Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 1. Januar 2021
- Hersteller: TONPOOL MEDIEN GMBH / Rekord Music and Distribution,
- EAN: 4270000577789
- Artikelnr.: 60660670
LP | |||
1 | Wie Gladiatoren | ||
2 | Dann Mach Doch Mal | ||
3 | Gebt Uns Ruhig Die Schuld (Den Rest Könnt Ihr Behalten) | ||
4 | Für dich immer noch Fanta Sie [Teil 1] | ||
5 | Junge trifft Mädchen | ||
6 | Garnichsotoll | ||
7 | Smudo in Zukunft | ||
8 | Danke | ||
9 | Die Lösung | ||
10 | Schnauze | ||
11 | Für immer zusammen | ||
12 | Für dich immer noch Fanta Sie [Teil 2] | ||
13 | Das Letzte Mal | ||
14 | Kaputt | ||
15 | Mantra | ||
16 | Was Wollen Wir Noch Mehr? |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2010Deutsch für Profis
Handwerk hat goldene Scheiben: Die Fantastischen Vier bringen den Stolz der Berufsmenschen zur Sprache. Wie Orpheus wollen sie nicht singen.
Dem bemoosten Feldstein die Zunge zu lösen, die kein Botaniker und kein Geologe entdeckt hat, weil sie verwachsen und verfilzt ist, das ist der Traum der Romantiker. Auch das schon fast nicht mehr Organische, das Besudelte und Weggetretene, ahnen sie, hat eine Seele, kann zum Sprechen gebracht werden. Oder wenigstens zum Sprechgesang. Die Fantastischen Vier bringen es auf ihrer neuen Platte "Für dich immer noch Fanta Sie" fertig, mit dem Zauberstab der Poesie die Couchkartoffel anzustipsen. Das trübe Gebrabbel, das in diesen Tagen landauf, landab aus Polstertiefen aufsteigt, wird in andächtiger Genauigkeit aufgezeichnet, als wären es Urlaute aus der Kindheit unseres Volkes, und verwandelt sich bei der Wiedergabe in bächleinklare Poesie: "Alter, nimm ihn doch flach, / stand alles offen, den hätt' sogar meine Oma gemacht, / ich hätt' getroffen im Schlaf oder besoffen bei Nacht, / hätt' ihn direkt angenommen, und dann, zack, unter's Dach."
Das Lied heißt "Dann mach doch mal", es spricht der Profi, der sich engelsgeduldig anhört, was der zeternde Fan ausführlich an ihm auszusetzen hat - um dann den Ball der Kritik an den Motzer zurückzuspielen. Es geht also um den Popstar und um die so verständlichen wie illusionären Erwartungen gerade der treuesten Fans - ein klassisches Sujet für Etüden der ironischen Selbstdarstellung, das Die Fantastischen Vier in zwei Jahrzehnten Banddasein oft traktiert haben. Man erwartet Virtuosität und muss dennoch wieder staunen: Definition des Kunststücks.
"Dann mach doch mal": So fallen die Helden sich ins Wort, nach dem sie das fanatische Plädoyer der Anklage brav referiert haben. Diese Umkehr der Beweislast wirkt souverän, wie ein Zurechtrücken der natürlichen Machtverhältnisse, weil die Zäsur vorbereitet worden ist. Die vier wuchtigen Schläge haben im Bass schon mehrfach gedröhnt, bevor ihnen die Silben des Imperativs beigelegt werden, der die Besserdisser beim Wort nimmt.
Im Konzert wird dieses Lied eine gewaltige Wirkung haben, wie bei einem klassischen Liederabend der als Rausschmeißer beliebte Treppensturz des Rezensenten in Hugo Wolfs Mörike-Lied "Abschied". Die spielerisch hereingelegten Fans dürfen aus übervollem Herzen einstimmen, denn sie können sich auch mit den Kritikern der Kritiker identifizieren. Aus den eigenen Arbeitszusammenhängen kennen sie das: Insistenter Tadel von Leuten, die sich als wahre Liebhaber der Sache vorstellen, die man beruflich betreibt, wird impertinent und verlangt dann im Interesse der Selbstachtung nach Zurechtweisung - aber die sarkastische Einladung, doch bitte selber das Ruder oder die Feder zu übernehmen, dürfen nur Pop-Millionäre aussprechen.
Hip-Hop-Songs haben mit anderen typischen Kulturprodukten unserer Zeit die arbeitsteilige Herstellung gemein. Die technischen Anforderungen an den einzelnen Beteiligten werden leicht unterschätzt. Unsere Angestelltenkultur ist aber angewiesen auf Ausdrucksformen des Handwerkerstolzes von Leuten, die hinter der Gemeinschaftsarbeit verschwinden und am Ende des Tages ihre Sache ordentlich gemacht haben, wenn ihnen keine Druckfehler und Verspätungen unterlaufen sind. "Dann mach doch mal - es ist nun mal leider schwer. / Denn jeder würd' es machen, wenn es einfach wär'."
An der Suada des Amateurfußballexperten, die auf den ersten Vortrag des Refrains folgt, gefällt unter dichterhandwerklichen Gesichtspunkten, dass Sprüche aus der alleruntersten Originalitätsschublade verarbeitet worden sind, bis hinunter zur Einwechselung der Großmutter. Dumm und frech, das passt zusammen, wird aber emporgehoben in die Sphäre des puren Schönklangs beziehungsweise schönen Schnellklangs. Die Reimstafette kommt mit O- und A-Fügungen aus, in poetisch verklärter Gestalt kann der Meckerer den Ball plötzlich doch zirkulieren lassen wie die Spanier - mit den unreinen Reimen als Hackentricks.
Für den Stadioneinzug der Fantastischen Vier ist das Eröffnungslied geschrieben: "Wie Gladiatoren" marschieren sie ein, aber auch wieder aus, ohne dass es zum Kampf gekommen wäre - als käme es dem Kaiser zu teuer zu stehen, würden die Publikumslieblinge einander wirklich abschlachten. Gepanzert mit professionellem Selbstbewusstsein erscheinen sie im Licht: "Wir betreten die Arena - das wird kein Zuckerschlecken. / Nur der geringste Fehler, und schon kannst du's vergessen." Aber kann man es von den Rängen aus sehen, wenn sich einer der Derwische beim Schwerttanz in einer Windhose verheddert? Beim Auszug geben sie zu, dass der Eingangschor eine handelsübliche Übertreibung war: "Wir betraten die Arena - das war kein Zuckerschlecken. / Wir machten ein paar Fehler, den Rest hab'n wir vergessen." Auch für sie gilt der Satz von Hanns Dieter Hüsch: "Ich mache keine Herzoperationen, ich mach' nur Kunst. Ich kann mir Fehler erlauben."
Musikalisch ist von der Abrüstung nichts zu hören. Die Prozession zieht in prächtiger Unversehrtheit vorüber wie die Figurengruppe eines Glockenspiels am Rathausturm. Nicht schwer zu deuten, was uns diese Einstiegsnummer sagen will: Die Fantastischen Vier sind im Showgeschäft tätig; letzten Einsatz darf man erwarten, aber nicht, dass Herzblut fließt.
Soll man Gesang nennen, was sie produzieren? Dass ist nicht so sehr musikgattungstechnisch interessant, in der Abgrenzung vom amerikanischen Hip-Hop, als vielmehr menschengattungsgeschichtlich. Die Fantastischen Vier wollen nicht wie Orpheus singen. Indem sie auf Melodien verzichten, machen sie dem Hörer nicht weis, sie könnten Tiere und Götter besänftigen. Dem verhinderten Nationaltrainer im Wohnzimmerexperteneck leiht "Dann mach doch mal" die Dichterstimme, nur um ihm einzuhämmern, er solle Podolskis professionelle Einstellung bewundern und sich nicht selbst für den verschollenen Sommermärchenprinzen halten. Die Begleitung der meisten Lieder bewegt sich unerbittlich fort wie ein Laufband im Flughafen. Der Sprechgesang ist der von allen Schicklichkeitspflichten der Harmonielehre entlastete Kommentar zu einem Schicksal, das ins Unendliche voranschreitet, aber nicht auf einen Untergang zu. Die Entfremdung ist etwas anderes als der Krebs oder der Faschismus. Man kann sich mit ihr arrangieren.
Wo Die Fantastischen Vier mit melodischen Elementen arbeiten, handelt es sich um Versatzstücke gleich den Fetzen von Kinder- oder Kirchenliedern, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen. So hat das Lied "Danke", das letzte Wort eines Sterbenden in vier makabren Konstellationen des plötzlichen Todes, etwas Drehorgelhaftes. Man kann nicht sagen, das Lied sei nicht ernst gemeint. Dass es ernst gemeint sei, lässt sich aber auch nicht sagen. Wegen der gassenhauerhaften Rahmung kann man die grotesken Unglücksprotokolle als klassische vermischte Meldungen goutieren. Doch ist der von allen Sinnsuggestionen abgelöste Sprachwitz nicht ein schönes Sinnbild der Freiheit, in der man dem guten Tod ins Auge blicken möchte? "Es ist wie Lois und Clark Kent, wie Pot in Amsterdam, / Achterbahn und Angst erfahren; das gehört zusammen." Fürs Reden über Leben und Tod nimmt man wohl wirklich am besten Material, das irgendwo herumliegt. Gut gemachte Kunst mag dabei helfen, zum ganzen Leben eine professionelle Haltung auszubilden. Wie Gladiatoren.
PATRICK BAHNERS
Die Fantastischen Vier, Für dich immer noch Fanta Sie. Sony 8597827 (Columbia)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Handwerk hat goldene Scheiben: Die Fantastischen Vier bringen den Stolz der Berufsmenschen zur Sprache. Wie Orpheus wollen sie nicht singen.
Dem bemoosten Feldstein die Zunge zu lösen, die kein Botaniker und kein Geologe entdeckt hat, weil sie verwachsen und verfilzt ist, das ist der Traum der Romantiker. Auch das schon fast nicht mehr Organische, das Besudelte und Weggetretene, ahnen sie, hat eine Seele, kann zum Sprechen gebracht werden. Oder wenigstens zum Sprechgesang. Die Fantastischen Vier bringen es auf ihrer neuen Platte "Für dich immer noch Fanta Sie" fertig, mit dem Zauberstab der Poesie die Couchkartoffel anzustipsen. Das trübe Gebrabbel, das in diesen Tagen landauf, landab aus Polstertiefen aufsteigt, wird in andächtiger Genauigkeit aufgezeichnet, als wären es Urlaute aus der Kindheit unseres Volkes, und verwandelt sich bei der Wiedergabe in bächleinklare Poesie: "Alter, nimm ihn doch flach, / stand alles offen, den hätt' sogar meine Oma gemacht, / ich hätt' getroffen im Schlaf oder besoffen bei Nacht, / hätt' ihn direkt angenommen, und dann, zack, unter's Dach."
Das Lied heißt "Dann mach doch mal", es spricht der Profi, der sich engelsgeduldig anhört, was der zeternde Fan ausführlich an ihm auszusetzen hat - um dann den Ball der Kritik an den Motzer zurückzuspielen. Es geht also um den Popstar und um die so verständlichen wie illusionären Erwartungen gerade der treuesten Fans - ein klassisches Sujet für Etüden der ironischen Selbstdarstellung, das Die Fantastischen Vier in zwei Jahrzehnten Banddasein oft traktiert haben. Man erwartet Virtuosität und muss dennoch wieder staunen: Definition des Kunststücks.
"Dann mach doch mal": So fallen die Helden sich ins Wort, nach dem sie das fanatische Plädoyer der Anklage brav referiert haben. Diese Umkehr der Beweislast wirkt souverän, wie ein Zurechtrücken der natürlichen Machtverhältnisse, weil die Zäsur vorbereitet worden ist. Die vier wuchtigen Schläge haben im Bass schon mehrfach gedröhnt, bevor ihnen die Silben des Imperativs beigelegt werden, der die Besserdisser beim Wort nimmt.
Im Konzert wird dieses Lied eine gewaltige Wirkung haben, wie bei einem klassischen Liederabend der als Rausschmeißer beliebte Treppensturz des Rezensenten in Hugo Wolfs Mörike-Lied "Abschied". Die spielerisch hereingelegten Fans dürfen aus übervollem Herzen einstimmen, denn sie können sich auch mit den Kritikern der Kritiker identifizieren. Aus den eigenen Arbeitszusammenhängen kennen sie das: Insistenter Tadel von Leuten, die sich als wahre Liebhaber der Sache vorstellen, die man beruflich betreibt, wird impertinent und verlangt dann im Interesse der Selbstachtung nach Zurechtweisung - aber die sarkastische Einladung, doch bitte selber das Ruder oder die Feder zu übernehmen, dürfen nur Pop-Millionäre aussprechen.
Hip-Hop-Songs haben mit anderen typischen Kulturprodukten unserer Zeit die arbeitsteilige Herstellung gemein. Die technischen Anforderungen an den einzelnen Beteiligten werden leicht unterschätzt. Unsere Angestelltenkultur ist aber angewiesen auf Ausdrucksformen des Handwerkerstolzes von Leuten, die hinter der Gemeinschaftsarbeit verschwinden und am Ende des Tages ihre Sache ordentlich gemacht haben, wenn ihnen keine Druckfehler und Verspätungen unterlaufen sind. "Dann mach doch mal - es ist nun mal leider schwer. / Denn jeder würd' es machen, wenn es einfach wär'."
An der Suada des Amateurfußballexperten, die auf den ersten Vortrag des Refrains folgt, gefällt unter dichterhandwerklichen Gesichtspunkten, dass Sprüche aus der alleruntersten Originalitätsschublade verarbeitet worden sind, bis hinunter zur Einwechselung der Großmutter. Dumm und frech, das passt zusammen, wird aber emporgehoben in die Sphäre des puren Schönklangs beziehungsweise schönen Schnellklangs. Die Reimstafette kommt mit O- und A-Fügungen aus, in poetisch verklärter Gestalt kann der Meckerer den Ball plötzlich doch zirkulieren lassen wie die Spanier - mit den unreinen Reimen als Hackentricks.
Für den Stadioneinzug der Fantastischen Vier ist das Eröffnungslied geschrieben: "Wie Gladiatoren" marschieren sie ein, aber auch wieder aus, ohne dass es zum Kampf gekommen wäre - als käme es dem Kaiser zu teuer zu stehen, würden die Publikumslieblinge einander wirklich abschlachten. Gepanzert mit professionellem Selbstbewusstsein erscheinen sie im Licht: "Wir betreten die Arena - das wird kein Zuckerschlecken. / Nur der geringste Fehler, und schon kannst du's vergessen." Aber kann man es von den Rängen aus sehen, wenn sich einer der Derwische beim Schwerttanz in einer Windhose verheddert? Beim Auszug geben sie zu, dass der Eingangschor eine handelsübliche Übertreibung war: "Wir betraten die Arena - das war kein Zuckerschlecken. / Wir machten ein paar Fehler, den Rest hab'n wir vergessen." Auch für sie gilt der Satz von Hanns Dieter Hüsch: "Ich mache keine Herzoperationen, ich mach' nur Kunst. Ich kann mir Fehler erlauben."
Musikalisch ist von der Abrüstung nichts zu hören. Die Prozession zieht in prächtiger Unversehrtheit vorüber wie die Figurengruppe eines Glockenspiels am Rathausturm. Nicht schwer zu deuten, was uns diese Einstiegsnummer sagen will: Die Fantastischen Vier sind im Showgeschäft tätig; letzten Einsatz darf man erwarten, aber nicht, dass Herzblut fließt.
Soll man Gesang nennen, was sie produzieren? Dass ist nicht so sehr musikgattungstechnisch interessant, in der Abgrenzung vom amerikanischen Hip-Hop, als vielmehr menschengattungsgeschichtlich. Die Fantastischen Vier wollen nicht wie Orpheus singen. Indem sie auf Melodien verzichten, machen sie dem Hörer nicht weis, sie könnten Tiere und Götter besänftigen. Dem verhinderten Nationaltrainer im Wohnzimmerexperteneck leiht "Dann mach doch mal" die Dichterstimme, nur um ihm einzuhämmern, er solle Podolskis professionelle Einstellung bewundern und sich nicht selbst für den verschollenen Sommermärchenprinzen halten. Die Begleitung der meisten Lieder bewegt sich unerbittlich fort wie ein Laufband im Flughafen. Der Sprechgesang ist der von allen Schicklichkeitspflichten der Harmonielehre entlastete Kommentar zu einem Schicksal, das ins Unendliche voranschreitet, aber nicht auf einen Untergang zu. Die Entfremdung ist etwas anderes als der Krebs oder der Faschismus. Man kann sich mit ihr arrangieren.
Wo Die Fantastischen Vier mit melodischen Elementen arbeiten, handelt es sich um Versatzstücke gleich den Fetzen von Kinder- oder Kirchenliedern, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen. So hat das Lied "Danke", das letzte Wort eines Sterbenden in vier makabren Konstellationen des plötzlichen Todes, etwas Drehorgelhaftes. Man kann nicht sagen, das Lied sei nicht ernst gemeint. Dass es ernst gemeint sei, lässt sich aber auch nicht sagen. Wegen der gassenhauerhaften Rahmung kann man die grotesken Unglücksprotokolle als klassische vermischte Meldungen goutieren. Doch ist der von allen Sinnsuggestionen abgelöste Sprachwitz nicht ein schönes Sinnbild der Freiheit, in der man dem guten Tod ins Auge blicken möchte? "Es ist wie Lois und Clark Kent, wie Pot in Amsterdam, / Achterbahn und Angst erfahren; das gehört zusammen." Fürs Reden über Leben und Tod nimmt man wohl wirklich am besten Material, das irgendwo herumliegt. Gut gemachte Kunst mag dabei helfen, zum ganzen Leben eine professionelle Haltung auszubilden. Wie Gladiatoren.
PATRICK BAHNERS
Die Fantastischen Vier, Für dich immer noch Fanta Sie. Sony 8597827 (Columbia)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main