Produktbeschreibung
Ein Tribut an die Soulmusik der sechziger Jahre.
Trackliste
CD
1Girl (Why You Wanna Make Me Blue)00:02:33
2(Love Is Like A) Heatwave00:02:53
3Uptight (Everything's Alright)00:03:02
4Some Of Your Lovin'00:03:19
5In My Lonely Room00:02:25
6Take Me In Your Arms (Rock Me For A Little While)00:02:58
7Blame It On The Sun00:03:26
8Papa Was A Rolling Stone00:06:43
9Never Dreamed You'd Leave In Summer00:02:59
10Standing In The Shadows Of Love00:02:42
11Do I Love You00:02:50
12Jimmy Mack00:02:56
13Something About You00:02:47
14Love Is Here And Now You're Gone00:02:40
15Loving You Is Sweeter Than Ever00:02:48
16Going To A Go-Go00:02:49
17Talkin About My Baby00:02:47
18Going Back00:04:37
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2010

Man hat es sich nicht träumen lassen

Phil Collins hat eine alte Platte gemacht: Sein Motown-Songkatalog zwingt uns dazu, diesen alten Kommerz-Meister neu zu entdecken.

Das ist der Witz des Jahres: Phil Collins macht auf Atlantic Records eine Motown-Platte! Das ist wie ein Geha-Füller mit Pelikan-Patronen, oder Willi Lemke wird Manager bei Bayern München. Für Collins hätte das eigentlich bedeuten müssen, dass er vorher die charming school besucht, die Motown-Gründer Berry Gordy damals anordnete, um seinen Interpreten Manieren beizubringen, und auch, dass er auf der gefürchteten Freitagskonferenz erscheint, auf welcher der vermutlich größere Teil der Fabrikware durchfiel. Aber Motown existiert in seiner prägenden Form schon lange nicht mehr, auch wenn Gordy noch lebt. Die Songrechte liegen seit dem Verkauf des Motown-Verlags Jobete bei EMI, und man würde gerne wissen, was dieser Spaß gekostet hat.

Was kann dabei herauskommen, wenn das Atlantic-Label, der erste Wohnsitz des erdigen Südstaaten-Soul, einem Repertoire Unterschlupf bietet, das der Inbegriff des hochkommerziellen, glattpolierten Soul ist? Indessen hatte Collins schon 1982 auf seinem zweiten Soloalbum mit "You Can't Hurry Love" verblüfft. Dieses Supremes-Lied ist zwar absolut zeitlos; aber die Art und Weise, wie Collins sich seiner annahm, ist es eben auch. Man kann es nicht nur heute noch gut hören; man erkennt eigentlich erst jetzt, wo die Ursprungszeit immer ferner gerückt ist, welche Qualitäten auch die Coverversion hat, die freilich nah genug am Original ist. Dies war aber, je nachdem, ein Ausrutscher oder eine Eintagsfliege; einen ganzen Katalog einzuspielen, um den es sich nun handelt, ist etwas anderes.

"Going Back", das gerade erschienen und auch als Doppel-LP erhältlich ist, enthält achtzehn Motown-Songs, die zwischen 1963 und 1972 erstmals veröffentlicht wurden; die meisten stammen von 1964 bis 1967, der absoluten Glanzzeit dieser neben Atlantic wichtigsten Soul-Firma. Die Musik ist so unoriginell wie der Plattentitel, könnte man sagen; aber um Originalität geht es heute nicht. Diese Musik war einst, vor fünfundvierzig, fünfzig Jahren, originell, weil sie etwas leistete, wozu Unterhaltungsmusik selten imstande ist: mit einer durch straffe Führung geradezu erzwungenen corporate identity einen Universalismus zu schaffen, der seine kulturellen Wurzeln nie verleugnet, in diesem Fall: den Gospel, den Rhythm & Blues, den Jazz und den Swing. "In Amerika", das wusste Berry Gordy von Anfang an, "kann es ohne die Anerkennung eines schwarzen Bewusstseins keine demokratischen Impulse geben." Die Frage ist, was Phil Collins damit zu tun hat. Im mit rührend schönen, alten Fotos versehenen Booklet betont er, wie prägend Motown für ihn, den zu Mitte der Sechziger Fünfzehnjährigen, war: "Thank God, I grew up in those years." Dies ist das Bekenntnis eines an soziologischen Fragen zumindest im musikalischen Zusammenhang nicht interessierten Popfanatikers, als den wir Collins spätestens mit diesem Album sehen sollten, das darüber hinaus Anlass geben sollte, darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass man über einen kommerziell so erfolgreichen Künstler wie ihn so allgemein und anhaltend die Nase rümpft - er singe "wie ein kastrierter Dackel", hieß es einst im Satiremagazin "Titanic" -, als stinke nur das Geld, das er mit seiner Musik verdient. Wenn man etwas Gutes über seine handwerklichen Fähigkeiten sagen will, weist man auf sein Schlagzeugsolo in seiner Debüt-Single "In The Air Tonight" hin und tut die enorme Anschlussfähigkeit seiner Melodien und Rhythmen als etwas ab, das sich bloßer Kalkulation verdanke.

Sie muss aber ja irgendwo herkommen. Gerade hier ergibt sich, über die frühe Cover-Version und das jetzige Album hinaus, die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Collins und Motown: Es ist der Groove. Collins versteht ihn nicht nur im engeren Sinne als bestimmte Rhythmusfigur - das wäre das reine Handwerk -, sondern auch im weiteren als kaum zu erklärenden, stimmungsmäßigen Einklang zwischen den Noten und Takten, aber auch zwischen Musik/Musiker und Hörer. Und er adaptiert ihn auf eine Weise, dass man nicht weiß, was man sagen soll. Selten, wahrscheinlich noch nie ist es einem Weißen gelungen, sich Material anzueignen, das so fest in schwarzer Produzentenhand lag wie diese achtzehn Motown-Lieder, die aber natürlich schon damals für ein größtmögliches, globales Publikum bestimmt waren. Und hier, über den Massengeschmack, von dem Collins ja ebenfalls eine Menge versteht, ergibt sich der zweite Berührungspunkt, der zunächst rein kommerzieller Natur und insofern auch nur ein Akt der Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft ist.

So wendet sich also die eine, schon in die Jahre gekommene Volkspartei der anderen, ebenfalls schon recht alten zu. Und wenn man im Bild bleiben will: Diese große Koalition funktioniert wie geschmiert und absolut reibungslos. Man fasst sofort Vertrauen zu diesem Album, von dem Moment an, in dem die von Collins besorgten Bläser in "Girl (Why You Want to Make Me Blue)", einer alten Midtemponummer der Temptations, ihren ersten Ton herausbringen - das ist, rein vom Groove her, nicht nur denkbar nah am Original, sondern entfaltet mit den Motown-Studio-Legenden Bob Babbitt (Bass), Eddie Willis und Ray Monette (Gitarren) noch mehr Druck, Präzision und Präsenz als einst.

Dies tut im folgenden die ganze Platte, die ein lächerliches Imitat und in etwa so wäre, als hätte Jonathan Franzen "Krieg und Frieden" einfach abgeschrieben, gelänge es Collins nicht, über die mit den Vorlagen fast immer deckungsgleichen und durchweg ja äußerst straffen Arrangements seine eigenen, sehr persönlichen Noten zu legen. Und hier endlich kommt sein Gesang ins Spiel, der ja, wenn man zum Beispiel bei dem späten Genesis-Song "I Can't Dance" (1991) genau hinhörte, schwarzen Artikulationsformen immer schon näher war, als man bei dem ausgesprochen weiß anmutenden Appeal seiner alten Band meinen mochte.

Es ist natürlich so, dass Phil Collins nicht singen kann wie Marvin Gaye, Stevie Wonder, Smokey Robinson, Curtis Mayfield, Levi Stubbs und auch nicht wie Diana Ross oder Martha Reeves. Aber er macht aus dieser ja nur zu begreiflichen Lage das Beste. So klingen "(Love is Like a) Heat Wave" und vor allem "Love is Here and Now You're Gone" annähernd so feminin wie die Originale von den Supremes und Martha & The Vandellas; "Never Dreamed You'd Leave in Summer" atmet den gleichen herben Schmerz, "Uptight (Everything's Alright)" die gleiche Aufgekratztheit wie bei Stevie Wonder; "Standing in the Shadows of Love" hat die himmelstürmende Euphorie wie bei den Four Tops, wie überhaupt die rockig-beschwingten Songs in ihrer Direktheit mit den Originalen mithalten können, etwa "In My Lonely Room", "Take Me in Your Arms (Rock Me For a Little While)" und vor allem "Something About You".

Jeder kennt diese Lieder und wird sie hier als das wiedererkennen, was sie sind: großartige, druckvoll-beschwingte und wie selbstverständlich abschnurrende Popmusik. Zum herausragenden Meisterstück aber gerät Collins der Song, der die komplexeste, raffinierteste Struktur aufweist und mit seinen verschiedenen Gesangsrollen auch stimmlich die größten Anforderungen an die Stimme stellt: "Papa Was a Rolling Stone", die fiebrige, elfminütige Soul-Sinfonie, die Norman Whitfield und Barrett Strong einst den Temptations auf den Leib schrieben. Man muss hier nur den Bass hören, dann weiß man schon, dass Collins auch dieses Wagnis gewonnen hat. Er klingt lauernd, schneidend, leidend und verschleift die Silben wie ein abgebrühtes Herumtreiber-Kid aus dem Getto. Hier stimmt alles, sogar das berühmte hand clapping.

Phil Collins hat, mit enormer Einfühlung, Sorgfalt und Präzision, für Atlantic ein Motown-Album gemacht: Es ist der Witz des Jahres - aber auch die Platte des Jahres.

EDO REENTS

Phil Collins, Going Back. Atlantic 8924484 (Warner)

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