Nach seinem fulminaten Erfolgsalbum 'Apokalypse' aus dem Jahr 2011 meldet sich der Wahl-Texaner aus Austin, Bill Callahan, mit seinem neuen Meisterwerk 'Dream River' zurück. Wie der Titel schon verspricht, geht es um einen 'Fluss der Träume', wo alles gute und alles schlechte organisch zusammen fließt. Pantha Rhei - oder - Wir steigen in den gleichen Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht, oder kann man doch nicht zweimal in denselben Fluss steigen? Bills neue Songs sind wie kleine Floße, mit denen man auf eine Abenteuerreise mit genommen wird, und Callahan ist gleichzeitig der Kartograph und Erzähler, der Ausschau nach Untiefen und gefährlichen Ufern entlang des Flusses hält. Und er erzählt mit seiner Baritonstimme wundersahme Geschichten, die er mit seinen Augen gesehen oder vielleicht auch nur geträumt hat, wer weiß es schon genau. Klartext-Passagen fließen mit den poetischen zusammen und bisweilen spürt man auch einen leichten Stoß von etwas, was wir alle kennen: das Lachen. Am Ende des letzten 8.Songs fließt der Traumfluss ins Meer, und der Hörer sieht plötzlich einen neuen unendlichen Horizont und ist wie verwandelt. Und er weiß auch sofort, dass er dieses Album immer wieder aufs Neue hören muss, aber nie wieder auf dieselbe Art und Weise. Traumwandlerisch schön!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2013Der Stiesel wird zuversichtlich
"Danke schön" und "Bier": Mehr gibt Bill Callahan normalerweise nicht von sich. Der Lo-Fi-Meister der freien Rockform gibt sich jetzt aber überraschend heiter. "Dream River" klingt - verhältnismäßig! - entspannt, leichtfüßig, souverän.
Den skrupulösen Umgang mit Worten hat ihm womöglich die NSA in die Wiege gelegt: Angeblich stand sein Vater als Sprachanalyst in Diensten der amerikanischen Sicherheitsbehörde, für die auch seine Mutter arbeitete. Bill Callahans Zielgruppe dürfte allerdings wesentlich kleiner sein als die der Datensammler. Denn seine Stimme klingt nach hundert Jahren Einsamkeit, seine Musik nach dem Erblühen einer Distel auf dem Wüstenplaneten. Wie diese Klangwelt zu kategorisieren sei, darüber streiten sich seit jeher die Gemüter. Folk könnte man das, was Callahan spielt, nur mit äußerst schlechtem Gewissen oder wenig Sachkenntnis nennen. Rock kommt einem auch nicht mit dem Brustton der Überzeugung über die Lippen. Americana? Schon eher, schließlich ist der Begriff so schwammig wie ein Zeitungshoroskop.
Dem 1966 in Maryland geborenen Singer/Songwriter mag es ohnehin gleichgültig sein, in welche Schublade er gesteckt wird. Seit er unter dem Signet Smog Anfang der neunziger Jahre mit karg instrumentierten, schwarzseherischen Alben auf sich aufmerksam machte, hat er seinen eigenwilligen Stil zwar verfeinert, Kompromisse jedoch ist er nicht eingegangen. Als er 2007 dem Pseudonym und mit ihm der Lo-Fi-Ästhetik des Frühwerks endgültig den Rücken kehrte und eine erste Platte unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlichte, trat in den sonor vorgetragenen Songs der für Callahan typische, knochentrockene Humor deutlicher zutage als auf den vorangegangenen Zeugnissen der Zerrüttung. Zu Schenkelklopfern, die schallendes Gelächter ernten, taugen seine sarkastischen, überwiegend im Privaten angesiedelten Untergangsszenarien natürlich immer noch nicht. Wie der Ungediente in "America!" auf seinem letzten Album "Apocalypse" vor einer Armee der Country-Größen - bestehend aus "Captain Kristofferson, Buck Sergeant Newbury, Leatherneck Jones, Sergeant Cash" - spöttisch salutierte, war dennoch nicht ohne Komik. Die Frage ist nun, wie es nach dieser persönlichen Heraufbeschwörung des Jüngsten Gerichts, nach dem Abschied von Gott und der Welt weitergeht. Mit der Erlösung, dem himmlischen Jerusalem - oder doch der ewigen Verdammnis?
Callahans neues Album lässt diesbezüglich nur einen Schluss zu: Er ist dazu verdammt, auf immerdar kleinere Bühnen heimzusuchen und ein vielgepriesener, nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp zu bleiben. Es könnte jedoch sein, dass damit für den mittlerweile in Austin, Texas, lebenden, oft leicht stieseligen Künstler der Zustand höchster Seligkeit erreicht ist. Was er auf "Dream River" zustande bringt, hört sich jedenfalls entspannter, leichtfüßiger und souveräner an als jemals zuvor. In dem von einer seufzenden Gitarre getragenen, schwerelosen "Small Plane" singt er tatsächlich: "I really am a lucky man". Es sei dem einstigen Miesepeter von Herzen gegönnt.
Callahan, der im Übrigen auch einen bemerkenswerten Briefroman veröffentlicht hat, ist ein Meister der freien Form; er verzichtet weitgehend auf klassische Refrains, bevorzugt stattdessen mäandernde Songstrukturen, verwebt vermeintlich schlichte Gitarrenmuster mit raffinierter, jazziger Percussion und bringt dem Hörer über gewundene Melodien liebliche Flötentöne bei. Stücke wie "Javelin Unlanding" oder das fabelhafte "Ride My Arrow" gleichen einem im poetischen Plauderton gehaltenen Gespräch, in dem tiefste Wahrheiten ausgesprochen werden - über die Liebe, den Tod und den Krieg, der das Land spaltet und den Fluss verschlammt: "and getting out we're dirtier than getting in".
In "Summer Painter" erzählt Callahan sodann von einem Ferienjob als Bootsmaler, von der Torheit der Reichen, die der Wunschtraum der Armen ist, und von der beängstigenden Ruhe nach dem Sturm, der sich in einem beeindruckenden Brausen der Gitarre austobt. Der Song ist ohne Zweifel einer der Höhepunkte des Albums; er lässt Spielraum für Interpretationen, wie Callahans Texte generell von einer metaphorischen Offenheit geprägt sind. In ihnen vereint sich das Alltägliche mit dem Erhabenen, die aberwitzige Phantasterei mit der konkreten Beobachtung.
So schaut zu Beginn des Albums jemand an der Hotelbar Bier trinkend aus einem Fenster, das es nicht gibt, während ihm schlafende Fremde unwissentlich Gesellschaft leisten; die einzigen Worte, die er heute gesagt hat, sind "Bier" und "Dankeschön". Einsamer nie. Später, zum Ausklang, läuft auf der Heimfahrt über die "Winter Road" im Radio eines Lastwagens ein Interview mit Donald Sutherland, der sich bei all seinen Geliebten und Nachkommen entschuldigt. Wofür, bleibt selbstverständlich unausgesprochen. Klar ist nur, dass einem angesichts der blendenden Lichter des Königreichs die Tränen in die Augen schießen können und dass der Erzähler, der solches von sich gibt, eines gelernt hat: Wenn etwas schön ist, soll man daran festhalten und einfach weitermachen.
Das möge Bill Callahan bitte noch lange tun. Wer in seinen mitreißenden, sich stetig wandelnden Fluss von Songs steigt, kommt jedenfalls als ein anderer wieder heraus.
ALEXANDER MÜLLER
Bill Callahan,
Dream River
Drag City 553 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Danke schön" und "Bier": Mehr gibt Bill Callahan normalerweise nicht von sich. Der Lo-Fi-Meister der freien Rockform gibt sich jetzt aber überraschend heiter. "Dream River" klingt - verhältnismäßig! - entspannt, leichtfüßig, souverän.
Den skrupulösen Umgang mit Worten hat ihm womöglich die NSA in die Wiege gelegt: Angeblich stand sein Vater als Sprachanalyst in Diensten der amerikanischen Sicherheitsbehörde, für die auch seine Mutter arbeitete. Bill Callahans Zielgruppe dürfte allerdings wesentlich kleiner sein als die der Datensammler. Denn seine Stimme klingt nach hundert Jahren Einsamkeit, seine Musik nach dem Erblühen einer Distel auf dem Wüstenplaneten. Wie diese Klangwelt zu kategorisieren sei, darüber streiten sich seit jeher die Gemüter. Folk könnte man das, was Callahan spielt, nur mit äußerst schlechtem Gewissen oder wenig Sachkenntnis nennen. Rock kommt einem auch nicht mit dem Brustton der Überzeugung über die Lippen. Americana? Schon eher, schließlich ist der Begriff so schwammig wie ein Zeitungshoroskop.
Dem 1966 in Maryland geborenen Singer/Songwriter mag es ohnehin gleichgültig sein, in welche Schublade er gesteckt wird. Seit er unter dem Signet Smog Anfang der neunziger Jahre mit karg instrumentierten, schwarzseherischen Alben auf sich aufmerksam machte, hat er seinen eigenwilligen Stil zwar verfeinert, Kompromisse jedoch ist er nicht eingegangen. Als er 2007 dem Pseudonym und mit ihm der Lo-Fi-Ästhetik des Frühwerks endgültig den Rücken kehrte und eine erste Platte unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlichte, trat in den sonor vorgetragenen Songs der für Callahan typische, knochentrockene Humor deutlicher zutage als auf den vorangegangenen Zeugnissen der Zerrüttung. Zu Schenkelklopfern, die schallendes Gelächter ernten, taugen seine sarkastischen, überwiegend im Privaten angesiedelten Untergangsszenarien natürlich immer noch nicht. Wie der Ungediente in "America!" auf seinem letzten Album "Apocalypse" vor einer Armee der Country-Größen - bestehend aus "Captain Kristofferson, Buck Sergeant Newbury, Leatherneck Jones, Sergeant Cash" - spöttisch salutierte, war dennoch nicht ohne Komik. Die Frage ist nun, wie es nach dieser persönlichen Heraufbeschwörung des Jüngsten Gerichts, nach dem Abschied von Gott und der Welt weitergeht. Mit der Erlösung, dem himmlischen Jerusalem - oder doch der ewigen Verdammnis?
Callahans neues Album lässt diesbezüglich nur einen Schluss zu: Er ist dazu verdammt, auf immerdar kleinere Bühnen heimzusuchen und ein vielgepriesener, nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp zu bleiben. Es könnte jedoch sein, dass damit für den mittlerweile in Austin, Texas, lebenden, oft leicht stieseligen Künstler der Zustand höchster Seligkeit erreicht ist. Was er auf "Dream River" zustande bringt, hört sich jedenfalls entspannter, leichtfüßiger und souveräner an als jemals zuvor. In dem von einer seufzenden Gitarre getragenen, schwerelosen "Small Plane" singt er tatsächlich: "I really am a lucky man". Es sei dem einstigen Miesepeter von Herzen gegönnt.
Callahan, der im Übrigen auch einen bemerkenswerten Briefroman veröffentlicht hat, ist ein Meister der freien Form; er verzichtet weitgehend auf klassische Refrains, bevorzugt stattdessen mäandernde Songstrukturen, verwebt vermeintlich schlichte Gitarrenmuster mit raffinierter, jazziger Percussion und bringt dem Hörer über gewundene Melodien liebliche Flötentöne bei. Stücke wie "Javelin Unlanding" oder das fabelhafte "Ride My Arrow" gleichen einem im poetischen Plauderton gehaltenen Gespräch, in dem tiefste Wahrheiten ausgesprochen werden - über die Liebe, den Tod und den Krieg, der das Land spaltet und den Fluss verschlammt: "and getting out we're dirtier than getting in".
In "Summer Painter" erzählt Callahan sodann von einem Ferienjob als Bootsmaler, von der Torheit der Reichen, die der Wunschtraum der Armen ist, und von der beängstigenden Ruhe nach dem Sturm, der sich in einem beeindruckenden Brausen der Gitarre austobt. Der Song ist ohne Zweifel einer der Höhepunkte des Albums; er lässt Spielraum für Interpretationen, wie Callahans Texte generell von einer metaphorischen Offenheit geprägt sind. In ihnen vereint sich das Alltägliche mit dem Erhabenen, die aberwitzige Phantasterei mit der konkreten Beobachtung.
So schaut zu Beginn des Albums jemand an der Hotelbar Bier trinkend aus einem Fenster, das es nicht gibt, während ihm schlafende Fremde unwissentlich Gesellschaft leisten; die einzigen Worte, die er heute gesagt hat, sind "Bier" und "Dankeschön". Einsamer nie. Später, zum Ausklang, läuft auf der Heimfahrt über die "Winter Road" im Radio eines Lastwagens ein Interview mit Donald Sutherland, der sich bei all seinen Geliebten und Nachkommen entschuldigt. Wofür, bleibt selbstverständlich unausgesprochen. Klar ist nur, dass einem angesichts der blendenden Lichter des Königreichs die Tränen in die Augen schießen können und dass der Erzähler, der solches von sich gibt, eines gelernt hat: Wenn etwas schön ist, soll man daran festhalten und einfach weitermachen.
Das möge Bill Callahan bitte noch lange tun. Wer in seinen mitreißenden, sich stetig wandelnden Fluss von Songs steigt, kommt jedenfalls als ein anderer wieder heraus.
ALEXANDER MÜLLER
Bill Callahan,
Dream River
Drag City 553 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main