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  • EAN: 4007193528942
  • Artikelnr.: 53419429
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2022

Genial und banal
René Jacobs dirigiert den "Freischütz"

Die Klarinette, Carl Maria von Webers Lieblingsinstrument, ringend und suchend bei der Einleitung zum Agathe-Thema in der Ouvertüre; später das theatralische Geknarr und Gestöhn der Bratsche, dann ihre schüchternen Trostgebärden bei Ännchens zweitem Auftritt - was das Freiburger Barockorchester unter René Jacobs durch seine Solisten, aber auch in fein abgestufter, bestechend transparent gehaltener Gruppendynamik an Nuancen aus dem "Freischütz" herausholt, versetzt den Hörer in ein Paradiesgärtlein erlesener Klangbilder. Sorgfältigste, allenfalls etwas überanalytische Detailarbeit, beginnend mit dem schwül-unheimlichen Ouvertürenauftakt, der ein dunkles Waldlied von Abgründen und Sumpflöchern singt; mit vielen Differenzierungen in den Ensembles und Chören, wo kaum eine Strophe der anderen gleicht und auch die derb humoristisch-karikierenden Züge des Stücks zu ihrem Recht kommen: Diese Einspielung ist viel mehr als ein Pflichtstück auf Jacobs' Weg von Monteverdi über Mozart ins neunzehnte Jahrhundert.

Aber sie ist nicht nur eine Großleistung tief dringender klanglicher Analyse, sondern auch ein Dokument kulturpädagogischer Hybris; und diese Spannung, die über lange Strecken zur Ver-Spannung wird, wenn die Grenzen zum Erschütternden ebenso oft touchiert werden wie die zum Banalen, macht ihr Hören zwiespältig und manchmal geradezu unbehaglich. Das aber geht absurderweise auf die Rechnung genau jenes Teams, das doch für die ungemein präsente Klangbildlichkeit der CD sorgt: den Dirigenten selbst und seinen Aufnahmeleiter Martin Sauer.

Gewiss ist Friedrich Kinds viel gescholtenes Libretto, an dem sich dieser neue Versuch wie schon manche vor ihm abarbeitet, sprachlich an manchen Stellen schwülstig verquält - aber es hat eine brillante Bühnentauglichkeit, die sich gerade daraus ergibt, dass man als Hörer in die Hohl- und Zwischenräume der oft verqueren Sprachbilder und Andeutungen einsteigen, sie dank Webers Musik mit eigenen Assoziationen füllen darf. Wenn einem aber, wie nun hier, nach Art eines schlechten Kinderhörspiels ständig alles verbal erklärt wird, was man sich doch selbst aus der Musik erschließen könnte, dann ist das nicht nur eine Entmündigung aufgeklärten Hörens, sondern ändert auch den inneren Rhythmus des Stücks.

Dass zwei von Weber mit gutem Grund verworfene Szenen wieder hervorgeholt werden, bringt keinen ästhetischen Gewinn. Doch diese Tracks kann man ja einfach überspringen, kaum aber die peinlich stimmungstötenden, sprechblasenhaften Kommentare, die uns zeigefingernd aufweisen, was die Akteure gerade so tun und denken - wenn zum Beispiel zwei eigens eingeführte "Uhui!"-Geister und der schwarze Jäger Samiel persönlich haarklein das Ritual des nächtlichen Kugelgießens erläutern. Es ist in einer Demokratie keinem verboten, auf seltsame Gedanken zu kommen, auch einem großartigen Künstler wie René Jacobs nicht; doch hier hätte es mehr steuernder Beratung bedurft, um die fatalen Folgen abzufangen.

Auch sein Casting war nicht rundum glücklich, weil eigentlich alle Männerfiguren des Stücks in ihrer sängerischen Ausstrahlung seltsam ausgeblichen und abziehbildhaft erscheinen. Maximilian Schmitts Max etwa bringt, trotz schöner lyrischer Anlagen, kurzatmige Phrasierungen und ein lau-schlaffes, jammerlappig devotes Persönlichkeitsbild, während dem gemütlich-bräsig polternden Kaspar von Dimitry Ivashchenko nicht nur die Dämonie, sondern jede existenzielle Dimension abgeht: Wenn er Samiel um ein nächstes Lebensjahr beschwört, klingt das, als bitte er einen Kneipier, ihm noch ein Bier anzuschreiben.

Erfrischender sind die beiden Frauenstimmen - Polina Pasztircsáks tatsächlich, wie es in ihrer zweiten Arie heißt, "reine und klare" Agathe, licht-traumwandlerisch mit manchmal fast kindlichen Zügen und, in Textverständlichkeit wie Rollenbild noch profilierter, Kateryna Kaspers Ännchen als erfahrene, dennoch berührbar-warmherzige Lebenspraktikerin mit messingfunkelnd abgeschattetem Sopran. Da lässt Webers Musik alle mühsamen Kommentare schnell hinter sich - und das ist auch gut so. GERALD FELBER

Carl M. von Weber: Der Freischütz.

Freiburger Barockorchester, René Jacobs. 2 CDs,

harmonia mundi HMM 902700.01

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