Produktdetails
- Anzahl: 1 Vinyl
- Erscheinungstermin: 11. März 2022
- Hersteller: 375 Media GmbH / TAPETE / INDIGO,
- EAN: 4047179072311
- Artikelnr.: 34126027
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2008Mir war nicht so nach Rock
Gedankenbegleitservice gegen den inneren Schweinehund: Der Sänger Niels Frevert war Mitte der Neunziger mit seiner Band Nationalgalerie schon einmal fast ein Popstar. Jetzt hat er nach Jahren wieder ein neues Album aufgenommen.
Der Friesenplatz war voll, doch keine Bullen waren da. Im Sommer 1995, als die Kölner Popkomm noch gut in Schuss war und Menschen aus großen Entfernungen anlockte, spielte eine deutsche Band auf der Hauptbühne, an die sich heute nicht mehr allzu viele erinnern: Nationalgalerie, so ihr Name, hatten nach ihrem Hit "Evelin" soeben eine mehr als ungewöhnliche Single ausgekoppelt, die im Refrain das Leben zur "Tütensuppe mitten auf dem Ozean" erklärte. Dennoch waren da Leute, die jedes Lied auswendig kannten und mitsangen. An jenem warmen Abend war die Band auf der Schwelle zu Ruhm. Dem Sommer folgte eine Tour, nach der sich die Gruppe auflöste. Seitdem ist viel Wasser den Rhein hinabgeflossen, und für die Entwicklung der Plattenindustrie verwenden manche eine ähnliche Metapher. Der Sänger Niels Frevert spielt heute wieder in Jugendzentren und kleinen Cafés, mal vor fünfzig, mal vor hundert Leuten.
Seit dem Ende von Nationalgalerie hat der gebürtige Hanseat ganze zwei Soloalben aufgenommen. So zurückgezogen seine Musik sich inzwischen entwickelt hat, so kauzig sind oft auch seine Texte. 1997 empfahl er für den Fall eines Weltuntergangs: "Du musst zuhause sein / Wenn es dunkel wird"; 2003 fand er gar die "Letzte Ruhe / In deiner Tiefkühltruhe". Die neue Platte trägt den Titel "Du kannst mich an der Ecke rauslassen". Auch auf ihr geht es aber nicht um die große metaphorische Kapitulation wie jüngst bei Tocotronic, sondern um einen ganz sachlichen Rückzug: an die Heizung, zur Waschmaschine - das sind so Lieblingsorte Freverts. Auf Dirk von Lowtzows Befehl "Sag alles ab!" könnte er wohl nur schulterzuckend entgegnen: "Wieso, ich war doch gar nicht verabredet." Wenn es textlich doch mal vor die Tür geht, dann vielleicht gerade bis ins örtliche Freibad, meistens aber an irgendwelche Bahngleise - das sind bekannte Motive seiner Songs. Musikalisch hat sich jedoch einiges geändert: Der halbangezerrte Telecaster-Sound, der noch an Nationalgalerie erinnerte, ist auf der neuen Produktion einer Mischung aus Zupfgitarre und Streicherarrangements gewichen.
"Mir war nicht so nach Rock", sagt Frevert. Während der langen Entstehungszeit der Platte habe es zunächst nur den Kern aus Stimme und Gitarre gegeben. Dann aber wurde der Komponist Werner Becker hinzugewonnen, der in den siebziger Jahren unter dem Namen Anthony Ventura bekannte Hits in orchestrale "Traummelodien" verwandelte und einmal sogar selbst beim Grand Prix d'Eurovision antrat. So kurios der Flirt mit dem Schlagerproduzenten zunächst anmutet, so gezielt wird er doch in Freverts ganz eigenes Konzept eingefügt, das bereits seit dem erwähnten Anti-Schlager "Du musst zuhause sein" eines der gezielten Stilverdrehung ist. Oft kommt er dem Hörer mit sowohl textlich wie musikalisch vertrauten Wendungen nur entgegen, um dann ins Befremdliche und Vieldeutige abzubiegen. Mehrfach wird etwa jenes Terrain aus Morgengrauen und Blättern im Wind gestreift, auf dem Sven Regener schon unzählige Element-of-Crime-Melodramen gezüchtet hat; dann aber geistern plötzlich hinter den Ecken des Albums die Schreckgestalten hervor: "Du suchst nur guten Gedankenbegleitservice / Doch du findest nur Kakerlaken in deinen Cornflakes" - womit die Teilnahme am Grand Prix wohl ausgeschlossen wäre.
Dass er bei aller Originalität auch ein Meister der Anverwandlung ist, beweist der Sänger bei einem Stück von Hildegard Knef, "Ich möchte mich gern von mir trennen". Der vormals etwas hölzerne Dreivierteltakt wird hier zum lockeren Besenshuffle, der schon vom Vorbild gewohnt lakonische Ton noch knapper und fast zum Parlando. Freverts alter Kampf mit dem eigenen "Doppelgänger", dem inneren Schweinehund, wird hier weitergefochten; er klingt aber durch den Verve der Musik nun schon etwas versöhnlicher als früher. Auf die Knef angesprochen, äußert der Adapteur, es habe ihn an ihrer Musik stets die gute Mischung aus Unterhaltung und Intelligenz fasziniert, mitunter aber auch die hohe Kunst, dunkle Bilder mit Leichtigkeit vorzutragen. Dasselbe könnte man wohl auch über ihn sagen.
Vor dem Begriff "Liedermacher" empfindet Frevert keine Scheu: "Das ist kein Schimpfwort." In der Tradition des selbstreflexiven Songwritertums der wandernden Folksänger, die es ja nicht nur in Amerika gab, hat er seine jetzige künstlerische Situation auch in einem Lied gespiegelt. Was vor dreißig Jahren vielleicht "Heute hier, morgen dort" geheißen hätte, trägt heute den sonderbaren Titel "Der Typ, der nie übt (Worum es eigentlich geht)".
Jener Typ steht mit Gitarre auf dem Bahnsteig, ist unterwegs zu einem vereinzelten Clubkonzert und sieht später dann, allein im Hotel, den Schnee aufs Vordach fallen. So geschrumpft dieses Leben im Vergleich zu Freverts früherer Karriere wirkt, es passt doch viel besser zu dem etwas schnoddrigen Chansonnier als irgendwelche Musikvideos auf MTV, in denen er mit Engelsflügeln posieren musste. Wenn auch mit einem Augenzwinkern vorgetragen, so kommt doch im selben Stück noch eine Tatsache ans Licht, die nicht jeder fahrende Sänger berichten kann, der irgendwo im Schwarzwald gastiert: "Die Leute riefen sogar aus Wiesbaden an / Das sind zweieinhalb Stunden auf der Autobahn".
So verhalten und minimalistisch wie die Soloauftritte geraten dann auch immer die Schlussnummern auf Freverts Platten. Sie sind dazu gemacht, einem die Kaffeetasse in der Hand sinken zu lassen, während sich der Blick aus dem Fenster langsam in Starren verwandelt. Auf dem Vorgängeralbum hatte er jenen Moment des nunc stans bereits ganz deutlich hervorgehoben, als er dem zunächst wie ein Eheversprechen klingenden "Jetzt für immer" noch ein instrumentales Nachspiel namens "Für immer jetzt" folgen ließ. Dieser leise Abgang, der eine gewisse innere Leere erzeugt, nachdem der CD-Spieler auf null gesprungen ist, gelingt mit dem zwischen Traum und Wirklichkeit changierenden "Aufgewacht auf Sand" von neuem - und wieder ist man völlig wehrlos dagegen.
JAN WIELE
Niels Frevert, Du kannst mich an der Ecke rauslassen. Tapete Records 123 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gedankenbegleitservice gegen den inneren Schweinehund: Der Sänger Niels Frevert war Mitte der Neunziger mit seiner Band Nationalgalerie schon einmal fast ein Popstar. Jetzt hat er nach Jahren wieder ein neues Album aufgenommen.
Der Friesenplatz war voll, doch keine Bullen waren da. Im Sommer 1995, als die Kölner Popkomm noch gut in Schuss war und Menschen aus großen Entfernungen anlockte, spielte eine deutsche Band auf der Hauptbühne, an die sich heute nicht mehr allzu viele erinnern: Nationalgalerie, so ihr Name, hatten nach ihrem Hit "Evelin" soeben eine mehr als ungewöhnliche Single ausgekoppelt, die im Refrain das Leben zur "Tütensuppe mitten auf dem Ozean" erklärte. Dennoch waren da Leute, die jedes Lied auswendig kannten und mitsangen. An jenem warmen Abend war die Band auf der Schwelle zu Ruhm. Dem Sommer folgte eine Tour, nach der sich die Gruppe auflöste. Seitdem ist viel Wasser den Rhein hinabgeflossen, und für die Entwicklung der Plattenindustrie verwenden manche eine ähnliche Metapher. Der Sänger Niels Frevert spielt heute wieder in Jugendzentren und kleinen Cafés, mal vor fünfzig, mal vor hundert Leuten.
Seit dem Ende von Nationalgalerie hat der gebürtige Hanseat ganze zwei Soloalben aufgenommen. So zurückgezogen seine Musik sich inzwischen entwickelt hat, so kauzig sind oft auch seine Texte. 1997 empfahl er für den Fall eines Weltuntergangs: "Du musst zuhause sein / Wenn es dunkel wird"; 2003 fand er gar die "Letzte Ruhe / In deiner Tiefkühltruhe". Die neue Platte trägt den Titel "Du kannst mich an der Ecke rauslassen". Auch auf ihr geht es aber nicht um die große metaphorische Kapitulation wie jüngst bei Tocotronic, sondern um einen ganz sachlichen Rückzug: an die Heizung, zur Waschmaschine - das sind so Lieblingsorte Freverts. Auf Dirk von Lowtzows Befehl "Sag alles ab!" könnte er wohl nur schulterzuckend entgegnen: "Wieso, ich war doch gar nicht verabredet." Wenn es textlich doch mal vor die Tür geht, dann vielleicht gerade bis ins örtliche Freibad, meistens aber an irgendwelche Bahngleise - das sind bekannte Motive seiner Songs. Musikalisch hat sich jedoch einiges geändert: Der halbangezerrte Telecaster-Sound, der noch an Nationalgalerie erinnerte, ist auf der neuen Produktion einer Mischung aus Zupfgitarre und Streicherarrangements gewichen.
"Mir war nicht so nach Rock", sagt Frevert. Während der langen Entstehungszeit der Platte habe es zunächst nur den Kern aus Stimme und Gitarre gegeben. Dann aber wurde der Komponist Werner Becker hinzugewonnen, der in den siebziger Jahren unter dem Namen Anthony Ventura bekannte Hits in orchestrale "Traummelodien" verwandelte und einmal sogar selbst beim Grand Prix d'Eurovision antrat. So kurios der Flirt mit dem Schlagerproduzenten zunächst anmutet, so gezielt wird er doch in Freverts ganz eigenes Konzept eingefügt, das bereits seit dem erwähnten Anti-Schlager "Du musst zuhause sein" eines der gezielten Stilverdrehung ist. Oft kommt er dem Hörer mit sowohl textlich wie musikalisch vertrauten Wendungen nur entgegen, um dann ins Befremdliche und Vieldeutige abzubiegen. Mehrfach wird etwa jenes Terrain aus Morgengrauen und Blättern im Wind gestreift, auf dem Sven Regener schon unzählige Element-of-Crime-Melodramen gezüchtet hat; dann aber geistern plötzlich hinter den Ecken des Albums die Schreckgestalten hervor: "Du suchst nur guten Gedankenbegleitservice / Doch du findest nur Kakerlaken in deinen Cornflakes" - womit die Teilnahme am Grand Prix wohl ausgeschlossen wäre.
Dass er bei aller Originalität auch ein Meister der Anverwandlung ist, beweist der Sänger bei einem Stück von Hildegard Knef, "Ich möchte mich gern von mir trennen". Der vormals etwas hölzerne Dreivierteltakt wird hier zum lockeren Besenshuffle, der schon vom Vorbild gewohnt lakonische Ton noch knapper und fast zum Parlando. Freverts alter Kampf mit dem eigenen "Doppelgänger", dem inneren Schweinehund, wird hier weitergefochten; er klingt aber durch den Verve der Musik nun schon etwas versöhnlicher als früher. Auf die Knef angesprochen, äußert der Adapteur, es habe ihn an ihrer Musik stets die gute Mischung aus Unterhaltung und Intelligenz fasziniert, mitunter aber auch die hohe Kunst, dunkle Bilder mit Leichtigkeit vorzutragen. Dasselbe könnte man wohl auch über ihn sagen.
Vor dem Begriff "Liedermacher" empfindet Frevert keine Scheu: "Das ist kein Schimpfwort." In der Tradition des selbstreflexiven Songwritertums der wandernden Folksänger, die es ja nicht nur in Amerika gab, hat er seine jetzige künstlerische Situation auch in einem Lied gespiegelt. Was vor dreißig Jahren vielleicht "Heute hier, morgen dort" geheißen hätte, trägt heute den sonderbaren Titel "Der Typ, der nie übt (Worum es eigentlich geht)".
Jener Typ steht mit Gitarre auf dem Bahnsteig, ist unterwegs zu einem vereinzelten Clubkonzert und sieht später dann, allein im Hotel, den Schnee aufs Vordach fallen. So geschrumpft dieses Leben im Vergleich zu Freverts früherer Karriere wirkt, es passt doch viel besser zu dem etwas schnoddrigen Chansonnier als irgendwelche Musikvideos auf MTV, in denen er mit Engelsflügeln posieren musste. Wenn auch mit einem Augenzwinkern vorgetragen, so kommt doch im selben Stück noch eine Tatsache ans Licht, die nicht jeder fahrende Sänger berichten kann, der irgendwo im Schwarzwald gastiert: "Die Leute riefen sogar aus Wiesbaden an / Das sind zweieinhalb Stunden auf der Autobahn".
So verhalten und minimalistisch wie die Soloauftritte geraten dann auch immer die Schlussnummern auf Freverts Platten. Sie sind dazu gemacht, einem die Kaffeetasse in der Hand sinken zu lassen, während sich der Blick aus dem Fenster langsam in Starren verwandelt. Auf dem Vorgängeralbum hatte er jenen Moment des nunc stans bereits ganz deutlich hervorgehoben, als er dem zunächst wie ein Eheversprechen klingenden "Jetzt für immer" noch ein instrumentales Nachspiel namens "Für immer jetzt" folgen ließ. Dieser leise Abgang, der eine gewisse innere Leere erzeugt, nachdem der CD-Spieler auf null gesprungen ist, gelingt mit dem zwischen Traum und Wirklichkeit changierenden "Aufgewacht auf Sand" von neuem - und wieder ist man völlig wehrlos dagegen.
JAN WIELE
Niels Frevert, Du kannst mich an der Ecke rauslassen. Tapete Records 123 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main