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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Bekenntnisse eines englischen Crack-Rauchers
Was tut Kate Moss als nächstes? Das kaum für möglich gehaltene Album von Pete Dohertys neuer Band "Babyshambles"

Kate Moss kann nicht singen - die für manche sicher wichtigste Information hat dieses Album schon nach fünf Minuten preisgegeben. Warum sollte sie auch? Pete Doherty sieht ja auch nicht gut aus. Auf dem Album, das er nach seinem Rausschmiß bei den "Libertines" mit seiner neuen Band aufgenommen hat, steuert Moss gleich im ersten dahinrumpelnden Song ein paar Gesangspassagen bei, als wollte man es möglichst rasch hinter sich haben. "La Belle et la Bête" heißt das Lied und nimmt damit ironisch das Trivialschema auf, nach dem die Boulevardzeitungen die Beziehung von Top-Modell und Rockstar gestaltet hatten: die - unschuldige - Schönheit, die in der schlechten Gesellschaft des dämonischen, unreifen Wüstlings zu Drogen verführt wurde. Im Song freilich ist die Schöne zugleich das Biest.

Daß wir es mit der Popwelt zu tun haben, merkt man bereits an der Schwierigkeit, für das Verhältnis zwischen Moss und Doherty eine passende Bezeichnung zu finden: "Lebensgefährten" wohl kaum, "Partner" noch weniger, "Freund", "Lover", wer weiß das schon? Die Enthüllung, daß Kate Moss, Ikone des magersüchtigen Drogenchics der Neunziger, kokst, ist, für sich genommen, so sensationell wie ein altbiertrunkener Campino oder ein Rainald Goetz auf Ecstasy. Wenn nicht einfach Naivität oder pure Heuchelei hinter der Skandalisierung stecken, dann kann man es auch als Symptom für die gegenwärtige Wahrnehmung von Pop überhaupt nehmen: Man hat sich schon so sehr daran gewöhnt, die Popkultur als eine Scheinwelt anzusehen, in der jeder nur seine von Vermarktungsinteressen bestimmte Rolle spielt, daß die Übereinstimmung von Signifikant und Signifikat wie ein Realitätsschock wirkt. Im Hip-Hop zuckt man mit den Achseln, wenn Gangsta-Rapper wirklich schießen. Im Rock dagegen hält man das Antibürgerliche, das Gewalttätige und die Selbstzerstörung für verkaufsfördernde Pose: Nach Kurt Cobain, in den Augen der Theorie-Spießer selbst schon eine Hendrix-Kopie, kann man das doch wirklich nicht mehr bringen.

Wer die "Libertines" einmal live gesehen hat, der weiß, daß hier ohne Drogen gar nichts lief. Mit dem ersten Taktschlag wirkte das Frontmänner-Duo Pete Doherty und Carl Barat beim Konzert wie unter Starkstrom gesetzt (F.A.Z. vom 16. November 2002). Musikalisch hat die Band ihren Platz in der Popgeschichte sicher, hat sie doch mit ihrem Debütalbum "Up The Backet" - unter Rückgriff auf die reiche nationale Tradition von "The Kinks" bis "The Clash" - dem seit Jahren elegisch dahinsiechenden Britpop eine Blutauffrischung verpaßt. Doherty brachte die ganze Glaubwürdigkeits-Chose in den Rock zurück und füllte damit bis zum Zusammenbruch jene Planstelle aus, die nach dem zeitweilig zur Selbstkarikatur gewordenen "Oasis"-Sänger Liam Gallagher unbesetzt geblieben war.

Zum Star, der auch einem rockmusikalisch ignoranten Publikum ein Begriff ist, wurde Doherty erst durch seine Exzesse beziehungsweise die scheiternden Versuche, sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, so daß man inzwischen besser über sein suchtdämpfendes Magenimplantat informiert ist als über seine Instrumentenwahl. Daß unter diesen Umständen - getreu dem Motto: Nase zu und durch! - überhaupt ein neues Album entstand, ist Überraschung genug. Daß es unterm Strich - über einige Totalausfälle wäre besser die Lederjacke des Schweigens gebreitet - eine gute Platte geworden ist, kann freilich nur den verwundern, der hinter dem schroffen Demotape-Charme der "Libertines"-Alben die Qualität des Songschreibens übersah. Selbst gegenüber deren krisengezeichneter zweiter Platte aus dem vergangenen Jahr (F.A.Z. vom 28. August 2004) wirkt das "Babyshambles"-Debüt, ebenso von Mick Jones produziert, noch unfertiger, hingerotzter, in seiner genialischen Selbstgewißheit aber auch arroganter, ein weiterer Nachlaß zu Lebzeiten. Den hätte man von Cobain freilich gern gehabt.

"Babyshambles"-Gitarrist Patrick Walden, ein erfahrener Studiomusiker, hat sich dann auch offen selbstkritisch über das Resultat geäußert: Doherty habe fürs Üben eben keine Zeit. So mußte man die Gunst des Augenblicks nutzen und aus den Sessions das letzte herausholen. Nach dem schleppenden Anfang nimmt die Platte mit dem dritten Song Fahrt auf: "A Rebours" - die Anspielung auf den Joris-Karl-Huysmans-Klassiker der décadence-Literatur (deutsch "Gegen den Strich") zeigt, wo Doherty seine Vorbilder sucht: Poète maudit statt Prolet will er sein. Das moralisch indifferente Dandytum der englischen Romantik und des Fin de siècle liefert denn auch einige Stichworte für Dohertys Texte; "a nightmare steeped in tradition" heißt es gleich im ersten Song.

Meistens jedoch kreisen die Texte, zugegeben wenig originell, um die Härten des Promi-Alltags: "Why would you pay to see me in a cage? / Which the whole world calls a stage", singt er in "Killamangiro". Das ist nach dem Clubrock-Song "The 32nd of December" und dem sehr clashigen "Pipedown" einer der Höhepunkte der Platte, aus denen mit einigen zusätzlichen Takes durchaus ein Hit hätte werden können. Aber längst nicht jeder ungeschliffene Stein ist gleich ein Rohdiamant. Vor allem in der Mitte droht die Platte peinlich abzuschmieren. Erst ein uninspiriertes Rockstück ("8 Dead Boys"), dann eine lahme Ballade ("In Love With a Feeling"), schließlich ein weiterer skurriler Ausflug in den Reggae ("Pentonville"). Da hat Pete wohl ein paarmal zu oft die falsche Droge geraucht. Bevor es zu Rastalocken kommt, bitte, bitte wieder Crack in die Pfeife tun!

Doch als man beim nächsten Song "What Katy Did Next" schon denkt, es gehe so panisch weiter, kommt plötzlich so ein Hammer-Refrain, wie ihn nur Doherty hinkriegt. Dann folgt das beste Stück der Platte. In der Ballade "Albion" erweist er sich als romantischer Patriot, der den Zudringlichkeiten der Gegenwart die Vision eines heilen, dörflich geprägten England gegenüberstellt. Da ist er plötzlich ganz verwundbar, offen, nah - wie der kranke und kaputte Kurt Cobain bei seinem MTV-Unplugged-Auftritt -, so daß man das ganze schnöselige Stargedöns als Panzer, als Verhaltenslehre der Kälte erkennt: Indifferenz als Schutz. Allein mit diesem Song hätte er sich schon die Unsterblichkeit gesichert; danach kann das Werk nicht mehr mißlingen.

Und die Sache mit dem Kokain? In seinen "Bekenntnissen eines englischen Opiumessers", zu denen Dohertys Songs ein zeitgenössisches Pendant bilden, schrieb Thomas De Quincey 1822, die meisten Menschen seien nicht von Drogen, sondern vielmehr "von Nüchternheit benebelt". Davor kann diese Platte jedenfalls bewahren helfen. Drogen sind böse. Aber gute Musik hat mit Moral glücklicherweise nichts zu tun.

RICHARD KÄMMERLINGS

Babyshambles, Down in Albion. Rough Trade LC 11945

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