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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2004

Tief im Süden von Manhattan
Norah Jones und ihre "Handsome Band" singen und spielen neue amerikanische Heimatlieder

Es gibt einen Song von Ray Charles mit dem Titel "Lazy Days". Ein großartiger Song. Wer ihn hört und dennoch aus dem Bett steigt, um arbeiten zu gehen, dem ist auf Erden nicht mehr zu helfen. Der Song ist kein Einzelfall. Er gehört zu einer bestimmten Kategorie von Lazy Songs. Der Schweiger aus Tulsa, J. J. Cale, ist ein Meister dieser Gattung. Auch Tom Waits, der seine Songs wie weggeworfene Kippen auf der Straße zusammengelesen hat, übte sich häufig in dieser Kunst. Der scheue Kanadier Gordon Lightfood gehört natürlich auch dazu. Man höre sich nur sein "Rainy Day People" an. Wenn da zum ethischen Gütesiegel "lazy" noch die ästhetische Qualität "rainy" hinzukommt, wird das Aufstehen vollends unmöglich gemacht. Towns van Zandt war überhaupt der größte unter allen Künstlern, die jemals solche trägen, regnerischen Werke geschrieben haben. Er war so gut darin, daß er bisweilen ganz auf das Schreiben und Singen der Stücke verzichten konnte und nur noch darüber redete, wie er sie schreiben würde, wäre er nicht doch zu müde dazu.

Es müssen übrigens keine Songs mit Texten -"lyrics" genannt - sein. Als Lazy Songs gelten manchmal auch Lieder ohne Worte. Erroll Garner aus Pittsburgh, falls jemand den noch kennt, hat seine Karriere auf dieser Gattung und diesem Stil aufgebaut. Damals - old school - nannte man das noch "hinter dem Beat" spielen. Seine rechte Hand am Klavier verschleppte die Tempi wie eine ewige rhythmische Schlafmütze. Man könnte es auch so beschreiben: Bei "Misty" etwa war der Song im Baßregister schon fast fertig, als die rechte Hand noch ein paar verlorene Dreiklänge mit erweiterter Sexte nachklapperte. Clint Eastwood hat das später erfolgreich kopiert. Oder Bill Evans, der Pianist, nicht der Saxophonist! Da hat man sich auf die Seite gedreht und einfach weitergeträumt.

Man lasse sich von "Sunrise", dem ersten Stück auf der neuen CD von Norah Jones unter dem Titel "Feels Like Home", nicht täuschen. Es ist auch ein Lazy Song und ein ganz ausgezeichneter noch dazu: "Looks like morning in your eyes / but the clocks held 9.15 for hours." Auf dem vierten Stück der Aufnahme - "Carnival Town" - spielt sie übrigens Klavier, als wäre Erroll Garner wieder von den Toten auferstanden. Da schaukeln die Melodien auf den Akkorden wie alte Kähne in toten Nebenflüssen vor sich hin, bis sie auf wunderbare Weise vom Beat des Schlagzeugers und den sanften Wellen des Bassisten erfaßt und in den Hauptarm des Stroms getragen werden, ohne daß es zu rhythmischen Konflikten kommen könnte: grandios.

Norah Jones wird augenblicklich hoch gehandelt im flauen Popgeschäft. Zu Recht, muß man sagen, wenn man einmal aufzählt, was sie alles kann, was die anderen nicht können und trotzdem Karriere machen, weil musikalisches Können offenbar nicht als so etwas Fundamentales, die Karriere Förderndes erachtet wird wie der freie Bauchnabel: singen, Klavier spielen, fähige Musiker engagieren, Mikrofontechnik beherrschen, poetische Texte verfassen und - vor allem - allgemein gute Stimmung verbreiten. Das kann man naturgemäß nicht nur mit Jazz, den die vierundzwanzigjährige New Yorkerin mit der texanischen Kindheit und der musikalischen Praxis in den Jugendherbergen von Lower Manhattan wohl am liebsten mag.

Aber die Jazzbasis ist vielleicht wirklich eines der Erfolgsgeheimnisse, nach denen bei ihr so hartnäckig geforscht wurde, als sie vor zwei Jahren mit ihrer ersten Einspielung "Come Away With Me" wie durch ein Wunder mehr als fünfzehn Millionen Platten verkaufte und den Superstars des Pop-Geschäfts wie Eminem oder Bruce Springsteen insgesamt acht Grammys vor der Nase wegschnappte. Denn Jazz ist das Gift, das in angemessener Dosis zur Medizin wird, um damit alle möglichen musikalischen Wunden heilen zu können. Sparsam nur träufelt sie ihre Single-Notes auf dem Klavier zwischen die melodisch einfachen Country-Phrasen. Und wenn es harmonisch interessant wird, die simplen Pop-Kadenzen sich urplötzlich weiten, macht die Gitarre schrumm-schrumm wie bei den Talentwettbewerben in Nashville, Tennessee. Und alles wird wieder gut.

Es ist eben nicht nur die somnambul erfaßte Mixtur aus Folkmusic, Jazz, Popsongs, Bluegrass und Blues, sondern dieses geniale Hakenschlagen um die Eckpfeiler des Kitsches, das ihr den breiten Erfolg garantiert. Ihre Songs lassen die Yuppies sowenig kalt wie die spätgeborenen Flower Power Children. Sie tönen aus den Lautsprechern von Shopping Malls und Starbucks, in Cocktail Lounges und Rockerkneipen. Und alle haben recht, wenn sie in den sanften, wie nebenher gesungenen Liedern mit der raffiniert zurückhaltenden Instrumentalbegleitung etwas Berührendes finden, etwas, was man so in anderen Liedern nicht findet: Songs with a little extra, zu denen auch Country-Diva Dolly Parton, Jazzdrummer Brian Blade und zwei Mitglieder von Dylans "The Band" ihren Beitrag leisten.

"ZZ Top" haben seinerzeit acht Millionen Schallplatten verkauft. Aber man konnte Stücke wie "Eliminator" vermeiden, wenn man keine Biker Bars aufsuchte. Die Songs von Norah Jones sind überall und unvermeidlich. Man wird sehen, ob sie das aushalten. Hinter dem letzten Stück ihrer Platte "Don't Miss You At All" verbirgt sich übrigens Duke Ellingtons "Melancholia": Abnabelung vom Jazz-Übervater oder Ausblick auf die musikalische Zukunft von Norah Jones?

WOLFGANG SANDNER

Norah Jones, Feels Like Home. Blue Note Records 90952 (EMI)

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