Definitives Indie-Pop-Kleinod zwischen Strokes und Cake: energetisch, tight und sexy. Matador-Chef Gerard Cosloy feiert die Rückkehr seiner verlorenen Söhne. 1996 hatte das Trio aus Austin, Texas, sein Debüt auf Matador veröffentlicht, die extravagante Mischung aus Indie und Punk brachte ihnen damals Vergleiche mit Sonic Youth und den Pixies ein. Die US-Presselieblinge erhielten das beinahe obligatorische Major-Angebot und konnten natürlich nicht widerstehen. Auch beinahe zwangsläufig ging der kurze Ausflug der Texaner daneben, und 1998 wurden Spoon gedroppt. Man begab sich voller Tatendrang wieder in den Indie-Zirkus, veröffentlichte eine Handvoll 7"-Singles und EPs auf 12XU und Merge und tourte eifrig. Mit ihrem 2002er Album "Kill The Moonlight" konnten sie die Früchte ihrer Arbeit ernten: In den Staaten verkauften sie annährend 100.000 Einheiten und auch Europa machte sich langsam bereit für Spoon. Matador veröffentlicht im Mai 2005 das fünfte Album von Spoon, das unter der Ägide von Mike McCarthy (And You Will Know Them By The Trail Of Dead) in Austin aufgenommen wurde. Obwohl die Künstler, die Songwriter Britt Daniel beeinflusst haben (Bowie, Julian Cope, Wire, Prince, Elvis Costello, Beatles, Jonathan Richman) noch immer hörbar sind, macht das Album doch deutlich, dass diese Band nach all den Irrungen eine eigene musikalische Sprache gefunden hat: Selbstbewusst und mutig, fokussiert und catchy. Pop im besten Sinne, aber mit Ecken und Kanten. "Gimme Fiction" ist nicht mehr und nicht weniger als ein Meisterwerk.
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1 | The Beast And Dragon, Adored | 00:04:18 | |
2 | Two Sides Of Monsieur Valentine | 00:02:58 | |
3 | I Turn My Camera On | 00:03:32 | |
4 | My Mathematical Mind | 00:05:02 | |
5 | The Delicate Place | 00:03:42 | |
6 | Sister Jack | 00:03:35 | |
7 | I Summon You | 00:03:55 | |
8 | The Infinite Pet | 00:03:56 | |
9 | Was It You? | 00:05:02 | |
10 | They Never Got You | 00:04:59 | |
11 | Merchants Of Soul | 00:02:46 |
Neuer Rock von "Weezer", "Spoon" und "Maximo Park"
Rockmusik ist etwas für Frohnaturen, für Karnevalisten und andere Manisch-Depressive also. Für Menschen, die zwischen euphorischem Höhenflug und tiefer Grübelei pendeln, aber sich auf Knopfdruck an Musik und sich selbst berauschen können - bis vier zählen und rums! Das paradigmatische Luftgitarrensololied ist deswegen nach wie vor der eigentlich längst zu Tode genudelte Kracher von "Joan Jett and the Blackhearts": Ich liebe Rock 'n' Roll, und der Rock 'n' Roll liebt mich. Wenigstens er. Es ist kein Widerspruch, daß in Rocksongs ständig von düstersten Gedanken, Liebestod und Teufel die Rede ist, daß es ganze Subkulturen gibt, die noch nie das Tageslicht gesehen haben. Der Rocksong nämlich ist die Sublimation schlechthin. In dem Augenblick, wenn Frust und Frost zum Riff werden, ist die grausame Welt ästhetisch gerechtfertigt: die Geburt der Musik aus dem Geist der Tragödie.
Die amerikanische Band "Weezer" machte vor gut zehn Jahren zwei Platten, die dieses Paradox in großartigster Weise ausdrückten. Ihr Debütalbum von 1994 mit dem Hit "Buddy Holly" verkaufte sich öfter als dreimillionenmal; die zweite, noch bessere Platte "Pinkerton" allerdings wurde verglichen damit ein Flop, woraufhin der egozentrische Sänger und Songschreiber Rivers Cuomo die Band in eine Dauerkrise riß, die zwei zwar wieder gut verkaufte, aber kaum erinnernswerte Alben abwarf. Die Band hatte die Leichtigkeit und Selbstironie verloren, mit der sie die Seelennöte handlungsgehemmter Mittzwanziger zwischen College-Coolness und Selbstmitleid in jubelnde, aber nie simple Rockhymnen gepackt hatte - das Mädchen kriege ich zwar nicht, aber dafür einen hübschen Refrain. Auf "Make Believe", der neuen Platte, gibt es einen einzigen Song, der die alchimistische Geheimformel wiederentdeckt: In "Perfect Situation" singt Cuomo davon, wie er sich in der entscheidenden Sekunde der Brautwerbung stets selbst im Weg steht, auch wenn die Chancen besser nicht stehen können. Was wie Feigheit oder Dummheit aussieht, ist tatsächlich das tiefe Wissen, daß die Realisierung des Wunschtraums notwendig eine Enttäuschung bereithält.
Schon die Minnesänger dachten, daß die große Liebe besser virtuell bleibt. Genauso wird es aber wohl auch dem "Weezer"-Fan ergehen, wenn er die lang ersehnte neue Platte gehört hat: Von Rick Rubin sehr geradeaus produziert, enthält sie doch überwiegend einfallslosen und behäbigen Stadionrock, der auch textlich nicht an den Witz der frühen Platten heranreicht. Man kann auch zu geradlinig sein; nicht nur Mädchen stehen manchmal auf die nachdenkliche Tour, die "Weezer" nur noch besingen, aber nicht mehr praktizieren.
Vollkommen anders verlief die Karrierekurve beim Texaner Britt Daniel und seinem Bandprojekt "Spoon", die mit schroffem und hartem Post-Grunge von einem ähnlichen Punkt aus begannen und inzwischen ihre ganz eigene Handschrift entwickelt haben: eine intelligente postmoderne Spielart des Retrorock nämlich, die stets an die ganz großen Meister erinnert, aber ihnen nie zum Verwechseln ähnlich ist. Was Daniel auf dem letzten, eher durchwachsenen Album "Kill The Moonlight" (2002) begann, scheint mit "Gimme Fiction" zu einer neuen stilistischen Synthese gereift. Oft bilden nur Schlagzeug, Gitarre und E-Piano das Gerüst der Songs, in denen kleine, fragmentarische und auch kryptische Geschichten erzählt und zugleich Geistesblitze der Popgeschichte auf ihre weitere Verwendbarkeit hin untersucht werden. Da gibt es Textzeilen, die wie einst sehr vertraute, aber inzwischen vergessene Freunde grüßen, ohne daß man sich an die Umstände der ersten Begegnung erinnern könnte. Manche Stücke klingen wie Rock-'n'-Roll-Klassiker auf halber Geschwindigkeit, andere wie neu entdeckte John-Lennon-Songs, "I Summon You" oder "Sister Jack" etwa. So beiläufig manche Stücke daherkommen mögen - das ist eine hervorragende, lange nachhallende Platte eines immer noch unterschätzten Musikers.
Die zwingendste neue Rockmusik aber kommt wohl wieder einmal aus Großbritannien, wo die vor einem Jahr an "Franz Ferdinand" ablesbare Rückbesinnung auf hauseigene New-Wave-Traditionen immer neue Talente hervorbringt. Nach "Bloc Party" sind nun auch "Maximo Park" aus Newcastle mit einer unwiderstehlich kraftvollen Debütplatte auf den Plan getreten. "A Certain Trigger" beschwört schon im Titel jenes gewisse, aber kaum definierbare Etwas, das vielleicht nicht auf jeden Anziehungskraft ausübt, aber jedenfalls zur deutlichen Stellungnahme herausfordert. Auch Dreistigkeit hat ihren Charme, wenn sie sich mit Intelligenz paart. "Apply Some Pressure", so der Song, mit dem die Band den Durchbruch schaffte, verkündet das Programm: nicht sich selbst beim Zögern und Nachdenken beobachten und den Frust dann durchs Ventil abgegriffener Rockphrasen ablassen, sondern zusehen, wie sich die Dinge entwickeln, wenn man beharrlich ein wenig Druck ausübt, auch auf die Gefahr hin, den Bogen etwas zu überspannen.
Dieses Album enthält dreizehn vollkommen zwingende Popsongs; noch die verstecktesten B-Seiten dieser Band (auf der Homepage "www.maximopark.com" anzuhören) überzeugen mit originellem, durchaus hitorientiertem Songwriting und klugen Texten, von denen immer wieder andere Zeilen im Gedächtnis bleiben: "I'll do graffiti if you sing to me in French / what are we doing here if romance isn't dead?" - "Her mit der Fiktion!" fordern "Spoon". Der Film dieses Sommers kann beginnen. Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Egal, der Soundtrack ist jedenfalls schon fertig.
RICHARD KÄMMERLINGS
Weezer, Make Believe, Geffen 0602498817179 (Universal)
Spoon, Gimme Fiction. Matador OLE668 (Indigo)
Maximo Park, A Certain Trigger. Warp 130P (Rough Trade)
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