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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2023

Orlofsky trägt jetzt Glitzerbart

Mit der "Fledermaus" von Johann Strauß an der Bayerischen Staatsoper beweist der Regisseur Barrie Kosky vor allem eines: Er ist ein Routinier des Ulks geworden.

Als Johann Strauß im Sommer 1873 daran ging, seine dritte Operette zu komponieren, kam die Arbeit zügig voran. In 42 Tagen soll die "Fledermaus" entstanden sein. Möglich war das nur, weil Richard Genée für sein Textbuch auf die deutsche Übersetzung eines französischen Erfolgsstückes zurückgreifen und Strauß selbst sich aus der eigenen Schublade bedienen konnte, die reichlich noch nicht gebrauchtes Melodienmaterial enthielt. Aber die Stimmung im Lande war schlecht: Die Weltausstellung brachte dem Kaiserreich nach zwei verlorenen Kriegen nicht den gewünschten Erfolg, und der verheerende Börsenkrach der Gründerzeit riss zugleich die Wirtschaft in den Abgrund. Mehrfach musste die Uraufführung des neuen Stückes verschoben werden, bis es schließlich erst im Theater an der Wien, wenig später auch in Berlin und New York vom Publikum gefeiert wurde. Das war gerade unter solchen Umständen für einige Stunden Walzerglück empfänglich und dankbar.

Der Dirigent Vladimir Jurowski und der Regisseur Barrie Kosky, die an der Bayerischen Staatsoper für die Neuinszenierung der "Fledermaus" verantwortlich sind, finden es nicht nur wichtig, den "Menschen in einer dunklen Zeit etwas Hoffnung" zu machen, sie sehen darin sogar eine "Pflicht der Gesellschaft gegenüber", wie sie in Interviews betonten. Keine revolutionäre Neudeutung ist demnach das Anliegen dieser Inszenierung, sondern die gute Unterhaltung des Publikums. Ein sympathisch bescheidenes, aber weiß Gott kein leichtes Unterfangen - in München zumal, wo die Produktion von Otto Schenk und Carlos Kleiber von 1974 durchaus nicht vergessen ist.

Kosky darf seit seiner Zeit an der Komischen Oper in Berlin als Fachmann für die Kunst der leichten Muse gelten. Er kennt das Repertoire und weiß, wie man es effektvoll inszeniert. Das Bühnenbild, das Rebecca Ringst für die Münchner Inszenierung geschaffen hat, zeigt zunächst eine schmucke Fassade von Bürgerhäusern in Wiens Innenstadt, vor denen als zentrales Requisit das große pinkfarbene Ehebett der Eisensteins steht. Wohl ist dem Gatten darin aber nicht. Eine ganze Schar von Fledermäusen peinigt ihn - offenbar erwartet der Lebemann die Rache seines Freundes Frank, den er einst selbst dem Spott preisgab, als er ihn nach einem Ball im Fledermauskostüm im Freien hat übernachten lassen. Und so nimmt das Spiel seinen erwarteten Lauf: Das Stubenmädel Adele will partout zum Ball, Eisenstein zürnt seinem trotteligen Advokaten, Rosalinde liebäugelt mit dem Verehrer aus früheren Tagen und ist ganz froh, dass sich durch die Haftstrafe des Gatten eine Möglichkeit bieten wird, ihn zu treffen.

Geradlinig und in historisch anmutendem Ambiente (Kostüme: Klaus Bruns) erzählt Kosky die bekannte Geschichte. Doch eine Aneinanderreihung solide gemachter Szenen ergibt noch lange keine stimmige Inszenierung. Rasch erweisen sich die Figuren in seiner Regie als derart übersteigert und stereotyp, dass nicht immer klar ist, ob das Genre der Operette hier lustvoll bedient oder höhnisch der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Jede Geste, jede Wendung, jeder Tonfall wirkt wie dem Fundus eines drittklassigen Provinztheaters entnommen.

Bald ermüdet die Überdrehtheit dieser allzu schablonenhaft gezeichneten Knallchargen, wenn sie immer wieder auch einmal stimmig erscheint. So etwa beim Abschied der Eisensteins, bei dem sich die Schmerzensgebärden als rhetorische Versatzstücke erweisen, hinter denen die Freude auf erotische Abenteuer aufblitzt. Georg Nigl und Diana Damrau agieren dabei mit sichtbarem Vergnügen. Sein angenehm timbrierter Bariton muss im Forte etwas forcieren, ihr noch immer leichter und sicher geführter Sopran wird in der Höhe etwas spröde und bleibt merkwürdig farblos.

Beide sehen sich wieder auf dem Fest des Prinzen Orlofsky, der bei Kosky - wie könnte es anders sein? - eine Dragqueen mit türkisfarbenem Federschmuck und Glitzerbart ist. Leider sind die stimmlichen Mittel des Countertenors nicht ebenso opulent wie sein Äußeres: Andrew Watts tönt schrill und bleibt völlig textunverständlich. Ganz anders perlen die Läufe des abwärtsfallenden, sich überschlagenden Koloraturgelächters, wenn Katharina Konradi als quicklebendige Adele mit stimmigem Soubrettenton ihre edlen Eigenschaften anpreist. Auch die große Verbrüderungsszene gelingt musikalisch überzeugend: Der Chor der Bayerischen Staatsoper gestaltet sie nuanciert und klangschön. Und endlich - aber leider reichlich spät - findet Vladimir Jurowski mit seinem Staatsorchester zu einem etwas geschmeidigeren, süffigeren Klang. Doch der Lebenshunger, das Rauschhafte, das dieser Musik gerade im Ball-Akt innewohnt, der doch einen exzessiven Ausbruch aus der Welt bürgerlicher Konvention darstellt, werden unter seiner Leitung nicht hörbar. Auch Kosky findet dafür keinen bezwingenden Ausdruck; er inszeniert die Szene so schrill wie stimmungsvoll, aber allzu routiniert mit den von ihm sattsam bekannten Bildern.

Zahnlos gerät leider auch der dritte Akt. Wenn sonst große Komiker als Gefängniswärter Frosch in der Tradition des Wiener Volkstheaters das aktuelle Geschehen satirisch kommentieren, so sind in München gleich sechs Frösche auf der Bühne zu sehen. Einer davon (Max Pollak) wartet immerhin mit einem virtuosen Stepptanz auf. Dieses Intermezzo ist ebenso gekonnt wie bedeutungslos und ähnelt darin den bravourös gespielten Slapsticknummern von Martin Winkler, der als derangierter Gefängnisdirektor auf glitzernden Stöckelschuhen und passender Unterhose zum Dienst erscheint. "Amüs'ment, Amüs'ment!" verspricht der Chor zu Beginn des zweiten Aktes. Erfüllt wird diese Verheißung von Kosky und Jurowski indes nur bedingt. Da sie auch keine eigene Deutung bieten, fragt es sich, wer eine solche "Fledermaus" eigentlich braucht. CHRISTIAN GOHLKE

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