aus Gold." Schöner wird's nicht.
ERIC PFEIL.
Tomte "Buchstaben über der Stadt" erscheint am 3. Februar bei Grand Hotel Van Cleef. Die Single "Ich sang die ganze Zeit von dir" erscheint am Freitag.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit ihrer neuen Platte zeigen Tomte, daß im deutschen Pop kein Weg an ihnen vorbeiführt
Manche Dinge ändern sich nie. Bis zum heutigen Tag wird das Marktsegment Rockmusik vor allem von zornigen jungen Männern bevölkert. Wogegen nicht viel zu sagen ist. Allerdings sind Wut und Melancholie ziemlich leicht in Musik zu übersetzende Gefühle - es gibt einen reichhaltigen Fundus an Klischees, die sich ohne große Anstrengung durch Variation in immer wieder neue Songs überführen lassen. Gefühle des Glücks sind dagegen - zumindest im authentizitätslüsternen Rock - weitaus schwerer zu vermitteln. Der Hörer teilt lieber die Frustriertheiten eines Musikers, die sich im Idealfall mit den eigenen decken, als an dessen individuellen Hochmomenten teilhaben zu wollen. Der Band Tomte ist deswegen mit ihrem vierten Album etwas ganz und gar Außergewöhnliches gelungen: eine glückliche Platte.
Dabei schätzte man Tomte spätestens seit ihrem letzten Album "Hinter all diesen Fenstern" gerade für ihre sublimierte Melancholie. Als die Platte 2003 (noch vor dem großen Deutschpop-Boom) erschien, schloß sie eine Lücke: Blumfeld und Tocotronic waren von der ihnen zugeschriebenen Rolle als Identifikationsstifterbands freiwillig zurückgetreten, und mitten in die Stille nölte Tomte-Sänger Thees Uhlmann trotzig: "Schreit den Namen meiner Mutter!" (so der Titel der erfolgreichsten Single). Man war geneigt, es tun zu wollen. Es gibt wohl keine zweite deutsche Platte, die dermaßen vor aufgeworfenen Gemütszuständen zu platzen scheint. Zustände, die in einer Sprache bezwungen wurden, die ureigen klang, gleichzeitig aber auch keine Angst vor Pathos kannte. So verletzbar und größenwahnsinnig wie Uhlmann hatte sich hierzulande noch kein Songschreiber präsentiert. Thees Uhlmann war ganz bei sich und seinen Nöten - und gerade deshalb war man bei ihm.
Jetzt also das - hier stimmt es mal - mit Spannung erwartete neue Tomte-Album "Buchstaben über der Stadt". Ein verheißungsvoller Titel. Und auch die Vorabsingle "Ich sang die ganze Zeit von dir" (derzeit auf MTV zu sehen) kitzelt den Melancholiemuskel, wie es nur ein Tomte-Song kann. Um mit dem Album warm zu werden, braucht es diesmal jedoch einige Zeit. Es klingt deutlich monochromer als der Vorgänger, die zehn Songs scheinen zunächst ohne allzu große Dramaturgie daherzufließen. Erst nach und nach fallen kleine Details in den dichten Arrangements auf, die dafür um so nachhaltiger begeistern. Alleine Dennis Beckers Leadgitarre durch dieses Album zu folgen ist eine wahre Freude. Aber wie gesagt: die Platte braucht einige Zeit.
Auch nach den liebgewonnenen Uhlmannschen Pop-Aphorismen ("Das war eine Mischung aus Angst und Bier / die dich trieb, weiter zu gehen / an Plätze, die Menschen in unserem Alter vermeiden") muß man diesmal suchen. Das liegt vor allem daran, daß der glühende Oasis-Fan mittlerweile einen Gesangsstil perfektioniert hat, der dem zerdehnten Tonfall des Sängers Liam Gallagher in nichts nachsteht. Konsonantenfeindliche Gallagherismen, die kantige Stellen singbarer machen - auf deutsch ein tollkühnes Unterfangen. Mittlerweile hören sich Sätze bei Uhlmann auch schon mal so an: "Stuehle näächts vuon Looiten määt Kuetten uam Portemonneeee" ("Stehle nichts von Leuten mit Ketten am Portemonnaie"). Irgendwann aber - etwa beim fünften Durchlauf - wird deutlich: Tomte haben sich auf diesem Album tatsächlich selbst übertroffen.
Uhlmann, der so schön von sich selbst singen konnte, daß andere dachten, er sänge über sie, macht auf der neuen Platte häufig genau das: er singt über andere. Diesmal hat er keine Songs geschrieben, die persönliche Zustände ausstellen - er hat eine Platte gemacht, die Anteil nimmt. Eine empathische Platte.
Daß unser Held verliebt ist, wird schnell offensichtlich: "Weißt du, was du mir bedeutest / auf einem Platz in meinem Herz / steht dein Name an der Wand / und ich will, daß du es erfährst", heißt es im Eröffnungssong. Daß "Buchstaben" aber keine reine Sammlung von Lovesongs im klassischen Sinn geworden ist, verdankt sich wohl Uhlmanns Verantwortungsgefühl als Songwriter. Er weiß um die Tücken zufriedenheitsduseliger Platten, und so sind die Liebeslieder des neuen Tomte-Albums mehr Oden an als Lieder über die Liebe. Einen Song lang wird er ausnahmsweise konkret und protokolliert einen verliebten New-York-Ausflug, bei dem das Glück den Blick jedoch nicht verstellt, sondern freimacht für andere: "In der Stadt mit Loch / in einem verwirrten Land mit gekränktem Herz / über das jeder lacht, oder haßt". Holpert am Schluß etwas, ist aber trotzdem Poesie. Und jedes Mal, wenn in diesem Song nach drei Minuten und vierzig Sekunden endgültig der Himmel aufreißt, wünscht man sich nur noch, Tomte als Showact bei der eigenen Hochzeit dabeizuhaben.
Der teilnahmsvolle, milde Blick auf andere steht Uhlmann sehr gut. Am schönsten gelingt er im Song "Walter & Gail": "Walter wurde am Herzen operiert / Walter sagt, was danach passiert / war, daß er Gail sah und dachte: so schwach / so schwach ich bin, ich werde nicht gehn / denn mit dieser Frau, so wie sie ist / will ich noch Zeit, noch Zeit verbringen / Ihre Katze heißt Links, die andere Rex / erzähle mir etwas, das lustiger wär". Auch hier mag es auf dem Papier etwas holpern - trotzdem: noch nie gehört so was. Uhlmann gelingt hier etwas, an dem sich andere Texter gar nicht erst versuchen, nämlich Berührtheit, Ergriffenheit abzubilden. Im selben Song formuliert Uhlmann ganz explizit seinen neuen Seelenzustand und die daraus abgeleitete Verantwortung: "Bei mir ist Haut, wo eine Wunde war / es gibt Aufgaben, die zu erfüllen wären / den Traurigen die Welt erklären".
Ein weiterer zentraler Song ist "Was den Himmel erhellt". Ein Stück, in dem der Neu-Berliner Uhlmann nicht nur Abschied von Hamburg, sondern auch von seinem zurückbleibenden Freund und musikalischen Weggefährten, dem Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch, nimmt. Von allen Stücken der neuen Platte ist es wohl der Song, der am meisten an das Pathos von "Hinter all diesen Fenstern" erinnert, vor allem weil er ähnliche dramaturgische Effekte nutzt. Im Text hält Uhlmann Rückschau auf sein altes verzweifeltes Ich ("ich habe mich mit Gott geprügelt") und verweigert sich der Furcht vor dem neuen. Trotzdem gilt auch in diesem Brückensong zwischen Hamburg und Berlin, zwischen altem und neuem Thees Uhlmann letztlich alle Aufmerksamkeit dem anderen: "Es leuchten Buchstaben über der Stadt / die mich zum Mann gemacht hat / und was den Himmel erhellt: / eine der letzten großen Freundschaften der Welt". Natürlich war Freundschaft auch schon auf "Hinter all diesen Fenstern" eins der dominierenden Themen - aber eher im Sinne einer Hoffnung auf etwas, das die letzte Nacht überdauern könnte, im Sinne einer Beschwörung. Wenn auf dem neuen Album von Freundschaften die Rede ist, so scheinen diese auf solidem Fundament zu stehen: auf Vertrauen, Loyalität, Einsatz, Verzicht, Dankbarkeit. Große altmodische Worte, aber darunter geht es bei dieser Platte schlichtweg nicht.
Vermutlich wären viele dieser Texte mit anderer Musik, mit einer anderen Band gar nicht möglich. Die Größe dieser Platte ist also keinesfalls allein Thees Uhlmanns Verdienst. Vieles funktioniert nur, weil die Band mit ihrem geradlinigen unhysterischen Spiel den Überschwang ihres Sängers subtil konterkariert. Wieder muß diese immer etwas traurig dahertröpfelnde Leadgitarre erwähnt werden. Tomte haben sich einen ureigenen molligen, nieselregennassen Klang erspielt, der mittlerweile auch ohne ihren Sänger sofort mühelos zu identifizieren wäre. Kommt hierzulande auch nicht so oft vor.
Am Ende der Platte steht ein Lied über Glück und - Musik: "Die Geigen von Wonderful World". Uhlmann feiert sein Leben und den Soundtrack dazu. Und er zeigt sich dankbar: "Die Trombone bei ,Moon River', wie sie die Hoffnung erhält / die Geigen bei ,Wonderful World' / Ich lebe mich durch eines der schönsten Leben / mit den schönsten Songs der Welt". Dieser letzte Satz, gesungen mit dieser neu verbreiterten Stimme, ist ein absolutes Erlebnis. Da fällt vermutlich selbst ewigen "Korn und Sprite"-Trinkern vor lauter Ergriffenheit nicht mehr auf, daß hier, von Akustikgitarre, Besen-Schlagzeug, Harmonium, Stopftrompete, Keyboard-Geigen und Dire-Straits-Licks begleitet, von purem Glück gesungen wird. Und auch hier der bewegte Blick auf andere: "Ich wollte dir nicht viel sagen, nur daß ich / heute ein altes Paar sah / (. . .) etwas ließ mich erschaudern / etwas machte mich stolz, sie zu sehen / (. . .) glücklich am Ende eines langen Lebens / und alles ist aus Gold." Schöner wird's nicht.
ERIC PFEIL.
Tomte "Buchstaben über der Stadt" erscheint am 3. Februar bei Grand Hotel Van Cleef. Die Single "Ich sang die ganze Zeit von dir" erscheint am Freitag.
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