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  • EAN: 4013108206928
  • Artikelnr.: 28894611
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2024

Mackie Messer als Gangster-Rapper

Von Hans Riebsamen

Simon Zigah ist als Darsteller des Mackie Messer in der "Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen gleich dreifach eine Wucht. Als Zwei-Zentner-Mann allein schon physisch. Zudem wegen seiner starken Bühnenpräsenz, die ihn über seine Mitspieler hinausragen lässt. Und drittens wegen seiner sängerischen und schauspielerischen Leistung in diesem Erfolgsstück von Bertolt Brecht und Kurt Weill, neben denen die Intendanz der Festspiele dankenswerterweise auch Elisabeth Hauptmann genannt hat, die als Mitautorin sonst immer unterschlagen wird.

Mit der Besetzung der Hauptrolle mit Zigah hat Intendant Joern Hinkel einen Glücksgriff getan, der farbige Darsteller legt die Rolle des Mackie als modernen Gangster-Rapper in Labberhosen, weißem Schießer-Unterhemd und transparentem schwarzem Oberhemd an. Doch verleiht er diesem Macho an einigen Stellen durchaus sympathische Züge. Die stärkste Szene hat der glatzköpfige und schwarzbärtige Zigah nach der Pause im dritten Akt, wenn er an beiden Händen an zwei lange Ketten gefesselt ist, die Polizeischergen über oben angebrachten Rollen rhythmisch scheppernd immer wieder hochziehen, sodass Mackie mit seinen ausgestreckten Armen wie ein gekreuzigter Christus erscheint. Immer wieder gelingt es dem Abbitte leistenden Gangsterboss aber, mit berserkerhafter Kraft die Ketten zu lockern, bis schließlich im ironisch märchenhaften Ende des Stücks des Königs reitender Bote mit einer brennenden Fackel in der Hand vom Chor der Stiftsruine auf die Vorderbühne herabschreitet und Mackie begnadigt.

Wer wie Regisseur Michael Schachermaier eine "Dreigroschenoper" einstudiert, steht vor dem Problem, dass die Zuschauer die großen Lieder dieser Theateroper wie etwa den Haifisch-Song im Ohr haben, nicht jedoch die Handlung kennen. Soll die Aufführung keine Hitparade werden, sondern ein echtes Theaterereignis, muss der Regisseur die Geschichte nachvollziehbar erzählen. Bei Schachermaier wird der Krieg zwischen den zwei Obergangstern anschaulich: Das sind der skrupellos tüchtige Bettler-Unternehmer Jonathan Jeremiah Peachum, schauspielerisch und stimmlich trefflich dargestellt von Götz Schulte, und ebendieser Bandenboss Mackie, der eigentlich Macheath heißt.

Mackie hat Peachums Tochter Polly gekapert und sich mit ihr nächtens in einer Ruine im Kreis seiner Kumpanen vermählt. Der Bettlerkönig möchte ihn deshalb am Galgen sehen. Leider hat nicht die großartige Anna Loos den Song der Seeräuber-Jenny darbieten dürfen, sondern, dem Stück folgend, Gioia Osthoff als Polly. Sie schlägt an der Stelle, da die lumpige Hotel-Putze Jenny gefragt wird, wer von den Stadtbewohnern getötet werden soll, bei ihrer Antwort: "Alle!" dramatisch mit einem Basketball-Schläger auf den Tisch und lässt diesen kühl fallen, wenn - "Hoppla!" - der Kopf fällt. Doch stimmlich ist Osthoff diesem Song, der einem immer neu den Atem verschlagen kann, nicht souverän gewachsen.

Anna Loos dagegen läuft als verräterische Spelunken-Jenny bei ihrem Salomon-Song sängerisch und bei der Zuhälter-Ballade dazu auch noch tänzerisch groß auf. Gerne hätte man sie in der Rolle der Polly gesehen. An vier Terminen übernimmt, weil Loos terminlich verhindert ist, die Travestie-Künstlerin Lilo Wanders die Rolle der Jenny.

Ein Augenfang ist das Bühnenbild von Volker Hintermeier, der die Mittelbühne mit der Leuchtschrift "Sinners Inn" als Ort des Lasters markiert, während er an die linke Seite das Orchester in einem schäbigen Schuppen und an die rechte die Huren in einem Käfig platziert hat. Dieser Käfig steht symbolisch für die ganze Dreigroschen-Gesellschaft: Alle sind sie gefangen in Brutalität, Bosheit und verräterischem Ehrgeiz.

Die "Dreigroschenoper" wurde vermutlich das meistgespielte deutschsprachige Stück der Neuzeit wegen der Musik von Kurt Weill. Es war deshalb ein großes Risiko, dass die Regie diesen klassisch anmutenden Kompositionen einen Rock- und Jazz-Anstrich gegeben hat. Doch das Wagnis hat sich gelohnt, die popkulturell modernisierte Musik des siebenköpfigen Orchesters unter Lukas Mario Maier kann bestehen. Wie überhaupt die gesamte Inszenierung das Publikum mitzureißen vermag.

Als zweite Premiere in der Hersfelder Stiftsruine folgte am Samstagabend das Musical "A Chorus Line" von James Kirkwood und Nicholas Dante mit der Musik von Marvin Hamlisch, das den harten Konkurrenzkampf unter Tänzern zum Thema hat und in der Regie und Choreographie von Melissa King vor allem durch die präzisen Tanzdarbietungen des Ensembles und die sängerischen Leistungen überzeugt. "A Chorus Line" wird bis Mitte August aufgeführt. Vom 26. Juli an wird bei den Bad Hersfelder Festspielen außerdem Kay Pollaks Schauspiel "Wie im Himmel" in der Regie von Intendant Joern Hinkel gezeigt.

Die Dreigroschenoper Bad Hersfeld, Stiftsruine, weitere Vorstellungen am 30. Juni sowie am 1., 2., 5., 6., 7.,11. und 12. Juli sowie an zehn weiteren Terminen im Juli und August

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