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Produktdetails
Trackliste
CD
1S.o.l. / Guaranteed flow00:06:48
2Have hope00:05:04
3Outta tha game00:04:13
4Terror of the streets00:05:54
5Barrikade'll stop ya00:04:56
6Doomsday booty00:03:53
7Fuk tha massa00:05:19
8The Godfather waltz / Just a villain00:06:14
9Soulja00:05:30
10It's on00:04:50
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2005

Geht nicht, gibt's eben doch

Die beiden CDs demonstrieren ihre Verwandtschaft schon durch ihre Verpackung. Stefan Winter hat die einundachtzig Produktionen, die er zwischen 1985 und 1995 für sein noch mit einem Konzern verbandeltes Label JMT gemacht und mittlerweile ganz bei seiner unabhängigen Marke Winter & Winter wiederveröffentlicht hat, durch ein unverwechselbar markantes Design aus dicker schwarzer Pappe gekennzeichnet. Schaut man genauer hin, verfestigt sich die Verwandtschaft, denn die CDs stammen beide aus dem Jahr 1995, und zudem ist ein Musiker doppelt beschäftigt. Dann enden die Gemeinsamkeiten, und zwar so abrupt, daß man von einem Kuriosum der Jazzgeschichte sprechen kann. Immerhin spielt ja bei beiden Aufnahmen Gary Thomas mit, einer jener hochvirtuosen Saxophonisten, die (so wie Greg Osby und Steve Coleman) in den neunziger Jahren die Ideale des "M-Base"-Kollektivs vertraten: von den rhythmischen und harmonischen Bindungen des Bebop sich lösende Abstraktionen, die mit ausgeprägtem Sinn für schlackenlosen Schönklang, mit höchster Kontrolle, Detailschärfe und kaum mehr nachvollziehbaren Strukturfinessen realisiert wurden. Aber die beiden Produktionen haben inhaltlich nicht das geringste miteinander zu tun. Denn Thomas widmet sich hier zum ersten und mit Sicherheit auch zum letzten Mal einem reinen Hip-Hop-Projekt (Winter & Winter 919079).

Gary Thomas holte sich die Rapper aus seiner Heimatstadt Baltimore, sozusagen von der Straße, der italienische Rap-Star Jovanotti kam als Gast. Er versuchte zunächst, über die Musik an die Rapper heranzukommen. Das gab er bald auf. Positiv drückte er es so aus: "Ich habe begonnen, die Einfachheit zu schätzen." Seine Kompositionen bestehen aus minimalen Einstimmungen und Akkorden hinter dem immer gleichen Stumpf-Beat unter dem Sprechgesang. Die paar Schnörkel aus seinen Saxophonen im Hintergrund sind so rar, daß man behaupten darf, er habe sich als Spieler im Grunde aus seinem eigenen Projekt herausgehalten. Hie und da darf die Sängerin Maysa ein paar Melodiefloskeln einstreuen. Eine besondere Leistung der CD ist der Abdruck aller Texte auf einem riesigen Leporello von knapp dreihundert eng geschriebenen Zeilen. Sprache und Inhalte sind also, mit Einschränkungen durch den Slang, gut zu beurteilen. In ihrer stakkatiert verschliffenen, rein akustischen Vermittlung werden sie im englischsprechenden Europa wahrscheinlich nicht einmal von den Briten ganz verstanden. Die Themen sind klassisch: die Straße, Drogen, Mord, der Überlebenskampf und die Perspektivlosigkeit der schwarzen Bevölkerung. Das Lieblingswort ist, rituell verfestigt, motherf***, was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß hier Poeten mit großem Wortschatz und reicher Bildersprache der Hochkultur am Werke sind. Die CD ist also innerhalb des Hip-Hop-Genres, sozusagen als Hörbuch, nicht schlecht. Als Forum für Gary Thomas ist sie eine Null-Nummer und damit ein Lehrbeispiel für die Beziehungen zwischen Hip-Hop und Jazz. Hip-Hopper und Jazzmusiker sind sich oft, wenn auch nicht immer (Wynton Marsalis!), sympathisch, allemal, wenn sie aus gleichen sozialen Brennpunkten kommen, so wie im Fall Gary Thomas, der einige seiner Bekannten durch unaufgeklärte Gewalttaten verloren hat. Da gibt es dann schon mal Solidaritätsbekundungen der Jazzmusiker mit den Soul Brothers von der Asphalt-Universität. Bedeutendes und Haltbares ist dabei noch nie herausgekommen.

Der Jazz hat sich mit Scratchern und DJs befaßt, mit Rock und Pop, Messen und Opern, Streichquartetten und Sinfonieorchestern, Chören und Gregorianik, Minimalisten, Elektronikern und Zwölftönern und allen Ethnien dieser Welt. Am wenigsten Erfolg hatten die Versuche mit Hip-Hop - kurz gesagt: Geht nicht, gibt's halt doch. Dafür haben die Spieler der Instrumentalmusik Jazz, die Tönen mehr vertrauen als Worten, nicht Jahre und Jahrzehnte geübt und studiert, ihren Sound-Visionen nachgehangen, die Motorik ihrer Muskeln bang beobachtet, an den Grenzen ihres Koordinationsvermögens schmerzlich gezerrt und sich in schwierige Gruppenprozesse eingegraben - um sich der totalen Dominanz des Textes und der (offenbar unumgänglichen) Einfalt der rhythmischen Grundeinstellung im Hip-Hop unterzuordnen.

Die wahren Talente des Gary Thomas sind auf einer grandiosen CD des vielseitigen Uri Caine zu bewundern (Winter & Winter 919077), der hier mal nicht zu den großen Gedankenspielen seiner Mahler- oder Bach-Bearbeitungen ausholt, sondern seiner drängenden Fabulierlust als Pianist innerhalb hochprozentiger Gesellschaft (Dave Douglas, Josh Roseman, Dave Holland und andere) freien Lauf läßt. Die oft gestellte Frage "Was ist Jazz?" kann keine CD alleine beantworten, am ehesten aber diese hier. Ein geradezu rauschhafter Swing, aber auch ganz freie Stücke, Cover-Versionen von Jazz-Evergreens, spritzige Eigenkompositionen mit krausen Instrumentenverbindungen, gestochene kleine Perkussionskollektive, sanfte Balladen und Latino-Anleihen. Man könnte das Werk fast pädagogisch verwenden, wenn es nicht so viel Spaß machen würde. Die beiden CDs aus dem selben Jahr 1995 heißen "Overkill" und "Toys" (Spielzeuge). Da weiß man schon ganz gut, was man bekommt.

ULRICH OLSHAUSEN

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