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  • EAN: 5012106127425
  • Artikelnr.: 64073961
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2024

Rauschendes Fest der Melancholie
Barrie Kosky inszeniert Franz Lehárs "Lustige Witwe" / Von Lotte Thaler, Zürich

Lustig sind die anderen. Die Witwe sinniert. Über ihr Leben, ihre Liebe. Sie sitzt am Flügel und ruft sich das Vergangene zurück. Was dabei ertönt, ist ein Medley aus der "Lustigen Witwe". Franz Lehár selbst hat es auf einer Klavierrolle eingespielt: ein gefundenes Fressen für den Regisseur Barrie Kosky, der am Zürcher Opernhaus mit diesem amuse geule seine erste Lehár-Inszenierung serviert.

Das mehrdeutige Vorspiel ersetzt nicht nur die Ouvertüre, auf die schon Lehár verzichtet hat. Es legitimiert sich auch dramaturgisch, weil der Handlung eine Vorgeschichte zugrunde liegt. Und es ist Teil einer Rahmenhandlung, die sich erst im Finale mit dem vom Original abweichenden Epilog erschließt. Der Flügel holt die Witwe aus ihrer Erinnerung allmählich in die Bühnenrealität hinüber. Seine schwarzen und weißen Tasten personalisieren sich als tanzende Herren im Frack und Damen in weißen Abendroben (Kostüme: Gianluca Falaschi). Und noch zu Beginn des ersten Aktes überlagern sich Erinnerung und Gegenwart, wenn die Witwe am Klavier befremdet zuhört, was über sie geredet wird. Dabei ist sie eigentlich noch gar nicht aufgetreten.

"Uffta!" salutiert der Erzkomödiant Martin Winkler als uniformierter Baron Zeta zackig zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Schließlich geht es um das Vaterland und seine Rettung vor dem Bankrott. Deshalb soll die steinreiche Witwe Hanna Glawari einen Einheimischen heiraten - "Uffta". Es wirkt wie ein selbstironisches Relikt aus Koskys wiederentdeckten Berliner Operetten an der Komischen Oper, das sich jetzt in die Pariser Revuewelt hinübergerettet hat. Dafür reicht neben dem Flügel ein Vorhang an einem leeren Rondell aus, der in allen Stufen zwischen offen und geschlossen das abstrakte Bühnenbild von Klaus Grünberg umreißt. Alles andere ist rauschendes Körper- und Tanztheater im Wechsel grandios choreographierter Chor- und Ballettszenen, von Lachern quittierter Dialoge und erotischer Verwicklungen der beiden Paare Hanna/Danilo und Valencienne/Rosillon. Was Kim Duddy hier an knienden, Arme empor reckenden, Beine schwenkenden, Popo zeigenden Pyramiden und Reihen auf die Bühne zaubert, ist ein Fest für Genießer.

Wobei sich zunehmend psychedelische Farben - Pink und Türkis - sowie immer höhere bunte Turmbauten auf den Köpfen ins anfängliche Schwarz-Weiß mischen und sowohl die Protagonisten im Salon als auch das Publikum endgültig ins Märchenhafte entführen. Suggestiv folgt die Bewegung auf der Bühne dem Charakteristikum der Musik, dem Schaukeln: Mal sanfter, mal toller gleitet das Ensemble über die gesamte Bühnenbreite hin und her. Patrick Hahn am Pult der Philharmonia Zürich unterstreicht dafür sehr gelenkig die Pole zwischen süßester Geige und krachledernem Schwank.

Ganz kann Kosky seinen ehemaligen Wirkungsort nicht vergessen, denn die Idee, diese Operette als Revue zu präsentieren, stammt ebenfalls aus Berlin, als Fritzi Massary 1928 am Metropol-Theater die lustige Witwe gab. Kosky geht es jedoch nicht um Rekonstruktion, sondern jenseits aller kritischen Fragen nach politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnissen - um die Liebe. Die jeweiligen konkreten Anspielungen im Libretto versteht man heute sowieso nicht mehr. Und der für heutige Zuhörerinnen geradezu obszöne Plot, dass die Witwe mit der Wiederverheiratung ihre Millionen an den neuen Gatten verliert, kann man getrost als Operettenschmarrn stehenlassen.

Im Salon des Barons ist daher auch gelegentlich von "Melonen" die Rede - Barbara Grimm als Angestellter Njegus ist die Zürcher Meisterin der Sprachspiele. Koskys Witwe entzieht sich allen Operetten-Klischees: Sie wird Marlene Dietrich immer ähnlicher, bis sie im dritten Akt sogar das Abendkleid gegen den Frack eintauscht und raucht - von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Und dabei eine gewiefte Directrice der Vaterlandsrettung, wenn sie ihre Jugendliebe Danilo endlich erobert.

Dieses Paar ist zwar darstellerisch sehr bühnenpräsent, aber stimmlich will es nicht zusammenpassen. Michael Volle als etwas abgehalfterter Lebemann Danilo schmettert seine Auftrittsnummer mit viel zu lautem Bariton, während Marlies Petersen als Hanna ihr Vilja-Lied mit dünnem Sopran ein bisschen blutarm vorträgt. Das ist schade, zumal das andere Paar mit dem Tenor Andrew Owens und vor allem der fabelhaften Katharina Konradi, die neulich in München als Adele in Koskys "Fledermaus"-Inszenierung Diana Damrau an die Wand sang, wesentlich besser davonkommt. Ihre Valencienne ist eine durch und durch "anständige Frau", die ihren Verehrer Rosillon genussvoll am langen Arm verhungern lässt, bis sie sich doch im sorgfältig verschlossenen Bühnen-Rondell nicht länger verweigern kann. Einig sind sich die Herren im körperlichen Imponiergehabe, dem prompt ein Hexenschuss folgt.

Aber Kosky wäre nicht Kosky, wenn er sich nicht eine melancholische Schlusspointe hätte einfallen lassen. Mitten in der Schlussstrophe des Finales erstarrt das Ensemble. Wir kehren an den Anfang mit dem Flügel zurück und sehen diesmal Hanna und Danilo als Ehepaar daran stehend. Sie singt die zweite, immer ausgesparte Strophe des "Weiber"-Liedes mit der Kritik an den Männern ("Ja, das Studium der Weiber ist schwer"), währenddessen Danilo die Bühne verlässt. Erst als Hanna das Porträt ihres Mannes aus dem Flügel holt, erschließt sich die Handlung: Hanna ist Danilos Witwe und deshalb nicht lustig.

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