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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2023

Spitzentöne einer Kaiserin
Große Musik, mangelhafte Inszenierung: Elza van den Heever als "Frau ohne Schatten" von Richard Strauss in Baden-Baden

Ob die Kaiserin ein "Herz aus Kristall" hatte, bevor es zerbrach "in einem Schrei", wie der Kaiser am Ende behauptet, das entzieht sich dem Augenschein. Auch wenn die Kaiserin, im Märchen gibt es so etwas, ein Licht- und Luftwesen ist, dem man wohl - anders als einem Menschen - ins Herz schauen können müsste.

Was man aber hört bei der phänomenalen Elza van den Heever als Kaiserin, das ist eine Stimme, die "eines Vogels leichten Leib" zu tragen scheint. Denn genau zu diesen Worten schwingt sich der Sopran der Sängerin auf zu einem perlend-prickelnden Triller auf dem hohen A, der nur als Sprungbrett dient zum noch höheren, dreigestrichenen D, von dem herab sie in graziler Kaskade, oktavab, quintauf, septab, quintauf, die Töne hüpfen lässt wie achtlos hingeworfene Saphire.

Am Ende der Oper wird sie eine Hundertschaft von Orchester und drei weitere, stimmstarke Solisten überstrahlen mit einem blitzblanken, aber gar nicht schrillen hohen C im Fortissimo wie eine Königin der Nacht mit Walküren-Booster. Eine phantastische, hinreißende Stimme!

Sängerisch wird viel geboten bei dieser "Frau ohne Schatten" von Richard Strauss im Festspielhaus Baden-Baden. Barak, der Färber, der seiner Frau viele Kinder machen und für sie sorgen will, mag ein schlichtes Gemüt sein, aber Wolfgang Koch gibt ihm mit seinem Bariton die Eleganz eines Edelmanns.

Hier singt ein Ritter des Alltags, ein Fürst aufopferungsbereiter Väterlichkeit. Seine Frau, die Färberin, wird lange brauchen, das zu erkennen. Doch Miina-Liisa Värelä zeigt in dieser Rolle eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit von der keifenden Megäre zu einem in voller Empathiefähigkeit aufgeblühten Menschen. Ihr Sopran verströmt Liebe und Hingabe von dem Moment an, da sie sich durch ihren Mann als sie selbst erkannt und nicht mehr auf die Gebärerin reduziert weiß.

Clay Hilley als Kaiser, von der Kostümbildnerin Katharina Schlipf mit Frack und Zylinder eingekleidet als Amüsiertenor, den es zu Loulou und Froufrou zieht (entsprechende Tänzerinnen mit Straußenfedern an den erogenen Zonen stehen schon bereit, eine hängt sogar kopfüber vom Trapez), Clay Hilley also singt sich warm und verwandelt sich aus einer Trompete ohne Sinn und Verstand in einen delikaten, lyrischen Helden.

Michaela Schuster schließlich ist als Amme eine Erzkomödiantin mit schaurig-schöner Tiefe in der Stimme und wendiger Schläue im Spiel, eine augenrollende, füchsisch grinsende Kreuzung aus Kundry und Knusperhexe, die knackige, halb nackte Männer herbeizaubert, von denen einer sogar "Französisch" kann und damit die Färbersfrau unterm Rock zu einem ihrer Spitzentöne stimuliert.

Vom Chor des Nationalen Musikforums Breslau, dem Kinderchor Cantus Juvenum Karlsruhe bis zu den Nebenrollen - Peter Hoare als Buckliger, Nathan Berg als Einarmiger und Johannes Weisser als Einäugiger, alle drei grotesk komisch - ist diese Osterfestspielproduktion exzellent besetzt. Da wurde an keiner Stelle gespart, und doch hinterlässt sie einen unbefriedigenden Eindruck.

Das liegt zum einen am Dirigenten Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern: Hier hört man zwar Liebe und Sorgfalt in jedem Detail, höchste Anspannung in jedem Augenblick, aber in der funkelnden Fülle keinen Fokus, keine dramaturgische Führung und leider auch oft Balanceprobleme sowohl innerhalb des Orchesters wie im Verhältnis von Graben und Bühne.

Mag sein, dass die letzte der drei Vorstellungen in Baden-Baden sehr viel besser gelingt, wenn all die Tuben, das Heckelphon, die chinesischen Gongs, Orgel, Glasharmonika und zwei Celestas ihren Platz in einer Hierarchie des Sinns gefunden haben. "Die Frau ohne Schatten" mit bald dreihundert Mitwirkenden, darunter ein Bataillon von Bühnenarbeitern für die ständigen Verwandlungen zwischen Ober- und Unterwelt, bleibt für die Opernbühnen bis heute eine der größten Zumutungen überhaupt.

Dass die Baden-Badener Produktion trotz ihres bewundernswerten Mutes das Gefühl des Ungenügens zurücklässt, liegt aber auch an der Regie von Lydia Steier. Ober- und Unterwelt sind bei ihr der Schlafsaal eines katholischen Mädcheninternats und der Verkaufssalon des Färbers Barak. Paul Zoller hat dafür blitzschnell drehbare Kulissen entworfen. Steier erzählt das Märchen aus der Perspektive einer stummen jungen Frau (Vivien Hartert), die ihr Kind verloren hat. Man muss dazu das Programmheft lesen, um es zu verstehen. Das Internat unter Nonnenaufsicht (auch die Amme ist Nonne) steht für eine Moral, die weibliche Sexualität nur hinsichtlich künftiger Mutterschaft zugesteht. Damit ist der "Schatten" im Libretto Hugo von Hofmannsthals verkürzt auf ein Symbol für Mutterschaft. Genau das ist er aber nicht.

Der Schatten steht bei Hofmannsthal für eine menschliche Existenz, die Schuldfähigkeit als Schuldbereitschaft und Selbstverantwortung für eigene Entscheidungen anerkennt.

Und gerade Hofmannsthal selbst entkoppelt im Wächterlied die Begattung von der Fortpflanzung: "Nicht um eures Lebens willen ist euch die Saat des Lebens anvertraut, sondern allein um eurer Liebe willen!" Das ist das blanke Gegenteil katholischer Sexuallehre. Gerade diesen Prozess machen Barak und seine Frau durch: Sich wechselseitig als Menschen um ihrer selbst willen zu erkennen, um in dieser Liebe, ohne vorgriffige Verkleinerung auf eine Zeugungs- oder Gebärmaschine, frei zu werden für Vater- und Mutterschaft.

Ginge es in der Oper tatsächlich nur um die Befestigung traditioneller Männer- und Frauenrollen, also einer binären, heteronormativen Welt, wie man heute so sagt, dann könnte man den Furor gut verstehen, mit dem die stumme junge Frau zur Schluss-Apotheose in der Erde wühlt wie ein Terrier im Maulwurfshaufen. Aber diese Kritik am Stück ist weder handwerklich sauber und nachvollziehbar von der Regisseurin durchgeführt worden, noch trifft sie das Stück im Kern. JAN BRACHMANN

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