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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2021

Singen lernten sie im Hühnerstall

Für Franz von Assisi und Fans von AC/DC: Die Felice Brothers tauschen ihren bisherigen Heimwerker-Gestus gegen große Oper und bringen Jazz auf die Autobahn. "From Dreams to Dust" ist das Album des Jahres.

Ist nicht das jüngste Folk-Revival, das kurz nach der Jahrtausendwende einsetzte, schon wieder vorbei? Haben nicht Bands wie Delta Spirit oder Mumford & Sons quasi Selbstmord aus Angst vor dem Tod begangen, indem sie plötzlich Synth-Pop machten, hat nicht der Banjospieler Sufjan Stevens auf Raumschiffmusik umgesattelt, für die Pete Seeger ihm wohl alle Kabel durchhacken würde, wenn er noch könnte? Und ist der ewige Geheimtipp jener Jahre, die Felice Brothers, nicht zu einem Spezialgebiet für Vinylsammler geworden - weil sie schon fast wieder vergessen sind?

So könnte man denken - bis man deren neues Album hört. Eben davon, vom Vergehen und Vergessenwerden, handelt "For Dreams To Dust", das wie eine große Verausgabung wirkt, ein Fiebertraum in Folkstrophen, kostümiert als große Oper. Schon der Titel in seiner Springsteen-Haftigkeit zeigt, dass sie diesmal etwas Größeres anstreben als Heimwerker-Sound und Handyvideos aus dem Kornfeld. Passt das denn auch zu ihnen, wird mancher fragen? Dass es nicht größenwahnsinnig wirkt, davor bewahren sie schon einmal die beißende Ironie und der Witz, die das gesamte Album durchziehen. Denn natürlich sind aus den abgebrannten Späthippies aus Upstate New York, die nicht zu Unrecht als Nachfolger von The Band gesehen werden, nicht plötzlich Schlipsträger geworden, und sie haben gewiss keine Musikhochschule in New York besucht.

Die in Folk und Country topische Abgrenzung von der Großstadt klingt hier so: "I got laughed at by future stars / They got their masters from Juilliard / I learned to sing in a chicken coop". Da singt in diesem Fall der Akkordeonist James Felice - in den meisten anderen Liedern aber gibt weiter Ian Felice, der hagere, immer etwas verschlagen und gerade erst aufgestanden wirkende Bruder, den Ton an.

In einem Stück, das ebenfalls eine gewisse Tradition hat, einem "Nachruf auf mich selbst" (von den Crash Test Dummies und ihrer Ballade "At My Funeral" etwa bis zum neuen Buch von Harald Welzer), verliest Ian Felice über Orgelklängen, was sich wohl in seinem Nachlass befinden würde: unentwickelte Fotos und eine Dose Zwiebelsuppe. Nicht weniger zu Herzen gehend und trotzdem gewitzt ist seine gesungene "To-Do-List", auf der Folgendes steht: "Acquire more guilty pleasures / Sit and watch as the plague goes by / Wash the hot fry stains from my hands / And laugh until I cry".

Ein Thema, das sich durch mehrere Songs zieht, sind die Erwartungen der Leistungsgesellschaft, etwa in der Selbstbeschreibung von Ian Felice als "below average student" oder der albtraumhaft verlangsamten Wiedergabe eines Bewerbungsgesprächs in "Money Talks". Ein anderes ist die Erinnerung an eine verkorkste und irgendwie doch schöne Jugend, unnachahmlich auf den Punkt gebracht in dem Lied "Inferno". Es bezieht sich auf einen Kinofilm, aber nicht die Dan-Brown-Verfilmung mit Tom Hanks, sondern ein B-Movie mit Jean Claude Van Damme von 1999. Warum man reinging? "Fight Club was sold out / We went to see Inferno instead / You said, 'I never even heard of it / But I liked Karate Kid'". Wie die Erinnerung aus Zitronen Limonade macht, zeigt dann der irgendwie doch triumphale Refrain: "Who's that riding on the banks of the Rio Grande? / It's Jean Claude Van Damme / It's Jean Claude Van Damme".

Das alles passt noch ins bisherige Bild der Felice Brothers, auch wenn es eben "größer" produziert ist mithilfe der Musiker Mike Mogis und Nathaniel Walcott aus der Band Bright Eyes. Völlig unerwartet aber kommt das Rockabilly-Eröffnungsstück des Albums mit dem famosen Titel "Jazz on the Autobahn": eine steile Geschichte vom Durchbrennen. Der Wumms, den die Felice Brothers darin entwickeln, ist wohl auch der inzwischen zur Band gehörenden Jesske Hume am Bass zu verdanken.

Aber selbst wenn die Felice Brothers somit ihren Musikstil erweitern, wirkt das alles weiterhin handgemacht. Und die Lyrik bleibt fest im Folk verankert, gerade auch in ihrer spielerischen Art, Dinge um des Reimes willen zusammenzufügen: "From Francis of Assisi / To the fans of AC/DC / We all shall live again". Diese Zeilen stammen aus einem Lied, das beginnt, gerade als man schon denkt, die Platte könnte gar nicht mehr besser werden. Ihr großes Finale ist - was sollte jetzt noch anderes kommen? - ein Gospelsong. "We Shall Live Again" hat außerdem Züge des modernen amerikanischen Langgedichts mit Anspielungen, die von der Inschrift der Freiheitsstatue über T. S. Eliot bis zu Elvis reichen: "Some die on the steppes of a frozen wasteland / Some overdose on the road to Graceland / But we all shall live again". Besser als die Felice Brothers hier kann man es nicht machen. JAN WIELE.

The Felice Brothers: "From Dreams to Dust".

Yep Roc (H'Art)

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