Produktdetails
Trackliste
CD
1Fanfare 2008 (Instrumental)00:01:04
2Einfach Ich00:03:29
3Tanz Auf Dem Vulkan (Freut Euch Des Lebens)00:02:55
4Warum Denken Traurig Macht00:05:03
5Nur Die Sieger Steh'n Im Licht00:03:30
6Nur Ein Liebeslied00:03:20
7Völlig Vernetzt00:03:09
8Stärker Als Wir00:03:52
9Letzte Ausfahrt Richtung Liebe00:04:02
10Die Unerfüllten Träume00:04:03
11Mit Dir00:03:57
12Liebe Will Alles00:03:43
13Wo Finde Ich Dich00:04:18
14Fehlbilanz (Version 2008)00:03:46
15Einfach Ich (Instrumental)00:03:12
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2008

Ausfahrt Liebe wegen Ölspur gesperrt
So einfach war er nicht: Udo Jürgens zeigt, warum Denken traurig macht

Bombastische Fanfaren eröffnen das neue Album des Udo Jürgens. So begannen früher Melodramen und beginnen heute soap operas. Die Lieder lösen ein, was das Vorspiel verheißt. Sie sind fast alle schillernde Seifenblasen.

Früher also war alles besser? Keineswegs. Die Melodramen, seien es die der Kinopaläste oder die einst von Jürgens gesungenen, zielten auf den Nerv, aber federten ihre Schläge meist mit versöhnlichen Ausgängen ab. "Warum nur, warum?" sang ratlos der junge Jürgens über eine zerbrochene Liebe - und ließ sein "Ja, immer, immer wieder geht die Sonne auf" folgen. Die Welt hat sich weitergedreht: Das Melodram lernte dazu, steuerte direkt das Leben an und wurde zur Seifenoper. In ihr sind Illusion und Wirklichkeit, Verlogenheit und Wahrhaftigkeit deckungsgleich: Schamlos wird ausgesprochen und vorgelebt, was das Melodram einst nur andeutete. Keine Seligkeit und keine Gemeinheit, für die man nicht Worte und Taten hätte - aber Worte, die den eigentlichen Sachverhalt dichter verschleiern, als es das billigste Melodram je wagte: "Lass dich einfach fallen", flüstert jeder Marienhof-Beau, wenn er an die Wäsche, aber doch als Frauenversteher dastehen will. "Ich brauche Distanz", haucht sie, wenn er abhauen soll, was er mit "Klammern weckt keine tote Liebe wieder auf" erwidert, ehe er zusammenbricht, um dann von einer nächsten Schönen zu lernen, wie man "die Seele baumeln" lässt. Wobei sicher ist, dass genau diese Wort täglich auch diesseits des Bildschirms ausgesprochen werden.

Seine beste Zeit hatte Udo Jürgens, als seine Lieder baldrianfrei waren: Das sarkastische "Lieb Vaterland, magst ruhig sein" brachte Vorstände auf die Palme, "Ein ehrenwertes Haus" trieb einigen Spießern die Schamröte ins Gesicht, und "Griechischer Wein" besang Gastarbeitereinsamkeit nicht nur als Rührstück, sondern mit einer Spur von Neid angesichts der Fähigkeit zu Gefühlen, die sich das eigene Land abtrainiert hatte. Jetzt beschwört Udo Jürgens "Gemeinsamkeit ohne Tabu", als sänge er für "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Der Satz ziert "Liebe will alles", die Nummer zwölf des Albums. Großes Orchester, pathetischer Flügel, dramatischer Gesang über "Wege durch Feuer und Eis" - es grüßt eine abgetakelte Zauberflöte. Zuvor, in "Stärker als wir", ist das aktuelle "sich fallen lassen" abgehandelt worden, eine Prise Lebenserfahrung - "viel zu oft ist es schon schiefgegangen" - inbegriffen. Was den Sänger nicht hindert, in einem anderen der vielen (acht von dreizehn) Liebeslieder unbeirrt Zweisamkeit "frei und doch geborgen" zu nennen; die Erhabenheit der Platituden erreicht fast Matterhorn-Höhen.

Irritierend ist "Nur die Sieger stehn im Licht". Über diskret angerockten Rhythmen rät Udo Jürgens, sich durchzuboxen. "Der Ängstliche zerbricht, der Zögernde schweigt": Von Strophe zu Strophe wartet man auf den beneidenswert naiven Mahner, der für die Zukurzgekommenen, die Empfindsamen, Wehrlosen eintritt. Doch die versuchte Medienkritik versandet zum unfreiwilligen Gloria der Wettbewerbsgesellschaft. Legt Udo Jürgens dann doch einmal unzweideutig, und zwar gegen den Klimawandel los, - "Tanz auf dem Vulkan" - , wirkt, was vor zehn Jahren noch empört geklungen hätte, so abgegriffen und korrekt wie das titelgebende Sprachbild.

Aber mitten im Getrudel der Klischees verdutzt ein Hoch auf Verlierer: Wer kennt das nicht, Monate nach einer gescheiterten Liebe versehentlich den alten Weg zu fahren und plötzlich beklommen vorm Haus der Geliebten zu stehen, schwach, zögernd? "Letzte Ausfahrt Liebe" heißt das Lied, in dem Udo Jürgens, überraschend zu Countrymusik wechselnd, eine solche Situation beschreibt. "Nur Sekunden noch, und ich bin dran vorbei", singt er und lässt die allen bekannte Atemlosigkeit des Hoffens spüren, das stirbt, noch während es aufkeimt.

Das Ausfahrt-Lied also sticht von den Liebesfanfaren ab. In ihm bricht auf, was untergründig durch viele der neuen Jürgens-Lieder geistert: "Hier lernst du schnell das Alleinsein", die beiläufige Feststellung im verkrampft ironischen Handysong "Alles vernetzt", ist die durchgängige Botschaft zwischen den Zeilen. Bei "Mit dir" zum Beispiel, dem Lied eines Mannes, der frühmorgens durch noch leere Straßen geht, vorbei an einem stummen Opernhaus, müden Fassaden und Cafés, die sich für den Morgenbetrieb rüsten. Man assoziiert Wien, genießt Großstadtimpressionen einer vergangenen Zeit, glaubt dem Sänger den erfahrenen Mann, der "ihr" nachsinnt, weil anbrechende Tage manchmal noch das Gefühl wecken, das Leben lohne sich.

Ein ähnlicher Aufwecker ist "Warum denken traurig macht". "Die Gemeinsamkeit - längst Vergangenheit", resümiert der Refrain. Von Erinnerungen, die nicht trösten, ist die Rede, und von Einsichten, die nicht helfen. Es bleibt unbestimmt, ob das Ich über eine bestehende oder zerbrochene Beziehung nachdenkt. Ausschlaggebend ist die Einsamkeit, die gewesenes Beieinander als Selbsttäuschung auf Gegenseitigkeit und das Wort von den Erinnerungen als Paradies, aus dem niemand vertrieben werden könne, als fromme Lüge entlarvt. Nicht zu Ende denken wollen, weil es schmerzen könnte: Hier wird greifbar, was Udo Jürgens meinen mag, wenn er seinem neuen Album "letzte Konsequenz der Ehrlichkeit" zuschreibt.

Ein Lied, das nachdenklich machen könnte. Wären da nicht der Plätscherton und das Gefällige der Arrangements, die alles, egal ob Jazz-, Swing- oder Popelemente, nah ans Niveau der Hintergrundmusik in Supermärkten und Malls bringen. So wird "Fehlbilanz", 1991 entstanden und fürs Finale des neuen Albums aufpoliert, zum gnadenlosen Selbsturteil: "Zu viele Lieder, die nichts sagen. Zu viele Bilder, die nichts zeigen. Zu viel Gerede um die Liebe - zu wenig wirkliches Gefühl." Die richtige Ausfahrt heißt wohl doch Melodram. Denn in ihm wird zu Ende gedacht, was soap operas, diese tabulosen Vermeidungsstrategien, nur scheinbar ausplaudern.

DIETER BARTETZKO

Udo Jürgens, Einfach ich. Ariola 81845 (SonyBMG)

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