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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2024

Endlich mal kein Dummkopf!
Klaus Florian Vogt gelingt als Siegfried eine starke Neuinterpretation

Nun also doch. Nachdem drei Abende gejubelt wurde und auch am vierten zunächst noch alles nach strahlendem Sonnenschein aussieht, zieht schlagartig heftiges Wetter auf. Der Regisseur Valentin Schwarz und sein Bühnenbildner Andrea Cozzi treten vor den Vorhang, und ein Orkan aus Buh-Rufen erhebt sich. Die beiden halten ritterlich stand. Als schließlich das gesamte Team aus Sängern, Dirigentin und Regie auf die Bühne kommt, bietet sich ein ohrenbetäubendes akustisches Spektakel im Hin und Her von Jubel- und Buhrufen. Dazu noch das Trampeln auf dem Holzboden des Zuschauerraums und das Prasseln des Beifalls - das Bayreuther Festspielhaus erinnert an eine riesige, alte Dampfmaschine, die am wechselnden Wogen der Kräfte zu zerplatzen droht.

Auch im dritten Jahr herrschen Enttäuschung und Wut über eine Inszenierung, die den Betrachter über lange Strecken unterfordert, um ihm dann immer wieder unlösbar scheinende Rätsel zu stellen. Dabei haben Valentin Schwarz und sein Team eine Idee, die eigentlich tragen könnte: den "Ring des Nibelungen" als eine Geschichte ewig sich fortpflanzender Traumata zu erzählen - bis am Ende nur noch ein Neubeginn hilft.

Die erste Sünde ist hier nicht der Raub des Rheingoldes, sondern die Bemächtigung eines Kindes durch Erwachsene, die es in ihrem Sinn formen wollen. Wie dieses Ring-Kind in die Handlung eingeführt wird, gehört zu den berührenden Momenten dieser Inszenierung: Zur Sonnenaufgangsmusik im "Rheingold", wenn die "Weckerin" "in den Grund" "lacht", kommt ein Junge im goldgelben Shirt auf die Bühne, verträumt am Rand eines Pools entlangbalancierend, in dem eben noch die Rheintöchter Alberich in mehrfacher Hinsicht nass gemacht hatten. Ein Bild von kindlicher Unschuld und Unversehrtheit, das völlig gedeckt ist durch den Zauber der Musik.

Alberich greift ihn sich, um ihn von nun an in seinem Sinn zu "schmieden", was der Junge, soweit zu sehen, in einem Gemisch aus Lethargie und plötzlich ausbrechender Aggression über sich ergehen lässt. Im "Siegfried" taucht der mittlerweile gewachsene Junge als Adoptivsohn des Riesen Fafner auf und ist "der junge Hagen". Wie die Jugend (auch Siegfried ist dabei) nun Fafner, der zum todkranken Pflegefall geworden ist, hilflos verenden lässt, macht Schwarz seine Absicht deutlich, Wagners Tetralogie als ein wüst ausgetragenes Drama der Generationen zu begreifen.

In der "Götterdämmerung" geht der Knabe "Ring" in der erwachsenen Figur Hagen auf, frischer Nachwuchs kommt aber durch Brünnhilde und Siegfried auf die Bühne: Sie haben ein Kind bekommen und stecken in einer Familiendepression, aus der sich Siegfried zu neuen Taten aufmacht. Das ist nicht unschlüssig, bleibt im Ganzen aber eine Handlung am Rande. Schwarz mag sich Mühe geben, diese Regie-Idee immer wieder in Erinnerung zu rufen, etwa in der "Walküre", wo die Figur "Ring" gar nicht auftritt. Einen wirklich prägenden Einfluss auf die Inszenierung vermag er daraus nicht abzuleiten. Was fällt sonst auf?

Eine vollgerümpelte Bühne und eine äußerst inflationäre Verwendung von Pistolen, offenbar ein verzweifelter Versuch, Dramatik zu erzeugen. Beides deutet auf eine gewisse Ratlosigkeit des Regie-Teams hin, wie mit der Ring-Erzählung denn im Detail zu verfahren sei.

Die Bühnenbilder von Andrea Cozzi haben allerdings einen willkommenen Nebeneffekt: Zuweilen taucht hier ein Terrarium auf, über dessen spiegelnde Glasfläche man einen Blick in den zum Publikum hin verdeckten Orchestergraben werfen kann. Im Spiegel sieht man nun den Souffleur winken und vorsprechen, und man sieht Simone Young dirigieren: Ganz aus der Körpermitte heraus, mit freien Armen, fließend in den Bewegungen.

Hier erfährt man also, wie sie den singenden, von jeglicher Verspannung freien Wagner-Ton erzeugt, der diesen "Ring" prägt, wie sie dem Klang Richtung und Gleis gibt. Ihr größtes Werk gelingt ihr vielleicht im "Siegfried", wo sie die eigentümliche Heterogenität dieser oft lautmalerisch gedachten Musik zu einem Ganzen fügt und doch die Details charakteristisch herausarbeitet. Bemerkenswert ist weniger, dass Simone Young die erste Frau ist, die in Bayreuth den "Ring" dirigiert. Bemerkenswert ist, dass sie, die schon lange als erfahrene Wagner-Dirigentin gilt, es erst jetzt tut oder tun darf.

Auch in "Siegfried" und "Götterdämmerung" leitet sie wieder ein exzellentes Sängerensemble. Allen voran Klaus Florian Vogt, der in diesem Jahr in Bayreuth als Siegfried debütiert. Endlich ein Siegfried, der kein Dummkopf ist! Ganz auf seine heldenhafte Erscheinung vertrauend, bleibt Vogt der knabenhaft anmutenden Charakteristik seines Tenors treu. Mit dem Ergebnis, dass ein Siegfried von glaubwürdiger Jugendlichkeit vor uns steht: Seine Männlichkeit muss erst noch ausgeprägt werden und ist nicht schon im Übermaß vorhanden.

In voller Tiefe versteht man in Vogts Darbietung jene eigenartige Stelle, als der Held beim ersten Anblick Brünnhildes in Panik gerät und nach der Mutter ruft. Es ist das Erschrecken eines Menschen, dem schlagartig bewusst wird, dass zur Liebe eine Verantwortung gehört, die er noch nicht leisten kann. Zum Charme von Klaus Florian Vogts Siegfried gehört die luftige, kaum im herkömmlichen Sinn männlich zu nennende Tiefe seiner Stimme, aber auch die Eigenart, Töne der hohen Lage gern etwas tief zu intonieren. Beides illustriert einen Charakter, der noch nichts weiß von der inneren Gespanntheit des Erwachsenen.

Catherine Fosters Brünnhilde wandelt sich von der kapriziösen Wotans-Tochter zur zickigen Siegfrieds-Gattin, im Schlussgesang der "Götterdämmerung" findet sie zur vollen Großzügigkeit ihrer Stimme. Ya-Chung Huang ist ein Mime, der diese Rolle mit schönem Tenor aus dem bloß Grotesken ins gänzlich Ernstzunehmende erhebt, Tomasz Konieczny als Wanderer legt im Vergleich zu den Vorabenden noch einmal zu und verleiht der mehr und mehr arios angelegten Partie ein nahezu heldisches Funkeln.

Gabriela Scherers Gutrune ist die Dolly Buster der Gibichungen, mal in Neongrün, mal in Lackschwarz, Michael Kupfer-Radecky spielt und singt einen Gunther, dem die Party-Exzesse ordentlich aufs Hirn geschlagen haben. Dem Bariton gilt der Preis für die beste schauspielerische Leistung: Wie er den Gunther als Zombie der Spaßgesellschaft auf die Bühne setzt, infantil, hampelnd, grinsend, das ist schwer zu übertreffen. Mika Kares wiederum ist ein Hagen, der weniger mit Stimmgewalt beeindruckt als mit der Hintergründigkeit der Darstellung. Seine Traumata scheinen ihm bewusst; dass er sich wie aus einer Erinnerung erwachend um Siegfrieds Sohn kümmert, nachdem er den Vater erschlagen hat, wirkt wie ein erster Schritt zur Aussöhnung mit sich selbst. Sein "Zurück vom Ring!" am Ende der "Götterdämmerung" muss man in Valentin Schwarz' Inszenierung wohl als pädagogischen Rat verstehen. CLEMENS HAUSTEIN

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