Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 4. September 2006
- Hersteller: The Orchard/Bertus (Membran) / BBE Music,
- EAN: 0730003210129
- Artikelnr.: 20888864
CD | |||
1 | Burnings | 00:03:11 | |
2 | Golden cage | 00:04:02 | |
3 | Fireworks | 00:03:12 | |
4 | Done with you | 00:05:24 | |
5 | Don't give up | 00:05:55 | |
6 | Above you | 00:03:14 | |
7 | Inflation | 00:03:49 | |
8 | Figures | 00:03:57 | |
9 | Borders | 00:05:30 | |
10 | All ears | 00:03:19 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2006Eine Abwendung hin zur Musik
Jede Saite darf hier ausatmen: Erlend Øye von den "Kings of Convenience" träumt weiter als "The Whitest Boy Alive"
Seit sich zu Beginn der neunziger Jahre, von der Welt noch weitgehend unbemerkt, welche zu der Zeit in Grunge- und Hardcoregewittern unterzugehen unternahm, seit sich damals also die schwedische Sängerin Stina Nordenstam zum Zwecke von Plattenaufnahmen in die Tundra zurückzog, um mit Hilfe sparsamster Akustikinstrumentierung und direkt ins Mikrofon gehauchter Wisperstimme in ganz neue Dimensionen von Intimitätsproduktion vorzustoßen, seit diesen hienieden nie bemerkten und daher auch unvergessenen Tagen haben die Skandinavier sich in regelmäßigen Abständen bemüht, uns mit dem zu kommen, was man von Skandinaviern ja wohl mit Fug erwarten darf: Musik, die sich abseits vom Großstadtpuls in weite, bemooste Landschaften hinein entfaltet; Musik, in der jedem Ton nachgelauscht wird, ehe er zart im Boden versinkt - was ja, wie man dieser Schilderung hoffentlich anmerkt, auch ziemlich schnell ziemlich doof werden kann, wenn da nicht eine oder einer gut aufpaßt.
Wer also klug ist als Musikus mit Talent, begibt sich bald hinaus in die wilde Welt, die Felsenformationen der Herkunft immer im Herzen, und mit Glück auch schon mit Ruf im Gepäck. Diesen, und zwar keinen kleinen, hatte seit dem Jahr 2001 auch der Norweger Erlend Øye mit sich herumzutragen, denn mit seinen "Kings of Convenience" hatte er eine gähnend leere Musiknische besetzt, welche doch in den Herzen der Popmenschheit von einiger Ausdehnung war. Es war der zarte, melodiöse Akustikgitarrenpop, der seit den Tagen von Simon und Garfunkel so gründlich zugenagelt, versenkt und verabschiedet war, daß seine Rückkunft eigentlich schon länger auf der Hand lag.
Hier kam er nun wieder, die Erinnerungen an das zänkische Seelchenduo aus Amerika war soweit verblaßt, daß man alle neuen Legenden rund um die "Kings of Convenience" gern entgegennahm: Zwei alte Schulfreunde waren das aus dem hölzernen Städtchen Bergen, dort wo die Regenwolken sich nach ihrer langen Irrfahrt über den Atlantik unentwegt am steilen Berg Ulriken abregnen, auf den man an den wenigen trockenen Tagen mit einer ruckeligen Zahnradbahn hinaufgelangt. Dort also, in einem großen, weißen Elternhaus, habe das Duo an seinen Songs gefeilt, habe sie heranreifen und gedeihen lassen, bis sie stark genug geworden waren für die Welt da draußen. Worauf nun also der interessante Teil der Geschichte begann, auf den schon der unvergeßliche Albumclaim hindeutete: "Quiet is the New Loud" war eine Ansage, auf deren Entschieden- und Gewitztheit man hoffen durfte: daß ein Talent wie Erlend Øye noch mehr anzubieten haben könnte.
Und ganz recht. Kaum halbwegs berühmt geworden, reiste er seiner Musik hinterher, welche jetzt weltweit erklang, und überraschte bald mit dem Album "Unrest" und einem Downtempo-Elektropop, bei dessen Hören Art Garfunkel binnen Sekunden zu Staub zerfallen wäre. Erlend Øye dagegen hatte einen neuen, innovativen Ruhm als singender DJ zu verteidigen und scherte sich um Rezeptionsfallen nicht. Etwa mußte er in einem Interview Stellung beziehen zu folgenden brisanten Fakten: daß er sich erstens oft vom Publikum abwende, zweitens eine große Brille trage und daher drittens den Ruf habe, schüchtern zu sein.
Worauf Erlend analysierte: Das mit der Schüchternheit stamme wohl nicht aus seinen Elektrozusammenhängen, sondern aus einer musikalisch verträumteren Ecke: "Wahrscheinlich ein Magazin, das mich eher in einen Indiekontext einordnet. Für die sind alle Musiker schüchtern." Oder, anders gesagt: Der gemeine Indierock-Verköstiger rezipiert den Musiker auf der Bühne weniger als jemanden, der sich um Erzeugung von Musik kümmert, sondern als einen, der da mit allen zu Gebote stehenden Mitteln seine jeweilige, stromverstärkte Eigenbefindlichkeit in möglichst hinreißender Weise darstellt. Eine Abwendung, hin zur Musik, darf hier nicht um der Musik willen stattfinden, sie hat ein Signal zu sein: Ach, wie scheu man doch ist, wie empfindlich - edle Tugenden, derer das Publikum durch auswendigstmögliches Mitsingen teilhaftig werden kann.
Øye aber singt und spielt längst in einer anderen Liga, und das neue Werk seines neuen Projekts legt Zeugnis davon ab: Das möglichst projektionsfreundlich und scheindämlich betitelte Album "Dreams" seiner neuen Band "The Whitest Boy Alive" ist von Selbstdarstellung weit entfernt. Der große Abwender, der sein Publikum ja gar nicht kränken, sondern ihm nur besonders sorgsam dienen möchte, hier trägt er die Früchte seiner Zuwendung vor: zur Musik nämlich, zur Melodie, die sich nicht aufdrängt, zu jedem einzelnen Klang, zu jeder angeschlagenen Saite, die bei ihm Raum zum Ausatmen hat.
Der Besetzung nach eine klassische Rockkapelle, strebt "The Whitest Boy Alive" doch ganz anderswo hin. Das Ethos dieser unaufdringlichen, lebensfroh- melancholischen Musik entstammt dem Chill-out nach langen Nächten, sein geistig-moralisches Mitteilungsbedürfnis ist das einer Funk-Kapelle, die ihre Gesangseinlagen eher wie einen Bläsersatz in den Klangteppich, tupft als daß sie tränenfeuchte Geschichten vorsingen wollte, und wenn Øyes vorsichtige Stimme doch gern Inhaltsfetzen verwendet, die aus der üblichen Trennungstristesse des Indierocks stammen, so wirken sie hier doch eher wie sorgfältig ausgeschnitten und hineingesampelt zum Frommen des Gesamtwerks, welches man, wäre man nicht vorsichtig mit derlei schlimmen Begriffen, als äußerst "gelungen" oder "geschmackvoll" bezeichnen würde, damit bekennend, daß man doch wirklich schon relativ alt geworden sei.
KLAUS UNGERER
The Whitest Boy Alive, Dreams, Bbe 35677012 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jede Saite darf hier ausatmen: Erlend Øye von den "Kings of Convenience" träumt weiter als "The Whitest Boy Alive"
Seit sich zu Beginn der neunziger Jahre, von der Welt noch weitgehend unbemerkt, welche zu der Zeit in Grunge- und Hardcoregewittern unterzugehen unternahm, seit sich damals also die schwedische Sängerin Stina Nordenstam zum Zwecke von Plattenaufnahmen in die Tundra zurückzog, um mit Hilfe sparsamster Akustikinstrumentierung und direkt ins Mikrofon gehauchter Wisperstimme in ganz neue Dimensionen von Intimitätsproduktion vorzustoßen, seit diesen hienieden nie bemerkten und daher auch unvergessenen Tagen haben die Skandinavier sich in regelmäßigen Abständen bemüht, uns mit dem zu kommen, was man von Skandinaviern ja wohl mit Fug erwarten darf: Musik, die sich abseits vom Großstadtpuls in weite, bemooste Landschaften hinein entfaltet; Musik, in der jedem Ton nachgelauscht wird, ehe er zart im Boden versinkt - was ja, wie man dieser Schilderung hoffentlich anmerkt, auch ziemlich schnell ziemlich doof werden kann, wenn da nicht eine oder einer gut aufpaßt.
Wer also klug ist als Musikus mit Talent, begibt sich bald hinaus in die wilde Welt, die Felsenformationen der Herkunft immer im Herzen, und mit Glück auch schon mit Ruf im Gepäck. Diesen, und zwar keinen kleinen, hatte seit dem Jahr 2001 auch der Norweger Erlend Øye mit sich herumzutragen, denn mit seinen "Kings of Convenience" hatte er eine gähnend leere Musiknische besetzt, welche doch in den Herzen der Popmenschheit von einiger Ausdehnung war. Es war der zarte, melodiöse Akustikgitarrenpop, der seit den Tagen von Simon und Garfunkel so gründlich zugenagelt, versenkt und verabschiedet war, daß seine Rückkunft eigentlich schon länger auf der Hand lag.
Hier kam er nun wieder, die Erinnerungen an das zänkische Seelchenduo aus Amerika war soweit verblaßt, daß man alle neuen Legenden rund um die "Kings of Convenience" gern entgegennahm: Zwei alte Schulfreunde waren das aus dem hölzernen Städtchen Bergen, dort wo die Regenwolken sich nach ihrer langen Irrfahrt über den Atlantik unentwegt am steilen Berg Ulriken abregnen, auf den man an den wenigen trockenen Tagen mit einer ruckeligen Zahnradbahn hinaufgelangt. Dort also, in einem großen, weißen Elternhaus, habe das Duo an seinen Songs gefeilt, habe sie heranreifen und gedeihen lassen, bis sie stark genug geworden waren für die Welt da draußen. Worauf nun also der interessante Teil der Geschichte begann, auf den schon der unvergeßliche Albumclaim hindeutete: "Quiet is the New Loud" war eine Ansage, auf deren Entschieden- und Gewitztheit man hoffen durfte: daß ein Talent wie Erlend Øye noch mehr anzubieten haben könnte.
Und ganz recht. Kaum halbwegs berühmt geworden, reiste er seiner Musik hinterher, welche jetzt weltweit erklang, und überraschte bald mit dem Album "Unrest" und einem Downtempo-Elektropop, bei dessen Hören Art Garfunkel binnen Sekunden zu Staub zerfallen wäre. Erlend Øye dagegen hatte einen neuen, innovativen Ruhm als singender DJ zu verteidigen und scherte sich um Rezeptionsfallen nicht. Etwa mußte er in einem Interview Stellung beziehen zu folgenden brisanten Fakten: daß er sich erstens oft vom Publikum abwende, zweitens eine große Brille trage und daher drittens den Ruf habe, schüchtern zu sein.
Worauf Erlend analysierte: Das mit der Schüchternheit stamme wohl nicht aus seinen Elektrozusammenhängen, sondern aus einer musikalisch verträumteren Ecke: "Wahrscheinlich ein Magazin, das mich eher in einen Indiekontext einordnet. Für die sind alle Musiker schüchtern." Oder, anders gesagt: Der gemeine Indierock-Verköstiger rezipiert den Musiker auf der Bühne weniger als jemanden, der sich um Erzeugung von Musik kümmert, sondern als einen, der da mit allen zu Gebote stehenden Mitteln seine jeweilige, stromverstärkte Eigenbefindlichkeit in möglichst hinreißender Weise darstellt. Eine Abwendung, hin zur Musik, darf hier nicht um der Musik willen stattfinden, sie hat ein Signal zu sein: Ach, wie scheu man doch ist, wie empfindlich - edle Tugenden, derer das Publikum durch auswendigstmögliches Mitsingen teilhaftig werden kann.
Øye aber singt und spielt längst in einer anderen Liga, und das neue Werk seines neuen Projekts legt Zeugnis davon ab: Das möglichst projektionsfreundlich und scheindämlich betitelte Album "Dreams" seiner neuen Band "The Whitest Boy Alive" ist von Selbstdarstellung weit entfernt. Der große Abwender, der sein Publikum ja gar nicht kränken, sondern ihm nur besonders sorgsam dienen möchte, hier trägt er die Früchte seiner Zuwendung vor: zur Musik nämlich, zur Melodie, die sich nicht aufdrängt, zu jedem einzelnen Klang, zu jeder angeschlagenen Saite, die bei ihm Raum zum Ausatmen hat.
Der Besetzung nach eine klassische Rockkapelle, strebt "The Whitest Boy Alive" doch ganz anderswo hin. Das Ethos dieser unaufdringlichen, lebensfroh- melancholischen Musik entstammt dem Chill-out nach langen Nächten, sein geistig-moralisches Mitteilungsbedürfnis ist das einer Funk-Kapelle, die ihre Gesangseinlagen eher wie einen Bläsersatz in den Klangteppich, tupft als daß sie tränenfeuchte Geschichten vorsingen wollte, und wenn Øyes vorsichtige Stimme doch gern Inhaltsfetzen verwendet, die aus der üblichen Trennungstristesse des Indierocks stammen, so wirken sie hier doch eher wie sorgfältig ausgeschnitten und hineingesampelt zum Frommen des Gesamtwerks, welches man, wäre man nicht vorsichtig mit derlei schlimmen Begriffen, als äußerst "gelungen" oder "geschmackvoll" bezeichnen würde, damit bekennend, daß man doch wirklich schon relativ alt geworden sei.
KLAUS UNGERER
The Whitest Boy Alive, Dreams, Bbe 35677012 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main