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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2024

Wenn Elite unzeitgemäß wird

Niederschmetternd gut gelingt an der Semperoper Dresden "Die Frau ohne Schatten" von Richard Strauss, es dirigiert Christian Thielemann.

Die Überzeugungsmacht, ja Gewalt dieser Dresdner "Frau ohne Schatten" lässt sich an verschiedenen Komponenten festmachen: schon an der Zeitdauer, aber auch an den monumentalen Bühnenarchitekturen Patrick Bannwarts. Karg sind sie und, so weiträumig ihre Elemente (zum Beispiel eine Art Container für den Verkehr zwischen Geister- und Menschenwelt oder die Grauen erweckende wie Schutz verheißende Falkenskulptur mit beweglichen Riesenfittichen, in deren Fängen schließlich der zu Stein erstarrte Kaiser hängt) die Bühne besetzen, dennoch von blockiger, fast bedrohlicher Hermetik, über weite Strecken nur in Beton- und Beige-Tönungen mit graublauen Schattenhöhlen. An ihren Horizonten spielen Falko Herolds Videoprojektionen gewichtig mit, großflächig und oft reduziert bis zur Scherenschnittsilhouette.

Vor allem anderen aber wirkt die ungeheure, niederdrückende Wucht, zu der sich die Staatskapelle in XXL-Formation - einige Mitwirkende müssen auf die Seitenbalkons ausgelagert werden - unter Christian Thielemanns Leitung steigern kann. Wobei der Dirigent den ersten Akt weithin fast kammermusikalisch führte und den Musikern auch später oft Raum für konzertreife Soli gab. Röntgenblick und bedachtsam-kluge Klangmodellierung kanalisierten aber selbst noch im Fortissimo den Gang der Linien und ihr energetisches Potential - am vernichtenden Ende des zweiten Aktes in einer Weise, dass man sich, wie bei einem Solarplexus-Schlag, direkt ins Nervenzentrum getroffen fühlte. Wunder der Behutsamkeit neben Stellen atembeengender Wucht: Nichts blieb in dieser Partitur mit ihren Lyrismen, Trauermarsch-Chorälen und überdrehten Scherzi, in die vielleicht sogar Fetzen von Strawinskys "Sacre" (herausgekommen 1913, sechs Jahre vor der Oper) eingegangen sind, randständig.

Wenn aber, wie einige Minuten nach Beginn des Schlussaktes, Konturen doch einmal ein wenig ausfransten, Kondition und Innenspannung kurzzeitig abfielen: Selbst dann faszinierte noch, wie die Singstimmen in den Klang hineingebettet blieben. In Dresden freilich gibt es dafür einen Verfallstermin: Strauss' Monumentalwerk war Thielemanns letzte Premiere als Semperopern-Orchesterchef. Nun hat ihn Berlin, und für den "Segen der Widerruflichkeit", wie ihn das Libretto Hugo von Hofmannsthals mehrfach beschwört, ist es nach einer Provinzposse sächsischer Kulturbürokratie zu spät.

Humanistisch wohlmeinend, himmelstürmend und am Ende, wenn der ganze seelische und klangliche Aufwand in eine Doppel-Familienidylle mit dem zarten Zukunftsgetön der noch ungeborenen Kinder hineinläuft, auch ein Stück ratlos: Die "Frau ohne Schatten" hat es nie leicht gehabt oder jemandem leicht gemacht. Dem Regisseur David Bösch ist es zu danken, dass seine Inszenierung die Bruchstellen nicht zukleistert. Was durchaus auch im wörtlichen Sinne zu verstehen ist, wenn das industriell-nüchterne Heim des Färberpaares, Werk- und Schlafstatt in einem, bei drohender Katastrophe tatsächlich auseinanderdriftet und sich erst am fragwürdig heilen Ende wieder zusammenfügt wie die Menschen selbst. Die allerletzte Einstellung aber lässt noch einmal die Amme der Kaiserin erscheinen: vordem in unbedingter Dienstfertigkeit keine Bosheit scheuend, aber nun für ihr unzeitgemäß gewordenes Elitenbewusstsein ausgestoßen und verworfen. Auch die Durchsetzung von Humanität lässt Opfer am Wege zurück.

Hier hat die Aufführung einen letzten Punkt denkenden Innehaltens, wo sich Fragen an das Stück (und seine an uns) zu prägnanten Metaphern verdichten. Obwohl das gestische Repertoire der Inszenierung überschaubar bleibt, manchmal schematisch agiert wird und jene Rosa-Pink-Kostüme und glattgebügelten Reizwäsche-Jünglinge, mit denen die Färberin verführt werden soll, ebenso mit Kitsch-Klischees spielen wie Kinderpüppchen oder Schattenrisse fruchtwasserseliger Embryonen, gibt es doch immer wieder auch frappierende Bildfindungen. Abstoßendes Schaben- und Wanzengekrabbel, wenn die Amme ihre Verachtung der Menschenwelt herausspuckt; ein aus dem verbrennenden Hochzeitsfoto aufwehender Ascheregen wie die böse Negation kreisender Sternbilder, quasi als Gegen-Weltall: Selten sieht man die immerfort und überall zappelnden Bühnen-Videos so sinnfällig eingesetzt wie hier.

Doch kein Strauss-Vergnügen ohne Sänger, die ihm gewachsen sind. Dresden bedient an diesem Gala-Abend viel mehr als bloße Mindestanforderungen - bis in Nebenrollen hinein wie die der drei mit Rafael Fingerlos, Tilmann Rönnebeck und Tansel Akzeybek besetzten Färbersbrüder. Barak selbst, Oleksandr Pushniak, ist eine nicht in jeder Passage ausgeglichen singende, aber ausstrahlungsmächtige, in Wärme und verzweifeltem Ringen ungemein anrührende Bühnenfigur; seine Partnerin Miina-Liisa Värelä desillusioniert, aber sehnsuchtsfähig, tief ehrlich bis in ihre Selbsttäuschungen hinein und von herber Direktheit durchdringend zur Inkarnation verstehend-verzeihender, opferbereiter Liebe.

Das "hohe Paar" setzt Eric Cutlers balsamisch fließenden Kaiser-Tenor dagegen und mit Camilla Nylund eine Kaiserin, deren Zerrissenheit sich in einem verzweifelt schönheitsseligen, wie frierend in sich selbst zurückgezogenen Lyrismus mit silbern in den Raum strahlenden Klangspitzen entäußert.

Evelyn Herlitzius' Amme aber, immer irreversibler in die Untiefen der Ideologin hineinwachsend, wirkt in Stimme wie Spiel gerade dadurch, dass sie eben nicht als Dämon, sondern als fast normale und sogar empathiefähige, nur eben unheilbar verblendete Gestalt erscheint. Orkanartiger Beifall, voran für Thielemann und das Orchester: Auftakt zum Ende einer Ära. GERALD FELBER

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