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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Stößchen hier und Stößchen da
Das Berliner Duo Jeans Team hegt verborgene Sympathien für Unterprivilegierte

Im Jahr 2000 veröffentlichte die Berliner Band Jeans Team ihr Debüt und mit ihm ihren großen Hit "Keine Melodien". Der Text bestand aus nur einer Zeile ("Wir singen keine Melodien, wir singen eins zwei drei vier"), die Musik aus einem einzigen dreckig-schicken Elektrolick. Es war eine minimalistische Punktlandung, das perfekte Stück dann und dort für alle Kinder der Nacht mit Techno auf dem Schirm und Punk im Hinterkopf. Danach passierte lange Zeit nicht viel. Jeans Team machten weiter Platten, auf denen sie sich unterhaltsam wiederholten und stilistisch vervielfältigten. An die anfängliche Aufregung kamen sie allerdings nicht wieder heran.

Doch nun gibt es "Das ist Alkomerz", das neue Jeans-Team-Album! Die vom Quartett zum Duo heruntergehungerte Gruppe hat etwas geschaffen, das ich vorläufig "sozialrealistische Stimmungsmusik" nennen will. Die Melodien sind von Jukebox-Evergreens entweder geklaut - "Gesundbrunnencenter" von "Eviva España", "Menschen sind zum Träumen da" von "Keine Sterne in Athen" - oder von solchen stark beeinflusst. Das Klangkostüm entfaltet dazu angenehme Alleinunterhalteratmosphäre fernab von der Hektik überfüllter Clubs. Alle produktionstechnische Anstrengung gilt allein der fast quälenden Eingängigkeit der Volksweisen.

Bei den Texten handelt es sich größtenteils um Rollenlyrik aus Unterschichtsicht. Das Jeans Team unternimmt den gewagten Versuch, die Tröstungen des Schlagers zu umarmen, ohne den Grad der Verwahrlosung zu verschweigen, der sie nötig macht. Das klingt zum Beispiel so: "In der Kneipe neben mir / sitzt 'n Typ und trinkt'n Bier / und was er mir dann erzählt / ist, sein Leben war verfehlt / Ja was soll man dazu sagen / Sage ich, und mach 'n Schritt / Seh ihm in die trüben Augen / Sing das Lied und er singt mit: Menschen sind zum Träumen da / Turali und turala / Menschen sind zum Träumen da / Falleri und fallera."

Der Titel der ersten Single, "Scheiß Drauf", ist somit dreifach programmatisch. Erstens benennt er das Patentrezept, dass das Jeans Team den Erniedrigten und Beleidigten gegen alle gängigen Probleme (Kündigung, Trunksucht, Krankheit, Konfusion) an die Hand gibt. Zweitens bringt er das ästhetische Konzept auf den Punkt: Absolut nichts gegeben wird auf Soundtüftelei und künstlerische Sophistication und mit ihr - dies zum Dritten - auf die durch sie bestimmten Szenen und exklusiven Mikrokosmen. Für die mit Kunst und Kontext der Band Unvertrauten sei betont, dass grade die Punkte zwei und drei einen radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit bedeuten.

Aber macht sich das Jeans Team über die Unterprivilegierten nicht auch ganz schon lustig? Ist das alles nicht voyoeuristisch und zynisch? Jein, eher nein. Der mit kulturellem Kapital vollgestopfte, aber prekäre Musiker sieht im Lumpenproletarier seine eigene labile Existenz gespiegelt und übertrieben. Gleichzeitig empfindet er dessen Gesellschaft als wohltuende Abwechslung, als Erholung vom Gezerre ehrgeiziger Egos in der ökonomisch durchruinierten Subkultur. Die Identifikation kann natürlich nicht ganz gelingen, und die Sicht auf die Unterschicht bleibt eine für Spott anfällige Draufsicht. Dem begegnet das Jeans Team, indem es sich halsbrecherisch vom hohen Ross schmeißt. Im Stück "Gay House Party" wird das Club- und Galerievolk als so stumpf und haltlos beschrieben, dass die Fallhöhe verschwindet, der Abstand zum Gesundbrunnencenter schmilzt wie das Eis im Sekt: "Die Ausstellung: So. Wir erst mal alle da rein. Rumstehen, nichts anfassen! Stößchen hier und Stößchen da, so klingelingeling. Plastiktüte an Wand oder was? Dann erst mal alle aufs Klo. Ist ja noch viel zu früh. Erst mal quatschen, einen saufen. So Flasche an Hals, bitte kommen! Aber später noch auf die Party. So richtig geil".

Kann man, so wäre nun zu fragen, sich diesen Schrott denn wirklich anhören? Man kann nicht - man muss. Man muss vor allem alles durchhören, nur dann entwickelt "Alkomerz" seine eigentümliche Wirkung. Es ist wie beim Runners Rush, von dem uns die Joggenden berichten. Jenseits der vermeintlichen Schmerzgrenze warten die schönsten körpereigenen Herrengedecke, und wir fühlen uns leicht und frei. Dann legen wir die Platte sofort nochmal auf und nochmal. Dann wollen wir die Platte nie wieder hören. Dann versuchen wir, andere Musik zu hören, wertige, elegante, phantasievolle. Es geht nicht mehr. Alles kommt uns überambitioniert und klugscheißerisch vor, zu grell oder zu oll.

Wir können also überhaupt keine Musik mehr hören, geschweige denn machen. Ich gebe zu, das klingt wenig verlockend. Aber ich glaube, wenn es einen Ausweg gibt aus der jetzigen Misere - aus der ganzen überoptimierten, referenzüberfrachteten Hölle des allumfassenden Indie-Mainstreams -, dann führt sie durch die Leere und Verzweiflung, die diese bedeutendste Platte des Jahres in uns hinterlässt.

JENS FRIEBE

Der Autor ist Popmusiker. Von ihm erschien zuletzt die CD "Abändern".

Jeans Team,

Das ist Alkomerz

Staatsakt 3046807 (Rough Trade)

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