Produktdetails
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2024

Gewalt und Aufbegehren

MAINZ Südafrika am Staatstheater: Regisseurin Victoria Stevens inszeniert Giuseppe Verdis "Otello" mit Mut, Härte und Motiven aus ihrem Heimatland.

Von Axel Zibulski

Die Formel stammt aus der südafrikanischen Antiapartheidsbewegung: "Amandla Awethu", eine Parole, die für das Volk die Macht einfordert, steht auf Bannern und Plakaten, die eine Gruppe von Aufbegehrenden in die Höhe hält. Gerade hat auch Desdemona aufbegehrt und den eifersüchtigen, wütenden Otello geohrfeigt. Wenden kann sie das Geschehen nicht, auch wenn ihr gemeinsamer Sohn seinerseits den Vater erschießen wird. So erzählt die südafrikanische Regisseurin Victoria Stevens Verdis 1887 in Mailand uraufgeführte Shakespeare-Oper gegen Ende des vierten Akts frei und mit jener schonungslosen Brutalität weiter, die ihre ganze Neuinszenierung von Verdis vorletztem Bühnenwerk im Großen Haus des Staatstheaters Mainz prägt.

Als Außenseiter wird Otello, der venezianische Befehlshaber mit dunkler Hautfarbe, auch ohne "Blackfacing" kenntlich, indem eine Gesichtshälfte stark vernarbt ist. Das ist großformatig in Videosequenzen zu erkennen, ebenso sein Auftritt im schwarzen Unterhemd zwischen weißen Uniformen (Kostüme: Charlotte Werkmeister). Kindersoldaten und weiße Militärs sind ebenfalls darin zu sehen, Aufnahmen der afrikanischen Gegenwart, die in Gestalt von Lukas Eichers Videos assoziativ in die Inszenierung eingeflochten sind. Schwarz und Weiß prägen auch die offene Szene von Anna-Sofia Kirsch, mit einem länglichen, bühnenhohen Quader im Zentrum. Er birgt zunächst einen abgeschotteten Raum für Otellos Familie, später steht er senkrecht und erratisch in einem sich füllenden Wasserbassin. Als Otello, so geschieht es hier, Jagos Frau Emilia vergewaltigt hat, versucht diese so verzweifelt, sich darin zu reinigen, wie am Ende der überlebende Jago selbst. Er sieht Otello zunehmend ähnlich, wie ein Doppelgänger. Denn was Jagos Stimme ihm über Desdemonas vermeintliche Untreue einflüstert, könnte auch in Otellos Kopf entstehen. Und Jago hat Macht: Wenn er über Gott spottet, nimmt ein Statist in Fesseln die Haltung eines Gekreuzigten ein.

In einer Atmosphäre der Gewalt spielen die ersten beiden der vier Akte. Dazu tragen der Chor und der Extrachor sowie das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter der Leitung von Hermann Bäumer mit vergleichbarer Heftigkeit bei. Sie lassen schon die Sturmszene der Eröffnung mit aller Macht und Härte über die Bühne peitschen, im Feuerchor zündeln Aufrührer mit Molotowcocktails, bis sie pantomimisch von Polizisten niedergestreckt werden. Trotzdem entwickelt sich wie unter einem Brennglas das eigentliche Drama, die von Jago bei Otello geweckte Eifersucht, dessen Macht über Desdemona, die hier eigentlich schon im ersten Akt abreisen möchte, das Spiel mit Intrigen und Täuschungen, das auf der nachtdunklen Bühne beklemmend erfahrbar wird.

Eine Herausforderung birgt die musikalisch so forcierte erste Hälfte auch für den italienischen Tenor Antonello Palombi, der nicht nur seinen ersten Auftritt, "Esultate!", mit mehr Kraft singen muss, als er eigentlich hat. Seine Stärken konnte er in der Premiere vor allem im innerlich ausgespielten zweiten Teil der Oper entfalten, der den Sängerdarstellern dennoch das Äußerste abverlangt, wenn sie sich im knöcheltiefen Wasser bewegen und dabei immer wieder physisch an ihre Grenzen gehen müssen. Das passt zu Otellos erhellend ausgeleuchtetem Eingeständnis, dass er sich selbst nicht entfliehen kann, das passt aber auch zu Desdemonas langer Solo-Szene, bevor Otello sie tötet. Ihr "Lied von der Weide" wird im begleitenden Video zur südafrikanischen Kindheitserinnerung, in dem sie ihre dunkelhäutige Kinderfrau besingt, und zwar, dank der lyrisch starken, dunkel ummantelten Sopranstimme von Selene Zanetti, mit größter Eindringlichkeit.

Verena Tönjes gestaltet Emilia, die zweite, von Regisseurin Stevens szenisch aufgewertete Frauenfigur der Oper, nicht weniger stark und empfindsam, als Jago bringt Ivan Krutikov manchmal verstörend expressive, sogar treffend hässliche Töne ein, wie sie diesen Mainzer "Otello" auch musikalisch nie geglättet wirken lassen. Einzig Jaesung Kim legt die Rolle des Cassio, Desdemonas vermeintlichen Liebhabers, gestalterisch eher neutral aus. In der Abstimmung zwischen Bühne und Graben und auch in manchen Ensembles mögen im Sinne der szenischen Wahrhaftigkeit manche Kompromisse zu machen sein. Der mutige, am Ende vom Publikum stark diskutierte Zugriff von Victoria Stevens aber ist es wert.

Otello, Staatstheater Mainz, nächste Vorstellungen am 31. März, 10. und 21. April sowie am 4., 12., 17. und 31. Mai.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr