CD | |||
1 | Sommer 52 | 00:03:02 | |
2 | Der Fischer und der Boss | 00:06:13 | |
3 | Wotan und Wolf | 00:05:59 | |
4 | Bunter Hund | 00:04:03 | |
5 | Ich bin verliebt in meine Sekretärin | 00:02:59 | |
6 | Drei Kisten Kindheit | 00:05:39 | |
7 | Drei Jahre und ein Tag | 00:06:29 | |
8 | Danke, liebe gute Fee | 00:05:22 | |
9 | Ich brauche einen Sommelier | 00:03:40 | |
10 | Friedrichstraße | 00:05:11 | |
11 | Kai | 00:05:50 | |
12 | Große Schwester | 00:04:26 | |
13 | Schraders Filmpalast | 00:05:15 | |
14 | Les Temps Des Cerises | 00:07:53 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2007Lebensmöbel
Auf seiner neuen Platte hält Reinhard Mey Rückschau
Seltsam, wie wir Deutsche mit unseren Künstlern umgehen. Zum Beispiel mit Reinhard Mey: Da ist einer, dem es gelang, mit eigenen, französisch gesungenen Chansons Frankreich zu überzeugen - und wir, die noch heute Juliette Gréco, Charles Aznavour und Françoise Hardy vergöttern, haben es vergessen. So vergessen wie die hiesigen Erfolge Reinhard Meys, sein süffisantes "Die heiße Schlacht am kalten Büfett" beispielsweise, mit dem er 1974 das deutsche Neureichentum aufs Korn nahm, oder sein "Ich wollte wie Orpheus singen", das 1964 den in Spießigkeit verstummten Älteren und den aus Trotz wortkargen Jüngeren die Zunge zu einer Liebeserklärung löste.
Reinhard Mey, der "Liedermacher", wurde uns im Lauf der Jahrzehnte zum Lebensmobiliar, kaum noch bemerkt, aber immer zur Stelle, wenn unsereins, wieder mal gebeutelt von Alltagstrott oder Sinnkrisen, sich ein heimliches "Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein" gestattete.
Aus allen Wolken gefallen sehen wir nun einen Vierundsechzigjährigen auf dem Coverfoto seines neuen Albums; Lederjacke, bürstiges Grauhaar und Fünf-Tage-Bart, nur die zickige Nickelbrille signalisiert einen entscheidenden Unterschied zu Niedecken, Maffay oder Johnny Halliday. Man verschiebt den Gang zum Kleiderschrank mit der eigenen vergessenen Jacke und hört in das neue Album. "Drei Kisten Kindheit" fällt auf: Ein Vater halbwegs erwachsener Kinder steht vor den Umzugskartons, die sie, gefüllt mit Spielzeug, bei "ihrem hastigen Aufbruch ins Leben" zurückgelassen haben. Er wird sie nicht öffnen: "Mein Halt würde versagen, würd' ich die Alf-Cassetten hör'n."
Erinnerungen wie diese freizulegen, Nebensächlichkeiten und ihre schwerwiegenden Folgen zu entdecken und in Worte zu fassen - das machte immer die Einzigartigkeit des Reinhard Mey aus: "Im Garten sind die Bäume, die wir pflanzten, groß geworden. Der Nussbaum und der Ahorn, das Apfelbäumchen ein Baum. Das Lied des Lebens schreibt sich fort in immer neuen Akkorden. Und was davon verklungen ist, bewegt die Kinder kaum."
Mit solchen Bildern bleibt der Sänger unberührt vom Mobilitätsfuror unserer Tage, dem flüchtigen Kommen und Gehen, zu dem Beziehungen und Familienverbände geworden sind. Er hat recht damit, denn egal, ob es der Apfelbaum im eigenen oder im Schrebergarten ist, den man nicht mehr gemeinsam mit den Kindern genießt, der Trennungsschmerz bleibt der gleiche. Nur Meys Zuversicht, wenn er am Ende beteuert: "Die Kinder kommen wieder heim, gebt mir nur ein paar Jahre", ist blind. Aber man möchte gerne glauben, dass er der einzig Sehende unter uns Blinden ist - schließlich wuchs aus derselben unbeirrbaren väterlichen Gewissheit 1986 Reinhard Meys kompromissloses "Nein, meine Söhne geb' ich nicht".
"Wie vor Jahr und Tag liebe ich dich noch" hieß 1964 einer seiner ersten Hits. Damals hatte seine Beteuerung etwas rührend Weltfremdes und peinlich Altmodisches. Heute, mit der Erfahrung viel zu häufiger Orts- und Partnerwechsel und fortwährender Abschiede, hört man dasselbe Lied als Stoßgebet und vergeblichen Wunschtraum eines Hellsichtigen. Das geht einem mit vielen alten Liedern Meys so. Deshalb ist Ruhe angesagt, wenn einem die neuen Stücke, in denen er Rückschau auf sein Leben hält, sofort altbacken anmuten. Hat er nicht recht mit seiner Klage um "Schraders Filmpalast", die zum Abbruch bestimmte alte Kinokiste der Kindheit, deren Flitter ausgeblichen ist - und die doch im Gedächtnis mit dem Glanz der Herzklopf-Filme weiterleuchtet? "Du siehst erst deine Schätze, wenn du sie verloren hast." En passant zufrieden hört man ihn in "Friedrichstraße" ein "Bande von Halunken" gegen Berlins kopflose neue Preußenschwärmerei stellen und ist berührt, wenn der harmlose Titel "Kai" sich als bitterer leiser Protest gegen Bundeswehreinsätze im Ausland entpuppt: "Am Ende der Welt in einem Mohnfeld zerschellt."
Der stattliche Rest aber, neun sehr lange Lieder, vereint zwei Todsünden der Unterhaltungskunst: Selbstzufriedenheit und Langeweile. In dezentem Folkswing, ungetrübt von musikalischen Einfällen, plätschern die Lieder vor sich hin. Die Stimme, von der Zeit leicht angerauht, meidet jedes Tonrisiko. Prompt wirkt der Gesang nicht besänftigend, sondern einschläfernd. Was wiederum nicht das Schlechteste ist angesichts der Mengen von Kitsch, die er ausbreitet.
Dann beispielsweise, wenn Mey von wandernden Handwerksburschen singt, ihrer Brüderlichkeit und Gleichheit, die sie nach tausend Jahren Trippeln via Reichstag und Stelenfeld auf das neue World Trade Center führt. "Ich bin verliebt in meine Sekretärin" ist eine schaurige Altherrenphantasie, "Danke, liebe gute Fee" ein belangloses Lob der Missgeschicke, die zum Guten ausschlagen, und "Wotan und Wolf" das wehleidige Memento auf zwei Wachhunde eines Duisburger Autofriedhofs. Alles in allem: angesichts so viel lauer Abgesänge und netter Plaudereien über Gott und die Welt entpuppt sich "Bunter Hund", das autobiographische Titellied des Albums, als maßlose Übertreibung. Der Mann braucht eine Frankreich-Kur.
DIETER BARTETZKO
Reinhard Mey, Bunter Hund. Odeon/EMI 3940122
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf seiner neuen Platte hält Reinhard Mey Rückschau
Seltsam, wie wir Deutsche mit unseren Künstlern umgehen. Zum Beispiel mit Reinhard Mey: Da ist einer, dem es gelang, mit eigenen, französisch gesungenen Chansons Frankreich zu überzeugen - und wir, die noch heute Juliette Gréco, Charles Aznavour und Françoise Hardy vergöttern, haben es vergessen. So vergessen wie die hiesigen Erfolge Reinhard Meys, sein süffisantes "Die heiße Schlacht am kalten Büfett" beispielsweise, mit dem er 1974 das deutsche Neureichentum aufs Korn nahm, oder sein "Ich wollte wie Orpheus singen", das 1964 den in Spießigkeit verstummten Älteren und den aus Trotz wortkargen Jüngeren die Zunge zu einer Liebeserklärung löste.
Reinhard Mey, der "Liedermacher", wurde uns im Lauf der Jahrzehnte zum Lebensmobiliar, kaum noch bemerkt, aber immer zur Stelle, wenn unsereins, wieder mal gebeutelt von Alltagstrott oder Sinnkrisen, sich ein heimliches "Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein" gestattete.
Aus allen Wolken gefallen sehen wir nun einen Vierundsechzigjährigen auf dem Coverfoto seines neuen Albums; Lederjacke, bürstiges Grauhaar und Fünf-Tage-Bart, nur die zickige Nickelbrille signalisiert einen entscheidenden Unterschied zu Niedecken, Maffay oder Johnny Halliday. Man verschiebt den Gang zum Kleiderschrank mit der eigenen vergessenen Jacke und hört in das neue Album. "Drei Kisten Kindheit" fällt auf: Ein Vater halbwegs erwachsener Kinder steht vor den Umzugskartons, die sie, gefüllt mit Spielzeug, bei "ihrem hastigen Aufbruch ins Leben" zurückgelassen haben. Er wird sie nicht öffnen: "Mein Halt würde versagen, würd' ich die Alf-Cassetten hör'n."
Erinnerungen wie diese freizulegen, Nebensächlichkeiten und ihre schwerwiegenden Folgen zu entdecken und in Worte zu fassen - das machte immer die Einzigartigkeit des Reinhard Mey aus: "Im Garten sind die Bäume, die wir pflanzten, groß geworden. Der Nussbaum und der Ahorn, das Apfelbäumchen ein Baum. Das Lied des Lebens schreibt sich fort in immer neuen Akkorden. Und was davon verklungen ist, bewegt die Kinder kaum."
Mit solchen Bildern bleibt der Sänger unberührt vom Mobilitätsfuror unserer Tage, dem flüchtigen Kommen und Gehen, zu dem Beziehungen und Familienverbände geworden sind. Er hat recht damit, denn egal, ob es der Apfelbaum im eigenen oder im Schrebergarten ist, den man nicht mehr gemeinsam mit den Kindern genießt, der Trennungsschmerz bleibt der gleiche. Nur Meys Zuversicht, wenn er am Ende beteuert: "Die Kinder kommen wieder heim, gebt mir nur ein paar Jahre", ist blind. Aber man möchte gerne glauben, dass er der einzig Sehende unter uns Blinden ist - schließlich wuchs aus derselben unbeirrbaren väterlichen Gewissheit 1986 Reinhard Meys kompromissloses "Nein, meine Söhne geb' ich nicht".
"Wie vor Jahr und Tag liebe ich dich noch" hieß 1964 einer seiner ersten Hits. Damals hatte seine Beteuerung etwas rührend Weltfremdes und peinlich Altmodisches. Heute, mit der Erfahrung viel zu häufiger Orts- und Partnerwechsel und fortwährender Abschiede, hört man dasselbe Lied als Stoßgebet und vergeblichen Wunschtraum eines Hellsichtigen. Das geht einem mit vielen alten Liedern Meys so. Deshalb ist Ruhe angesagt, wenn einem die neuen Stücke, in denen er Rückschau auf sein Leben hält, sofort altbacken anmuten. Hat er nicht recht mit seiner Klage um "Schraders Filmpalast", die zum Abbruch bestimmte alte Kinokiste der Kindheit, deren Flitter ausgeblichen ist - und die doch im Gedächtnis mit dem Glanz der Herzklopf-Filme weiterleuchtet? "Du siehst erst deine Schätze, wenn du sie verloren hast." En passant zufrieden hört man ihn in "Friedrichstraße" ein "Bande von Halunken" gegen Berlins kopflose neue Preußenschwärmerei stellen und ist berührt, wenn der harmlose Titel "Kai" sich als bitterer leiser Protest gegen Bundeswehreinsätze im Ausland entpuppt: "Am Ende der Welt in einem Mohnfeld zerschellt."
Der stattliche Rest aber, neun sehr lange Lieder, vereint zwei Todsünden der Unterhaltungskunst: Selbstzufriedenheit und Langeweile. In dezentem Folkswing, ungetrübt von musikalischen Einfällen, plätschern die Lieder vor sich hin. Die Stimme, von der Zeit leicht angerauht, meidet jedes Tonrisiko. Prompt wirkt der Gesang nicht besänftigend, sondern einschläfernd. Was wiederum nicht das Schlechteste ist angesichts der Mengen von Kitsch, die er ausbreitet.
Dann beispielsweise, wenn Mey von wandernden Handwerksburschen singt, ihrer Brüderlichkeit und Gleichheit, die sie nach tausend Jahren Trippeln via Reichstag und Stelenfeld auf das neue World Trade Center führt. "Ich bin verliebt in meine Sekretärin" ist eine schaurige Altherrenphantasie, "Danke, liebe gute Fee" ein belangloses Lob der Missgeschicke, die zum Guten ausschlagen, und "Wotan und Wolf" das wehleidige Memento auf zwei Wachhunde eines Duisburger Autofriedhofs. Alles in allem: angesichts so viel lauer Abgesänge und netter Plaudereien über Gott und die Welt entpuppt sich "Bunter Hund", das autobiographische Titellied des Albums, als maßlose Übertreibung. Der Mann braucht eine Frankreich-Kur.
DIETER BARTETZKO
Reinhard Mey, Bunter Hund. Odeon/EMI 3940122
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main