Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 21. Februar 2005
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / Universal,
- Gesamtlaufzeit: 76 Min.
- EAN: 0075021039773
- Artikelnr.: 20018832
CD | |||
1 | Cygnus...Vismund Cygnus | 00:13:02 | |
2 | The Widow | 00:05:51 | |
3 | L'Via L'Viaquez | 00:12:22 | |
4 | Miranda That Ghost Just Isn't Holy Anymore | 00:13:10 | |
5 | Cassandra Gemini | 00:04:46 | |
6 | Cassandra Gemini: Tarantism | 00:06:40 | |
7 | Cassandra Gemini: Plant A Nail In the Navel Stream | 00:02:56 | |
8 | Cassandra Gemini: Faminepulse | 00:07:41 | |
9 | Cassandra Gemini: Pisacis (Phra-men-ma) | 00:05:00 | |
10 | Cassandra Gemini: Con Safo | 00:03:48 | |
11 | Cassandra Gemini: Multiple Spouse Wounds | 00:00:47 | |
12 | Cassandra Gemini: Sarcophagi | 00:00:54 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2005Nnn-tschka-tschka, tschka-tschka
"Mars Volta" suchen und finden den Afrorhythmus
Oft findet sich der musikalische Kopf von "The Mars Volta" auf eine Comic-Figur reduziert: Afrofrisur über Brille, dazu stramme Jeans. Darunter finden sich dann ein paar Zeilen, die Omar Rodriguez-Lopez als intellektuell überladenen veganen Politrocker charakterisieren. Natürlich ist etwas Wahres an dieser Karikatur. Und natürlich tun "The Mars Volta" alles, um ihren Bandcode nicht allzuleicht lesbar zu machen: Was haben die von Rodriguez-Lopez komponierten und von Sänger Cedric Bixler Zavala betexteten Rockepen schon für Vergleiche provoziert: mit Fela Kuti, Miles Davis, Herbie Hancock, Santana, Billy Cobham, Augustus Pablo, "Can", Captain Beefheart und den frühen "Grateful Dead", um nur einige Namen zu nennen. Doch dann sitzt Omar Rodriguez-Lopez - Afrofrisur, Brille und stramme Jeans - im Hamburger Büro seiner Plattenfirma Universal und wirkt im Gegensatz zum bombastischen Gedröhne um seine Band einfach nur: bescheiden, beinahe schüchtern. Vorsichtig mit jedem Satz ringend, bevor der seinen Weg zum Aufnahmegerät nimmt.
"Im Grunde", sagt der schmale Mann, dessen Eltern einst aus Puerto Rico nach El Paso auswanderten, "wird unsere Musik von einem Clave-Rhythmus zusammengehalten. Was ich auch immer gerade interpretiere, Punkrock oder Jazz, ich höre die ganze Zeit diesen afrokubanischen Beat: nnn-tschka-tschka, tschka-tschka-tschka." Das mutet angesichts des komplexen Sounduniversums von "Frances The Mute" fast wie eine Provokation an.
Immerhin zieht beim ersten Hören des neuen Albums von "The Mars Volta" erst einmal ganz anderes Treibgut am Ohr vorbei: Da sind die filigranen Soli des Progressivrock der siebziger Jahre, die Improvisationsstürme des Fusion Jazz und die psychedelische Kunstseligkeit des Krautrock - eine Phantasmagorie an Klängen, Gefühlen und Texturen, die erst einmal kaum an salsatypische Moll-Akkorde oder gar die untergründige Clave denken läßt. Aber wie hatte Rodriguez dem Album vorausgeschickt: "Ein zerberstendes Fenster liefert nicht immer das lauteste Geräusch und ein Feuer nicht immer das hellste Bild."
Schon mit dem Vorgänger "Deloused In The Comatorium" spielten sich "The Mars Volta" ins Abseits gängiger Punk- oder Garage-Moden. Die jugendliche Sechs-Mann-Truppe kam aus einem Parallel-Universum und hatte offenbar unmittelbaren Zugriff auf den Urtext. "Ihre Musik zu hören", urteilte ein amerikanischer Kritiker, "gleicht einem nächtlichen Bad in einem See, abwechselnd furchteinflößend, spirituell und von Sexualität durchdrungen."
Mag sein, daß "The Mars Volta" in ihrem Klangsee die Überreste des alten Prog-Rock-Bombasts auflösen. Doch was interessieren diese twentysomethings vormalige Tabus um mäandernde Soli und komplizierte Akkordwechsel? "Auf die Gefahr hin", erklärt Rodriguez-Lopez seine Schreibmethode, "etwas klischeehaft zu klingen: Ich fühle mich, als würde ich etwas anzapfen, das schon einmal geschrieben wurde. Es existiert bereits und hat sein Eigenleben, und ich erkenne es bloß, so, wie wir Dinge im Traum erkennen." Letztlich komme das Komponieren einer Übertragung gleich. Er sehe ein einfaches Bild, das er daheim auf einem Taperecorder festzuhalten versuche.
Für den Rest vertraut er der musikalischen Eigendynamik: "Plötzlich ergibt alles einen Sinn. Das Stück entwickelt sich von selbst. Natürlich muß die Baßlinie so klingen. Und natürlich ist das der Keyboard-Part." Um so weit zu kommen, diese Dichte zu erreichen, bedurfte es harter Arbeit - und einiger herber Enttäuschungen: Die Vorgängerband "At The Drive Inn" wurde zwar weit über El Paso hinaus als Hoffnungsträger des Punk bejubelt; doch Omar und Kollegen waren dem Hype nicht gewachsen. Vielleicht kam der Durchbruch zu früh, vielleicht fehlte auch noch ein plausibles Skript, um der Welt zu erklären, warum ein paar Punks ihre Inspiration im Soul der "Persuasions", im Proto-Techno von "Can", in Funkadelic-Jams und Salsahits suchten?
"Deloused In The Comatorium" ließ vor zwei Jahren mit ausladender Epik nicht nur die Drei-Minuten-Songs von "At The Drive Inn" wie eine Fingerübung erscheinen. "Mars Volta" feierten auch die Rückkehr des längst beerdigten Konzept-Albums: Ihr Debüt drehte sich um Leben und Selbstmord eines befreundeten Musikers und Schwerenöters. Jetzt schwelgt "Frances The Mute" über ähnlichen Abgründen. "Unser Bandmitglied Jeremy Ward", sagt Rodriguez, "kam irgendwann mit diesem Tagebuch an, das er angeblich gefunden hatte, und wir wußten nicht, ob es ein fake war oder nicht. Es steckte so viel kranke Intensität darin. Wir lasen uns Passagen daraus vor, kamen auf einen Trip und versuchten das zu interpretieren. Wir versuchten uns in die Welt dieser Person hineinzuversetzen." Ward starb im Jahre 2002 an einer Überdosis Drogen. Sein Nachlaß ist vertonter Rausch, strotzt vor unwahrscheinlichen rhythmischen Kombinationen und lose konfigurierten Jams, die sich zu einer mal implodierenden, mal wieder ausweitenden Klangwolke verdichten. Samples gedämpfter Stimmen tauchen aus dem Klang-Nebel. Gastmusiker Flea von den "Red Hot Chili Peppers" bläst eine Flamenco-Trompete, und die Salsa-Legende Larry Harlow läßt ein paar typische Son-Montuno-Riffs aus dem Klavierkasten.
Am Ende läuft es auf einen Balanceakt hinaus: zwischen Raffinesse und roher Energie, Spiritualität und erdiger Tradition. Das Politische an "Mars Volta" äußert sich nicht in krassen Texten oder allzu eindeutigen Posen. Es steckt in ihrem kulturellen Bewußtsein: Wann gab es zuletzt im von Weißen beherrschten Rockzirkus eine Band aus so vielen dunklen Gesichtern? Wo haben Latinos und Afroamerikaner seit Jimi Hendrix und Black Rock ihre E-Gitarren versteckt?
"Wir Puertoricaner leben in Nordamerika immer noch wie auf einer Insel", sagt Rodriguez und erzählt davon, wie sein Vater ihn als Kind zu spirituellen Sitzungen mitnahm, Santeria-Zeremonien mit Getrommel, Kerzen und Räucherstäbchen. "Ich beziehe mich auf diese Spiritualität des Drecks, der Erde, die wir in unserer Kultur feiern, die Folk-Songs, die schon meine Großeltern sangen, wenn sie das Gemüse vom Feld ernteten. Du kannst auf ,Frances The Mute' eine Guajira hören: Klänge, die jedem Einwanderer vertraut sind. Wir suchen nach den fehlenden Teilen, einer verlorenen Identität."
Die englisch-spanischen Social-fiction-Texte des Chicano-Kollegen Zavala sprechen von dieser doppelten Entfremdung, von der Flucht in phantastische Parallelwelten, aber auch von der Chance, diesem Nirgendwo großartige Musik abzuringen. Mit oder ohne Clave.
JONATHAN FISCHER
The Mars Volta, Frances The Mute. GSL/Strummer 075021039773 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Mars Volta" suchen und finden den Afrorhythmus
Oft findet sich der musikalische Kopf von "The Mars Volta" auf eine Comic-Figur reduziert: Afrofrisur über Brille, dazu stramme Jeans. Darunter finden sich dann ein paar Zeilen, die Omar Rodriguez-Lopez als intellektuell überladenen veganen Politrocker charakterisieren. Natürlich ist etwas Wahres an dieser Karikatur. Und natürlich tun "The Mars Volta" alles, um ihren Bandcode nicht allzuleicht lesbar zu machen: Was haben die von Rodriguez-Lopez komponierten und von Sänger Cedric Bixler Zavala betexteten Rockepen schon für Vergleiche provoziert: mit Fela Kuti, Miles Davis, Herbie Hancock, Santana, Billy Cobham, Augustus Pablo, "Can", Captain Beefheart und den frühen "Grateful Dead", um nur einige Namen zu nennen. Doch dann sitzt Omar Rodriguez-Lopez - Afrofrisur, Brille und stramme Jeans - im Hamburger Büro seiner Plattenfirma Universal und wirkt im Gegensatz zum bombastischen Gedröhne um seine Band einfach nur: bescheiden, beinahe schüchtern. Vorsichtig mit jedem Satz ringend, bevor der seinen Weg zum Aufnahmegerät nimmt.
"Im Grunde", sagt der schmale Mann, dessen Eltern einst aus Puerto Rico nach El Paso auswanderten, "wird unsere Musik von einem Clave-Rhythmus zusammengehalten. Was ich auch immer gerade interpretiere, Punkrock oder Jazz, ich höre die ganze Zeit diesen afrokubanischen Beat: nnn-tschka-tschka, tschka-tschka-tschka." Das mutet angesichts des komplexen Sounduniversums von "Frances The Mute" fast wie eine Provokation an.
Immerhin zieht beim ersten Hören des neuen Albums von "The Mars Volta" erst einmal ganz anderes Treibgut am Ohr vorbei: Da sind die filigranen Soli des Progressivrock der siebziger Jahre, die Improvisationsstürme des Fusion Jazz und die psychedelische Kunstseligkeit des Krautrock - eine Phantasmagorie an Klängen, Gefühlen und Texturen, die erst einmal kaum an salsatypische Moll-Akkorde oder gar die untergründige Clave denken läßt. Aber wie hatte Rodriguez dem Album vorausgeschickt: "Ein zerberstendes Fenster liefert nicht immer das lauteste Geräusch und ein Feuer nicht immer das hellste Bild."
Schon mit dem Vorgänger "Deloused In The Comatorium" spielten sich "The Mars Volta" ins Abseits gängiger Punk- oder Garage-Moden. Die jugendliche Sechs-Mann-Truppe kam aus einem Parallel-Universum und hatte offenbar unmittelbaren Zugriff auf den Urtext. "Ihre Musik zu hören", urteilte ein amerikanischer Kritiker, "gleicht einem nächtlichen Bad in einem See, abwechselnd furchteinflößend, spirituell und von Sexualität durchdrungen."
Mag sein, daß "The Mars Volta" in ihrem Klangsee die Überreste des alten Prog-Rock-Bombasts auflösen. Doch was interessieren diese twentysomethings vormalige Tabus um mäandernde Soli und komplizierte Akkordwechsel? "Auf die Gefahr hin", erklärt Rodriguez-Lopez seine Schreibmethode, "etwas klischeehaft zu klingen: Ich fühle mich, als würde ich etwas anzapfen, das schon einmal geschrieben wurde. Es existiert bereits und hat sein Eigenleben, und ich erkenne es bloß, so, wie wir Dinge im Traum erkennen." Letztlich komme das Komponieren einer Übertragung gleich. Er sehe ein einfaches Bild, das er daheim auf einem Taperecorder festzuhalten versuche.
Für den Rest vertraut er der musikalischen Eigendynamik: "Plötzlich ergibt alles einen Sinn. Das Stück entwickelt sich von selbst. Natürlich muß die Baßlinie so klingen. Und natürlich ist das der Keyboard-Part." Um so weit zu kommen, diese Dichte zu erreichen, bedurfte es harter Arbeit - und einiger herber Enttäuschungen: Die Vorgängerband "At The Drive Inn" wurde zwar weit über El Paso hinaus als Hoffnungsträger des Punk bejubelt; doch Omar und Kollegen waren dem Hype nicht gewachsen. Vielleicht kam der Durchbruch zu früh, vielleicht fehlte auch noch ein plausibles Skript, um der Welt zu erklären, warum ein paar Punks ihre Inspiration im Soul der "Persuasions", im Proto-Techno von "Can", in Funkadelic-Jams und Salsahits suchten?
"Deloused In The Comatorium" ließ vor zwei Jahren mit ausladender Epik nicht nur die Drei-Minuten-Songs von "At The Drive Inn" wie eine Fingerübung erscheinen. "Mars Volta" feierten auch die Rückkehr des längst beerdigten Konzept-Albums: Ihr Debüt drehte sich um Leben und Selbstmord eines befreundeten Musikers und Schwerenöters. Jetzt schwelgt "Frances The Mute" über ähnlichen Abgründen. "Unser Bandmitglied Jeremy Ward", sagt Rodriguez, "kam irgendwann mit diesem Tagebuch an, das er angeblich gefunden hatte, und wir wußten nicht, ob es ein fake war oder nicht. Es steckte so viel kranke Intensität darin. Wir lasen uns Passagen daraus vor, kamen auf einen Trip und versuchten das zu interpretieren. Wir versuchten uns in die Welt dieser Person hineinzuversetzen." Ward starb im Jahre 2002 an einer Überdosis Drogen. Sein Nachlaß ist vertonter Rausch, strotzt vor unwahrscheinlichen rhythmischen Kombinationen und lose konfigurierten Jams, die sich zu einer mal implodierenden, mal wieder ausweitenden Klangwolke verdichten. Samples gedämpfter Stimmen tauchen aus dem Klang-Nebel. Gastmusiker Flea von den "Red Hot Chili Peppers" bläst eine Flamenco-Trompete, und die Salsa-Legende Larry Harlow läßt ein paar typische Son-Montuno-Riffs aus dem Klavierkasten.
Am Ende läuft es auf einen Balanceakt hinaus: zwischen Raffinesse und roher Energie, Spiritualität und erdiger Tradition. Das Politische an "Mars Volta" äußert sich nicht in krassen Texten oder allzu eindeutigen Posen. Es steckt in ihrem kulturellen Bewußtsein: Wann gab es zuletzt im von Weißen beherrschten Rockzirkus eine Band aus so vielen dunklen Gesichtern? Wo haben Latinos und Afroamerikaner seit Jimi Hendrix und Black Rock ihre E-Gitarren versteckt?
"Wir Puertoricaner leben in Nordamerika immer noch wie auf einer Insel", sagt Rodriguez und erzählt davon, wie sein Vater ihn als Kind zu spirituellen Sitzungen mitnahm, Santeria-Zeremonien mit Getrommel, Kerzen und Räucherstäbchen. "Ich beziehe mich auf diese Spiritualität des Drecks, der Erde, die wir in unserer Kultur feiern, die Folk-Songs, die schon meine Großeltern sangen, wenn sie das Gemüse vom Feld ernteten. Du kannst auf ,Frances The Mute' eine Guajira hören: Klänge, die jedem Einwanderer vertraut sind. Wir suchen nach den fehlenden Teilen, einer verlorenen Identität."
Die englisch-spanischen Social-fiction-Texte des Chicano-Kollegen Zavala sprechen von dieser doppelten Entfremdung, von der Flucht in phantastische Parallelwelten, aber auch von der Chance, diesem Nirgendwo großartige Musik abzuringen. Mit oder ohne Clave.
JONATHAN FISCHER
The Mars Volta, Frances The Mute. GSL/Strummer 075021039773 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main