Produktdetails
- Anzahl: 2 Audio CDs
- Erscheinungstermin: 3. Mai 2024
- Hersteller: 375 Media GmbH / YOUNG/XL/BEGGARS GROUP / INDIGO,
- EAN: 0889030035028
- Artikelnr.: 70130733
CD 1 | |||
1 | Lesanu | ||
2 | Asha The First featuring Thundercat, Taj Austin, Ras Au | ||
3 | Computer Love featuring Patrice Quinn, DJ Battlecat, Br | ||
4 | The Visionary featuring Terrace Martin | ||
5 | Get Lit featuring George Clinton | ||
6 | Dream State featuring André 3000 | ||
7 | Together featuring BJ the Chicago Kid | ||
8 | The Garden Path | ||
9 | Interstellar Peace (The Last Stance) | ||
10 | Road to Self (KO) | ||
11 | Lines in the Sand | ||
12 | Prologue | ||
CD 2 | |||
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3 | |||
4 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2024Mit der Wucht der Opulenz
Kamasi Washington beschwört auf seinem neuen Album "Fearless Movement" die Macht der Gemeinschaftlichkeit
Der Saxophonist als Körper-Künstler: Ein elastisches Wesen ist der Mensch. Sein Körper muss - will er überleben - in Bewegung bleiben. Im Tanz findet sein Bewegungsdrang zur koordinierten Darstellung und zugleich zu sozialer Interaktion. Im Tanzen lässt sich Musik mit allen Sinnen verstehen; man übersetzt sie in Bewegung und versteht unmittelbar mit seinem Körper: Musik handelt immer von Lebendigkeit und nicht von Passivität. Dieser Überzeugung ist jedenfalls der Saxophonist und Komponist Kamasi Washington, wenn er sein neues Album "Fearless Movement" als eine "Tanzplatte" bezeichnet. Natürlich ist dies nicht im wörtlichen Sinn zu verstehen, denn allzu leicht könnten sich die Füße bei den komplexen Rhythmen der Platte verknoten. Und doch werden die zwölf neuen Stücke von einer Bewegungsenergie angetrieben, die keinen Hörer still sitzen lässt.
Washington, Jahrgang 1981 - der wohl heute aufregendste Saxophonist seiner Generation -, stammt aus einer musikbegeisterten Familie und verbrachte seine Jugend im Stadtteil Inglewood in seiner Geburtsstadt Los Angeles. In seiner musikalischen Sozialisation kannte er keine Trennungen mehr zwischen Jazz-Sessions, Hip-Hop-Freestyle und Gospel-Jams. Für ihn war das ein und dieselbe Community. Durch seine Mitwirkung an dem maßstabsetzenden Album "To Pimp A Butterfly" des Westcoast-Rappers Kendrick Lamar von 2015 kam auch Washingtons Karriere auf Touren. Mit seinem Debütalbum "The Epic" avancierte er im selben Jahr zum Fackelträger einer jungen Generation, die ohnehin kaum noch zwischen Hip-Hop, Jazzeinsprengseln und R&B unterscheidet. Er wurde zu einer Art Türöffner: In seinen opulenten Stücken kann man mühelos zu den Wurzeln der Musik bei Heroen wie Charlie Parker, Sonny Rollins, John Coltrane oder Pharoah Sanders durchdringen.
"Fearless Movement" beginnt mit einem Gebet in der altäthiopischen Sprache Ge'ez - mit seinem mitsummbaren Riff setzt der Titel "Lesanu" den Ton des ganzen Albums: Jazz als vertrauensbildende Maßnahme, der nicht länger verschrecken, sondern inkludieren soll. Washington möchte seine Stücke nicht chaotisch klingen lassen, will vielmehr zeigen, wie man unterschiedliche Elemente - vom Hard Bop über die Fire Music der Sechziger, eleganten Soul, weichen Funk bis zu den Rap-Ekstasen der Gegenwart - so verbinden kann, dass eine untergründige Harmonie spürbar wird.
So geht das Stück "Asha The First" auf ein melodisches Motiv zurück, das Washingtons zweijährige Tochter zufällig am Klavier erklimperte. Das irrwitzige Bass-Solo von Thundercat und der nicht minder verwirrende Schnellfeuer-Rap von Taj und Ras Austin unterstreichen anschließend die geschmeidige Verwandlungsfähigkeit von Washingtons Jazz-Verständnis. Wurde der Breitwand-Sound seiner drei bisherigen Alben oft von Chören und Streichern unterfüttert, so klingen die Stücke jetzt verschlankter und fokussierter.
Dabei setzt Washington nach wie vor auf eine Fülle von Gastbeiträgen: Nicht nur die Funk-Ikone George Clinton hat in "Get Lit" seinen Bass im Spiel, auch der Ex-Outkast-Rapper André 3000 versucht sich im flächigen "Dream State" erstmals als Flötist. Wenn dann noch alte Weggefährten wie Terrace Martin sein Altsaxophon oder DJ Battlecat seine Turntables ins Spiel bringen, verwirklicht sich Washingtons künstlerisches Credo: Hingabe im Kollektiv. Jazz gilt ihm als Medium des Verbundenseins, des heiteren Miteinanders unterschiedlicher Kulturen, Stile und Ethnien. In diesem Sinne ist das Insistieren auf offensiver Gemeinschaftlichkeit für Washington heute zugleich ein politisches Statement!
Sein Saxophonton ist sämig und bewahrt bei aller Angriffslust in seinem Innern doch einen tröstlichen Schmelz. Man höre nur seine hingehauchten Phrasen vor fiependen Synthesizer-Tönen in "Road To Self". In der Regel - hier könnte das neue Stück "The Garden Path" als Referenz gelten - köchelt Washingtons Tenorsaxophon zunächst auf kleiner Flamme, bevor es sich mehr und mehr erhitzt, um alsbald in hymnischem Kreischen zu explodieren. Häufig insistiert es auf einer melodischen Wendung, wiederholt sie immer wieder, dreht und wendet sie, um sich kontinuierlich in einen "kathartischen Schrei" zu steigern. Auf diesem Höhepunkt der Improvisation überbläst Washington sein Instrument, entgrenzt es im spannungslösenden Aufschrei, der sich nicht gegen irgendeinen Missstand zu richten scheint, sondern einem inneren Schrei nach Erlösung gleicht.
Auch für das neue Doppelalbum gilt: High-Energy-Music meets Jazz-Klassizismus. Dabei zeigt sich der enzyklopädische Charakter von "Fearless Movement" darin, dass die Stücke zwar aus der Tiefe der Jazzgeschichte schöpfen, aber zugleich in sanften Wellenbewegungen darüber hinweggleiten. Zumeist sorgt ein brodelnder Background aus Synthesizern, Turntables, Klavier, Stimmen und mehreren Perkussionisten für eine sich ständig umwälzende Bewegungstotalität, die den Hörer schnell in emotionale Geiselhaft nimmt. Wenn der Titel "Prologue" am Ende des Albums nicht wie ein Epilog klingt, sondern wie ein Auftakt zu etwas Neuem, dann liegt das daran, das Washingtons selbstbewusster Eklektizismus hier in einem furiosen Zukunftsversprechen kondensiert: Angefeuert durch ein Bläser-Motiv von Astor Piazzolla, schwingt sich zunächst der Trompeter Dontae Winslow zu einem Soul-Bekenntnis auf. Als Washington dann die Fackel von ihm übernimmt, baut er Ton um Ton das intensivste Saxophonsolo des Albums auf. In immer neuen Anläufen katapultiert er sich in rauschhafte Regionen.
Mit dem unerschrockenen Bewegungs-Plädoyer von "Fearless Movement" hat Kamasi Washington sein bisher ausgereiftestes und vielschichtigstes Album vorgelegt. Er ist ein passionierter Grenzverletzer geblieben, der seine ausschweifenden Soundideen immer in den Dienst kollegialer Kollaborationen stellt: Aus der Kraft des Kollektivs erwächst eine einzige mächtige Musik-Maschine. PETER KEMPER
Kamasi Washington: "Fearless Movement".
Young/Xl/Beggars
(Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kamasi Washington beschwört auf seinem neuen Album "Fearless Movement" die Macht der Gemeinschaftlichkeit
Der Saxophonist als Körper-Künstler: Ein elastisches Wesen ist der Mensch. Sein Körper muss - will er überleben - in Bewegung bleiben. Im Tanz findet sein Bewegungsdrang zur koordinierten Darstellung und zugleich zu sozialer Interaktion. Im Tanzen lässt sich Musik mit allen Sinnen verstehen; man übersetzt sie in Bewegung und versteht unmittelbar mit seinem Körper: Musik handelt immer von Lebendigkeit und nicht von Passivität. Dieser Überzeugung ist jedenfalls der Saxophonist und Komponist Kamasi Washington, wenn er sein neues Album "Fearless Movement" als eine "Tanzplatte" bezeichnet. Natürlich ist dies nicht im wörtlichen Sinn zu verstehen, denn allzu leicht könnten sich die Füße bei den komplexen Rhythmen der Platte verknoten. Und doch werden die zwölf neuen Stücke von einer Bewegungsenergie angetrieben, die keinen Hörer still sitzen lässt.
Washington, Jahrgang 1981 - der wohl heute aufregendste Saxophonist seiner Generation -, stammt aus einer musikbegeisterten Familie und verbrachte seine Jugend im Stadtteil Inglewood in seiner Geburtsstadt Los Angeles. In seiner musikalischen Sozialisation kannte er keine Trennungen mehr zwischen Jazz-Sessions, Hip-Hop-Freestyle und Gospel-Jams. Für ihn war das ein und dieselbe Community. Durch seine Mitwirkung an dem maßstabsetzenden Album "To Pimp A Butterfly" des Westcoast-Rappers Kendrick Lamar von 2015 kam auch Washingtons Karriere auf Touren. Mit seinem Debütalbum "The Epic" avancierte er im selben Jahr zum Fackelträger einer jungen Generation, die ohnehin kaum noch zwischen Hip-Hop, Jazzeinsprengseln und R&B unterscheidet. Er wurde zu einer Art Türöffner: In seinen opulenten Stücken kann man mühelos zu den Wurzeln der Musik bei Heroen wie Charlie Parker, Sonny Rollins, John Coltrane oder Pharoah Sanders durchdringen.
"Fearless Movement" beginnt mit einem Gebet in der altäthiopischen Sprache Ge'ez - mit seinem mitsummbaren Riff setzt der Titel "Lesanu" den Ton des ganzen Albums: Jazz als vertrauensbildende Maßnahme, der nicht länger verschrecken, sondern inkludieren soll. Washington möchte seine Stücke nicht chaotisch klingen lassen, will vielmehr zeigen, wie man unterschiedliche Elemente - vom Hard Bop über die Fire Music der Sechziger, eleganten Soul, weichen Funk bis zu den Rap-Ekstasen der Gegenwart - so verbinden kann, dass eine untergründige Harmonie spürbar wird.
So geht das Stück "Asha The First" auf ein melodisches Motiv zurück, das Washingtons zweijährige Tochter zufällig am Klavier erklimperte. Das irrwitzige Bass-Solo von Thundercat und der nicht minder verwirrende Schnellfeuer-Rap von Taj und Ras Austin unterstreichen anschließend die geschmeidige Verwandlungsfähigkeit von Washingtons Jazz-Verständnis. Wurde der Breitwand-Sound seiner drei bisherigen Alben oft von Chören und Streichern unterfüttert, so klingen die Stücke jetzt verschlankter und fokussierter.
Dabei setzt Washington nach wie vor auf eine Fülle von Gastbeiträgen: Nicht nur die Funk-Ikone George Clinton hat in "Get Lit" seinen Bass im Spiel, auch der Ex-Outkast-Rapper André 3000 versucht sich im flächigen "Dream State" erstmals als Flötist. Wenn dann noch alte Weggefährten wie Terrace Martin sein Altsaxophon oder DJ Battlecat seine Turntables ins Spiel bringen, verwirklicht sich Washingtons künstlerisches Credo: Hingabe im Kollektiv. Jazz gilt ihm als Medium des Verbundenseins, des heiteren Miteinanders unterschiedlicher Kulturen, Stile und Ethnien. In diesem Sinne ist das Insistieren auf offensiver Gemeinschaftlichkeit für Washington heute zugleich ein politisches Statement!
Sein Saxophonton ist sämig und bewahrt bei aller Angriffslust in seinem Innern doch einen tröstlichen Schmelz. Man höre nur seine hingehauchten Phrasen vor fiependen Synthesizer-Tönen in "Road To Self". In der Regel - hier könnte das neue Stück "The Garden Path" als Referenz gelten - köchelt Washingtons Tenorsaxophon zunächst auf kleiner Flamme, bevor es sich mehr und mehr erhitzt, um alsbald in hymnischem Kreischen zu explodieren. Häufig insistiert es auf einer melodischen Wendung, wiederholt sie immer wieder, dreht und wendet sie, um sich kontinuierlich in einen "kathartischen Schrei" zu steigern. Auf diesem Höhepunkt der Improvisation überbläst Washington sein Instrument, entgrenzt es im spannungslösenden Aufschrei, der sich nicht gegen irgendeinen Missstand zu richten scheint, sondern einem inneren Schrei nach Erlösung gleicht.
Auch für das neue Doppelalbum gilt: High-Energy-Music meets Jazz-Klassizismus. Dabei zeigt sich der enzyklopädische Charakter von "Fearless Movement" darin, dass die Stücke zwar aus der Tiefe der Jazzgeschichte schöpfen, aber zugleich in sanften Wellenbewegungen darüber hinweggleiten. Zumeist sorgt ein brodelnder Background aus Synthesizern, Turntables, Klavier, Stimmen und mehreren Perkussionisten für eine sich ständig umwälzende Bewegungstotalität, die den Hörer schnell in emotionale Geiselhaft nimmt. Wenn der Titel "Prologue" am Ende des Albums nicht wie ein Epilog klingt, sondern wie ein Auftakt zu etwas Neuem, dann liegt das daran, das Washingtons selbstbewusster Eklektizismus hier in einem furiosen Zukunftsversprechen kondensiert: Angefeuert durch ein Bläser-Motiv von Astor Piazzolla, schwingt sich zunächst der Trompeter Dontae Winslow zu einem Soul-Bekenntnis auf. Als Washington dann die Fackel von ihm übernimmt, baut er Ton um Ton das intensivste Saxophonsolo des Albums auf. In immer neuen Anläufen katapultiert er sich in rauschhafte Regionen.
Mit dem unerschrockenen Bewegungs-Plädoyer von "Fearless Movement" hat Kamasi Washington sein bisher ausgereiftestes und vielschichtigstes Album vorgelegt. Er ist ein passionierter Grenzverletzer geblieben, der seine ausschweifenden Soundideen immer in den Dienst kollegialer Kollaborationen stellt: Aus der Kraft des Kollektivs erwächst eine einzige mächtige Musik-Maschine. PETER KEMPER
Kamasi Washington: "Fearless Movement".
Young/Xl/Beggars
(Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main