Produktdetails
  • Anzahl: 1 CD Extra
  • Erscheinungstermin: 25. November 2010
  • Hersteller: Universal Music,
  • EAN: 0602527516592
  • Artikelnr.: 32071137
Trackliste
CD EXTRA/enhanced
1Frei00:03:27
2Unendliche Sinfonie00:03:51
3All That I Love00:03:23
4Deine Liebe00:03:18
5Evergreen00:03:05
6Letting Go00:03:37
7Small Space Between00:01:59
8Sleep Rocket00:03:45
9Dark And Grey00:03:36
10Elegie00:05:06
11interactiveaudio¿ Player
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2010

Die Farbe des Schnees
Polarkreis 18 machen winterlichen Elektropop

Polarkreis 18 machen sich das Leben schwer. Davon zeugen ihre von Verlust, enttäuschter Liebe oder Einsamkeit handelnden Texte, davon künden ihre moll-lastigen Arrangements. Abseits der Musik, in der Sphäre der im Internetzeitalter immer wichtiger werdenden Selbstvermarktung von Musikern, dreht das Dresdener Elektropop-Sextett auch nur noch das ganz große dramatische Rad - und setzt sich damit selbst unter Druck.

Wie sonst ließe sich erklären, was im Begleitmaterial zu ihrem neuen Album "Frei" steht? Nämlich, dass sie mit der neuen Platte kein geringeres Werk als Franz Schuberts Liederzyklus "Die Winterreise" in die Neuzeit geholt hätten - als ob die Fallhöhe für die Erwartungen an Polarkreis 18 nicht so schon groß genug wäre!

Hatte doch die auf Dauer etwas nervige, ohrwurmartige Single "Allein, Allein" 2008 fünf Wochen lang die Nummer eins der deutschen Hitparade belegt. Das Album "The Colour of Snow" war im selben Jahr auf Platz vierzehn geklettert. Schubert, so tönt es also nun aus Dresden: darunter machen wir es nicht. Natürlich ist der Vergleich mit der "Winterreise" größenwahnsinnig. Aber "Frei" ist trotzdem ein gutes Album geworden. Das liegt am Hit-Potential der Lieder, mit denen die Band hier aufwartet: Manche der zehn Songs sind gleichzeitig tanz- wie mitsingbar - sie werden vielleicht dazu führen, dass dieses Album sehr erfolgreich wird, womöglich sogar erfolgreicher als sein Vorgänger. Zum Beispiel das Eröffnungs- und Titelstück: Vom dramatischen Klavierarpeggio vor dem zweiten Refrain, das Andrew Lloyd Webbers "Phantom der Oper" entsprungen scheint, über den ruhigen Mittelteil, der dann hochdramatisch zum nächsten Höhepunkt überleitet, bis hin zur simplen Harmoniestruktur des Refrains, die nur aus drei Akkorden besteht: das ist großes Pop-Konzert.

Man habe die Vielfalt der Instrumentierung verringert, sagen die Musiker, die auf den ersten beiden Album noch mehr mit allerlei elektronisch erzeugten Klängen experimentiert hatten. Diese Reduzierung ist gut gelungen, weil sie die Songs eingängig macht, aber auch leicht verdaulich. Gleichzeitig misst das reduzierte Arrangement der markanten, hohen und manchmal falsettartigen Stimme Felix Räubers mehr Verantwortung zu - einer Stimme, die das an einigen wenigen Stellen nicht zu tragen vermag und fast zu dünn klingt, fast so, als wäre bei der Abmischung irgendetwas danebengegangen.

Die von Räuber vorgetragenen, basisdemokratisch verfassten Texte tragen ebenfalls zur Qualität des Albums bei. Es sind Kurzgeschichten, die sich fast ausschließlich demselben Themen-Dreiklang widmen: Trauer, Liebe, Verzweiflung. Sie laden ein zum schaurig-schönen Mitfühlen, wenn es etwa wie bei "Evergreen" um Verlust geht: "Why are your leaves and love not forever?" - so singt Räuber einen Baum an. Das Welken der Blätter könnte ebenso gut für das Ende einer Liebe oder den Verlust eines Menschen stehen. Polarkreis 18 sind hier klar strukturierte Texte mit mehreren Bedeutungsebenen gelungen.

Bei genauem Hinhören fällt dann doch auf, warum die sechs Dresdener den an jugendliche Hybris grenzenden Vergleich zum Schubertschen Liederzyklus gezogen haben. Denn "Frei" ist eine Platte, die thematisch über eine gewisse, sich ihrerseits noch wiederholende Zyklizität verfügt. Die ersten fünf Songs beschäftigen sich mit Freiheit (eingeschränkt), Unsterblichkeit, Sehnsucht, Liebe (unerfüllt), Vergänglichkeit und Überwindung von Verlust. Kurz nach der Albummitte - bezeichnenderweise in einem ruhigen, zwei Minuten langen Song namens "Small Space Between" - scheinen Polarkreis 18 einen zweiten Teil einzuläuten, so sanft klingt die nur von Klavier getragene Stimme Räubers dort. Doch der Zuhörer wird getäuscht, Räubers Stimme kippt wieder ins Verzweifelte, und die letzten drei Lieder handeln von - in dieser Reihenfolge - Flucht (aus der tristen Realität), Vergänglichkeit und schließlich: Tod.

Das ist alles ganz schön morbide, aber es ist ja auch plötzlich Winter geworden. Und haben nicht schon andere junge Künstler an ihrer Welt gelitten und dabei etwas Brauchbares zustande gebracht? Man muss ja nicht gleich an Schubert denken.

MARTIN GROPP

Polarkreis 18,

Frei

Universal Music 4992768

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