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  • EAN: 4260134475709
  • Artikelnr.: 50908009
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2018

Da sind doch einige Federn gelassen worden
Mozarts "Zauberflöte" mit Rolando Villazón konzertant im Festspielhaus von Baden-Baden

Dass Mozart die Flöte nicht mochte, muss eine Fake-Mitteilung der Oboisten sein. Wie sonst hätte er seine "Zauberflöte" schreiben können, in der die Flöte als Wegweiser und Seelenführer Taminos Wunderdinge vollbringt? Clara Andrada hauchte dem Instrument Magie ein, und schon ihre zentrale Sitzposition im formidablen Chamber Orchestra of Europe hob sie in der konzertanten Gala-Aufführung der "Zauberflöte" im Festspielhaus von Baden-Baden heraus.

Seit 2011 werden hier die späten Mozartopern unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin - demnächst als Nachfolger von James Levine Chef der Metropolitan Opera in New York - für eine spätere Veröffentlichung auf CD einstudiert. Die New Yorker können sich auf einen genuinen Mozartdirigenten freuen, der selbst dieser bekanntesten Oper des Komponisten noch neue Pointen hinzugewinnt und ihr eine durchweg dramatisch zugespitzte Gangart verpasst. Leichtfüßig, quirlig-lebendig mit einem Schuss Nervosität steuert Nézet-Séguin durch die Aufführung, bringt Streicher und Holzbläser zum Schweben und die Blechbläser zu handfesten Statements. Den Sängern rollt er vor jedem Auftritt einen roten Teppich aus.

Mitinitiiert hat das Baden-Badener Projekt von Anfang an der Sänger und neue Leiter der Salzburger Mozartwoche Rolando Villazón, der längst kein Startenor mehr ist, auch wenn er als solcher weiter vermarktet wird. Jetzt schlägt er die Flucht nach vorne an und tritt in Baden-Baden in der Rolle des Papageno erstmals als Bariton auf, bebrillt und mit zwei malachitgrünen Federn im schwarzen Lockenkopf: Der Vogelfänger sei für ihn interessanter als der Tenor Tamino, weil er lustig sei und menschlich, hat Villazón in einem Interview erklärt. Doch die Komödie auf der Bühne kann die persönliche Tragödie des Sängers kaum verbergen: Egal, ob als Tenor oder Bariton - seine Stimme ist nur noch ein ferner Abglanz von einst. Strahlkraft, Volumen, Umfang und Individualität hat sie weitgehend verloren. In der Rolle des Tamino wäre dies allerdings noch deutlicher aufgefallen. Als Papageno konnte Villazón, der in seinem Vorleben einmal bei den Marx Brothers ausgeholfen haben muss, seinem komischen Talent vertrauen, das ihm weiterhin eine publikumswirksame Bühnenpräsenz sichert und ihn mimisch und gestisch über alle stimmlichen Einschränkungen hinweg trägt. Und da er am Schluss in Regula Mühlemann eine hinreißende Papagena fand, war hier tatsächlich das "Höchste der Gefühle" erreicht.

Wesentlich realistischer schätzt sich der andere Star dieser Aufführung ein: Die usbekische Koloratursopranistin Albina Shagimuratova singt die Königin der Nacht seit zehn Jahren und meint nun: "Meine Stimme hat sich geändert, es ist Zeit, sich neue Partien zu erobern." Man kann sie in dieser Absicht nur bestärken. Nicht, weil ihre Stimme ähnlich ramponiert wäre wie die Villazóns, vielmehr weil ihre beiden Arien abgesungen wirken, die erste etwas kurzatmig und die gefürchteten Spitzentöne in der zweiten nur mit erkennbarer Anstrengung erreichend. Und ob sich der Lohengrin vom Dienst, Klaus Florian Vogt, als Tamino im richtigen Stück wähnt? Auch hier ist Vogt ein edler Retter mit zauberhafter Tenorstimme. Dass Tamino allerdings ein ähnlich bewegtes Seelenleben hat wie Oamina, seine Braut in spe, bleibt dem gutaussehenden Vogt im Unterschied zu Nézet-Séguin noch verborgen. Sachlicher, unberührter lässt sich die "Bildnis-Arie" jedenfalls kaum singen.

Lichtblicke in diesem seltsam disparat zusammengestellten Ensemble waren vor allem Christiane Karg als lyrisch vollendete todessüchtige Pamina, der imposante Franz-Josef Selig als Sarastro, der erst kürzlich als Gurnemanz in Simon Rattles "Parsifal" am selben Ort das Publikum begeistert hat, und schließlich der wendige, gar nicht schablonenhafte, wunderbar tänzerische Monostatos von Paul Schweinester. Nicht zu vergessen der Rias-Kammerchor als Stimme des Mysteriums und die drei Goldjungs der Aurelius Sängerknaben, die bei jedem Auftritt ein kleines Podest vor sich hertrugen, um beim Singen auf Mikrofonhöhe zu kommen.

Um diese konzertante Gala als besonderes Event anzubieten, wurde leider auf die Dialoge von Mozarts Märchenoper verzichtet - sie werden für die CD-Veröffentlichung dann separat aufgenommen - und durch Zwischentexte des Schauspielers André Eisermann ersetzt. Wesentlich plausibler wurde die Handlung dadurch nicht, und außerdem verhedderte sich Eisermann in seiner eigenen Rolle als Erzähler, Kommentator, Double der Sänger und Publikumsanimator. Zudem verschwand er im ersten Akt einfach. Richtig ärgerlich wurde sein Auftritt an zwei dramaturgischen Nahtstellen. Statt wenigstens den allerkomischsten Dialog im zweiten Akt zwischen Papagena und Papageno von den Sängern zelebrieren zu lassen, klaute er ihnen die lustigste Dialogpointe und fragte: "Ei, wie alt bist du denn, mein Engel?" Um sich dann selbst zu antworten: "Achtzehn Jahr' und zwei Minuten." Der andere Eingriff war noch gravierender, als Eisermann nach der Todesarie der Pamina ("Ach, ich fühl's"), die Nézet-Séguin in einem langen Morendo verstummen ließ, meinte, noch aus einem Brief Mozarts an seinen Vater zitieren zu müssen, in dem dieser den Tod als "wahren, besten Freund des Menschen" begrüßt. Als hätte Mozarts Musik nicht schon alles gesagt.

LOTTE THALER

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