„Alles in und um uns `rum ist zum Zerreißen angespannt“: auf ihrem „schwarzen“ Album kommen Die Nerven schmerzhaft auf den Punkt. Musikalisch gehen sie den Pfad, den sie mit ihrer letzten Platte eingeschlagen haben, konsequent weiter. „Die Nerven“ ist ein großes Reifezeugnis und zeigt eine Band, die
endlich weiß wo sie hin will.
Was mussten sich Die Nerven in ihren frühen Karrierejahren nicht…mehr„Alles in und um uns `rum ist zum Zerreißen angespannt“: auf ihrem „schwarzen“ Album kommen Die Nerven schmerzhaft auf den Punkt. Musikalisch gehen sie den Pfad, den sie mit ihrer letzten Platte eingeschlagen haben, konsequent weiter. „Die Nerven“ ist ein großes Reifezeugnis und zeigt eine Band, die endlich weiß wo sie hin will.
Was mussten sich Die Nerven in ihren frühen Karrierejahren nicht alles anhören. Das klänge doch alles nach einer Aufwärmung von schön längst Dagewesenem, lautete noch der Tenor, als sie vor gut acht Jahren mit „Fun“ die letzten Andenken an die Hamburger Schule mit aufgekratztem Noiserock der Marke „es soll nicht gut klingen, sondern weh tun“ endgültig hinwegfegten. Es dauerte zwar noch bis zum vergleichsweise eingängigen „Fake“, bis der Letzte eingesehen hat, dass die Stuttgarter im deutschsprachigen Raum die neue Referenz für ohrenbetäubende Gitarrenmusik sind, darin, dass die Erwartungen an ihrem neuen, namenlosen Album groß sein werden waren sich aber diesmal Alle einig. Wie es dem Trio mittlerweile gelingt, die Angst und die Ohnmacht unserer Zeit zu formulieren, lässt sie wichtiger denn je erscheinen. „Die Nerven“ wühlt auf, spendet aber auch Trost.
Mann kommt nicht umhin „Europa“ als einen der bedeutendsten Songs des abgelaufenen Jahres zu bezeichnen. Gerade einmal zwei Monate nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine veröffentlichten Die Nerven den Opener ihres neuen Albums. Zeile für Zeile zieht sich die Schlinge der Gewissheit, dass das Europa, in dem wir in Frieden und Wohlstand sicher leben, auseinander zu fallen droht, am Hals des Zuhörers fest. Der Refrain „Und ich dachte irgendwie in Europa stirbt man nie“ hat das Zeug zu einem modernen Anti-Kriegs-Slogan zu werden. Auch wenn das Trio diese Interpretation wohl nur ungern teilen möchte. Der Text entstand bereits deutlich früher. Umhüllt wird der Song von warnendem, leuchtenden Gitarren-Nebel. „Ein Influencer weint sich in den Schlaf“ (den Titel muss Dirk von Lotzow der Band direkt ins Textbuch geschrieben haben), gibt sich zwar deutlich unlustiger, als wie man vermuten könnte, ist aber ebenfalls ein Indiz dafür, dass die Band bei ihrer Themenwahl den Puls der Zeit fühlt. Gleiches gilt für „15 Sekunden“, wo nur wenige Sätze reichen, um der degenerierten TikTok-Generation den Spiegel vor zu halten. Und man könnte noch weitere Beispiele aufzählen. „Die Nerven“ ist der unbequeme Soundtrack unserer Zeit.
Rockbands, die über die Jahre zu schwächeln beginnen tun dies nicht unbedingt nur weil sie irgendwann anfangen ihre Kanten- sondern auch an Profil zu verlieren. So nicht bei diesem Trio, dass sich von Album zu Album immer mehr traut. Dynamischer und abgezirkelter, aber vor allem melodischer geben sich Die Nerven mittlerweile. Und sie gönnen ihren Songs nun auch das Bisschen Pop, welches ihnen gut tut, ohne sich auch nur einen Moment selbst zu verharmlosen. Das lässt ihre Musik zeitloser denn je klingen. Zum ersten Mal seit „Fun“ arbeitet die Band nicht mit ihrem Stammproduzenten Ralv Milberg zusammen. Stattdessen finden sie in Moses Schneider denjenigen, der der Band alte Dogmen austreibt und ihren mehr Struktur verleiht. Die bisher dominierende Spannung zwischen brachialem Lärm und süßer Melodie löst sich hier in fein arrangiertem Songs auf. Und plötzlich haben Die Nerven Hits.